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  BFH-Urteil vom 25.4.1990 (X R 44/86) BStBl. 1990 II S. 739

Die Begrenzung der Steuerermäßigung nach § 17 Abs. 6 BerlinFG war nach der tariflichen Einkommensteuer abzüglich der Steuerermäßigung für freie Erfinder (§ 4 Nr. 3 ErfVO) zu berechnen.

EStG § 2 Abs. 5 und 6, § 32a Abs. 1 und 5; BerlinFG § 17 Abs. 6; ErfVO § 4 Nr. 3.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger bezog im Streitjahr 1982 u.a. Einkünfte aus freier Erfindertätigkeit. Er hat in diesem Jahr ein Berlin-Darlehen in Höhe von 200.000 DM gewährt und dafür Steuerermäßigung beantragt. Bei der Veranlagung berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Steuerermäßigung gemäß § 4 Nr. 3 der Verordnung über die einkommensteuerliche Behandlung der freien Erfinder vom 30. Mai 1951 - ErfVO - (BGBl I 1951, 387) vor Errechnung der Steuerermäßigung nach § 17 Abs. 1 und 2 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG). Dies hatte zur Folge, daß die Ermäßigung nach § 17 BerlinFG auf die Hälfte der Einkommensteuer nach Abzug der Erfinderermäßigung begrenzt wurde. Demgegenüber vertraten die Kläger die Auffassung, § 17 Abs. 6 BerlinFG begrenze die Steuerermäßigung am Maßstab der tariflichen, d.h. der ohne Berücksichtigung außertariflicher Vergünstigungen ermittelten Einkommensteuer.

Das Finanzgericht (FG) hat die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage abgewiesen. Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts.

Sie beantragen sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Einkommensteuer 1982 auf 4.596 DM herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Nach § 17 Abs. 6 BerlinFG darf die Ermäßigung der Einkommensteuer nach § 17 Abs. 1 und 2 BerlinFG zusammen mit der Ermäßigung der Einkommensteuer nach § 16 BerlinFG 50 v.H. der Einkommensteuer nicht übersteigen, "die sich ohne die Ermäßigungen ergeben würde". § 16 Abs. 5 BerlinFG enthält - unter Bezugnahme auf § 17 BerlinFG - eine gleich formulierte Begrenzung der Steuerermäßigung. Das FG hat § 17 Abs. 6 BerlinFG zu Recht dahin ausgelegt, daß die Ermäßigung am Maßstab nicht der tariflichen Einkünfte, sondern der nach Berücksichtigung der Tarifermäßigung des § 4 Nr. 3 ErfVO verbleibenden Einkommensteuerschuld zu begrenzen ist.

2. Nach § 4 Nr. 3 ErfVO wird die anteilige Einkommensteuer, die sich für die Einkünfte aus freier Erfindertätigkeit im Verhältnis zum Gesamtbetrag der Einkünfte "aufgrund der Steuer, die für das gesamte Einkommen nach der Einkommensteuertabelle festzusetzen wäre, ergibt", unter weiteren Voraussetzungen nur zur Hälfte erhoben. Zu Recht gehen die Beteiligten davon aus, daß die Steuerermäßigungen des § 17 BerlinFG und des § 4 Nr. 3 ErfVO nebeneinander (kumulativ) gewährt werden können.

3. a) "Die sich ohne die Ermäßigung ergebende Steuer" ist nach der Wortbedeutung des § 17 Abs. 6 BerlinFG die festzusetzende Steuer, die das Ergebnis aller auf die Ermittlung "der Steuer" hinführenden Rechenschritte ist. Nach § 2 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bildet das zu versteuernde Einkommen die Bemessungsgrundlage für die "tarifliche Einkommensteuer". Nach § 2 Abs. 6 EStG ist die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die Steuerermäßigungen, "die festzusetzende Einkommensteuer". "Die Einkommensteuer" ist nach dem Sprachgebrauch des Gesetzes - z.B. § 36 Abs. 1, § 37 Abs. 1 Satz 1 EStG - der Inbegriff des Steueranspruchs. Die "tarifliche Einkommensteuer", die sich nach dem zu versteuernden Einkommen bemißt (§ 32a Abs. 1 und 5 EStG), ist für die Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer nur ein rechnerisches Zwischenergebnis. Wäre die von den Klägern befürwortete Auslegung richtig, bedürfte es des Relativsatzes "die sich ohne die Ermäßigungen ergeben würde" nicht, da die tarifliche Einkommensteuer definitionsgemäß durch Steuerermäßigungen nicht berührt wird (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Oktober 1967 VI 38/65, BFHE 90, 447, 450, BStBl II 1968, 141).

