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  BFH-Urteil vom 27.3.1990 (VII R 26/89) BStBl. 1990 II S. 939

Die Haftung der Gesellschafter einer GbR für Steuerschulden der Gesellschaft kann nicht durch Vereinbarungen der Gesellschafter auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt werden.

AO 1977 § 191, § 38; BGB § 427, § 714.

Vorinstanz: FG Bremen (EFG 1989, 153)

Sachverhalt

I.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nahm den Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) als Gesellschafter neben seinem Mitgesellschafter S durch Haftungsbescheid vom 30. Juni 1981 für Umsatz-, Lohn und Lohnkirchensteuer sowie für Beiträge zur Arbeitnehmerkammer und Säumniszuschläge 1979 und 1980 in Höhe von insgesamt 9.681,47 DM der H.S. Elektrobau, H.B. Ing. (grad.) Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) in Anspruch.

Die nach erfolglosem Vorverfahren mit dem Ziel der Aufhebung des Haftungsbescheids erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob den Haftungsbescheid mit der in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1989, 153 veröffentlichten Begründung auf.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.

Das FG habe übersehen, daß § 714 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) keine umfassende Regelung über die Haftung der GbR-Gesellschafter beinhalte. Diese Vorschrift regele nur die Haftung der Gesellschafter, die sich aus rechtsgeschäftlichen Vertretungshandlungen der Mitgesellschafter ergebe. Der Anspruch des FA auf Zahlung von Betriebsteuern der GbR sei aber nicht Gegenstand von Rechtshandlungen des Geschäftsführers der Gesellschaft, sondern allenfalls deren Folge.

Die Auffassung des FG führe dazu, daß durch privatrechtliche Vereinbarungen in das öffentlich-rechtliche, gesetzliche Steuerschuldverhältnis eingegriffen und durch privatrechtlichen Vertrag die Haftung für Steuerschulden abgedungen werden könne. Ein gesetzliches Schuldverhältnis könne aber nur durch Gesetz, nicht durch privatrechtlichen Vertrag, eingeschränkt oder geändert werden. Es gebe keinen privatrechtlichen Austritt aus der öffentlich-rechtlichen Steuerpflicht.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Das durch Senatsbeschluß vom 19. Dezember 1989 abgetrennte Verfahren über Lohn- und Lohnkirchensteuer sowie über Säumniszuschläge zur Lohnsteuer und Beiträge zur Arbeitnehmerkammer wird mit dem Verfahren über Umsatzsteuer und Säumniszuschläge zur Umsatz- und Gewerbesteuer zur einheitlichen Entscheidung verbunden (§ 73 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

III.

Die Revision des FA ist hinsichtlich der Umsatz- und Lohnsteuer und der Säumniszuschläge begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

Hinsichtlich der Lohnkirchensteuer und der Beiträge zur Arbeitnehmerkammer ist die Revision unzulässig (Art. 6 letzter Halbsatz des Gesetzes zur Ausführung der Finanzgerichtsordnung in Bremen, BStBl II 1966, 97).

1. Das FG hat die Haftung des Klägers als Gesellschafter der zwischen ihm und S begründeten GbR für Umsatzsteuerschulden und Nebenleistungen dieser Gesellschaft im Grundsatz zu Recht bejaht.

a) Nach § 191 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Diese Vorschrift umfaßt auch die Haftungsansprüche nach zivilem Recht, so daß insoweit gegenüber der früheren Regelung in § 113 der Reichsabgabenordnung (AO) keine Änderung eingetreten ist. Für den Haftungsbescheid in § 191 Abs. 1 AO 1977 kommt es lediglich darauf an, daß die Gesellschafter kraft Gesetzes für die Steuerschulden der GbR einzustehen haben. Wenn Gesellschaften als solche der Besteuerung unterliegen (Umsatz- und Gewerbesteuer) gelten für die persönliche Haftung der Gesellschafter sinngemäß die Vorschriften des bürgerlichen Rechts (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 14. Dezember 1966 1 BvR 496/65, BVerfGE 21, 6, 10).

