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  BFH-Urteil vom 8.11.1989 (II R 29/86) BStBl. 1990 II S. 207

Gewährt ein Kreditinstitut Darlehen unter Einbehaltung (Verrechnung) eines Disagios und ergibt die zivilrechtliche Würdigung, daß es sich insoweit (ganz oder teilweise) um eine Zinsvereinbarung handelt, so ist bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens das Disagio als Schuldabzug zu berücksichtigen. Es ist innerhalb der Zeit aufzulösen, innerhalb der es nach den getroffenen Vereinbarungen "verbraucht" wird, und zwar jeweils nach der Zinsstaffelmethode.

Soweit das Disagio laufzeitunabhängig ist, ist seine Berücksichtigung unzulässig. Das gilt auch für laufzeitunabhängige Bearbeitungsgebühren bei einem Teilzahlungskredit, die mit den einzelnen Kreditraten zu entrichten sind.

BewG § 95 Abs. 1, § 103 Abs. 1, § 109 Abs. 4.

Vorinstanz: Baden-Württemberg (EFG 1986, 166)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin ist die Rechtsnachfolgerin einer Girokasse.

Streitig wurde bei der Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1974 die Behandlung des Disagios im Kreditgeschäft und der Kreditgebühren im Ratenkreditgeschäft.

Das Disagio wurde von der Girokasse zum Teil bei der Auszahlung der Darlehen einbehalten. Teilweise zahlte die Girokasse aber auf Wunsch der Darlehensnehmer die volle Darlehenssumme aus und gewährte ein weiteres verzinsliches Darlehen in Höhe des Disagios (Disagiodarlehen). In den Bilanzen der Girokasse wurde jeweils die volle Darlehensforderung (ggf. auch das Disagiodarlehen) als Forderung ausgewiesen und das einbehaltene bzw. kreditierte Disagio als passiver Rechnungsabgrenzungsposten eingestellt und nach der linearen Methode aufgelöst.

In der Handelsbilanz und in der Steuerbilanz der Girokasse auf den 31. Dezember 1973 waren Disagiobeträge passiv abgegrenzt. Das beklagte Finanzamt (FA) versagte den Abzug dieser Beträge bei der Feststellung des Einheitswertes des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1974.

Im Ratenkreditgeschäft berechnete die Girokasse neben den Zinsen einmalige (laufzeitunabhängige) Bearbeitungsgebühren, die für die Antragsbearbeitung erhoben und von den Kreditnehmern endgültig geschuldet wurden. Bei Gewährung der Ratenkredite wurden jeweils die Zinsen für die gesamte Laufzeit des Ratenkredites und die Bearbeitungsgebühr berechnet, der Darlehenssumme hinzugeschlagen und die Gesamtsumme sodann in gleich hohe Monatsraten aufgespalten.

In ihren Bilanzen wies die Girokasse jeweils den noch zu tilgenden Kreditbetrag als Forderung aus. Ohne daß sich diese Änderung auf die Gewinne auswirkte, ging das FA davon aus, daß die Gesamtsumme aller künftigen Raten (einschließlich der Zinsen und der Bearbeitungsgebühr) zu aktivieren und in Höhe der Zinsen und der Bearbeitungsgebühren ein Passivposten zu bilden sei, der entsprechend der Laufzeit aufgelöst werden müsse. Bei der Feststellung des Einheitswertes des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1974 ließ das FA diesen Passivposten nur insoweit zum Abzug zu, als er auf die vereinbarten Zinsen entfiel. Den Abzug der passivierten Bearbeitungsgebühren lehnte es ab.

Nach einer Außenprüfung erließ das FA am 29. September 1983 einen Änderungsbescheid, durch den es den Vorbehalt der Nachprüfung aufhob und den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1974 auf .... DM feststellte.

