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  BFH-Urteil vom 16.2.1990 (III R 81/87) BStBl. 1990 II S. 746

Zu den Anforderungen an den Nachweis einer Prozeßvollmacht nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG, wenn die Vollmachtsurkunde nicht vom Verfahrensbeteiligten oder seinem gesetzlichen Vertreter, sondern von einem Dritten (Unterbevollmächtigten) unterzeichnet worden ist.

FGO § 62 Abs. 3; VGFGEntlG Art. 3 § 1.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Der steuerliche Berater K der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH, erhob im Namen der Klägerin Klage, ohne der Klageschrift eine Vollmachtsurkunde beizufügen. Er reichte diese zunächst trotz zweimaliger Aufforderung des Finanzgerichts (FG) nicht nach. Ebensowenig beantwortete er die mit den Aufforderungen gestellte Frage nach dem Geschäftsführer der Klägerin.

Der Berichterstatter des FG setzte daraufhin gemäß Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) eine Frist mit ausschließender Wirkung bis zum 15. September 1985 zur Einreichung der Vollmacht. Die Verfügung lautete auszugsweise:

"In dem Rechtsstreit .... haben Sie noch keine auf Sie lautende Prozeßvollmacht für das Verfahren vor dem Finanzgericht vorgelegt, obwohl Ihnen hierfür in den gerichtlichen Verfügungen vom 24. April und 26. Juni 1985 eine Frist bis zum 15. Juni bzw. 10. August 1985 gesetzt worden war. Gemäß Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978 .... wird Ihnen hiermit für das Einreichen der Vollmacht eine Frist mit ausschließender Wirkung bis zum 15. September 1985 gesetzt."

Am letzten Tag dieser Frist ging beim FG eine auf K lautende Vollmachtsurkunde ein. Sie trug den Geschäftsstempel der Klägerin und war von Frau U mit dem Zusatz "i.A." unterzeichnet. U ist bei der Klägerin angestellt, ohne jedoch Geschäftsführerin zu sein oder Prokura zu haben.

Das FG erließ einen Vorbescheid, durch den die Klage als unzulässig abgewiesen wurde, da K seine Prozeßvollmacht nicht nachgewiesen habe. K beantragte für die Klägerin mündliche Verhandlung, legte eine zweite, nunmehr vom Geschäftsführer der Klägerin unterzeichnete Vollmachtsurkunde vor und bat wegen der Versäumung der Ausschlußfrist um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Nach mündlicher Verhandlung wies das FG die Klage erneut als unzulässig ab. Es führte im wesentlichen aus: Der Nachweis der Prozeßvollmacht könne nur durch Vorlage eines vom Beteiligten oder von dessen gesetzlichem Vertreter unterzeichneten Schriftstücks erbracht werden. Werde die Vollmacht von einem Dritten erteilt, müsse auch dessen Vertretungsmacht nachgewiesen werden. Im Falle einer Fristsetzung nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG müsse dies innerhalb dieser Frist geschehen. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob U bevollmächtigt gewesen sei, K Prozeßvollmacht zu erteilen. Eine solche Bevollmächtigung sei jedenfalls nicht fristgemäß nachgewiesen worden. Die vom Geschäftsführer der Klägerin unterzeichnete Prozeßvollmacht habe K verspätet vorgelegt. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden.

Mit der vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung der §§ 62 und 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Sache unter Aufhebung des Urteils des FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Das FG durfte die Klage nicht als unzulässig abweisen. Entgegen der Auffassung des FG hat die Klägerin die ihr nach § 62 Abs. 3 FGO i.V.m. Art. 3 § 1 VGFGEntlG obliegenden prozessualen Pflichten erfüllt.

Gemäß § 62 Abs. 3 FGO ist die Vollmacht schriftlich beim Gericht einzureichen. Für die Vorlage der Vollmacht kann der Vorsitzende oder der vom Vorsitzenden bestimmte Richter nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG eine Ausschlußfrist setzen. Die Frist ist gewahrt, wenn es sich bei der innerhalb der Frist vorgelegten Vollmacht um eine schriftliche (s. § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO) und wirksame Vollmacht handelt und dadurch der vom Gericht angeforderte Nachweis der Vollmacht erbracht wird. Diese Erfordernisse sind im Streitfall gegeben.

a) Die von K am 16. September 1985 bei Gericht eingereichte Vollmacht erfüllt die Anforderungen, die an eine schriftliche Vollmacht zu stellen sind.

Schriftlich ist eine Prozeßvollmacht erteilt, wenn die Vollmachtsurkunde eigenhändig durch den Vollmachtgeber bzw. Unterbevollmächtigten unterzeichnet ist (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. März 1988 IV R 218/85, BFHE 153, 195, BStBl II 1988, 731; s. auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 62 FGO Rdnr. 9). Die Unterschrift soll unter anderem gewährleisten, daß die Vollmacht mit Wissen und Wollen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist und es sich nicht um einen bloßen Entwurf handelt (BFH-Urteil vom 19. Januar 1989 IV R 21-23/87, BFHE 156, 350, BStBl II 1989, 567). Mit der Unterschrift muß daher der Unterzeichnende regelmäßig zu erkennen geben, daß er die volle inhaltliche Verantwortung für die Erteilung der Vollmacht übernehmen will und übernimmt. An der notwendigen Schriftlichkeit der Vollmacht mangelt es dagegen, wenn sich aus der Vollmacht ergibt, daß der Unterzeichnende die inhaltliche Verantwortung nicht übernimmt, sondern nur eine Erklärung eines Dritten übermitteln will. In diesem Fall hat nicht der Vollmachtgeber bzw. Unterbevollmächtigte die Vollmachtsurkunde eigenhändig unterschrieben.

