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  BFH-Urteil vom 12.1.1990 (VI R 137/86) BStBl. 1990 II S. 602

Zur Wirksamkeit der förmlichen Zustellung eines Steuerbescheids nach § 3 VwZG, wenn im Kopf der PZU zu 1.1 als Geschäftsnummer die Steuernummer und unter "1.2 Ggf. weitere Kennz." noch "Einkommensteuerbescheid 1983" angegeben ist, der vorgedruckte Text über die Beurkundung des Zustellungsvorgangs aber auf die weitere Kennzeichnung zu 1.2 nicht Bezug nimmt.

VwZG § 3; AO 1977 § 122 Abs. 5; ZPO § 195 Abs. 2, § 444; FGO § 155.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) bezog im Streitjahr 1983 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) schätzte wegen Nichtabgabe der Steuererklärung die Besteuerungsgrundlagen in dem Einkommensteuerbescheid 1983 vom 19. Juli 1985, wobei die Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit mit 45.000 DM angesetzt wurden.

Dieser Bescheid wurde dem Kläger mit Postzustellungsurkunde (PZU) am 20. Juli 1985 zugestellt. Die PZU enthielt in dem mit "1.1 Geschäfts-Nummer" überschriebenen Feld die Steuernummer des Klägers und in dem unmittelbar daneben gelegenen Feld "1.2 Ggf. weitere Kennz." die Angabe "Einkommensteuerbescheid 1983". Auf der zuzustellenden Sendung war auf dem verschlossenen Umschlag nach der Beurkundung durch den Postbeamten ebenfalls die Steuernummer eingetragen. Ob der Umschlag eine weitere Kennzeichnung enthielt, vermochte das Finanzgericht (FG) nicht (mehr) festzustellen, da der Kläger das Kuvert nach eigener Bekundung nicht mehr vorgefunden hat.

Der Postbedienstete bescheinigte in der PZU entsprechend dem vorgedruckten Text, daß er die mit der Anschrift des Klägers (Feld 1.3 der Urkunde) und der Geschäftsnummer (Feld 1.1 der Urkunde) versehene Sendung am 20. Juli 1985 dem Empfänger übergeben habe.

Am 30. September 1985 erschien der Kläger beim FA und erklärte zur Niederschrift, daß er gegen den Einkommensteuerbescheid 1983 vom 19. Juli 1985 Einspruch einlege. Gleichzeitig beantragte er die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, sein steuerlicher Berater sei bei Ergehen des Bescheids in Urlaub gewesen. Zur Begründung seines Einspruchs reichte er die Einkommensteuererklärung 1983 nach.

Das FA verwarf den Einspruch wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig.

Mit seiner Klage, mit der er die Aufhebung der Einspruchsentscheidung begehrte, machte der Kläger geltend, er habe zwar den Einspruch verspätet eingelegt, jedoch im Streitjahr 1983 lediglich 38.000 DM verdient. In der mündlichen Verhandlung vor dem FG erklärte er, er wisse nicht mehr, welches Schriftstück die ihm am 20. Juli 1985 von dem Postbediensteten übergebende Sendung enthalten habe. Die Unterlagen habe er nicht mehr vorgefunden.

Das FG gab der Klage statt und hob die Einspruchsentscheidung des FA auf. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Die Einspruchsbegründungsfrist habe mit der Übergabe der Sendung an den Kläger durch den Postbediensteten nicht zu laufen begonnen. Denn dabei sei eine zwingende Zustellungsvorschrift verletzt worden. Die als Geschäftsnummer verwendete Steuernummer habe den Anforderungen des § 195 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) nicht genügt. Da die PZU nicht die Übergabe des Schriftstücks selbst bezeuge, sondern nur die Übergabe der mit einer bestimmten Geschäftsnummer bezeichneten Sendung, stelle die Angabe der Geschäftsnummer auf der Sendung und auf der PZU die einzige urkundliche Beziehung zwischen dieser und dem zuzustellenden Schriftstück her (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. November 1971 I B 32/71, BFHE 103, 454, BStBl II 1972, 127). Wegen der gebotenen Gewähr für die Nämlichkeit der Postsendung müsse die Geschäftsnummer die Identifizierung der zugestellten Sendung ermöglichen. Die Angabe der Steuernummer reiche hierzu nicht aus (BFH-Urteile vom 8. Februar 1972 VIII R 14/68, BFHE 105, 85, BStBl II 1972, 506, und vom 24. November 1977 IV R 113/75, BFHE 125, 107, BStBl II 1978, 467).

