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BFH-Urteil vom 13.7.1990 (III R 29/87) BStBl. 1990 II S. 949

Eine erhöhte Investitionszulage nach § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. cc BerlinFG wird nur dann gewährt, wenn die sog. fernabsatzorientierten Umsätze in jedem Kalenderjahr des Dreijahreszeitraums und nicht nur im Durchschnitt der drei Jahre überwiegen. Dabei gelten für die Aufteilung der Umsätze auf die einzelnen Jahre umsatzsteuerrechtliche Grundsätze.

BerlinFG 1982 § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Buchst. a Doppelbucht. cc.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, betätigt sich auf dem Gebiet der Datenverarbeitung. Der Kundenstamm setzt sich aus Auftraggebern zusammen, die ihren Sitz zum Teil in und zum Teil außerhalb von Berlin (West) haben.

Im Streitjahr 1982 und in den beiden folgenden Jahren tätigte die Klägerin nach ihren eigenen Angaben folgende Umsätze:

Jahr                       auf Westberliner                auf auswärtige

                               Auftraggeber                    Auftraggeber

                              entfallend    %                 entfallend    %

-------------------------------------------------------------------------------------------

1982                                44,07                              55,93

1983                                54,16                              45,84

1984                                34,64                              65,36

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zus.                                 42,16                              57,84.

Dabei rechnete die Klägerin Umsätze aus Aufträgen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) den Umsätzen aus Leistungen an Auftraggeber außerhalb von Berlin (West), den sog. fernabsatzorientierten Leistungen, zu. Im erstinstanzlichen Verfahren legte die Klägerin eine weitere Umsatzaufstellung vor. Hieraus ergaben sich folgende Umsätze:

Jahr                       auf Westberliner                auf auswärtige

                               Auftraggeber                    Auftraggeber

                              entfallend    %                  entfallend   %

-------------------------------------------------------------------------------------------

1982                                36,54                              63,46

1983                                47,49                              52,51

1984                                45,63                              54,37.

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Bei der Ermittlung dieser Zahlen teilte die Klägerin bei jahresübergreifender Auftragsbearbeitung den Rechnungsbetrag nach Maßgabe des Leistungsfortschritts auf die betroffenen Jahre auf. Ferner ordnete sie Anzahlungen aufgrund von Auftragserteilungen, die im Dezember eines Kalenderjahres erfolgten, dem folgenden Kalenderjahr zu.

Im Streitjahr schaffte die Klägerin ein Computersystem an. Hierfür beantragte sie eine Investitionszulage gemäß § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. cc des Berlinförderungsgesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (BerlinFG) in Höhe von 25 v.H. der Anschaffungskosten.

Nachdem der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) zunächst die Investitionszulage in der beantragten Höhe unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gewährt hatte, änderte er später den Vorbehaltsbescheid und erkannte für das Computersystem nur die Grundzulage von 10 v.H. an.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, es komme nicht auf die von den Beteiligten als streitig angesehene Frage an, ob der fernabsatzorientierte Umsatz in jedem der drei Kalenderjahre überwiegt, oder ob es genügt, wenn er im Durchschnitt der drei Jahre überwiegt. Denn die mit dem BIBB getätigten Umsätze seien keine fernabsatzorientierten Umsätze. Ordne man diese Umsätze den Berliner Umsätzen zu, so überwögen die westdeutschen Umsätze weder in den Kalenderjahren 1983 und 1984 noch in dem Dreijahreszeitraum 1982 bis 1984. Aber abgesehen hiervon sei entscheidend für die Gewährung einer erhöhten Investitionszulage auch nicht ein Überwiegen der fernabsatzorientierten Umsätze im Durchschnitt der drei Kalenderjahre, sondern das Überwiegen in jedem einzelnen der drei Jahre. Dabei seien die Umsätze den jeweiligen Kalenderjahren nicht nach Maßgabe der jeweils geleisteten Arbeit, sondern nach umsatzsteuerlichen Gesichtspunkten zuzurechnen.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil und den Änderungsbescheid vom 30. Juli 1984 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat es zu Recht abgelehnt, eine erhöhte Investitionszulage für die Anschaffung des Computersystems nach § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. cc BerlinFG zu gewähren.