Die Klägerin hat nach erfolglosem Einspruch Klage erhoben und beantragt, den Einheitswert des Betriebsvermögens auf .... DM festzustellen. Sie hat im wesentlichen vorgetragen:

Das Disagio sei nichts anderes als eine Zinsvorauszahlung. Deshalb müsse es als Schuldposten angesetzt werden. Die Forderungen auf die Bearbeitungsgebühren für die Gewährung der Teilzahlungskredite seien keine neben den Forderungen auf Rückzahlung der Kredite selbständig bewertbaren Forderungen.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1986, 166). Es ist der Auffassung, daß die passiv abgegrenzten Disagiobeträge als Betriebsschuld abzuziehen seien. Sie seien Vorleistungen der Darlehensnehmer und nach den Grundsätzen über die Behandlung der schwebenden Geschäfte als Schuldposten zu berücksichtigen.

Die Bearbeitungsgebühren für die Teilzahlungskredite seien deshalb nicht anzusetzen, weil sie trotz ihrer Laufzeitunabhängigkeit Teil der Gegenleistung für die Nutzung des Kapitals seien.

Das FA hat Revision eingelegt und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Bundesminister der Finanzen (BMF) ist dem Revisionsverfahren beigetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Disagio

Der erkennende Senat ist im Gegensatz zu der früheren Rechtsprechung des III. Senats (vgl. vor allem sein Urteil vom 14. Februar 1964 III 142/61 U, BFHE 79, 85, BStBl III 1964, 264) der Auffassung, daß das bei der Darlehensauszahlung einbehaltene bzw. verrechnete Disagio bei der Feststellung des Einheitswertes des Betriebsvermögens insoweit als Schuld im Sinne des § 103 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) zu berücksichtigen ist, als es als laufzeitabhängiger Zins und nicht als einmalige mit der Darlehensgewährung dem Vermögen der Klägerin zugeführte Darlehensnebenkosten zu beurteilen ist. Dabei ist davon auszugehen, daß die zugehörigen Darlehensforderungen gemäß § 109 Abs. 4 BewG nach den Grundsätzen über die steuerliche Gewinnermittlung mit ihren Nennwerten anzusehen sind. Dies entspricht der Rechtsprechung zum Bilanzsteuerrecht (vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. April 1975 I R 236/72, BFHE 116, 16, BStBl II 1975, 875). Dieser Rechtsprechung liegt die Auffassung zugrunde, daß das einbehaltene Disagio vorausgezahltes Nutzungsentgelt ist (vgl. das BFH-Urteil vom 24. November 1971 I R 109/71, BFHE 104, 152, BStBl II 1972, 179; vgl. auch das Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 1. Juni 1989 III ZR 219/87, NJW-Rechtsprechungs-Report, Zivilrecht - NJW-RR - 1989, 947).

Soweit das Disagio zivilrechtlich als laufzeitabhängiger Zins zu beurteilen ist, führt dies bewertungsrechtlich bei Annahme einer teilweisen Vorauszahlung des Nutzungsentgelts wegen der eindeutig herrschenden zivilrechtlichen Auffassung, daß das Darlehensverhältnis ein gegenseitiges Rechtsverhältnis ist, bei dem die eingeräumte Kapitalnutzung der Zinszahlung gegenübersteht (vgl. RGZ 161, 52, 59 f.; BGH-Urteile vom 9. Februar 1967 III ZR 226/64, Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht - WM - 1967, 321, 323, und vom 9. November 1978 III ZR 21/77, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1979, 805, 806 unter III 1 a) zum Abzug einer der Zinsvorauszahlung entsprechenden Verpflichtung als Schuld gemäß § 103 Abs. 1 BewG. Es gilt hier nichts anderes als bei einer vereinnahmten Mietvorauszahlung, für die anerkannt ist, daß wegen des durch die Vorauszahlung eingetretenen zeitlichen Ungleichgewichtes hinsichtlich der gegenseitigen Verpflichtungen eine Schuld abzuziehen ist.

