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  BFH-Urteil vom 30.11.1989 (V R 85/84) BStBl. 1990 II S. 345

1. Auch nach § 15 UStG 1980 ist für das Recht auf Vorsteuerabzug materiell-rechtlich zwischen nicht abschließender und abschließender Entstehung bzw. Nichtentstehung zu unterscheiden (BFH-Urteil vom 26. Februar 1987 V R 1/79, BFHE 149, 307, BStBl II 1987, 521).

2. Eine tatsächliche erstmalige Verwendung von Vorbezügen kann auch anzunehmen sein, wenn die Vorbezüge weder Eingang in den Gegenstand der vom Unternehmer bewirkten Umsätze finden noch sonstwie das Bewirken von Umsätzen fördern (sog. Fehlmaßnahmen). In solchen Fällen kann die wirtschaftliche Zuordnung der Vorbezüge zu den Umsätzen des Unternehmers unter Kostenzurechnungsgesichtspunkten vorgenommen werden (BFH-Urteil vom 21. Juli 1988 V R 87/83, BFHE 155, 177, BStBl II 1989, 60).

UStG 1980 § 15 Abs. 2 und 3; UStG 1967/1973 § 15 Abs. 2.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war Eigentümerin eines großen Grundstücks in ..., auf dem sie ... betrieb. In den 70er Jahren plante sie, auf dem Grundstück zusätzlich ein Altersheim zu errichten. Das betreffende Gebäude sollte von einer noch zu gründenden GmbH & Co. KG gebaut werden, deren alleinige Kommanditistin die Klägerin werden sollte. Außerdem sollte sie Alleingesellschafterin der GmbH sein. Das Altersheim sollte von einer Gesellschaft betrieben werden, deren Geschäftsanteile ausschließlich der Ehemann der Klägerin innehaben sollte. Diese Konzeption war aus der Sicht der Klägerin zwingend vorgegeben; denn einerseits ..., andererseits mußte das Grundstück in eine Form von Betriebsvermögen überführt werden, an dem die Klägerin zumindest als Mitunternehmerin beteiligt wäre, da sonst hinsichtlich des Grundstücks vorhandene stille Reserven in Höhe von ca. ... DM hätten versteuert werden müssen.

Nachdem die Vorfragen soweit geklärt waren, daß nur noch festgelegt zu werden brauchte, in welcher Rechtsform das Altersheim betrieben werde, beauftragte die Klägerin ein Architekturbüro mit der Planung des Altersheimes. Diese wurde vollständig durchgeführt, so daß mit der Ausschreibung der Bauarbeiten hätte begonnen werden können. Außerdem beauftragte die Klägerin einen ihrer jetzigen Prozeßbevollmächtigten mit der Erstellung eines Rentabilitätsgutachtens. Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, daß bei einer genügenden Auslastung des Altersheimes eine angemessene Rendite erzielbar sei. Zur Errichtung des Altersheimes kam es jedoch nicht, und zwar wegen des starken Anstiegs des Zinsniveaus in den Jahren 1980 und 1981, sowie weil der Klägerin bekannt wurde, daß infolge der beabsichtigten Errichtung kommunaler Altersheime die Auslastung gefährdet sein könnte.

Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) war vor dem Erlaß der Vorentscheidung das Grundstück an ein Wohnungsbauunternehmen verkauft worden.

Mit ihrer Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr (1980) machte die Klägerin Vorsteuerbeträge in Höhe von ... DM geltend, die ihr für die Planung des Altersheimes von anderen Unternehmern in Rechnung gestellt worden waren.

Mit Umsatzsteuerbescheid 1980 vom 31. August 1982 versagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) den Vorsteuerabzug mit der Begründung, die Vorsteuerbeträge entfielen auf vergebliche Herstellungskosten, die dem Besitzunternehmen zuzurechnen seien. Außerdem gehe die Option ins Leere, da später keine Umsätze erzielt worden seien (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. Januar 1979 V R 53/72, BFHE 127, 238, BStBl II 1979, 394).

