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  BFH-Urteil vom 10.7.1990 (VII R 12/88) BStBl. 1990 II S. 929

Die Kraftfahrzeugsteuererhöhung für das Halten nicht schadstoffarmer Personenkraftwagen, auch soweit sie nicht umrüstbar sind, und die (nicht rückwirkende) Neufestsetzung der erhöhten Steuer für das Halten bereits zugelassener Fahrzeuge begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

KraftStG 1979 § 9 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c, aa, § 12 Abs. 2 Nr. 1, § 18 Abs. 1; Ges. über steuerliche Maßnahmen zur Förderung des schadstoffarmen Personenkraftwagens vom 22. Mai 1985 (Art. 3); GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

I.

Für das Halten eines für den Kläger am 2. März 1983 zugelassenen PKW setzte das beklagte und revisionsbeklagte Finanzamt (FA) mit Bescheid vom 24. März 1983 unbefristet Kraftfahrzeugsteuer nach dem Satz von 14,40 DM/100 ccm Hubraum fest. Mit Bescheid vom 17. März 1986 wurde die Kraftfahrzeugsteuer gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) 1979 i.d.F. des Gesetzes über steuerliche Maßnahmen zur Förderung des schadstoffarmen Personenkraftwagens vom 22. Mai 1985 (BGBl I 1985, 784, BStBl I 1985, 211) für die Zeit ab 1. Januar 1986 nach einem Satz von 18,80 DM/100 ccm Hubraum neu festgesetzt (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c, aa KraftStG 1979 i.d.F. des Gesetzes vom 22. Mai 1985).

Die nach erfolglos gebliebenem Einspruch erhobene Klage, mit der der Kläger die Verfassungswidrigkeit der der Neufestsetzung zugrundegelegten Vorschriften rügte, wurde abgewiesen. Das Finanzgericht (FG) verneinte eine Verfassungswidrigkeit der Vorschriften und führte im einzelnen unter Bezugnahme auf seine Urteile vom 25. Februar und 19. März 1987 XIII 6514/86 und 4632/86 Kfz (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1987, 475, 477) aus, diese verstießen nicht gegen das Willkürverbot (Art. 3 des Grundgesetzes - GG -). Die Höherbesteuerung des Haltens nicht schadstoffarmer PKW sei im Hinblick auf den damit bezweckten Umweltschutz sachlich gerechtfertigt. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz liege nicht darin, daß die Höherbesteuerung auch das Halten nicht schadstoffarmer PKW betreffe, die nicht umgerüstet werden könnten. Eine weitergehende Differenzierung nach solchen Fahrzeugen und umrüstbaren PKW sei nicht zu verlangen, ein Zwang zum Verkauf nicht umrüstbarer PKW werde durch die maßvolle Steuererhöhung nicht ausgeübt. Die Steuererhöhung sei nicht unverhältnismäßig und verstoße nicht gegen Art. 14 GG. Ein Fall echter Rückwirkung liege nicht vor. Aus der unbefristeten Kraftfahrzeugsteuerfestsetzung (Bescheid vom 24. März 1983) lasse sich keine über die allgemeinen Grundsätze des Rückwirkungsverbots und des Vertrauensschutzes hinausgehende Bindung des Gesetzgebers ableiten.

Mit der Revision gegen dieses Urteil macht der Kläger geltend, als zulässige Maßnahme zur Förderung des Umweltbewußtseins gehe die Steuererhöhung fehl, weil der vorgegebene Zweck - Verringerung des Schadstoffanfalls - bezüglich der Altfahrzeuge nicht bewirkt werde. Selbst bei einer Veräußerung bleibe die Nutzung, wenn auch in andere Hand weitergegeben. Es sei rechtsmißbräuchlich, wenn der Gesetzgeber unter dem Vorwand der Umweltverbesserung lediglich Mehreinnahmen erziele, die nicht zweckgebunden seien. Nur bezüglich der umrüstbaren Fahrzeuge könne das Gesetz seinem behaupteten Auftrag dienen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG hat richtig entschieden, daß gegen die Rechtsvorschriften, auf denen die angegriffene Höherbesteuerung beruht, keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (in gleichem Sinne außer den vom FG angeführten Entscheidungen Urteile des Niedersächsischen FG vom 19. März 1987 III 457/86, EFG 1987, 636, und des FG München vom 22. Oktober 1987 X 277/86 Kraft, EFG 1988, 325; FG Düsseldorf, Beschluß vom 2. Mai 1986 III 376/86 A, EFG 1987, 44; Högl, Deutsche Verkehrsteuer-Rundschau 1988, 132).

1. Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Voraussetzung für die Übereinstimmung einer (Steuer-)Regelung mit dem Gleichheitssatz ist lediglich, daß die vom Gesetzgeber gewählte Differenzierung auf sachgerechten Erwägungen beruht; seine Gestaltungsfreiheit endet erst dort, wo es an einem sachlichen Grund für die Gleich- oder Ungleichbehandlung fehlt (z.B. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Urteil vom 10. Februar 1987 1 BvL 18/81 und 20/82, BStBl II 1987, 240, 245, mit Nachweisen; Senat, Urteil vom 26. Juni 1984 VII R 60/83, BFHE 141, 369, 377, 381).

a) Zu den Erwägungen, von denen der Steuergesetzgeber sich leiten lassen darf, gehören auch Gesichtspunkte des Umweltschutzes (vgl. Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum GG, 6. Aufl. 1983, Art. 3 Anm. 31 mit Hinweis auf den Beschluß des BVerfG vom 2. Oktober 1969 1 BvL 12/68, BVerfGE 27, 58, 65 - Verkehrspolitik -). Solche Gesichtspunkte liegen der vom Kläger beanstandeten Regelung zugrunde. Die Höherbesteuerung des Haltens nicht schadstoffarmer PKW steht in engem Zusammenhang mit der kraftfahrzeugsteuerrechtlichen Förderung der schadstoffarmen PKW. Durch deren vermehrte Verwendung - anstelle von nicht umgerüsteten Altfahrzeugen - soll die Belastung durch Schadstoffe in den Abgasen der Kraftfahrzeuge gemindert werden. Zum Ausgleich für die durch die Kraftfahrzeugsteuerbefreiung des Haltens schadstoffarmer PKW bedingten Steuerausfälle - nicht zur Erzielung von Mehreinnahmen - ist der Steuersatz für herkömmliche Fahrzeuge erhöht worden (Begründung zu dem Entwurf des Gesetzes vom 22. Mai 1985, BTDrucks 10/2523, S. 7 f.). Damit wird zugleich der Anreiz zum Erwerb eines schadstoffarmen PKW verstärkt (Zeller, Deutsche Steuer-Zeitung 1985, 523, 530). Diese Gesichtspunkte rechtfertigen die Differenzierung in der kraftfahrzeugsteuerrechtlichen Behandlung schadstoffarmer PKW (Steuerbefreiung oder auch niedrigere Steuer) und anderer Fahrzeuge (Steuererhöhung). Das gilt auch insoweit, als die Höherbesteuerung das Halten nicht schadstoffarmer PKW betrifft, die nicht umgerüstet werden können. Der Betrieb solcher Fahrzeuge belastet die Umwelt nicht anders als der Verkehr mit herkömmlichen PKW, die umrüstbar sind. Eine Ausnahme jener Fahrzeuge von der Steuererhöhung hätte, wie das FG zutreffend ausführt, die Praktikabilität der ohnehin komplizierten Gesamtregelung in Frage gestellt. Vor allem aber wäre eine begünstigende Sonderbehandlung nicht umrüstbarer Altfahrzeuge nicht systemgerecht. Sie hätte bei den betroffenen Fahrzeughaltern den Anreiz zur Beschaffung "umweltfreundlicher" Fahrzeuge wenn nicht beseitigt, so jedenfalls vermindert, voraussichtlich auch zu einer verstärkten Nachfrage nach nicht umrüstbaren Altfahrzeugen und zu deren weiterer, umweltpolitisch nicht erwünschten Verwendung geführt (vgl. FG München in EFG 1988, 325 f.; Högl, a.a.O., S. 133). Selbst wenn sich damit innerhalb der Gruppe der nicht schadstoffarmen PKW eine Differenzierung noch nicht verboten haben sollte, war es nicht unsachgemäß, von einer Sonderbehandlung der nicht umrüstbaren Fahrzeuge im Hinblick auf deren Schadstoffausstoß abzusehen. Die entsprechende Entscheidung des Steuergesetzgebers hält sich im Rahmen seiner grundsätzlichen Befugnis, der Besteuerung aus Gründen der Praktikabilität pauschale Maßstäbe zugrunde zu legen und sich mit einer "Typengerechtigkeit" zu begnügen (vgl. BVerfG, Beschluß vom 6. Dezember 1983 2 BvR 1275/79, BVerfGE 65, 325, 354, BStBl II 1984, 72, 77; BFHE 141, 369, 377).

