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BFH-Urteil vom 14.3.1990 (I R 106/85) BStBl. 1990 II S. 813

Für die Sanierungseignung genügt es, wenn es der Forderungserlaß dem Einzelunternehmer ermöglicht, das von ihm betriebene Unternehmen aufzugeben, ohne von weiter bestehenden Schulden beeinträchtigt zu sein (vgl. auch BFH-Urteil vom 14. März 1990 I R 64/85, BFHE 161, 28, BStBl II 1990, 810).

EStG § 3 Nr. 66.

Vorinstanz: FG Hamburg (EFG 1985, 594)

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betrieb seit 1972 eine Handelsvertretung (teilweise verbunden mit Fertigung) und einen Großhandel für elektronische Erzeugnisse. Seit 1976 erwirtschaftete der Kläger negative Betriebsergebnisse. Die Lieferantenverbindlichkeiten und das Kapitalkonto entwickelten sich seit dem 31. Dezember 1974 wie folgt:

                                    Lieferanten-                Stand

   Stichtag                 verbindlichkeiten         Kapitalkonto

                                            DM                          DM

  

31.12.1974                               29.636,23               +  24.311,39

31.12.1975                              127.648,07               +  11.584,24

31.12.1976                              319.694,96              ./.  32.725,88

31.12.1977                              300.116,91             ./. 117.830,26

31.12.1978                               45.244,60               +  26.760,71.

Im Februar des Streitjahres machte der Kläger seinen Gläubigern einen Vergleichsvorschlag. Dieser lautete wie folgt:

"Der Vergleichsschuldner überläßt seinen Gläubigern sein gesamtes privates und Geschäftsvermögen zur Verwertung mit der Abrede, daß der durch die Verwertung nicht gedeckte Teil der Forderungen erlassen ist.

Falls die Verwertung des Vermögens weniger als 35 % der Forderungen der Vergleichsgläubiger erbringen sollte, erstreckt sich der Erlaß nicht auf den an 35 vom Hundert der Forderungen fehlenden Betrag.

Die Mindestquote von 35 % wird innerhalb einer Frist von 12 Monaten nach Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses an die Gläubiger in bar ausgeschüttet. Im Einvernehmen mit dem Vergleichsverwalter sind angemessene Abschlagszahlungen von jeweils mindestens 7 % zu leisten, sobald die Vergleichsmasse dies erlaubt.

Der zur rechnerischen Erfüllung des Vergleichs erforderliche Betrag von DM 1.128,29 wird vom Vergleichsschuldner aus Neuerwerb in die Masse gezahlt.

Zur Absicherung etwaiger Fehlbeträge im Schuldnervermögen an der gesetzlichen Mindestquote von 35 % werden zwei Höchstbetragsbürgschaften über je DM 5.000, - gestellt."

Mit Beschluß des Amtsgerichts X vom 27. Juni 1978 wurde über das Vermögen des Klägers das Vergleichsverfahren zur Abwendung des Konkurses eröffnet, in dessen Verlauf der Vergleichsvorschlag des Klägers am 19. Oktober 1978 angenommen und gerichtlich bestätigt wurde. Bereits im Februar des Streitjahres hatte die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) und ihre Mutter die S-GmbH (GmbH) gegründet. Unter der Geschäftsführung des Klägers führte die GmbH dessen Handelsvertretergeschäfte fort. Die Geschäftsräume des vom Kläger unterhaltenen Herstellungsbetriebes wurden zum 30. April 1978 gekündigt, die Liquidation des Einzelunternehmens zog sich mindestens bis zum Ende des Streitjahres hin.

Den vom Kläger durch den Vergleich vom 10. Oktober 1978 in Höhe von 197.044,41 DM erzielten außerordentlichen Ertrag erklärten die Kläger als steuerfreien Sanierungsgewinn. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) behandelte dagegen diesen Ertrag als Teil des steuerpflichtigen Gewinns aus Gewerbebetrieb und setzte die Einkommensteuer der Kläger für das Streitjahr mit dem angefochtenen Bescheid entsprechend fest. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage sah das Finanzgericht (FG) als begründet an (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1985, 594).

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 3 Nr. 66 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet; sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat zu Recht die Steuerfreiheit des Gewinns bejaht, der dadurch entstanden ist, daß die Gläubiger auf ihre Forderungen verzichteten.

Eine Betriebsvermögensmehrung durch Schulderlaß ist nach der Rechtsprechung eine Sanierungsmaßnahme gemäß § 3 Nr. 66 EStG, wenn das Unternehmen sanierungsbedürftig ist, die Gläubiger in Sanierungsabsicht handeln und der Schulderlaß sanierungsgeeignet ist (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. Februar 1985 IV R 177/83, BFHE 143, 531, BStBl II 1985, 504). Fehlt nur eine der Voraussetzungen, ist der Schulderlaß kein solcher "zum Zwecke der Sanierung" und die Betriebsvermögensmehrung nicht steuerfrei.