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wurde durch das FG mit der Begründung abgewiesen, der Klägerin stehe der in Anspruch genommene Vorsteuerabzug nicht zu, und zwar weder im Hinblick auf die beabsichtigte Grundstücksübertragung noch in Beziehung auf die geplante Errichtung des Altersheimes.

Nach § 15 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) setze der Vorsteuerabzug grundsätzlich voraus, daß die bezogenen Leistungen für umsatzsteuerpflichtige Umsätze verwendet würden. Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn eine bezogene Leistung wegen veränderter Umstände nicht mehr eingesetzt werden könne. Unter solchen Verhältnissen dürfe der Vorsteuerabzug nur dann gewährt werden, wenn nach der beabsichtigten Verwendung die Leistung bei steuerpflichtigen Umsätzen eingesetzt worden wäre. Hieran fehle es im vorliegenden Fall.

Von Anfang an habe festgestanden, daß die Klägerin das Altersheim nicht selbst habe errichten sollen. Es sei vorgesehen gewesen, daß die Klägerin das Grundstück auf die GmbH & Co. KG übertragen werde. Die beabsichtigte Übertragung des Grundstücks wäre ein nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1980 umsatzsteuerfreier Umsatz gewesen. Zwar hätte die Klägerin gemäß § 9 UStG 1980 auf die Umsatzsteuerbefreiung verzichten können. Dies habe sie jedoch niemals getan. Soweit Vorsteuerbeträge der beabsichtigten Grundstücksübertragung zuzurechnen seien, habe die Klage daher schon hierwegen keinen Erfolg haben können.

Soweit die Vorsteuerbeträge mit der beabsichtigten Herstellung des Altersheimes zusammenhingen, sei zu berücksichtigen, daß nicht die Klägerin, sondern die noch zu gründende GmbH & Co. KG das Altersheim habe errichten sollen. Diese Gesellschaft hätte an sich gemäß § 9 UStG 1980 auf die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 UStG 1980 verzichten können. Die entsprechende Erklärung hätte jedoch nur von der Gesellschaft und nicht etwa von der Klägerin abgegeben werden können. Da die Gesellschaft aber nicht einmal gegründet worden sei, habe das FA den Vorsteuerabzug auch insoweit zu Recht versagt.

Die Klägerin könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, als unternehmerische Vorgängerin der später nicht gegründeten Gesellschaften die Kosten getragen zu haben. Soweit die Klägerin habe prüfen lassen, ob eine Beteiligung an den später nicht gegründeten Gesellschaften wirtschaftlich sinnvoll erscheine, sei sie im Rahmen ihrer eigenen Vermögensverwaltung, d.h. nicht unternehmerisch, tätig geworden.

Mit der Revision rügt die Klägerin unrichtige Anwendung der §§ 2, 9 und 15 UStG 1980 sowie Verletzung von allgemeinen Auslegungsgrundsätzen. Sie macht u.a. geltend, die fraglichen Planungsleistungen hätten nur verwertet werden können, wenn das Grundstück im Rahmen des Gesamtkonzepts "Altersheim" in die zu gründende GmbH & Co. KG eingebracht worden wäre. Für eine Übertragung des Grundstücks auf Dritte, z.B. an ein Wohnungsbauunternehmen, seien sie wertlos gewesen. Die Planungsleistungen seien daher nicht i. S. des § 15 UStG 1980 zur Ausführung eines abzugsschädlichen steuerfreien Umsatzes verwendet worden.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Umsatzsteuer 1980 auf ... DM festzusetzen.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin wird als unbegründet zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat zwar mit unzutreffender Begründung, aber im Ergebnis zu Recht entschieden, daß der Klägerin der geltend gemachte Vorsteuerabzug nicht zusteht.

