| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 13.12.1989 (I R 40/87) BStBl. 1990 II S. 381

Ob ein Steuerpflichtiger i.S. des Art. IX Abs. 3 DBA-Kanada 1956 an einer inländischen Kapitalgesellschaft wesentlich beteiligt ist, bestimmt sich für die Bundesrepublik nur nach § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG. Danach fehlt es an einer wesentlichen Beteiligung, wenn ein Gesellschafter, der bis 1972 zu 33 1/3 v.H. und anschließend nur noch zu 24 1/3 v.H. beteiligt war, in 1974 letztere Beteiligung veräußert.

DBA-Kanada 1956 Art. IX Abs. 1 und 3; EStG § 1 Abs. 2, § 17, § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war bis zum 25. Januar 1972 mit Geschäftsanteilen im Werte von 33 1/3 v.H. des Stammkapitals an der A-GmbH in M beteiligt. Durch notariellen Vertrag vom 25. Januar 1972 schenkte er seinen beiden Kindern Geschäftsanteile von je 4,5 v.H. des Stammkapitals. Noch im Januar 1972 verlegte er seinen Wohnsitz nach Kanada.

Durch notariellen Vertrag vom 9. Juli 1974 veräußerte der Kläger den ihm verbliebenen Geschäftsanteil (24 1/3 v.H.) an die B-Ltd. in Kanada.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) nahm einen in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c i.V.m. § 17 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und Art. IX Abs. 3 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen vom 4. Juni 1956 - DBA-Kanada 1956 - (BGBl II 1957, 187, BStBl I 1957, 253) an. Er setzte den Veräußerungsgewinn in dem Einkommensteuerbescheid 1974 vom 10. Dezember 1982 mit 1.423.500 DM an.

Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Mit seiner vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung von Art. IX Abs. 3 DBA-Kanada 1956.

Er beantragt, das Urteil des FG Baden-Württemberg vom 10. Dezember 1986 VII - K 227/84, den Einkommensteuerbescheid 1974 vom 10. Dezember 1982 und die Einspruchsentscheidung vom 29. Juni 1984 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet abzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, des angefochtenen Einkommensteuerbescheides und der Einspruchsentscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Gemäß § 1 Abs. 2 EStG i.d.F. vom 15. August 1974 - EStG 1974 - (BGBl I 1974, 1993, BStBl I 1974, 578) sind natürliche Personen, die im Inland weder Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, mit inländischen Einkünften i.S. des § 49 EStG 1974 beschränkt einkommensteuerpflichtig. Gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c EStG 1974 gehören zu den inländischen Einkünften aus Gewerbebetrieb auch solche, die aus der Veräußerung eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft erzielt werden (§ 17 EStG 1974), die ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland hat.

Zu diesen Tatbestandsvoraussetzungen hat das FG in tatsächlicher Hinsicht und den erkennenden Senat bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO), daß der Kläger im Streitjahr 1974 weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte. Er veräußerte am 9. Juli 1974 die von ihm an der A-GmbH gehaltenen Geschäftsanteile (24 1/3 v.H.) an die B-Ltd. in Kanada. Der dabei erzielte Veräußerungsgewinn betrug 1.423.500 DM. Die A-GmbH war eine Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in der Bundesrepublik. Der vom Kläger veräußerte Geschäftsanteil machte zwar nur eine Beteiligung von 24 1/3 v.H. am Stammkapital der A-GmbH aus. Der Kläger war jedoch bis zum 25. Januar 1972 und damit innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem 9. Juli 1974 zu 33 1/3 v.H. an der A-GmbH beteiligt. Aus diesen Feststellungen folgt, daß die am 9. Juli 1974 veräußerte Beteiligung zwar keine wesentliche i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG 1974 mehr war, daß sie jedoch wegen § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG 1974 wie eine solche zu besteuern ist. Der erzielte Veräußerungsgewinn ist deshalb nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG 1974 in der Bundesrepublik steuerbar.

2. Der Veräußerungsgewinn ist jedoch in der Bundesrepublik aufgrund des Art. IX Abs. 1 DBA-Kanada 1956 steuerfrei. Nach dieser Vorschrift ist eine in Kanada ansässige Person in der Bundesrepublik von jeder Steuer auf den Gewinn aus dem Verkauf von Vermögenswerten befreit, soweit nicht - was für den Streitfall nicht in Betracht kommt - Art. XIII DBA-Kanada 1956 anzuwenden ist. Zu diesen Tatbestandsmerkmalen hat das FG in tatsächlicher Hinsicht und den erkennenden Senat bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO), daß der Kläger im Streitjahr 1974 seinen Wohnsitz nur in Kanada und keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik hatte. Deshalb war er im Sinne der kanadischen Steuergesetze und i.S. des Art. II Abs. 1 Buchst. e DBA-Kanada 1956 nur in Kanada ansässig. Infolgedessen ist der erzielte Veräußerungsgewinn in der Bundesrepublik steuerfrei.