b) § 17 Abs. 6 BerlinFG knüpft nicht an die "tarifliche Einkommensteuer" an. Um die von den Klägern beanspruchte Regelung zu treffen, wäre eine solche ausdrückliche Anknüpfung indes erforderlich gewesen, denn dann, wenn der Gesetzgeber auf die tarifliche Einkommensteuer abhebt, verwendet er diesen eindeutig festgelegten Gesetzesbegriff ausdrücklich (vgl. z.B. § 2 Abs. 5 und 6, § 34 Abs. 1 Satz 1 und § 34e Abs. 1 Satz 1 EStG). Werden Steuerermäßigungen in eine steuerrechtlich relevante Rechengröße einbezogen, wird dies zumeist ebenfalls ausdrücklich - so z.B. in § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG - angeordnet. § 34f Abs. 1 und 2 EStG gewährt eine Ermäßigung der "tariflichen Einkommensteuer, vermindert um die sonstigen Steuerermäßigungen mit Ausnahme der §§ 34g und 35"; eine vergleichbare Formulierung enthält § 34g Abs. 1 EStG. § 35 Satz 1 EStG gewährt die Steuerermäßigung rechtstechnisch in der Weise, daß "die um sonstige Steuerermäßigungen gekürzte tarifliche Einkommensteuer" gemindert wird.

c) § 21 Abs. 1 und 2 BerlinFG ist durch Art. 6 Nr. 5 des Einführungsgesetzes zum Einkommensteuerreformgesetz (EG-EStRG) vom 21. Dezember 1974 (BGBl I 1974, 3656) in der Weise geändert worden, daß die Worte "veranlagte Einkommensteuer" ersetzt wurden durch die - heute noch geltende - Fassung "tarifliche Einkommensteuer (§ 32a Absatz 1 und 5 des Einkommensteuergesetzes)". Im Entwurf dieser Vorschrift (BTDrucks 7/2722, S. 7) war vorgesehen, die Worte "veranlagte Einkommensteuer" zu ersetzen durch die Worte "tarifliche Einkommensteuer, die sich nach Berücksichtigung der Steuerermäßigungen nach dem Einkommensteuergesetz, aber vor Berücksichtigung der Steuerermäßigung nach den §§ 16 und 17 ergibt". Damit sollte die Vorschrift der Terminologie des EStG 1975 angepaßt und zugleich klargestellt werden, in welcher Reihenfolge die Steuerermäßigungen nach dem EStG bzw. Körperschaftsteuergesetz (KStG) und dem BerlinFG zu berücksichtigen sind (BTDrucks 7/2722, S. 26). Einen entsprechenden Regelungsbedarf hat der Gesetzgeber für §§ 16 Abs. 5 und 17 Abs. 6 BerlinFG offenbar nicht gesehen. Dies bestätigt die vom Senat vertretene Auffassung, daß "die sich ergebende Einkommensteuer" i.S. des § 17 Abs. 6 BerlinFG nicht die tarifliche Einkommensteuer i.S. des § 32a Abs. 1 und 5 EStG meint.

d) Aus den Gesetzesmaterialien sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß der Gesetzgeber dieses Ergebnis nicht gewollt hätte. Die Begrenzung der Ermäßigung ist eingeführt worden als § 19 Abs. 5 des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin (West) in der Fassung vom 26. Juli 1962 - BHG 1962 - (BGBl I 1962, 493), der Vorläufervorschrift des § 17 Abs. 6 BerlinFG. Nach der Begründung zum Regierungsentwurf eines § 14b des Steuererleichterungsgesetzes (in Kraft getreten als § 16 BHG 1962, BTDrucks IV/435, S. 15) soll die Begünstigung für den Darlehensgeber darin bestehen, daß dieser einen prozentualen Teil des Darlehensbetrages "von der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer, die er für den Veranlagungszeitraum der Hingabe zu entrichten hat, absetzen kann". Der Zweck der Begrenzungsvorschrift des § 19 Abs. 5 BHG 1962 wird dahingehend erläutert, daß die Ermäßigung der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer nicht unbegrenzt in Anspruch genommen werden solle.

