| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

 

BFH-Urteil vom 8.11.1989 (I R 14/88) BStBl. 1990 II S. 386

Das FG verletzt den Anspruch eines Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs, wenn es sein ohne mündliche Verhandlung ergehendes Urteil auf eine geänderte BFH-Rechtsprechung stützt, die soeben erst bekannt wurde und zu der sich zu äußern der Kläger nach dem bisherigen Prozeßverlauf keinen Anlaß hatte.

FGO § 119 Nr. 3, § 126 Abs. 4.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine im Jahre 1970 gegründete GmbH. Gründungsgesellschafter waren A und B. Gegenstand der Klägerin war der Großhandel mit bestimmten Baumaterialien. Nach § 2 des Gesellschaftsvertrages durfte die Klägerin andere Unternehmen gleicher oder ähnlicher Art übernehmen, vertreten oder sich an solchen Unternehmen beteiligen. Das Stammkapital der Klägerin betrug 100.000 DM. Es wurde von A mit 99.000 DM und von B mit 1.000 DM übernommen. A erfüllte seine Einlageverpflichtung (teilweise) durch die Einlage seines zuvor geführten Einzelunternehmens mit allen Aktiva und Passiva per Bilanz zum 1. Januar 1970. Er wurde auch zum Geschäftsführer der Klägerin bestellt.

A hatte schon im Jahre 1969 mit der X-OHG mündlich einen Handelsvertretervertrag abgeschlossen. Die Einkünfte aus der Handelsvertretertätigkeit wurden in den Jahren 1970 bis 1972 als Gewinn der Klägerin und für die Jahre nach 1972 als persönlicher Gewinn des A erfaßt. Die Nettoprovisionen betrugen in den Jahren 1973 bis 1976:

 

1973

1974

1975

1976

 

------

------

------

------

 

DM

DM

DM

DM

 

31.424

46.972

73.990

84.485.

Die Einkünftezurechnung gegenüber A ab 1973 beruhte darauf, daß die X-OHG Ende 1972 den A dazu aufforderte, eine eindeutige Trennung zwischen der Handelsvertretung und der Klägerin herbeizuführen. Es sei schon 1969 vereinbart worden, die Handelsvertretung in jedem Fall bei einer Einzelfirma zu belassen. Ein schriftlicher Vertrag zwischen A und der Klägerin bezüglich der Übertragung der Handelsvertretung wurde zum 1. Januar 1973 nicht geschlossen. Die Klägerin erhielt hierfür auch keine Entschädigung. Ab 1973 firmierte die Handelsvertretung als Einzelunternehmen des A unter dessen Privatanschrift. Die X-OHG richtete ihre Schreiben allerdings an A unter der Adresse der Klägerin.

Nach einer Außenprüfung rechnete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Einkünfte aus der Handelsvertretung für die Jahre 1973 bis 1976 weiterhin der Klägerin zu und behandelte die Auszahlung der Provisionen an A als verdeckte Gewinnausschüttungen. Der Einspruch gegen die am 27. August 1979 geänderten Körperschaftsteuerbescheide 1973 bis 1976 blieb erfolglos. Während des Klageverfahrens wurde der Körperschaftsteuerbescheid 1974 erneut geändert. Der geänderte Bescheid wurde in das Klageverfahren übergeleitet (§ 68 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.

Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verfahrensfehler und die Verletzung des § 6 Abs. 1 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1968.

Sie beantragt, das Urteil des FG Köln vom 10. Juli 1987 8 K 41/82 aufzuheben, die Körperschaftsteuerbescheide 1973 bis 1976 zu ändern und die Körperschaftsteuern nach zu versteuernden Einkommensbeträgen zu bemessen, in denen die als verdeckte Gewinnausschüttungen angesetzten Beträge nicht enthalten sind, und zwar verdeckte Gewinnausschüttungen

für 1973 in Höhe von 31.424 DM,

für 1974 in Höhe von 46.972 DM,

für 1975 in Höhe von 73.990 DM und

für 1976 in Höhe von 84.485 DM.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Das FG hat den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Es hat seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt gestützt, zu dem die Beteiligten sich nicht geäußert hatten und zu dem sich zu äußern nach dem Prozeßverlauf kein Anlaß bestanden hatte (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. Oktober 1986 I R 107/82, BFHE 148, 507, BStBl II 1987, 293, 294, m.w.N.).

Der neue rechtliche Gesichtspunkt, auf den die Vorentscheidung gestützt ist, ist dem BFH-Urteil vom 11. Februar 1987 I R 177/83 (BFHE 149, 176, BStBl II 1987, 461) entnommen. Dieses Urteil wurde im Fachschrifttum erst in der Zeit zwischen dem 23. Mai 1987 und dem 10. Juli 1987 veröffentlicht. Es ist in Heft 11 des Bundessteuerblattes Teil II vom 10. Juli 1987 enthalten und bedeutet insoweit eine Änderung der früheren höchstrichterlichen Rechtsprechung, als nicht mehr - wie noch im Urteil vom 11. Februar 1981 I R 128/77 (BFHE 132, 552, BStBl II 1981, 448) - auf die Abgrenzbarkeit der beiderseitigen Tätigkeitsbereiche, sondern auf die Verletzung des Wettbewerbsverbotes durch den Gesellschafter-Geschäftsführer abgestellt wird. Diesem neuen rechtlichen Gesichtspunkt ist das FG in vollem Umfang gefolgt. Es hätte jedoch zunächst den Beteiligten Gelegenheit geben müssen, innerhalb einer angemessenen Frist in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Stellung zu nehmen. Dies hat das FG unterlassen.

Ob die Vorentscheidung tatsächlich auf dem gerügten Verfahrensfehler beruht oder beruhen kann, bedarf keiner Entscheidung, weil nach § 119 Nr. 3 FGO unwiderlegbar vermutet wird, daß die Verletzung rechtlichen Gehörs für die Entscheidung ursächlich war.

Zwar führt eine Verletzung rechtlichen Gehörs dann nicht zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG, wenn es auf das Vorbringen des Revisionsklägers unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ankommen kann (vgl. BFH-Urteile vom 20. Dezember 1967 III 343/63, BFHE 90, 519, BStBl II 1968, 208; vom 5. Dezember 1979 II R 56/76, BFHE 129, 297, BStBl II 1980, 208). Jedoch betrifft die Verletzung des rechtlichen Gehörs im Streitfall Vorbringen der Klägerin zu dem entscheidungserheblichen Sachverhalt und damit zu dem Gesamtergebnis des Verfahrens i.S. des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO. Das Gesamtergebnis des Verfahrens ist nur dann fehlerfrei die Grundlage der Vorentscheidung geworden, wenn dem FG bei seiner Feststellung kein Verfahrensfehler unterlaufen ist. Ist dies jedoch der Fall, so ist dem Revisionsgericht ein Vorgehen gemäß § 126 Abs. 4 FGO verwehrt. Die Vorentscheidung war deshalb aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Diese hindern den Senat daran, sich zu den anstehenden Sachfragen zu äußern.

Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO. Von der Erhebung von Kosten für das Revisionsverfahren war gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes abzusehen.