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BFH-Urteil vom 30.11.1989 (I R 79-80/86) BStBl. 1990 II S. 452

1. Die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser ist kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung ein Betrieb gewerblicher Art (§ 4 Abs. 3 KStG 1977).

2. Die Tätigkeit eines Wasserbeschaffungsverbandes dient auch dann der "Wasserversorgung", wenn er zwar nur Rechtsbeziehungen zu seinen Mitgliedsgemeinden unterhält, jedoch das von ihm beschaffte Wasser durch ein eigenes und von ihm unterhaltenes Rohrleitungsnetz bis zu den Endverbrauchern leitet.

KStG 1968/1977 § 1 Abs. 1 Nr. 6; KStG 1977 § 4 Abs. 5 Satz 1; KStDV 1968 § 1 Abs. 2, § 2, § 4 Satz 1.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I.

1. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist ein Wasser- und Bodenverband im Sinne der ersten Verordnung über Wasser- und Bodenverbände vom 3. September 1937 - WVO - (RGBl I 1937, 933), geändert durch Art. 55 des Gesetzes vom 2. Dezember 1974 (Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt - GVBl ND - 1974, 535).

Mitglieder waren zunächst die ehemals selbständigen politischen Gemeinden K und O; ab 1974 sind die Stadt X und die Gemeinde E an die Stelle dieser Gemeinden getreten.

Der Kläger stellte die zur Wasserbeschaffung und Wasserversorgung erforderlichen Einrichtungen her und verlegte die Rohrleitungen bis zu den Hausanschlüssen. Bis einschließlich 1972 unterhielt er unmittelbare Rechtsbeziehungen zu den Endverbrauchern. Die einzelnen Haushalte rechneten ihren Wasserverbrauch direkt mit dem Kläger ab.

Ab dem Streitjahr 1973 bestanden Rechtsbeziehungen nur noch zu seinen Mitgliedsgemeinden X und E, denen er die jeweils gelieferte Wassermenge in Rechnung stellte. Die Mitgliedsgemeinden traten ihrerseits in Rechtsbeziehungen zu den Endverbrauchern und erließen entsprechende Wasserabgabensatzungen.

Die vom Kläger in den Vorjahren zur Versorgung der Bevölkerung hergestellten Leitungen blieben sein Eigentum. Die Kosten des Unterhalts dieses Versorgungssystems stellte er den Mitgliedsgemeinden ebenfalls in Rechnung.

2. Im Anschluß an eine für die Veranlagungszeiträume 1973 bis 1980 durchgeführte Außenprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Auffassung, daß der Kläger mit seiner gesamten Tätigkeit der Körperschaftsteuer unterliege. Das FA lehnte es ab, die in den Jahren 1961 und 1963 vom Kläger vereinnahmten Anschlußbeiträge als Kapitalzuschüsse zu behandeln, da sie im Rahmen eines Leistungsaustauschs gezahlt worden seien. Die Zuschüsse wurden als Ertragszuschüsse behandelt, ein Betrag in gleicher Höhe passiviert und die Einnahmen auf 20 Jahre verteilt.

Dabei ergaben sich für die Streitjahre folgende Steuerbilanzgewinne:

Jahr                           DM

  

1973                       5.321

1974                          812

1975                   ./. 5.412

1976                     26.641

1977                       6.233

1978                     11.167

1979                     27.803

1980                     36.609

Das FA erließ entsprechende Körperschaftsteuerbescheide und Gewerbesteuermeßbescheide. Im Einspruchsverfahren erkannte das FA für die Jahre 1977 bis 1980 zusätzliche Absetzungen für Abnutzung (AfA) an. Dadurch ermäßigten sich die Steuerbilanzgewinne dieser Jahre auf folgende Beträge:

Jahr                           DM

  

1977                       3.003

1978                       8.887

1979                     25.968

1980                     35.248

3. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und hob die Körperschaftsteuerbescheide und die Gewerbesteuermeßbescheide ersatzlos auf. Es vertrat die Auffassung, daß der Kläger hoheitlich tätig gewesen sei.

4. Mit den vom FG zugelassenen Revisionen rügt das FA Verletzung des § 4 Abs. 3 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1977, des § 2 der Körperschaftsteuer-Durchführungsverordnung 1968 (KStDV 1968) und des § 2 Abs. 3 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG).

Das FA beantragt, die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revisionen des FA sind begründet. Sie führten zur Aufhebung der angefochtenen Urteile und zur Abweisung der Klagen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

A) An den Revisionsverfahren I R 79/86 und I R 80/86 sind die gleichen Personen beteiligt. Die Verfahren betreffen im wesentlichen die gleichen Rechtsfragen. Der Senat hat es deshalb für zweckdienlich gehalten, die Verfahren zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung zu verbinden (§§ 73 Abs. 1, 121, FGO).

