| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 17.1.1990 (II R 97/85) BStBl. 1990 II S. 448

Ist eine GmbH gewerbesteuerrechtlich Organgesellschaft einer AG, so ist für die Beantwortung der Frage, ob die Einziehung der Grundsteuer nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betriebs unbillig wäre, nicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse allein der GmbH, sondern auf die des Organkreises abzustellen, und zwar auch dann, wenn zwischen Organgesellschaft und Organträger ein Ergebnisabführungsvertrag nicht abgeschlossen worden ist.

FGO § 33 Abs. 1 Nr. 1, § 44 Abs. 1; GrStG 1973 § 2, § 13 Abs. 1, § 33 Abs. 1 Sätze 1 und 2; BewG § 95 Abs. 1; GewStG § 2 Abs. 2 Sätze 1 und 2.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine mehrgliedrige GmbH, ist nach übereinstimmendem Vortrag der Beteiligten Organgesellschaft der X-AG. Sie ist Eigentümerin der beiden in Berlin liegenden, bebauten Grundstücke A und B. Auf ihnen betreibt sie ihr Gewerbe. Die Grundsteuer 1977 hatte das Finanzamt (FA) für das Grundstück A auf 10.362,80 DM, für das Grundstück B auf 194.240,20 DM festgesetzt.

Die Klägerin beantragte, ihr wegen wesentlicher Ertragsminderung ihrer beiden eigengewerblich genutzten bebauten Grundstücke einen Teil der Grundsteuer gemäß § 33 des Grundsteuergesetzes (GrStG) zu erlassen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien gegeben:

1. Der normale Rohertrag ihrer beiden Grundstücke sei im Jahre 1977 um mehr als 20 v.H. nämlich um 31,93 v.H. gemindert gewesen.

2. Die Minderung des Rohertrags sei von ihr nicht zu vertreten, denn sie sei verursacht worden durch eine drastisch gesunkene Nachfrage.

3. Die Einziehung der Grundsteuer würde angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse ihres Betriebs unbillig sein. Denn im Wirtschaftsjahr 1976/77 habe sie einen Verlust erlitten. Es habe Kapital zugeführt werden müssen.

Das FA lehnte den Antrag ab. Der normale Rohertrag der bezeichneten Grundstücke sei nicht um mehr als 20 v.H., sondern um nur 19,60 v.H. gemindert.

Mit ihrer Beschwerde wandte sich die Klägerin gegen die Methode, nach der das FA die Minderung des Rohertrags ermittelt hatte. Selbst wenn man die normale Ausnutzung der Grundstücke aus dem Durchschnitt der drei Kalenderjahre ableite, die dem Erlaßzeitraum vorangingen, errechne sich eine Minderausnutzung von 29,20 v.H.

Die Beschwerde wurde von der Oberfinanzdirektion (OFD) zurückgewiesen. Die Minderausnutzung betrage nur 16,4 v.H., allenfalls 19,6 v.H. Zudem wäre die Einziehung der Grundsteuer nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betriebs nicht unbillig. Die wirtschaftliche Lage der Klägerin könne nur unter Berücksichtigung des Organverhältnisses beurteilt werden.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin sinngemäß begehrt, den ablehnenden Verwaltungsakt und die Beschwerdeentscheidung aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Grundsteuer 1977 in Höhe eines Teilbetrags von 45.374,50 DM zu erlassen.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen.

Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, die Minderung der Ausnutzung der Grundstücke betrage nicht mehr als 20 v.H. und hilfsweise darauf abgestellt, die Einziehung der Grundsteuer sei unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Organkreises nicht unbillig.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 33 Abs. 2 GrStG. Sie beantragt sinngemäß, das FG-Urteil und die Beschwerdeentscheidung der OFD aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Grundsteuer 1977 in Höhe eines Teilbetrags von 45.374,50 DM zu erlassen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Auf die Revision ist die Vorentscheidung aufzuheben.

I.

Das FG hat, wenn auch ohne Begründung, die Klage zu Recht für zulässig, insbesondere den Finanzrechtsweg (§ 33 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) und die Sachurteilsvoraussetzung des erfolglos gebliebenen Vorverfahrens über den außergerichtlichen Rechtsbehelf (§ 44 Abs. 1 FGO) für gegeben erachtet. Zwar ist gegen die Ablehnung des Antrags auf Erlaß von Grundsteuer gemäß § 33 GrStG als abgabenrechtlicher außergerichtlicher Rechtsbehelf nicht die Beschwerde, sondern der Einspruch gegeben (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. August 1988 II R 10/86, BFHE 153, 571, BStBl II 1989, 13). Aber das erfolglos gebliebene Vorverfahren über den falschen außergerichtlichen Rechtsbehelf macht die Klage nicht unzulässig. Denn die rechtlichen Interessen der Verfahrensbeteiligten werden nicht dadurch beeinträchtigt, daß anstelle des Einspruchsverfahrens das Beschwerdeverfahren durchgeführt worden ist(BFH-Urteil vom 18. März 1970 I R 176/69, BFHE 99, 14, 16, 17, BStBl II 1970, 556).