1. Auf Grund der neueren Rechtsprechung des erkennenden Senats kommt es im vorliegenden Fall nicht auf die beabsichtigte Verwendung der von der Klägerin bezogenen Leistungen an und dementsprechend nicht darauf, ob im Falle einer Realisierung des Altersheimprojekts auf die Steuerfreiheit von Ausgangsumsätzen verzichtet worden wäre.

a) Gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG 1980 sind im Rahmen der Steuerberechnung nur die nach § 15 UStG 1980 abziehbaren Vorsteuerbeträge abzusetzen. Die Abziehbarkeit von Vorsteuerbeträgen setzt außer der Erfüllung der positiven, anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale aus § 15 Abs. 1 UStG 1980 (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 26. Februar 1987 V R 1/79, unter II.1.a, m. w. N., BFHE 149, 307, BStBl II 1987, 521) voraus, daß die negativen, anspruchsausschließenden Tatbestandsmerkmale aus § 15 Abs. 2 und 3 UStG 1980 nicht verwirklicht sind. Ob eine Erfüllung der in § 15 Abs. 1 UStG 1980 angeführten Voraussetzungen vorliegt, insbesondere ein Bezug für das Unternehmen der Klägerin, kann im Streitfall dahingestellt bleiben, weil der Vorsteuerabzug jedenfalls an § 15 Abs. 2 bis 7 UStG 1980 scheitert.

b) Auf Grund des § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V. m. Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG 1980 ist vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen die Steuer für sonstige Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung abzugsschädlicher steuerfreier Umsätze verwendet. Diese negative Voraussetzung des Rechts auf Vorsteuerabzug ist - wie anschließend dargelegt wird - nicht in dem Sinne abschnittsgebunden, daß sie auf den Zeitpunkt der Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug Einfluß hätte (vgl. Urteil in BFHE 149, 307, BStBl II 1987, 521, unter II.1.a und b). Gleichwohl hängt von ihrer Nichtverwirklichung letztlich die Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug ab.

Ob und inwieweit eine abzugsschädliche Verwendung vorliegt, ist nach der wirtschaftlichen Zuordnung der betreffenden Vorbezüge zu den Umsätzen des Unternehmers zu beurteilen (vgl. auch § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG 1980). Hierfür kommt es auf die tatsächliche erstmalige Verwendung an. Den Vorsteuerabzug kann der Unternehmer für den Besteuerungszeitraum beanspruchen, in dem er Leistung und Rechnung mit Steuerausweis erhalten hat. Diese Voraussetzungen entscheiden darüber, in welchen Besteuerungszeitraum Vorsteuerbezüge "fallen" (§ 16 Abs. 2 Satz 1 UStG 1980).

Hat der Unternehmer die erhaltene Leistung bis dahin noch nicht verwendet, so ist über den Vorsteuerabzug bis zur materiell-rechtlich abschließenden Entstehung auf Grund der erstmaligen tatsächlichen Verwendung anhand der vom Unternehmer (nachvollziehbar) geltend gemachten - beabsichtigten - Verwendung zu entscheiden (vgl. BFHE 149, 307, BStBl II 1987, 521, unter II.1.). Eine darüber hinausgehende Bedeutung hat die Verwendungsabsicht nicht.

c) Angesichts der dargestellten materiell-rechtlichen Regelung und des Fehlens von verfahrensrechtlichen Sonderregelungen im UStG 1980 sind in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Vorschriften zur Steuerfestsetzung und zur Änderung von Steuerbescheiden des allgemeinen Abgabenrechts anzuwenden. Dementsprechend kann, wenn zum Zeitpunkt der Steuerfestsetzung die bezogene Leistung bereits verwendet wurde, dies berücksichtigt werden, auch wenn die Verwendung erst nach Ablauf des betreffenden Besteuerungszeitraums stattgefunden hat (vgl. Urteil in BFHE 149, 307, BStBl II 1987, 521, unter II.1.a und b). Liegt dagegen zum Zeitpunkt der Steuerfestsetzung die Verwendung noch nicht vor, so kann gleichwohl schon über den Vorsteuerabzug entschieden werden und zwar nach Maßgabe der materiell nicht abschließenden Entstehung bzw. Nichtentstehung auf Grund der durch objektive Nachweismöglichkeiten nachvollziehbar dargelegten Verwendungsabsicht.