B) Der Kläger unterliegt mit seiner Tätigkeit der Körperschaftsteuer, da er einen Betrieb gewerblicher Art unterhielt (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG 1968, § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG 1977).

1. Der Kläger ist eine juristische Person des öffentlichen Rechts. Juristische Personen des öffentlichen Rechts unterliegen der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht nur, soweit sie Betriebe gewerblicher Art unterhalten (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG 1968, § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG 1977).

Betrieb gewerblicher Art ist nach diesen Vorschriften eine Einrichtung, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen - außerhalb der Land- und Forstwirtschaft - dient und sich innerhalb der Gesamtbetätigung der Körperschaft wirtschaftlich heraushebt (§ 1 Abs. 2 KStDV 1968, § 4 Abs. 1 KStG 1977). Betriebe, die überwiegend der Ausübung hoheitlicher Gewalt dienen, gehören nicht zu den Betrieben gewerblicher Art (§ 4 Satz 1 KStDV 1968, § 4 Abs. 5 Satz 1 KStG 1977).

2. Der Kläger unterhielt eine Einrichtung, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen diente. Die gesamten Anlagen des Klägers zur Beschaffung und Weiterleitung des Wassers stellen eine Einrichtung dar. Die in der Einrichtung ausgeübte Tätigkeit diente der Erzielung von Einnahmen aus Zahlungen der Mitgliedsgemeinden und wurde nachhaltig ausgeübt. Die Einrichtung hob sich in der Gesamttätigkeit des Klägers auch wirtschaftlich heraus. Sie bildete die wesentliche Einnahmequelle des Klägers.

3. Die Einrichtung des Klägers war kein Hoheitsbetrieb i. S. des § 4 Satz 1 KStDV 1968 bzw. des § 4 Abs. 5 Satz 1 KStG 1977.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die Wasserbeschaffung "Hoheitsbetrieb" (Urteile vom 16. März 1965 I 277/62, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1965, 423, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK - , Körperschaftsteuergesetz, § 1, Rechtsspruch 56; vom 15. März 1972 I R 232/71, BFHE 105, 27, BStBl II 1972, 500). Sie gehört deshalb grundsätzlich nicht zu den Betrieben gewerblicher Art. Andererseits ist die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung als Betrieb gewerblicher Art anzusehen (§ 2 KStDV 1968, § 4 Abs. 3 KStG 1977, BFH in BFHE 105, 27, BStBl II 1972, 500; BFH-Urteil vom 28. Januar 1988 V R 112/86, BFHE 152, 360, BStBl II 1988, 473).

b) Die tatsächliche Tätigkeit des Klägers umfaßte die Beschaffung von Trink- und Brauchwasser, dessen Weiterleitung bis zu den Endverbrauchern und die Unterhaltung des dazu erforderlichen und ihm gehörigen Rohrleitungsnetzes.

aa) Damit diente der Betrieb des Klägers der Wasserversorgung i. S. der §§ 2 KStDV 1968, 4 Abs. 3 KStG 1977. Es trifft zwar zu, daß der Kläger nach der Umstellung der Rechtsbeziehungen ab dem Jahre 1973 nur noch Rechtsbeziehungen zu seinen Mitgliedsgemeinden und nicht zu den Endverbrauchern unterhielt. Er belieferte rechtlich die Stadt X und die Gemeinde E. Die "Versorgung der Bevölkerung mit Wasser" ist jedoch ein weniger auf rechtlichem als auf technischem und tatsächlichem Gebiet liegender Vorgang (OFH-Urteil vom 21. Januar 1950 I 20/49, StRK, Körperschaftsteuergesetz, § 1, Rechtsspruch 9). Der Kläger leitete das von ihm beschaffte und aufbereitete Wasser tatsächlich bis zum Endverbraucher. Sein Betrieb diente damit der "Versorgung der Bevölkerung mit Wasser" (vgl. BFH-Urteil vom 16. März 1965 I 277/62, StRK, Körperschaftsteuergesetz, § 1, Rechtsspruch 56; BFH-Urteil vom 20. Januar 1972 I R 92/70, nicht veröffentlicht - NV -). Die tatsächliche Tätigkeit des Klägers in der Wasserversorgung wird dadurch besonders deutlich, daß er das Wasser durch ein ihm gehöriges und von ihm unterhaltenes Rohrleitungsnetz bis zum Endabnehmer leitete. Die Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen dem Kläger, den Gemeinden und den Endverbrauchern ist daneben für die körperschaftsteuerrechtliche Beurteilung von untergeordneter Bedeutung.