Es gibt keine überzeugenden Gründe, bei einer Zinsvorauszahlung anders zu verfahren. Insbesondere ist es für die übereinstimmende Beurteilung der jeweiligen Nutzungsverhältnisse ohne Bedeutung, daß bei der Miete nur der Besitz an der vermieteten Sache überlassen wird, während bei einer Darlehensgewährung, weil es sich um die Überlassung vertretbarer Sachen handelt, darüber hinaus auch das Eigentum an dem überlassenen Geld übergeht und deshalb nur Sachen gleicher Art, Güte und Menge bei Beendigung des Darlehensverhältnisses zurückzugewähren sind (vgl. § 607 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Die unterschiedlichen zivilrechtlichen Konstruktionen der Miete und des Darlehens haben keine Auswirkung auf die bewertungsrechtliche Beurteilung des jeweiligen Nutzungsverhältnisses.

Die abweichende frühere Rechtsprechung des III. Senats (vgl. BFHE 79, 85, BStBl III 1964, 264) kann nicht aufrechterhalten werden. Sie konnte nicht den späteren § 109 Abs. 4 BewG berücksichtigen, der seit dem 1. Januar 1974 den Rückgriff auf die Grundsätze der steuerlichen Gewinnermittlung vorschreibt, und steht darüber hinaus noch auf dem Boden der früheren Realvertragstheorie für die rechtliche Beurteilung der Darlehensverträge und der Vernachlässigung bzw. Leugnung des Vorliegens eines entgeltlichen Nutzungsverhältnisses.

Ist ein Disagio als Schuld zu berücksichtigen, so mindert sich die abzugsfähige Schuld während der Laufzeit des Darlehens in dem Ausmaß, in dem das als Zinsvorauszahlung zu beurteilende Disagio durch die eingeräumte Kapitalnutzung "verbraucht" wird (vgl. hierzu BGH in NJW-RR 1989, 947, 948).

Ein Schuldabzug wegen des Disagios ist insoweit nicht zulässig, als das Disagio zu den laufzeitunabhängigen Nebenkosten gehört, die mit der Darlehensgewährung bereits endgültig dem Vermögen des Darlehensgebers zugeführt werden. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn das Disagio auch bei vorzeitiger Beendigung des Darlehensverhältnisses nicht zurückgezahlt werden muß. Es stellt insoweit keine Zinsvorauszahlung dar.

Anders als etwa im Bilanzsteuerrecht dürfen als Nebenkosten zu qualifizierende Disagiobeträge bewertungsrechtlich nicht als Schuld abgezogen werden (vgl. zum Bilanzsteuerrecht hinsichtlich der Behandlung des Darlehensnehmers das BFH-Urteil vom 19. Januar 1978 IV R 153/72, BFHE 124, 320, BStBl II 1978, 262). Der entscheidende Grund für diese unterschiedliche Behandlung des Disagios im Bewertungsrecht ist darin zu sehen, daß hinsichtlich bereits endgültig dem Vermögen des Darlehensgebers zugeführter Nebenkosten keinerlei schuldrechtliche Verpflichtungen gegenüber dem Darlehensnehmer mehr bestehen. Deshalb ist insoweit hinsichtlich des laufzeitunabhängigen Disagios ein Schuldabzug nicht möglich. Der Gedanke einer periodengerechten Rechnungsabgrenzung, wie er das Bilanzsteuerrecht beherrscht, ist dem Bewertungsrecht fremd.

2. Tilgungsstreckungsdarlehen

Wird trotz Vereinbarung eines Disagios eine volle Auszahlung der Darlehenssumme dadurch erreicht, daß ein sog. Tilgungsstreckungsdarlehen vereinbart wird, so kann davon auszugehen sein, daß die Vereinbarung des Tilgungsstreckungsdarlehens eine Stundung des Disagios beinhaltet (vgl. BFH-Urteil vom 26. November 1974 VIII R 105/70, BFHE 114, 412, BStBl II 1975, 330). In diesem Falle ist das Tilgungsstreckungsdarlehen nur dann ein Wirtschaftsgut im Sinne des § 95 Abs. 1 BewG, wenn das Disagio laufzeitunabhängig ist und deshalb zu den Nebenkosten des Darlehens gehört. Ist es demgegenüber als Zins zu beurteilen, so ist das gestundete Disagio nach den Grundsätzen über die Behandlung schwebender Geschäfte deshalb bewertungsrechtlich nicht anzusetzen, weil es zukünftige Kapitalnutzungszeiträume betrifft.