Die neben dem für die Geschäftsnummer vorgesehenen Raum unter der Rubrik "1.2" auf der PZU enthaltene Angabe "Einkommensteuerbescheid 1983" könne den Mangel der Zustellung nicht beheben. Der Postbedienstete habe in der PZU lediglich bezeugt, daß er die mit der angegebenen Anschrift und der in der Rubrik "1.1" enthaltenen Geschäftsnummer versehene Sendung zugestellt habe. Hinsichtlich der weiteren Kennzeichnung ("Einkommensteuerbescheid 1983") fehle eine entsprechende Beurkundung. Daraus ergebe sich, daß die in der Rubrik "1.2" enthaltenen Angaben nicht zur Ergänzung der Geschäftsnummer herangezogen werden dürften. Auf dem Briefumschlag selbst sei keine entsprechende Eintragung vorzunehmen. Ob eine Eintragung auf dem Briefumschlag tatsächlich erfolgt sei, könne nicht festgestellt werden. Zum einen seien die vom FA auf der PZU vorzunehmenden Eintragungen nicht im Wege der Durchschrift von der Briefhülle, sondern in Originalschrift erfolgt. Zum anderen sei der Kläger nicht mehr im Besitz der Briefhülle.

Eine Heilung dieses Zustellungsmangels sei nicht eingetreten.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung der §§ 3 und 9 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) i.V.m. § 122 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO 1977) bzw. § 122 Abs. 2 AO 1977 sowie einen Verstoß gegen die Regeln der Beweiswürdigung (§ 96 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Zu Unrecht habe das FG einen Zustellungsmangel angenommen. Die vom Kläger am 20. Juli 1985 empfangene Sendung sei auch dann hinreichend gekennzeichnet gewesen, wenn - wie das FG unterstelle - auf dem Briefumschlag nur die Steuernummer ohne den Zusatz "Einkommensteuerbescheid 1983" vermerkt worden wäre. Denn sie habe nicht mehrere Schriftstücke verschiedenen Inhalts enthalten. Bei der hier vorliegenden Übersendung lediglich eines Schriftstücks sei dessen genaue Bezeichnung entbehrlich (BFH-Urteil vom 17. Oktober 1984 I R 167/81, BFHE 142, 108, BStBl II 1985, 74). Es müsse genügen, daß sich der Inhalt der Sendung bei verständiger Würdigung aller Umstände mittels der Geschäftsnummer identifizieren lasse. Aufgrund der Gegebenheiten des Streitfalles (Angabe der Steuernummer auf dem Briefumschlag; Vermerk "Einkommensteuerbescheid 1983" zumindest auf der PZU; handschriftlicher Vermerk "mit PZU zugestellt" auf der in der Akte befindlichen Durchschrift des Einkommensteuerbescheids 1983) könne es keinem vernünftigen Zweifel unterliegen, daß die Sendung den Einkommensteuerbescheid 1983 tatsächlich enthalten habe. Jedenfalls sei ein etwaiger Zustellungsmangel nach § 9 Abs. 1 VwZG geheilt worden.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Denn das FG hat zu Unrecht angenommen, daß der am 30. September 1985 vom Kläger erhobene Einspruch rechtzeitig erfolgt sei.

Gemäß § 355 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist der Einspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheids einzulegen. Diese Frist hatte der Kläger bei Einlegung des Einspruchs am 30. September 1985 versäumt, da ihm der Einkommensteuerbescheid 1983 vom 19. Juli 1985 am 20. Juli 1985 wirksam zugestellt worden war.

1. Die vom FA getroffene Anordnung der förmlichen Zustellung des angefochtenen Steuerbescheids stand im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde und war nicht zu beanstanden (vgl. auch Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Rdnr. 512/51).