Nach der Rechtsprechung des Senats ergibt sich die persönliche, gesamtschuldnerische Haftung der Gesellschafter einer GbR aus den Rechtsgedanken der §§ 421, 427 BGB (Senatsurteil vom 23. Oktober 1985 VII R 187/82, BFHE 145, 13, BStBl II 1986, 156, bestätigt durch Urteil vom 27. Juni 1989 VII R 100/86, BFHE 158, 1, BStBl II 1989, 952). Auf diese Entscheidungen wird Bezug genommen.

b) Das FG ist im Ergebnis auch zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger grundsätzlich für die Lohnsteuer und die damit zusammenhängenden Säumniszuschläge haftet. Der Senat kann es in diesem Punkt offenlassen, ob sich die Haftung - wie vom FG angenommen - aus § 191 Abs. 1 AO 1977 i.V.m. den zur Umsatzsteuer dargestellten allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen oder aus § 42d des Einkommensteuergesetzes (EStG) ergibt. Geht man davon aus, daß Arbeitgeber i.S. von § 42d EStG die einzelnen Gesellschafter der GbR sind (Senatsurteil vom 19. Januar 1988 VII R 161/84, BFH/NV 1988, 615, 617, und Urteil vom 25. März 1983 VI R 207/82, nicht veröffentlicht - NV -; Urteile des Bundesarbeitsgerichts - BAG - vom 16. Oktober 1974 4 AZR 29/74, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1975, 710, und vom 6. Juli 1989 6 AZR 771/87, NJW 1989, 3034), so ergibt sich die Haftung des Klägers für Lohnsteuer aus § 191 Abs. 1 AO 1977 i.V.m. § 42d EStG. Geht man hingegen mit der vom Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 11. Mai 1976 7 RAr 120/74 (Sozialrecht 4100, § 4 Nr. 2) vertretenen Auffassung davon aus, daß nicht die einzelnen Gesellschafter der GbR, sondern die eine Gemeinschaft bildende Gesamtheit der Gesellschafter Arbeitgeber der von der Gesellschaft beschäftigten Arbeitnehmer sei, so ergibt sich die Haftung des Klägers aus § 191 Abs. 1 AO 1977 i.V.m. den oben dargestellten allgemeinen Grundsätzen der Gesellschafterhaftung.

2. Der Senat folgt nicht der Auffassung des FG, die Haftung der Gesellschafter einer GbR könne durch privatrechtliche Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag beschränkt oder gar ausgeschlossen werden. Der zivilrechtlich zulässige Haftungsausschluß kann sich nur auf rechtsgeschäftlich begründete Gesellschaftsverbindlichkeiten, nicht aber auf Verbindlichkeiten, die - wie Steuerschulden - kraft Gesetzes entstehen, auswirken. Soweit die Haftung für Lohnsteuer auf § 42d EStG gestützt wird, kommt eine Haftungsbeschränkung ohnehin nicht in Betracht.

a) Eine ausdrückliche Regelung darüber, mit welchem Vermögen die Gesellschafter einer GbR haften, findet sich im Gesetz nicht. In § 733 BGB werden zwar die "gemeinschaftlichen Schulden" angesprochen, womit die Gesellschafter aber haften, bleibt offen. § 708 BGB regelt lediglich den Haftungsmaßstab, ist aber selbst keine Haftungsgrundlage und gilt zudem nur im Außenverhältnis (Kornblum, Die Haftung der Gesellschafter für Verpflichtungen von Personengesellschaften 1972, S. 29, Fn. 2) Aus den Vorschriften der §§ 714, 427, 431 BGB läßt sich nur entnehmen, daß die GbR-Gesellschafter, soweit sie für Gesellschaftsschulden haften, Gesamtschuldner sind. Auch die Gesetzesmaterialien sind zu dieser Frage unergiebig (dazu im einzelnen Nicknig, Die Haftung der Mitglieder der BGB-Gesellschaft, 1979, S. 3 ff.). Im Interesse einer ausreichenden Gläubigersicherung wird jedoch für das Zivilrecht angenommen, daß die Gesellschafter einer GbR den Gesellschaftsgläubigern unmittelbar auch mit ihrem Privatvermögen, also persönlich unbeschränkt haften (Nachweise bei Kornblum, a.a.O., S. 9, Fn. 4).

b) Dieser Grundsatz gilt auch im Steuerrecht. Der Umfang der steuerlichen Haftung richtet sich grundsätzlich nach dem Umfang der Steuerschuld, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes angeordnet ist (Tipke/Lang, Steuerrecht, 12. Aufl., 1989, § 7.3, S. 150). Für die Steuerschuld wird in der Regel unbeschränkt, d.h. mit dem gesamten persönlichen Vermögen gehaftet.