d) Ein Vorbezug wird tatsächlich erstmals verwendet, wenn er einem (Ausgangs-)Umsatz wirtschaftlich zugerechnet werden kann. Hierzu hat der erkennende Senat entschieden (vgl. BFH-Urteil vom 21. Juli 1988 V R 87/83, unter II.A.6.b bis e, BFHE 155, 177, BStBl II 1989, 60), daß es nicht allein darauf ankommt, ob ein Vorbezug in einen Umsatz "Eingang findet" bzw. ob ein Umsatz "mit Hilfe der bezogenen Leistungen" ausgeführt wird, sondern daß von einer Verwendung auch dann auszugehen ist, wenn ein Vorbezug, der in keinen vom Unternehmer ausgeführten Umsatz Eingang findet und auch nicht sonstwie die Ausführung eines Umsatzes fördert (sog. Fehlmaßnahme), aufgrund von Kostenzurechnungsgesichtspunkten einem bestimmten Umsatz zugeordnet werden kann.

e) An den vorstehenden, zu § 15 UStG 1967/1973 entwickelten Grundsätzen hält der erkennende Senat auch für die Auslegung und Anwendung des § 15 UStG 1980 fest.

2. Das FG hat die dargestellten, in der neueren Rechtsprechung des Senats entwickelten Grundsätze (s. oben unter II.1.) noch nicht berücksichtigen können. Die von ihm ausdrücklich und sinngemäß getroffenen Feststellungen lassen jedoch die Entscheidung zu, daß die Klage zu Recht abgewiesen worden ist.

a) Wie das FG festgestellt hat, war das Grundstück, das von der Klägerin eigentlich einer zu gründenden GmbH & Co. KG zur Errichtung eines Altersheimes überlassen werden sollte, bereits beim Ergehen der Vorentscheidung von der Klägerin unter Aufgabe des das Altersheim betreffenden Planes an ein Wohnungsbauunternehmen veräußert worden. Das FG ist ferner in Übereinstimmung mit beiden Verfahrensbeteiligten davon ausgegangen, daß die die Errichtung und den Betrieb des Altersheimes betreffenden Vorbezüge der Klägerin (Bauplanung durch ein Architekturbüro; Erstellung eines Rentabilitätsgutachtens) von der Klägerin weder bei der Ausführung von Umsätzen verwendet worden sind, insbesondere nicht bei der Grundstücksveräußerung, noch verwendet werden können, so daß sie sich als sog. Fehlmaßnahme erwiesen haben. Schließlich hat das FG bei seiner Entscheidung - ebenfalls in Übereinstimmung mit beiden Verfahrensbeteiligten - angenommen, daß die Veräußerung des Grundstücks durch die Klägerin an das Wohnungsbauunternehmen gemäß § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1980 steuerfrei ist und daß die Klägerin nicht gemäß § 9 UStG 1980 auf die Steuerbefreiung verzichtet hat.

b) Dementsprechend wäre beim Erlaß der Vorentscheidung davon auszugehen gewesen, daß die umstrittenen Vorbezüge sog. Fehlmaßnahmen darstellen, die unter Kostenzurechnungsgesichtspunkten der Grundstücksveräußerung an das Wohnungsbauunternehmen zuzuordnen sind (s. oben unter II.1.d), auch wenn die Klägerin ursprünglich nicht vorhatte, das Grundstück an das Wohnungsbauunternehmen zu veräußern, sondern dieses der noch zu gründenden GmbH & Co. KG überlassen wollte (vgl. Urteil in BFHE 155, 177, BStBl II 1989, 60, unter II.A.6.d cc). Die mithin anzunehmende abzugsschädliche Verwendung rechtfertigt die vom FG ausgesprochene Klageabweisung.