Zwar kann die vom Senat befürwortete Auslegung dazu führen, daß die Ermäßigung für die Berlin-Förderung sich verringert, wenn gleichzeitig weitere Steuerermäßigungen gewährt werden. Dies mag rechtspolitisch unerwünscht sein, bewirkt jedoch nicht, daß eine vom Gesetzeswortlaut abweichende Anwendung des § 17 Abs. 1 BerlinFG zwingend geboten wäre. Der Zweck des Gesetzes wird durch die Wortlautauslegung nicht vereitelt.

e) Das Urteil in BFHE 90, 447, BStBl II 1968, 141, hat zum Verhältnis zwischen § 19 Abs. 1 und 5 BHG 1962 einerseits und § 1 Abs. 1 des Gesetzes über Steuererleichterungen und Arbeitnehmervergünstigungen in Berlin (West) in der Fassung vom 26. Juli 1962 - StErlG 1962 - (BGBl I 1962, 502) andererseits ausgeführt, daß bei gleichzeitiger Anwendung dieser Steuervergünstigungen die Einkommensteuer zunächst nach § 1 Abs. 1 StErlG 1962 und sodann nach § 19 Abs. 1 und 5 BHG 1962 zu kürzen sei; bei der Berechnung der Höchstbetragsgrenze des § 19 Abs. 5 BHG 1962 sei von der um die Steuerpräferenz gekürzten Einkommensteuer auszugehen. Der VI. Senat des BFH stellt u.a. ab auf den Wortlaut des § 19 Abs. 5 BHG 1962: Der Relativsatz "die sich ohne die Ermäßigung ergeben würde" könne nur besagen, daß die Einkommensteuer zur Feststellung der Höchstgrenze nach Berücksichtigung aller sonst in Betracht kommenden Steuervergünstigungen zu ermitteln sei. Diese - in der Verallgemeinerung seinerzeit nur beiläufige - Aussage hält der erkennende Senat jedenfalls insofern für zutreffend, als es um das Verhältnis der Steuerermäßigungen nach § 4 Nr. 3 ErfVO und § 17 BerlinFG geht. In demselben Sinne wie das BFH-Urteil in BFHE 90, 447, BStBl II 1968, 141 hat das FG Berlin das Verhältnis zwischen der Steuerpräferenz nach § 21 BerlinFG und der Vergünstigung nach § 17 BerlinFG gesehen (FG Berlin, Urteil vom 15. Juli 1980 V 242/79, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1981, 71; zustimmend George in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, §§ 16 bis 18 BerlinFG, Rdnr. 4).

f) Der gegenteiligen Auffassung von Söffing in Sönksen/Söffing (Berlinförderungsgesetz, Kommentar, § 16, Rdnr. 64), von Blümich/Dankmeyer (§ 16 BerlinFG, Rdnr. 119) und Sontheimer (Betriebs-Berater - BB - 1986, 916, 919) folgt der Senat nicht. Es trifft zwar zu, daß für die Begrenzung nach § 17 Abs. 6 bzw. § 16 Abs. 5 BerlinFG die Einkommensteuer maßgebend ist, die sich vor Anrechnung der Steuerabzugsbeträge ergibt. Dafür, daß andere Steuerermäßigungen einschließlich derjenigen für freie Erfinder nach § 4 Nr. 3 ErfVO den maßgebenden Steuerbetrag nicht mindern, geben die genannten Autoren aber keine weitere Begründung. Das BFH-Urteil vom 24. März 1972 VI R 163/69 (BFHE 105, 146, BStBl II 1972, 479), auf das sich die Kläger berufen, betrifft das Verhältnis der Tarifermäßigungen nach § 21 Abs. 1 BHG 1964 und nach § 14 des Zweiten Vermögensbildungsgesetzes (2. VermBG). Letztere Vorschrift enthält keine dem Wortlaut des § 17 Abs. 6 BerlinFG vergleichbare Begrenzung der Steuerermäßigung. Das Urteil in BFHE 105, 146, BStBl II 1972, 479 geht davon aus, daß sich aus dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen die Reihenfolge, in der beide Vergünstigungen abzuziehen seien, nicht unmittelbar ableiten lasse. Es schließt aus der Systematik des BHG, daß bei Steuerpflichtigen, denen die Tarifermäßigung nach §§ 21 ff. BHG 1964 zusteht, die Vorschrift des § 14 2. VermBG als eine spezielle Steuervergünstigung anzusehen und folglich nachrangig zu berechnen sei.