bb) Neben der Tätigkeit des Klägers in der Wasserversorgung tritt seine Tätigkeit in der Wasserbeschaffung zurück. Ohne Abgabe des Wassers an einen oder mehrere Abnehmer ist eine Wasserbeschaffung nicht denkbar, da Wasser nicht unbegrenzt speicherfähig ist. Die Wasserbeschaffung wird damit zu einer die Wasserversorgung vorbereitenden Tätigkeit und von ihr absorbierten Tätigkeit (BFH-Urteil vom 20. Januar 1972 I R 92/70, NV). Die Wasserbeschaffung ist als Einrichtung von der Weiterleitung nicht trennbar. Betriebe mit untrennbar hoheitlichen und gewerblichen Tätigkeiten gelten nur dann als Hoheitsbetrieb, wenn die Ausübung öffentlicher Gewalt überwiegt (§ 4 KStDV 1968, § 4 Abs. 5 KStG 1977). Das ist nach Sachlage nicht der Fall. Die Wasserverteilung ist für den Kläger zumindest nicht weniger bedeutsam als die Wasserbeschaffung, da er seine gesamten Einnahmen aus der Weiterveräußerung, also aus der der Wasserversorgung dienenden Tätigkeit bezieht.

C) Das FG ist in den angefochtenen Urteilen von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Die Urteile mußten deshalb aufgehoben werden.

Die Sache ist entscheidungsreif. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG sind beide Klagen unbegründet.

1. Die Behandlung der in den Jahren 1961 und 1963 vom Kläger vereinnahmten Anschlußbeiträge als Ertragszuschüsse mit Bildung eines Passivpostens und dessen Auflösung innerhalb von 20 Jahren ist rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BFH-Urteil vom 23. Februar 1977 I R 104/75, BFHE 121, 350, BStBl II 1977, 392).

2. Der Kläger unterliegt mit seinem Betrieb gewerblicher Art auch der Gewerbesteuer.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines der Körperschaftsteuer und eines der Gewerbesteuer unterliegenden Betriebs gewerblicher Art unterscheiden sich durch das gewerbesteuerrechtliche Tatbestandsmerkmal der Gewinnerzielungsabsicht. Während sie für die Annahme eines der Körperschaftsteuer unterliegenden Betriebs gewerblicher Art kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung nicht erforderlich ist (§ 1 Abs. 1 Satz 2 KStDV 1968, § 4 Abs. 1 Satz 2 KStG 1977), besteht Gewerbesteuerpflicht für solche Unternehmungen nur, wenn sie mit der Absicht der Gewinnerzielung betrieben werden (§ 2 Abs. 1 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung - GewStDV - , § 1 Abs. 1 GewStDV in der vor Inkrafttreten des Steuerentlastungsgesetzes vom 22. Dezember 1983, BGBl I 1983, 1.583, geltenden Fassung). Gewinnerzielungsabsicht ist die Absicht einer nachhaltigen Mehrung des Betriebsvermögens. Dabei ist der Gewinn nicht als Periodengewinn, sondern als Totalgewinn anzusehen (BFH-Beschluß vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, 434, BStBl II 1984, 751). Da die Gewinnerzielungsabsicht als inneres Tatbestandsmerkmal nur anhand äußerer Merkmale beurteilt werden kann, können die Verhältnisse abgelaufener Zeiträume wichtige Anhaltspunkte für dieses Tatbestandsmerkmal bieten (BFH in BFHE 141, 405, 434, BStBl II 1984, 751). Über mehrere Wirtschaftsjahre hinweg erzielte Gewinne sprechen dafür, daß sie auf einem Streben nach Gewinn beruhen (BFH-Urteil vom 22. August 1984 I R 102/81, BFHE 142, 152, BStBl II 1985, 61; vgl. auch Obermaier in Blümich, Einkommensteuergesetz/Körperschaftsteuergesetz/Gewerbesteuergesetz, Kommentar, § 2 GewStG Rdnr. 231).

Das FA konnte im Streitfall das Tatbestandsmerkmal der Gewinnerzielungsabsicht aus den steuerlichen Gewinnen in den Streitjahren entnehmen. Der Kläger hat in den Streitjahren 1973 bis 1980 bis auf das Jahr 1975 nach steuerlicher Gewinnermittlung ständig Gewinne erzielt. Das gilt auch nach der Anerkennung zusätzlicher AfA in der dem Klageverfahren zugrunde liegenden Einspruchsentscheidung. Dabei hat das FA zutreffend auf die Gewinne vor der Zurechnung nicht abziehbarer Ausgaben und vor besonderen gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen abgestellt. Die in den angefochtenen Urteilen erwähnten Handelsbilanzergebnisse waren für diese Beurteilung nicht geeignet, da sie die Verteilung der Anschlußgebühren auf 20 Jahre nicht berücksichtigten. Der Senat weicht mit dieser Entscheidung nicht vom Urteil in BFHE 142, 152, BStBl II 1985, 61 ab. Im Streitfall besteht im Unterschied zu dieser Entscheidung kein Anlaß zur Annahme, daß der Kläger mit seinen Gewinnen nur frühere Verluste ausgleichen wollte.