Steuerrechtliche Haftungsbeschränkungen sieht das Gesetz lediglich in den §§ 74, 75, 76 AO 1977 vor, die im Streitfall keine Anwendung finden.

c) Richtig ist, daß zivilrechtlich eine aus § 714 BGB hergeleitete Beschränkung der Gesellschafterhaftung für Verbindlichkeiten der Gesellschaften anerkannt ist. Nach § 714 BGB ist ein geschäftsführender Gesellschafter nur "im Zweifel" ermächtigt, die anderen Gesellschafter Dritten gegenüber zu vertreten. Daraus wird gefolgert, daß die Vertretungsmacht beschränkt werden kann. Es wird daher für das Zivilrecht überwiegend die Auffassung vertreten, daß die Vertretungsmacht des geschäftsführenden Gesellschafters so eingeschränkt werden kann, daß es ihm nur gestattet ist, Verpflichtungen mit Wirkung für und gegen das Gesellschaftsvermögen (Gesamthandsvermögen), nicht aber für und gegen die einzelnen Gesellschafter zu begründen. Auf diesem Wege wird eine - allerdings nur zivilrechtlich wirkende - Haftungsbeschränkung erreicht (Oberlandesgericht - OLG - Hamm, Urteil vom 7. Dezember 1984 20 U 151/84, NJW 1985, 1846; Ulmer im Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Aufl., 1986, 2. Halbband, § 714 Rdnr. 34; Hadding in Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, Bd. 4, 11. Aufl., 1985, § 714 Rdnr. 25; Staudinger/Kessler, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 11. Aufl. 1975, § 714 Rdnr. 12; Flume, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 1. Band, 1. Teil, Die Personengesellschaft, § 16 IV 4, S. 332 ff.; Nicknig, a.a.O., S. 15. ff.; Kornblum, a.a.O., S. 15 ff.).

3. Nach den Feststellungen des FG, an die der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, haben der Kläger und sein Mitgesellschafter ihre Vertretungsbefugnis beschränkt mit der Maßgabe, daß jeder den anderen Gesellschafter nur mit dem Vermögen der Gesellschaft haftbar machen dürfe. Daraus ergibt sich eine Beschränkung des Umfangs der persönlichen Haftung. Diese Haftungsbeschränkung kann der Kläger aber nur solchen Gläubigern der Gesellschaft entgegenhalten, deren Ansprüche vertraglicher Natur sind und mit denen die Haftungsbeschränkung zum Inhalt des entsprechenden Rechtsgeschäfts gemacht worden ist (vgl. Flume, a.a.O., S. 334 ff.).

a) Die im zivilen Recht anerkannte Haftungsbeschränkung beruht auf der allgemeinen als herrschende Meinung anzusehenden Theorie der rechtsgeschäftlichen Doppelverpflichtung der Gesellschafter (dazu Ulmer, a.a.O., § 714 Rdnr. 24; Hadding, a.a.O., § 714 Rdnr. 10). Sie geht davon aus, daß die vertretungsberechtigten Gesellschafter im Rahmen des § 714 BGB nicht nur im Namen der Gesellschaft, sondern zugleich im Namen der Gesellschafter als Einzelperson handeln. Das Rechtsgeschäft mit dem Ausschluß der persönlichen Haftung der Gesellschafter gilt für die Gesellschaft nur, wenn der Vertrag diesen Ausschluß zum Inhalt hat (Flume, a.a.O., § 16 IV 4, S. 334 ff.). Dazu bedarf es vorliegend keiner Entscheidung darüber, ob der Haftungsausschluß über eine entsprechende ausdrückliche Vereinbarung mit dem jeweiligen Gläubiger oder über die Offenkundigkeit dieser Haftungsbeschränkung zum Vertragsinhalt wird oder ob die bloße Erkennbarkeit der Beschränkung für den Gläubiger - so wohl die herrschende Meinung - ausreicht (vgl. zum Meinungsstand Ulmer, a.a.O., § 714 Rdnr. 32). Ist die Haftungsbeschränkung - auf welche Art und Weise auch immer - nicht zum Inhalt des zwischen der Gesellschaft und einem Gläubiger abgeschlossenen Rechtsgeschäfts geworden, so bleibt es auch bei rechtsgeschäftlich begründeten Verbindlichkeiten bei der grundsätzlich unbeschränkten persönlichen Haftung der Gesellschafter.