II.

1. Das FG hat die Zahl der Produktionsstunden als einen geeigneten Maßstab für die Beurteilung der Ausnutzung i.S. des § 33 Abs. 2 GrStG angesehen; dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat behauptet, daß die Normalausnutzung der Grundstücke bei einer technischen Kapazität von 1,1 Mio Fertigungsstunden wirtschaftlich 880.000 Stunden betrage. Sie hat zur Ermittlung der wirtschaftlichen Fertigungskapazität Rüstzeiten, Umbauzeiten und andere technisch bedingte Ausfallzeiten mit 20 v.H. abgezogen. Das FG hat hierzu keine Feststellungen getroffen. Denn es hat unter Berücksichtigung des Durchschnitts der tatsächlichen Fertigungsstunden in den drei Jahren (1974 bis 1976) vor dem Erlaßzeitraum 1977 und hilfsweise unter Berücksichtigung des Durchschnitts der Jahre 1972 bis 1976 eine Minderung der Ausnutzung von nur 15 v.H. bzw. 15,92 v.H. ermittelt. Die Klägerin hat jedoch vorgetragen, der Rückgang der Ausnutzung habe sich in den Jahren vor dem Erlaßzeitraum langsam vollzogen. Das FG hat auch den Vortrag der Klägerin, daß im Kalenderjahr 1972.840.000 Fertigungsstunden erreicht worden seien, als Feststellung seiner erweiterten Beurteilung des Rückgangs in der Ausnutzung der Grundstücke zugrunde gelegt. Unter diesen Umständen wäre es erforderlich gewesen, Feststellungen dazu zu treffen, ob der allmähliche Rückgang in der Ausnutzung sich nicht verzerrend auf die Durchschnittsberechnung ausgewirkt haben könnte. Dies wäre um so mehr geboten gewesen, als das FA und auch die OFD in ihrer Beschwerdeentscheidung einen Rückgang in der Ausnutzung von immerhin 19,6 v.H. für möglich gehalten haben. Unter diesen Umständen konnte das FG nicht die Anweisung in Abschn. 40 Abs. 5 der Grundsteuer-Richtlinien (GrStR) - an die Gerichte nicht gebunden sind, deren grundsätzliche Berechtigung der Senat aber nicht in Zweifel ziehen will - gleichwohl als für die Entscheidung des Streitfalles zutreffend ansehen. Dabei ist zu beachten, daß bei bebauten Grundstücken, die nicht eigengewerblich genutzt werden, der normale Rohertrag die Jahresrohmiete oder die übliche Miete ist, die sich für den Beginn des Erlaßzeitraums (im Streitfall 1. Januar 1977) ergibt (§ 33 Abs. 1 Nr. 2 und 3 GrStG). Unter der üblichen Miete ist die Jahresrohmiete zu verstehen, die für Räume gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung regelmäßig gezahlt wird (§ 79 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes - BewG -). Ertragsminderungen der Vergangenheit, die nicht in der Beschaffenheit des Grundbesitzes begründet sind, werden dadurch für die Beurteilung, ob im Erlaßzeitraum eine Ertragsminderung um mehr als 20 v.H. eingetreten ist, ausgeschlossen. In gleicher Weise muß aber auch für die Beantwortung der Frage verfahren werden, wie hoch die Ertragsminderung bei eigengewerblich genutzten bebauten Grundstücken im Erlaßzeitraum war.

2. Die Klägerin hat vorgetragen und das FA hat dem zugestimmt, sie sei Organgesellschaft der X-AG. Das FG hat hierzu keine Feststellungen getroffen, ist aber ebenfalls von einem Organschaftsverhältnis zwischen den beiden Gesellschaften ausgegangen.

Das richtige Erkennen von Rechtsbegriffen ist regelmäßig keine Tatsache, sondern eine Rechtsfrage. Jedoch können Tatsachen i.S. des § 118 FGO auch solche tatsächlichen Verhältnisse sein, die der Anwendung von Rechtsbegriffen zugrunde liegen, sofern die Beteiligten diese Begriffe in ihrem Vorbringen in der Art von Tatsachenbegriffen übereinstimmend und ohne sie mißverstanden zu haben, verwenden (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 118 FGO Tz. 41). Bei Gebrauch des Rechtsbegriffs der Organschaft können nicht die diesem Begriff zugrunde liegenden Tatsachen als festgestellt angesehen werden. Das FG wird im zweiten Rechtsgang hierzu weitere Feststellungen zu treffen haben, weil das Vorliegen eines Organschaftsverhältnisses entscheidungserheblich sein kann. Der Senat geht für seine revisionsrechtliche Prüfung der Vorentscheidung entsprechend dem Vortrag der Beteiligten davon aus, daß die Klägerin in finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Hinsicht in das Unternehmen des Organträgers, eingegliedert war (§ 14 Nr. 1 und 2 des Körperschaftsteuergesetzes - KStG -).