Soweit das FG die zwischen den Beteiligten nicht strittige Sanierungsbedürftigkeit des Klägers und die Sanierungsabsicht der Gläubiger bejaht hat, lassen seine Ausführungen keine Rechtsfehler erkennen.

Das FG hat - entgegen der Ansicht des FA - zu Recht auch die Sanierungseignung bejaht.

Der Senat kann dabei offenlassen, ob es - wie der Kläger vorbringt - zutrifft, daß der Handelsvertretervertrag nicht auf die GmbH "umgeschrieben" worden sei und er den Handelsvertretervertrag fortgeführt habe. Offen kann auch bleiben, ob die Sanierung nicht letztlich dadurch ermöglicht wurde, daß der Handelsvertretervertrag von der GmbH fortgeführt wurde und damit die Voraussetzungen einer übertragenden Sanierung vorlagen (BFH-Urteil vom 24. April 1986 IV R 282/84, BFHE 146, 549, BStBl II 1986, 672). Die Voraussetzungen einer steuerfreien Sanierung gemäß § 3 Nr. 66 EStG liegen auch dann vor, wenn der Kläger sein Unternehmen liquidiert haben sollte und von keiner Fortführung durch die GmbH auszugehen wäre.

Umstritten ist, ob die Sanierung eines Unternehmens entscheidend ist, oder ob es genügt, daß die das Unternehmen betreibende Person saniert wird.

Das Urteil des Reichsfinanzhofs (RFH) vom 16. Dezember 1936 VI A 725/36 (RStBl 1937, 436) erkannte einen steuerfreien Sanierungsgewinn auch an, wenn der Betrieb des Schuldners als solcher mehr oder weniger erledigt oder ganz erledigt war, die Gläubiger aber dem Schuldner persönlich nicht jedes wirtschaftliche Dasein durch Fortbestand unerfüllbarer Schulden unmöglich machen wollten. Als Beispiel erwähnt das Urteil dabei, daß sich der Schuldner ins Privatleben zurückzieht, einen neuen Betrieb aufmacht oder sich in ein unselbständiges Angestelltenverhältnis begibt. Das RFH-Urteil vom 12. Oktober 1938 VI 621/38 (RStBl 1939, 86) läßt es genügen, daß durch die Einigung dem Schuldner ein wirtschaftliches Bestehen als Angestellter oder in irgendeiner anderen Tätigkeit ermöglicht wird, ohne daß er Gefahr zu laufen hätte, durch die alten Schulden weiterhin erdrückt zu werden. Im selben Sinne äußern sich die RFH-Urteile vom 4. Mai 1938 VI 192/38 (Steuer und Wirtschaft - StuW - 1938, 300), und vom 14. November 1938 VI 495/38 (RStBl 1939, 117).

Der BFH hat bislang zu der Frage nicht eindeutig Stellung genommen. Das Urteil vom 25. Februar 1972 VIII R 30/66 (BFHE 105, 260, BStBl II 1972, 531) verneint die Sanierungseignung, weil die Sanierung nicht geeignet war, das sanierungsbedürftige Unternehmen vor dem Zusammenbruch zu bewahren und wieder ertragsfähig zu machen (im selben Sinne BFH-Urteil vom 12. März 1970 IV R 39/69, BFHE 99, 27, BStBl II 1970, 518). Das BFH-Urteil in BFHE 105, 260, BStBl II 1972, 531 hatte keinen Anlaß, zu der Streitfrage Stellung zu nehmen, weil der Erlaß der Verbindlichkeiten im entschiedenen Fall angesichts der Höhe der Schulden von vornherein nicht geeignet war, dem Steuerpflichtigen den Rückzug ins Privatleben zu ermöglichen, ohne von den Verbindlichkeiten erdrückt zu werden.

Das Urteil vom 22. Januar 1985 VIII R 37/84 (BFHE 143, 420, BStBl II 1985, 501) verneint zwar die Steuerfreiheit des durch einen Forderungsverzicht entstehenden Gewinns, weil die Klägerin in dem entschiedenen Fall nicht spätestens im zeitlichen Zusammenhang mit dem Schulderlaß eine eigene werbende Tätigkeit aufgenommen hatte. Die Klägerin war jedoch eine GmbH & Co. KG, bei der keine natürliche Person für die Verbindlichkeiten unbeschränkt haftete; die von den RFH-Urteilen herangezogenen Gesichtspunkte spielten daher keine Rolle. Entsprechendes gilt für das Urteil vom 7. Februar 1985 IV R 177/83 (BFHE 143, 531, BStBl II 1985, 504), das ebenfalls für eine GmbH & Co. KG die Möglichkeit einer "unternehmerbezogenen" Sanierung verneint (vgl. auch BFH-Urteil vom 24. April 1986 IV R 31/85, BFH/NV 1987, 635). Das BFH-Urteil in BFHE 146, 549, BStBl II 1986, 672, das den Fall einer übertragenden Sanierung einer OHG betraf, ließ offen, ob es der Rechtsprechung des RFH folgen könne. Es bejahte die Steuerfreiheit des entstandenen Gewinns, weil die Gläubiger der OHG die Forderungen im Interesse einer Fortführung des Unternehmens durch eine neugegründete GmbH erlassen hatten, auf die das Unternehmen der OHG übertragen wurde.