1. Nach dieser Vorschrift erhalten Steuerpflichtige für abnutzbare bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens nur dann eine auf 25 v.H. der Anschaffungs- oder Herstellungskosten erhöhte Investitionszulage, wenn die Wirtschaftsgüter mindestens drei Jahre nach ihrer Anschaffung oder Herstellung in einem Betrieb (einer Betriebstätte) des Dienstleistungsgewerbes unmittelbar der Datenverarbeitung dienen und der Umsatz des Betriebs (der Betriebstätte) in Berlin (West) im Kalenderjahr der Anschaffung oder Herstellung und in den beiden folgenden Kalenderjahren überwiegend auf sonstige Leistungen an Auftraggeber außerhalb von Berlin (West) entfällt (sog. fernabsatzorientierte Umsätze). Fernabsatzorientierte Umsätze sind danach nur dann gegeben, wenn sowohl im Kalenderjahr der Anschaffung oder Herstellung als auch in jedem der beiden folgenden Kalenderjahre die Umsätze überwiegend auf sonstige Leistungen an Auftraggeber außerhalb von Berlin (West) entfallen. Es genügt nicht, daß diese Umsätze lediglich im Durchschnitt eines Dreijahreszeitraums überwiegen.

a) Dies ergibt sich - wie die Vorentscheidung zutreffend ausgeführt hat - aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach die fernabsatzorientierten Umsätze "im Kalenderjahr der Anschaffung oder Herstellung und in den beiden folgenden Kalenderjahren" überwiegen müssen. Mit dieser Formulierung kann kein geschlossener, drei Jahre umfassender Zeitraum gemeint sein, wie dem Tatbestandsmerkmal "im Kalenderjahr der Anschaffung oder Herstellung" zu entnehmen ist. Dieses Tatbestandsmerkmal besagt, daß bereits im Kalenderjahr der Anschaffung oder Herstellung die fernabsatzorientierten Umsätze überwiegen müssen und nicht erst in einem Dreijahreszeitraum ab dem Zeitpunkt der Anschaffung oder Herstellung.

b) Ein Vergleich mit anderen Regelungen des § 19 BerlinFG bestätigt das am Wortlaut ausgerichtete Verständnis des § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. cc BerlinFG. Immer dann, wenn es dem Gesetzgeber auf einen (geschlossenen) Dreijahreszeitraum ankommt, hat er die Formulierung "3 Jahre nach ihrer Anschaffung oder Herstellung" (s. z.B. in § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 1 BerlinFG), "3 Jahre nach ihrer Herstellung" (in § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 Buchst. b Doppelbuchst. aa BerlinFG) oder "3 Jahre nach Beendigung der nachträglichen Herstellungsarbeiten" (in § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 Buchst. b Doppelbuchst. bb und Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 Buchst. b BerlinFG) verwendet. Bei einer derart differenzierten Tatbestandsformulierung ist für den erkennenden Senat nicht ersichtlich, daß dem Gesetzgeber - wie die Klägerin meint - bei der Fassung des § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. cc BerlinFG ein redaktioneller Fehler unterlaufen sein könnte.

c) Auch aus dem Sinn und Zweck des § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. cc BerlinFG folgt, daß die fernabsatzorientierten Umsätze in jedem der drei Kalenderjahre überwiegen müssen und nicht nur im Durchschnitt der drei Jahre. Mit der Einfügung des § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. cc BerlinFG wollte der Gesetzgeber insbesondere den bestehenden fernabsatzorientierten Dienstleistungsbereich der Berliner Wirtschaft fördern und den Ausbau Berlins zu einem Dienstleistungszentrum sichern (BTDrucks 8/2380, 3, zu Artikel 1 Nr. 1). Dieses gesetzgeberische Ziel kann nur erreicht werden, wenn jeweils im Kalenderjahr der Anschaffung oder Herstellung des begünstigten Wirtschaftsguts und in den beiden folgenden Kalenderjahren die fernabsatzorientierten Umsätze überwiegen. Denn würde man auf einen Durchschnittswert der drei Jahre abstellen, so müßte die erhöhte Förderung auch erfolgen, wenn beispielsweise allein im Kalenderjahr der Anschaffung oder Herstellung die fernabsatzorientierten Umsätze überwiegen und in den beiden folgenden Kalenderjahren nur geringe oder sogar keine fernabsatzorientierten Umsätze gegeben sind, gleichwohl aber die fernabsatzorientierten Umsätze durch die Bildung eines Durchschnittswerts insgesamt über 50 v.H. der Umsätze ausmachen. Dieses Ergebnis entspricht nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift, da dann auch lediglich kurzfristig erteilte und vorübergehende Leistungen an Auftraggeber außerhalb von Berlin (West) zu der erhöhten Förderung führten und fernabsatzorientierte Umsätze im Dienstleistungsbereich nicht über einen bestimmten längeren Zeitraum, also nachhaltig, gewährleistet wären.