Soweit sich allerdings ein Ungleichgewicht dadurch ergibt, daß der Zeitraum für die Verrechnung des Disagios länger ist als der Tilgungszeitraum für das Tilgungsstreckungsdarlehen und damit für das gestundete Disagio, können sich hieraus ggf. Zinsvorauszahlungen ergeben, die zu einem entsprechenden Schuldenabzug nach den oben unter II. 1. dargelegten Grundsätzen führen.

3. Bearbeitungsgebühren

Aus den Ausführungen unter 1. ergibt sich, daß die einmaligen (laufzeitunabhängigen) Bearbeitungsgebühren im Ratenkreditgeschäft als Wirtschaftsgut i.S. des § 95 Abs. 1 BewG anzusetzen sind. Denn die Forderung auf die Bearbeitungsgebühren ist endgültig dem Vermögen der Klägerin zugeführt worden. Eine Verbindlichkeit der Klägerin gegenüber den Darlehensnehmern besteht insoweit nicht. Denn sie hatte mit der Bewilligung der Teilzahlungskredite ihre Leistungen erbracht, für die die Kreditnehmer die Bearbeitungsgebühren schulden. Sie hat damit einen endgültigen Anspruch auf diese Beträge erlangt, auch wenn diese erst mit den einzelnen Raten zu entrichten sind.

4. Nach der Aufhebung des angefochtenen Urteils geht die Sache an das FG zurück, damit noch die erforderlichen Feststellungen über die jeweils mit der Vereinbarung eines Disagios zusammenhängenden vertraglichen Abreden getroffen werden. Das FG wird dabei zu prüfen haben, inwieweit es sich bei dem jeweils vereinbarten Disagio um laufzeitunabhängige Nebenkosten oder um laufzeitabhängige Zinsen handelt. Sind keine eindeutigen Vereinbarungen getroffen worden, können gegebenenfalls entsprechende Schlüsse aus anderen Umständen gezogen werden. Es kann z.B. von Bedeutung sein, ob Darlehen nach Wahl des Darlehensnehmers zu unterschiedlichen Zinssätzen ohne Abzug eines Disagios oder unter Abzug eines Disagios gewährt worden sind. Hieraus lassen sich gegebenenfalls Schlußfolgerungen hinsichtlich der rechtlichen Einordnung des Disagios ziehen. Erhalten z.B. Darlehensnehmer Darlehen unter Abzug eines Disagios ohne besondere Berechnung einer Bearbeitungsgebühr, während Darlehensnehmer die ein Darlehen ohne Abzug eines Disagios wünschen, eine besondere Bearbeitungsgebühr zu entrichten haben, so kann hieraus geschlossen werden, daß auch das Disagio eine entsprechende Bearbeitungsgebühr enthält.

Läßt sich die Art des Disagios nicht klären, so muß auf die Entscheidung in BGHZ 81, 124, 127 zurückgegriffen werden. Danach ist das Disagio nicht als Zinsvorauszahlung anzusehen, wenn in den Darlehensvereinbarungen trotz Berücksichtigung der Kündigungsmöglichkeit nicht vorgesehen ist, daß sich im Falle der Kündigung des Darlehens das Disagio zeitanteilig ermäßigt.

Auf welche Zeit ein als Zins zu beurteilendes Disagio zu verteilen ist, wird davon abhängen, auf welche Zeit das Darlehen nach den Darlehensbedingungen festgeschrieben ist (vgl. hierzu NJW-RR 1989, 947, 948 unter II 1 b). Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß die Auflösung des Disagios nach der Zinsstaffelmethode zu erfolgen hat (vgl. das BFH-Urteil vom 17. Juli 1974 I R 195/72, BFHE 113, 115, BStBl II 1974, 684).