3. Entgegen der Auffassung des FG steht Art. IX Abs. 3 DBA-Kanada 1956 der Anwendung des Absatzes 1 nicht entgegen. Danach gilt Absatz 1 nicht für Gewinne aus der Veräußerung eines Anteils an einer in der Bundesrepublik ansässigen Gesellschaft, an der der Veräußerer wesentlich beteiligt ist. Zur Auslegung des Art. IX Abs. 3 DBA-Kanada 1956 geht der erkennende Senat davon aus, daß die Vorschrift einmal die Rechtsfolge für die Besteuerung eines Gewinns aus der Veräußerung eines Anteils an einer in der Bundesrepublik ansässigen Gesellschaft setzt, an der der Veräußerer wesentlich beteiligt ist. In bezug auf die Tatbestandsvoraussetzungen fordert die Vorschrift nur die wesentliche Beteiligung des "Veräußerers". Da ein Gesellschafter erst dann zum "Veräußerer" wird, wenn er es unternimmt, seine Beteiligung zu übertragen, setzt die Vorschrift ihrem Wortlaut nach voraus, daß der Veräußerer noch unmittelbar vor der Veräußerung wesentlich an der in der Bundesrepublik ansässigen Gesellschaft beteiligt ist. Im übrigen baut die Vorschrift auf den dem jeweiligen innerstaatlichen Recht überlassenen Vorentscheidungen auf, wann eine "wesentliche Beteiligung" anzunehmen ist und welcher "Gewinn" aus der Anteilsveräußerung erzielt wird (Art. II Abs. 2 DBA-Kanada 1956).

Im Streitfall ist deshalb letztlich allein entscheidend, daß nach § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG 1974 eine wesentliche Beteiligung nur dann gegeben ist, wenn der Veräußerer an der Gesellschaft zu mehr als einem Viertel unmittelbar oder mittelbar beteiligt war. Veräußert ein Gesellschafter, der - wie im Streitfall - bis zum 25. Januar 1972 an der inländischen Kapitalgesellschaft zu 33 1/3 v.H. und anschließend nur noch zu 24 1/3 v.H. beteiligt war, im Jahre 1974 die ihm verbliebene Beteiligung, so wird auch nach der Terminologie des § 17 Abs. 1 EStG 1974 eine unwesentliche Beteiligung veräußert, auf die allerdings § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG 1974 dennoch Anwendung findet. In diesem Fall wird die unwesentliche Beteiligung nur rechtsfolgemäßig wie eine wesentliche behandelt, ohne deshalb jedoch eine wesentliche i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG 1974 zu sein. Diese Terminologie ist auch bei der Auslegung des Art. IX Abs. 3 DBA-Kanada 1956 zu beachten. Da die Vorschrift eine wesentliche Beteiligung des Veräußerers unmittelbar vor der Veräußerung voraussetzt, findet sie auf die Fälle keine Anwendung, in denen sich eine Steuerpflicht aus der Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG 1974 auf unwesentliche Beteiligungen ergibt. Aus dem Anwendungsbereich des Art. IX Abs. 3 DBA-Kanada 1956 scheiden deshalb die Fälle aus, in denen der Veräußerer nur in den letzten fünf Jahren vor der Veräußerung, jedoch nicht mehr unmittelbar vor der Veräußerung wesentlich beteiligt war. Der Senat schließt sich insoweit der Auffassung von Vogel (Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 13 Rdnr. 88) an.

Aus der englischen Fassung des Art. IX Abs. 3 DBA-Kanada 1956 folgt nichts anderes. Wenn dort von "had a substantial interest" die Rede ist, dann erklärt sich die verwendete Vergangenheitsform - ähnlich wie in § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG 1974 - aus der Rückschau von dem Besteuerungszeitpunkt aus auf den Veräußerungszeitpunkt.

4. Entgegen der Auffassung des FG findet § 17 EStG i.d.F. vom 21. Dezember 1954 - EStG 1955 - (BGBl I 1954, 441, BStBl I 1954, 668) auf den Streitfall keine Anwendung. Soweit das DBA-Kanada 1956 auf Vorentscheidungen des deutschen Steuerrechts Bezug nimmt, ist das jeweils geltende deutsche Steuerrecht - hier also: das EStG 1974 - anzuwenden (vgl. Vogel, a.a.O., Art. 3 Rdnr. 61). Ob etwas anderes dann gilt, wenn das geänderte nationale Recht gegenüber dem Recht, das bei Abschluß des DBA-Kanada 1956 galt, zu Lasten des Steuerpflichtigen oder des anderen Vertragsstaates verschärft wurde, bedarf keiner Entscheidung, weil § 17 Abs. 1 EStG 1974 gegenüber § 17 EStG 1955 keine derartige Verschärfung enthält.

5. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Seine Entscheidung kann deshalb keinen Bestand haben. Die Sache ist entscheidungsreif. Da Art. IX Abs. 1 DBA-Kanada 1956 im Streitfall zur Anwendung kommt, sind die erzielten Veräußerungsgewinne steuerfrei. Der erlassene Einkommensteuerbescheid 1974 ist rechtswidrig. Er war zusammen mit der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung aufzuheben.