d) Darüber hinaus hat der Bundesfinanzhof (BFH) für die Fälle, in denen § 19 BerlinFG als Verbleibenserfordernis einen (geschlossenen) Dreijahreszeitraum verlangt, entschieden, daß im Hinblick auf den Sinn und Zweck des § 19 BerlinFG innerhalb des Zeitraums von drei Jahren in jedem Jahr die Verbleibensvoraussetzungen erfüllt sein müssen (BFH-Urteile vom 17. Mai 1968 VI R 5/68, BFHE 92, 392, 394, BStBl II 1968, 570; vom 11. Juni 1969 I R 80/68, BFHE 96, 82, BStBl II 1969, 516; vom 15. Januar 1974 VIII R 192/71, BFHE 112, 442, BStBl II 1974, 559). Dann muß man aber erst recht auf jedes einzelne Kalenderjahr abstellen, wenn bereits das Gesetz nicht von einem geschlossenen, drei Jahre umfassenden Zeitraum ausgeht, sondern auf die einzelnen Kalenderjahre abstellt.

2. Die Umsätze der Klägerin haben nicht, wie es § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. cc BerlinFG fordert, sowohl im Kalenderjahr der Anschaffung des Computersystems als auch in jedem der beiden folgenden Kalenderjahre überwiegend auf Leistungen an Auftraggeber außerhalb von Berlin (West) beruht.

a) Selbst wenn man die das BIBB betreffenden Umsätze als Umsätze an einen Auftraggeber außerhalb von Berlin (West) ansehen würde, hätte die Klägerin im Jahr 1983 nicht überwiegend fernabsatzorientierte Umsätze getätigt. Wie sich aus der dem Einspruchsverfahren zugrunde liegenden Umsatzaufstellung ergibt, betrugen die fernabsatzorientierten einschließlich der das BIBB betreffenden Umsätze im Jahr 1983 lediglich 45,84 v.H. des Gesamtumsatzes.

b) Die von der Klägerin im Klageverfahren eingereichte Umsatzaufstellung, wonach 1982 63,46 v.H., 1983 52,51 v.H. und 1984 54,37 v.H. des Gesamtumsatzes auf fernabsatzorientierte Umsätze entfallen sollen, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die in dieser Umsatzaufstellung vorgenommene Aufteilung der einzelnen Umsätze auf die jeweiligen Kalenderjahre entspricht unstreitig nicht den umsatzsteuerrechtlichen Grundsätzen, nach denen Umsätze einzelnen Jahren zugerechnet werden. Diese umsatzsteuerrechtlichen Grundsätze finden im Rahmen des § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. cc BerlinFG Anwendung, obwohl die Vorschrift keine ausdrückliche Regelung darüber enthält, nach welchen Kriterien ein fernabsatzorientierter Umsatz einem bestimmten Kalenderjahr zuzuordnen ist.

Nicht nur das Wort "Umsatz", sondern auch der in § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. cc BerlinFG im Zusammenhang mit fernabsatzorientierten Umsätzen benutzte Ausdruck "sonstige Leistungen" sind Begriffe, die dem Umsatzsteuerrecht entstammen (s. wegen "Umsatz" § 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - und wegen "sonstiger Leistungen" § 3 Abs. 9 UStG).

Die umsatzsteuerrechtliche Auslegung dieser Begriffe ergibt sich auch aus dem Zusammenhang und dem Zweck des § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. cc BerlinFG. Die Schaffung einer erhöhten Investitionszulage für den fernabsatzorientierten Dienstleistungsbereich ist auf das engste mit der Umsatzsteuerpräferenz des § 1 Abs. 6 BerlinFG verbunden. Die erhöhte Investitionszulage sollte neben § 1 Abs. 6 BerlinFG eine zusätzliche Förderungsmaßnahme begründen. Denn die mit der Begünstigung des § 1 Abs. 6 BerlinFG angestrebte Ausweitung des Dienstleistungsangebots in Berlin (West) mit dem Ziel einer Verstärkung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Berliner und westdeutschen Unternehmen war bis dahin nur teilweise erreicht worden (BTDrucks 8/2380, 3, zu Artikel 1 Nr. 1).

Maßgebend für die Zurechnung der Umsätze zu den einzelnen Kalenderjahren ist daher die der Einspruchsentscheidung zugrunde liegende Umsatzaufstellung, die den umsatzsteuerrechtlichen Zurechnungsgrundsätzen entspricht und nach der die Klägerin im Jahre 1983 auch unter Einschluß der Leistungen an das BIBB nicht überwiegend fernabsatzorientierte Umsätze erzielt hat.