b) Nicht durchgreifen kann die Rüge der Revision, bei nicht umrüstbaren Fahrzeugen verfehle die Steuererhöhung ihren Zweck. Eine Steuerregelung ist nicht schon dann willkürlich, wenn die mit ihr verbundenen Zielsetzungen nicht erreicht werden; entscheidend ist vielmehr, ob der Gesetzgeber die Regelung als taugliches Mittel zum Erreichen seiner Ziele angesehen hat und sie so ansehen konnte (Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 29. April 1988 VI R 74/86, BFHE 153, 363, 372, BStBl II 1988, 674). Letzteres trifft hier zu. Die Erwartung, infolge der Kraftfahrzeugsteuerregelung werde eine Vielzahl von nicht schadstoffarmen PKW nach und nach abgegeben, womöglich aus dem Verkehr gezogen werden, war nicht unberechtigt. Zwar ist es richtig, daß eine Veräußerung zur Weiterbenutzung noch keine Entlastung der Umwelt bewirkt, doch steht jeder weitere Halter vor der Frage - mit dem Alter des Fahrzeugs zunehmend -, ob der Betrieb noch lohnend und die Zurückziehung des Fahrzeugs aus dem Verkehr nicht angezeigt ist. Auf eine solche Wirkung hin ist das Gesetz angelegt. Daß sie tatsächlich eintreten werde, konnte bei Erlaß des Gesetzes angenommen werden.

2. Sonstige verfassungsrechtliche Bedenken bringt die Revision nicht vor. Sie sind auch nicht ersichtlich.

a) Daß die um 4,40 DM/100 ccm Hubraum erhöhte Kraftfahrzeugsteuer den Halter nicht übermäßig belastet, sie keine gegen Art. 14 GG verstoßende "erdrosselnde" Wirkung übt, hat das FG richtig entschieden. Der Halter wird auch nicht etwa gezwungen, sein nicht schadstoffarmes Fahrzeug aufzugeben. Nimmt er die - maßvolle - Steuererhöhung in Kauf, so bleibt das Fahrzeug auf ihn zum Verkehr auf öffentlichen Straßen zugelassen. Schon mit Rücksicht auf diese Möglichkeit kann ein Eingriff in das Eigentum nicht darin gesehen werden, daß bei einer Veräußerung ein voraussichtlich geringerer Erlös erzielt, die Veräußerung also in - nur - diesem Sinne erschwert wird. Eine Erdrosselung durch Abschneiden der Möglichkeit, den Steuertatbestand zu erfüllen (vgl. BVerfG, Beschluß vom 17. Juli 1974 1 BvR 51/69 usw., BVerfGE 38, 61, 80 mit Hinweis auf ältere Rechtsprechung; BFHE 141, 369, 383), ist mithin nicht gegeben. Vor Verlusten, die sich bei einer freiwilligen Veräußerung ergeben könnten, schützt Art. 14 Abs. 1 GG nicht.