Die Rechtsprechung der FG ist teilweise der Rechtsprechung des RFH gefolgt (vgl. Urteil des Niedersächsischen FG vom 2. Juni 1981 VIII 444/80, EFG 1982, 64, das allerdings die Frage bei der Voraussetzung der Sanierungsabsicht behandelt; a.A. Niedersächsisches FG, Urteil vom 19. Juni 1984 VII 49/79, EFG 1985, 61, rechtskräftig).

Das Schrifttum schließt sich teilweise der Ansicht des RFH an (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 3 EStG Anm. 459; Meincke in Littman/Bitz/Meincke, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 3 Rdnr. 241, und Werner, Finanz-Rundschau - FR - 1987, 539; a.A. von Beckerath in Kirchhof/Söhn, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 3 B 66/99; Fichtelmann, FR 1984, 325, 330 li. Sp.; Frotscher, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 3 Rdnr. 331; Geist, Insolvenzen und Steuern, 3. Aufl., S. 205 in Anm. 739; Heinicke, FR 1987, 269; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 8. Aufl., § 3 Stichwort: "Sanierungsgewinn", und Ströfer, StuW 1982, 231/236 Fn. 56).

Nach Ansicht des Senats genügt es für das Merkmal der Sanierungseignung, wenn es der Forderungserlaß dem Einzelunternehmer ermöglicht, das von ihm betriebene Unternehmen aufzugeben, ohne von weiterbestehenden Schulden beeinträchtigt zu sein.

Nach dem Wortlaut des § 3 Nr. 66 EStG bezieht sich die Sanierung nicht auf ein Unternehmen. Dem steht nicht entgegen, daß der Gewinn, der durch den Erlaß von Schulden entstehen kann, nur in einem Betrieb anfallen kann. Dies schließt nämlich nicht aus, daß der Schulderlaß nicht die Sanierung des Unternehmens, sondern des Unternehmers bezweckt.

Die Auslegung entspricht dem Sinn der Vorschrift. Durch sie soll der Erlaß von Forderungen begünstigt werden, die nicht mehr vollwertig sind, deren Fortbestand jedoch den Schuldner in seiner Existenz bedroht. Bestünde die Steuerfreiheit nicht, könnte es durch den Erlaß zum Anfall von Einkommensteuer kommen. Dies würde einerseits den Gläubiger oft daran hindern, den Erlaß auszusprechen, zum anderen würde es den Zweck des Erlasses teilweise beeinträchtigen. Nach dem so verstandenen Sinn des § 3 Nr. 66 EStG ist die Vorschrift auch dann anzuwenden, wenn der Erlaß dazu dient, einem Einzelunternehmer eine steuerfreie Liquidation seines Betriebes zu ermöglichen.

Die Auslegung entspricht der Rechtsprechung zur steuerfreien Sanierung, die - soweit natürliche Personen betroffen sind - auf den Unternehmer abstellt. So schließt Privatvermögen die Sanierungsbedürftigkeit u.U. aus (vgl. BFH-Urteil vom 25. Oktober 1963 I 359/60 S, BFHE 78, 308, BStBl III 1964, 122).

Unterhält ein Steuerpflichtiger mehrere Betriebe, wird auf die Sanierungsbedürftigkeit aller Betriebe abgestellt (BFH-Urteil in BFHE 78, 308, BStBl III 1964, 122). Die vom Senat vertretene Auffassung entspricht dem System des EStG. Subjekt der Einkommensteuer ist nicht der Betrieb, sondern die natürliche Person. Auf den Betrieb kommt es nur insoweit an, als das Betriebsvermögen Grundlage für die Ermittlung der Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 EStG bildet.

Die unternehmerbezogene Auslegung des § 3 Nr. 66 EStG ist verfassungskonform. Aus Art. 3 des Grundgesetzes (GG) folgt das Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 22. Februar 1984 1 BvL 10/80, BVerfGE 66, 214, BStBl II 1984, 357). Mit der Regelung in § 3 Nr. 66 EStG wird erreicht, daß ein nicht mehr leistungsfähiger Schuldner nicht aufgrund von Maßnahmen zur Einkommensteuer herangezogen werden wird, die dazu dienen, seine Leistungsfähigkeit wieder herzustellen. Dieser Gesichtspunkt trifft auch auf den Fall zu, daß die Leistungsfähigkeit nicht gerade im Hinblick auf den Betrieb hergestellt wird, in dem die Schulden begründet sind, die erlassen werden.