Das FG hat ausgeführt, die Organschaft zwischen der Klägerin (Organgesellschaft) und der X-AG (Organträger) gebiete, "den Betriebsbegriff umfassend auszulegen und die wirtschaftlichen Verhältnisse von Organträger und Organgesellschaft - trotz der bestehenden zivil- und grundsteuerrechtlichen Selbständigkeit als Einheit zu behandeln". Für die Auslegung des Begriffs "Betrieb" als solchen ist jedoch das Bestehen eines Organschaftsverhältnisses unerheblich. Einen Betrieb i.S. des § 33 Abs. 1 Satz 2 GrStG bildet die Klägerin kraft ihrer Rechtsform als Kapitalgesellschaft (GmbH). Die Grundstücke werden von ihr "eigengewerblich genutzt"; ihr sind sie bei der Feststellung des Einheitswerts zugerechnet worden mit der Folge, daß sie diejenige ist, welche die Grundsteuer schuldet (§ 10 Abs. 1 GrStG). Nur wer Grundsteuer schuldet, kann Anspruch auf Erlaß von Grundsteuer haben. Das folgt aus der Natur des Steuerschuldverhältnisses (§§ 37 f. der Abgabenordnung - AO 1977 -). Das Gesetz bestimmt nicht, daß bei Bestehen eines Organschaftsverhältnisses der Organträger oder der Organkreis die Grundsteuer für Rechnung des Steuerschuldners zu entrichten hat.

Der erkennende Senat hat jedoch mit Urteil vom 19. April 1989 II R 16/89 (BFHE 157, 215, BStBl II 1989, 804) ausgesprochen, daß bei einem Organschaftsverhältnis mit Ergebnisabführungsvertrag (EAV) für die Entscheidung, ob die Einziehung der Grundsteuer nach den wirtschaftlichen Verhältnissen "des Betriebs" unbillig wäre, auf die wirtschaftlichen Verhältnisse von Organträger und Organgesellschaft abzustellen ist. Diese Entscheidung beruht auf der Überlegung, daß bei einem Organschaftsverhältnis mit EAV zum Vermögen der Organgesellschaft auch der Anspruch auf Übernahme des Verlustes durch den Organträger gehört. Im Streitfall liegt kein EAV vor; dies ist auch nicht erforderlich.

Eine steuerrechtliche Organschaft verlangt, daß die Beherrschungsmöglichkeit des Organträgers über die finanzielle Eingliederung sich durch die organisatorische Eingliederung in der Geschäftsführung der Organgesellschaft auswirkt. Die organisatorische Eingliederung ist gegeben, wenn die Organgesellschaft aufgrund Vertrags oder Gesellschaftsvertrags in der Geschäftsführung dem Willen des Organträgers tatsächlich unterworfen ist (vgl. Blümich, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, 13. Aufl., § 14 KStG Rdnrn. 58 und 69 ff., insbesondere 72). Der Senat folgert aus dieser Struktur der Organschaft typisierend für die Anwendung des § 33 GrStG, daß bei Vorliegen einer Organschaft, auch ohne daß ein EAV besteht, der Organträger in entsprechender Anwendung des § 302 des Aktiengesetzes (AktG) einen "sonst entstehenden Jahresfehlbetrag auszugleichen" hat. Dies rechtfertigt es für die Beantwortung der Frage, ob bei einer Organschaft die Einziehung der Grundsteuer nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betriebs, hier der Organgesellschaft, unbillig wäre, auf die Verhältnisse der durch Organschaft verbundenen Unternehmen abzustellen. Diese Auffassung stimmt im Ergebnis weitgehend mit der Rechtslage überein, die im Zivilrecht gegeben ist. Nach den Rechtsgrundsätzen über den faktischen GmbH-Konzern wird angenommen, daß eine abhängige GmbH gegenüber dem herrschenden Unternehmen grundsätzlich in entsprechender Anwendung des § 302 AktG einen Anspruch auf Verlustausgleich hat, wenn das herrschende Unternehmen die Geschäfte der GmbH im finanziellen Bereich dauernd und umfassend geführt hat (so Entscheidung des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 20. Februar 1989 II ZR 167/88, BGHZ 107, 7, 15 ff. = Neue Juristische Wochenschrift 1989, 1800). Der BGH ist mit dieser Entscheidung von der Verhaltenshaftung zur sog. Strukturhaftung übergegangen (vgl. Decher, Der Betrieb 1989, 965).

3. Die nicht spruchreife Sache ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).