b) Die unter den genannten Voraussetzungen im Einzelfall wirksam vereinbarte Haftungsbeschränkung schützt den Kläger indes nicht vor einer Inanspruchnahme durch das FA für Steuerschulden der Gesellschaft. Anders als der zivilrechtliche Gläubiger der Gesellschaft hat das FA als Steuergläubiger nicht die Möglichkeit, über die Begründung eines (Steuer-)Schuldverhältnisses mit der Gesellschaft zu entscheiden.

Der zivilrechtliche Gläubiger hat die Möglichkeit frei darüber zu entscheiden, ob er das Rechtsgeschäft mit der Gesellschaft unter Hinnahme der Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen abschließen oder ob er angesichts der eingeschränkten Zugriffsmöglichkeit auf das private Vermögen der Gesellschafter auf das Rechtsgeschäft mit der Gesellschaft verzichten will.

Dagegen entstehen nach § 38 AO 1977 die Ansprüche des FA im Rahmen des Steuerschuldverhältnisses, sobald ein Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht des Steuerschuldners knüpft. Die Steuerschuld entsteht also unabhängig vom Verwirklichungswillen sowohl des Steuerpflichtigen als auch des FA, sobald die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen erfüllt sind (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., 1988, § 38 AO 1977 Tz. 2). Weder der Steuerpflichtige - hier die GbR (§ 2 Abs. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG -) - noch das FA haben, abgesehen von subjektiven Tatbestandselementen, einen Einfluß darauf, ob ein Steuerschuldverhältnis entsteht. Die Gesellschafter einer GbR haben es deshalb - anders als bei Vertragsschuldverhältnissen - nicht in der Hand, die Haftung durch Abreden mit dem Steuergläubiger oder durch entsprechende Vollmachtserteilung an geschäftsführende Gesellschafter zu beschränken. Daraus folgt, daß es für Steuerschulden der Gesellschaft keine Haftungsbeschränkung geben kann (so schon Senatsurteil in BFHE 158, 1, BStBl II 1989, 952).

c) Die vom FG vertretene Auffassung, daß die Haftung durch gesellschaftsvertragliche Vereinbarungen auch steuerlich auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt werden könne, würde dazu führen, die GbR haftungsmäßig einer Kapitalgesellschaft (AG, GmbH) gleichzustellen, ohne daß - wie dort - durch Mindesteinlagen (§ 7 des Aktiengesetzes - AktG -, § 5 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -), gesetzliche Rücklagen (§ 150 AktG), Einlagenrückgewährverbot (§ 57 Abs. 1 AktG, § 30 Abs. 1 GmbHG) sowie Einlageausfallpflicht der Mitgesellschafter (§ 24 GmbHG) für einen erforderlichen Gläubigerschutz gesorgt wäre. Die Revision betont deshalb zu Recht, daß durch privatrechtliche Vereinbarung die kraft Gesetzes entstehende Steuer- oder Haftungsschuld nicht eingeschränkt oder gar ausgeschlossen werden kann.

4. Die von anderen Rechtsgrundsätzen ausgehende Vorentscheidung ist somit in dem erkannten Umfang aufzuheben. Die Sache ist insoweit spruchreif. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Die Klage ist insoweit abzuweisen.