Die von K innerhalb der gesetzten Ausschlußfrist eingereichte Vollmacht hat die U unter Übernahme der vollen Verantwortung unterzeichnet. Es sind keine Umstände, außer der Unterzeichnung mit dem Zusatz "i.A.", ersichtlich, die für eine bloße Erklärungsübermittlung der U sprechen.

Zwar hat der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Beschluß vom 5. November 1987 V ZR 139/87 (Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1988, 210) entschieden, daß bei der Unterzeichnung "i.A." grundsätzlich eine Botenstellung und keine Vertreterstellung anzunehmen sei, da der Unterschreibende mit einem solchen Zusatz zu erkennen gebe, daß er für den Inhalt eines bestimmenden Schriftsatzes eine Verantwortung nicht übernehmen wolle und nicht übernehme (ebenso FG Köln, Urteil vom 21. September 1988 12 K 398/85, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1989, 68). Dieser Ansicht kann sich der erkennende Senat für den Streitfall nicht anschließen. Zum einen ist fraglich, ob diese Rechtsprechung, die zu bestimmenden Schriftsätzen ergangen ist, auch für die Vollmachtserteilung gilt. Zum anderen ist die Rechtsprechung des BGH auf das Verfahren vor den (erstinstanzlichen) FG nicht übertragbar. Die Abgrenzung zwischen Vertreter- und Botenstellung ist vielmehr für jeden Einzelfall unter Würdigung aller Umstände vorzunehmen. Die vom BGH geäußerte Ansicht mag den Besonderheiten des zivilprozessualen Anwaltszwangs entsprechen. Sie kann aber auf andere Prozeßordnungen, die keinen Anwaltszwang kennen, nicht unbedingt übertragen werden (s. auch Beschluß des Großen Senats des BFH vom 5. November 1973 GrS 2/72, BFHE 111, 278, BStBl II 1974, 242). Darüber hinaus ist zu beachten, daß im allgemeinen Sprachgebrauch und auch im Schriftverkehr nicht streng zwischen einer Unterzeichnung "i.V." und "i.A." getrennt wird (so auch Weber-Grellet, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1989, 524, 525 1. Sp.).

b) K hat auch eine wirksame Prozeßvollmacht beim FG eingereicht. Es kann im Streitfall dahinstehen, ob die durch U unterzeichnete Vollmacht bereits im Zeitpunkt der Einreichung bei Gericht wirksam war. Nach der Entscheidung des I. Senats des BFH vom 30. November 1988 I R 168/84 (BFHE 156, 1, BStBl II 1989, 514) ist es für eine wirksame Vollmacht ausreichend, wenn die Prozeßführung eines vollmachtlosen Vertreters bis zum Ergehen eines Prozeßurteils nachträglich genehmigt wird. Dies ist im Streitfall geschehen. Die Klägerin hat die Prozeßführung und damit auch die Vollmachterteilung durch U genehmigt. Dies ergibt sich schon daraus, daß K im Verfahren vor dem FG eine zweite von dem Geschäftsführer der Klägerin unterzeichnete Vollmacht nachgereicht hat.

c) K hat auch innerhalb der vom FG wirksam in Lauf gesetzten Ausschlußfrist, die am 16. September 1985 ablief, die vom FG angeforderte Vollmachtsurkunde vorgelegt. Er hat die auf ihn lautende und von U unterzeichnete Vollmacht bei Gericht am letzten Tag des Fristablaufs eingereicht.

Der Senat neigt allerdings zu der Auffassung, daß nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG innerhalb der Ausschlußfrist nicht nur die Vorlage der Vollmachtsurkunde, sondern auch der Nachweis der Vertretungsmacht eines Dritten verlangt werden kann, wenn die Vollmachtsurkunde nicht von dem Verfahrensbeteiligten selbst, sondern von dem Dritten unterzeichnet worden ist. Der Begriff der Vollmacht in § 62 Abs. 3 FGO und in Art. 3 § 1 VGFGEntlG beinhaltet nicht allein die rein formale Vollmachtsurkunde. Vielmehr muß die Vollmacht auf den vertretenen Verfahrensbeteiligten zurückgehen. Das Gericht muß zurückverfolgen können, ob der Prozeßvertreter seine Bevollmächtigung auch tatsächlich vom Verfahrensbeteiligten ableiten kann.

Der Senat braucht diese Frage aber nicht abschließend zu entscheiden. Denn das Fehlen eines solchen Nachweises innerhalb der Ausschlußfrist ist nur beachtlich, wenn die Aufforderung zum Nachweis der Vollmacht entsprechend abgefaßt worden ist (Urteil in BFHE 156, 1, BStBl II 1989, 514). Diesen Anforderungen ist z.B. dann Genüge getan, wenn das FG den Prozeßvertreter auffordert, innerhalb der Frist seine Prozeßbevollmächtigung lückenlos bis hin zum Verfahrensbeteiligten oder seinem gesetzlichen Vertreter nachzuweisen. Im Streitfall ist von K kein solcher Nachweis verlangt worden. K ist entsprechend dem Wortlaut des § 62 Abs. 3 FGO lediglich aufgefordert worden, eine auf ihn lautende Prozeßvollmacht vorzulegen (vgl. zum insoweit gleichgelagerten Fall BFH-Urteil in BFHE 156, 1, BStBl II 1989, 514). Diesem Verlangen hat K mit der Vorlage der von U unterzeichneten Vollmacht innerhalb der Ausschlußfrist entsprochen.

2. Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Die Sache ist jedoch nicht entscheidungsreif. Das FG hat, von seiner Rechtsansicht ausgehend zutreffend, noch nicht die angefochtenen Investitionszulagebescheide auf ihre formelle und materielle Rechtmäßigkeit hin überprüft und die dafür erforderlichen Feststellungen getroffen.