b) Die Steuererhöhung gilt für die Fahrzeughaltung ab 1. Januar 1986, also für eine Zeit innerhalb des hier maßgeblichen jährlichen Entrichtungszeitraums, der unverändert geblieben ist (§ 18 Abs. 1 Satz 1 KraftStG 1979). Die Kraftfahrzeugsteuer ist dementsprechend neu festgesetzt worden (§ 12 Abs. 2 Nr. 1, § 18 Abs. 1 Satz 2 KraftStG 1979, beide in der Fassung des Gesetzes vom 22. Mai 1985). Ein Verstoß gegen das rechtsstaatliche Prinzip der Rechtssicherheit (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) liegt darin nicht. Das BVerfG unterscheidet teils zwischen (grundsätzlich unzulässiger) echter Rückwirkung und (grundsätzlich möglicher) unechter Rückwirkung, teils zwischen der zeitlichen Rückbewirkung von Rechtsfolgen und der tatbestandlichen Rückanknüpfung einer Norm (hierzu näher BFH, Urteil vom 26. August 1986 IX R 54/81, BFHE 148, 17, 19 f, BStBl II 1987, 57 mit Nachweisen). Eine echte Rückwirkung im Sinne eines nachträglichen Eingreifens in abgeschlossene, der Vergangenheit angehörende Sachverhalte liegt ebensowenig vor wie eine zeitliche Rückbewirkung (Eintritt von Rechtsfolgen für einen vor Verkündung der Norm liegenden Zeitraum). Die Steuererhöhung, die zu der Neufestsetzung geführt hat, betrifft keinen bereits abgeschlossenen Sachverhalt, sondern das Halten des Fahrzeugs ab 1. Januar 1986 (vgl. FG Münster in EFG 1987, 475 f); § 12 Abs. 2 Nr. 1 KraftStG 1979 n.F. - Neufestsetzung wegen Änderung des Steuersatzes - und § 9 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG 1979 n.F., in Kraft getreten am 1. Juli 1985 (Art. 3 des Gesetzes vom 22. Mai 1985), greifen erst für die Zeit ab 1. Januar 1986 ein. Hierbei handelt es sich um eine unechte Rückwirkung - Einwirkung auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft- bzw. Rückanknüpfung, bei der die Rechtsfolgen der Norm von Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung abhängen (Senat, Urteile vom 15. Juli 1986 VII R 178/83, BFHE 147, 190, 192, BStBl II 1986, 735, und vom 12. August 1986 VII R 169/83, BFHE 147, 269, 275, BStBl II 1986, 821; Klein/Olbertz, KraftStG, 2. Aufl. 1987, § 9 Anm. 2 - unechte Rückwirkung -; anders FG Münster, a.a.O., das eine Fallgestaltung eigener Art annimmt, die jedoch nach den bei unechter Rückwirkung geltenden Grundsätzen zu beurteilen sei). Eine solche Wirkung ist grundsätzlich zulässig; die Zulässigkeit ist nur zu verneinen - ausnahmsweise -, wenn ein überwiegendes schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen auf eine bestehende günstigere Rechtslage anzuerkennen ist. Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht vor. Zwar wird davon auszugehen sein, daß ein Vertrauen in den unveränderten Fortbestand der geltenden Rechtslage erst mit dem Zeitpunkt des endgültigen Gesetzesbeschlusses weggefallen sein kann (BVerfG, Beschluß vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 261, BStBl II 1986, 628, 647). Die vor dem Gesetzesbeschluß bestehende Erwartung, die Kraftfahrzeugsteuer werde während eines laufenden Entrichtungszeitraums nicht erhöht (und nicht entsprechend neu festgesetzt), war jedoch nicht schutzwürdig. Grundsätzlich kann der Bürger nicht darauf vertrauen, daß der Gesetzgeber von der Erhebung zusätzlicher Steuern absehen werde (z.B. BVerfG, Beschluß vom 29. Oktober 1987 1 BvR 672/87, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1989, 152). Ein solches Vertrauen ist bei einer Erhöhung der Kraftfahrzeugsteuer mit rückanknüpfender Wirkung insbesondere deshalb nicht schützenswert, weil dieser Steuer wegen ihrer Zukunftsbezogenheit eine gewisse "Vorläufigkeit" anhaftet (so richtig FG Münster in EFG 1987, 475, 477; vgl. auch BVerfGE 72, 200, 255, BStBl II 1986, 628, 645: Vorläufigkeit des Einkommensteuerrechts vor Ablauf des Veranlagungszeitraums). Dieser Umstand schließt es auch aus, das Vertrauen in eine nicht erfolgende Erweiterung der Vorschrift über die Neufestsetzung zu berücksichtigen. Der Bescheid als solcher vermag den Gesetzgeber ohnehin nicht zu binden. Ein bloß in die Bestandskraft gesetztes Vertrauen ist unbeachtlich. Im übrigen würde selbst bei Anerkennung eines schutzwürdigen Vertrauens die Interessenabwägung zugunsten des mit der Gesetzesänderung bezweckten Schutzes der Umwelt ausfallen. Dieses Gesetzesziel hat einen hohen Stellenwert. Ihm gegenüber tritt die - geringfügige - Belastung durch die Steuererhöhung deutlich in den Hintergrund.