2. a) Zutreffend ist das FG zwar davon ausgegangen, daß sich die Regelungen des VwZG über die förmliche Zustellung insgesamt durch Formstrenge auszeichnen, weil anders der vom Gesetz beabsichtigte Zweck, eine rasche und mühelose Feststellung darüber zu ermöglichen, ob eine Zustellung wirksam ist, nicht verwirklicht werden kann (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 15. Januar 1953 IV ZR 180/52, BGHZ 8, 314; Urteil des Oberlandesgerichts - OLG - Nürnberg vom 18. Januar 1963 4 U 154/62, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1963, 1207). Daher liegt nach ständiger Rechtsprechung des BFH eine zwingende Verletzung des § 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG vor, wenn die zuzustellende Sendung (d.h. der verschlossene Umschlag) nicht mit einer ausreichenden, den Inhalt der Sendung einwandfrei identifizierenden Geschäftsnummer versehen ist. In Übereinstimmung mit dem Beschluß in BFHE 103, 454, BStBl II 1972, 127 hat das FG zu Recht ausgeführt, daß bei der Zustellung durch die Post an die Stelle der unmittelbaren Aushändigung des Schriftstücks die Übergabe einer verschlossenen Postsendung tritt. Demgemäß bezeugt die PZU nicht die Übergabe des Schriftstücks selbst, sondern nur die Übergabe einer mit einer Geschäftsnummer bezeichneten Sendung (§ 3 Abs. 3 VwZG i.V.m. § 195 Abs. 2 ZPO). Dabei stellt die Angabe der Geschäftsnummer auf der Sendung (§ 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG) und in der PZU die einzige urkundliche Beziehung zwischen dieser und dem zuzustellenden Schriftstück her (BFHE 103, 454, BStBl II 1972, 127). Es genügt somit für eine wirksame Zustellung nach § 3 VwZG nicht, wenn die PZU und/oder die Sendung (der Briefumschlag) als Geschäftsnummer lediglich die Steuernummer ausweisen (vgl. z.B. Beschluß in BFHE 103, 454, BStBl II 1972, 127; BFH-Urteile in BFHE 105, 85, BStBl II 1972, 506; in BFHE 125, 107, BStBl II 1978, 467, und vom 24. November 1983 V R 185/81, nicht veröffentlicht - NV -; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 4. Aufl. 1989, § 122 Anm. 7; Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, a.a.O., Rdnr. 450/5 und 468/12, m.w.N.).

b) Diesen - strengen - Anforderungen hat das FA bei der Zustellung des angefochtenen Bescheids in ausreichendem Maße Rechnung getragen. Dem FG ist zuzugeben, daß die Untergliederung des zur Bezeichnung der zuzustellenden Sendung in der PZU vorgesehenen Raums unter Ziffer 1 in die Unterabschnitte "1.1 Geschäftsnummer" und "1.2 Ggf. weitere Kennz." im Zusammenhang mit der anschließend vorgedruckten Erklärung des Postbediensteten, daß er die ".... mit obiger .... Geschäftsnummer (1.1) versehene Sendung .... zugestellt (habe)", ohne daß dabei auch auf 1.2 Bezug genommen wird, Mißverständnisse hervorrufen kann, und es wäre zu begrüßen, wenn die Finanzverwaltung auf deren Beseitigung hinwirken würde. Bei verständiger Würdigung der PZU ist jedoch davon auszugehen, daß der gesamte zum Gliederungspunkt 1. der Urkunde vorgesehene Raum der Charakterisierung der zuzustellenden Sendung dient. Er stellt eine Einheit in dem Sinne dar, daß deren Gesamtinhalt die "Geschäftsnummer" im Sinne der unter 2. a) zitierten Rechtsprechung kennzeichnet. Das zu Unterpunkt 1.2 "Ggf. weitere Kennz." vorgesehene Feld erweist sich entsprechend seiner vordrucksmäßigen Umschreibung lediglich als ein unselbständiger Zusatz, der einer weiteren Präzisierung der Geschäftsnummer dient und infolgedessen auch ohne ausdrückliche Einbeziehung in die Erklärung des Postbediensteten von der Beurkundung des Zustellungsvorganges mitumfaßt wird.

Es sind im übrigen keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß auf der Sendung (dem Briefumschlag) die weitere Kennzeichnung "Einkommensteuerbescheid 1983" nicht vermerkt worden war. Der zuständige Bedienstete des FA hat den Vordruck der PZU, soweit dessen Ausfüllen dem Absender oblag, in jeder Hinsicht korrekt vorbereitet. Es ist daher nicht zu vermuten, daß er beim Vermerken der Geschäftsnummer auf der Sendung (dem Briefumschlag) nicht ebenso korrekt verfahren ist und dort den Zusatz "Einkommensteuerbescheid 1983" unterlassen hat. Der Kläger hat nicht bestritten, daß die Briefhülle neben der Steuernummer den nämlichen Zusatz enthielt. Im übrigen hätte es dem Kläger oblegen, die tatsächliche Vermutung, daß das Kuvert mit einer ausreichenden Kennzeichnung des Inhalts der Sendung versehen war, zu widerlegen, so insbesondere durch Vorlage des betreffenden Umschlags. Dies ist nicht geschehen.

Die förmliche Zustellung des angefochtenen Bescheids am 20. Juli 1985 war daher nicht mit einem Mangel behaftet. Der erst am 30. September 1985 eingelegte Einspruch wurde folglich zu spät erhoben.

3. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Das FG hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend - keine Feststellungen darüber getroffen, ob das FA den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist (vgl. § 110 AO 1977) zu Recht abgelehnt hat. Entsprechende Feststellungen wird das FG nunmehr nachholen müssen.