| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 5.4.1990 (VII K 1/89) BStBl. 1990 II S. 990

1. Zur Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage nach Außerkrafttreten einer im Klagewege angefochtenen verbindlichen Zolltarifauskunft.

2. Zur zolltariflichen Abgrenzung zwischen "Früchten" und "Fruchtsaft" (hier: "Passionsfruchtsaft" mit hohem Fruchtfleischgehalt).

FGO § 100 Abs. 1 Satz 4; ZG § 23 Abs. 3; KN Unterpos. 2008 9949 (alt), 2008 9946 (neu) Pos. 2009.

Sachverhalt

I.

In der der Klägerin erteilten verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) .... vom 7. Januar 1988 wies die beklagte Oberfinanzdirektion (OFD) "Passionsfruchtsaftkonzentrat", nicht gegoren, ohne Zusatz von Alkohol, Extrakt (refr. 20 Grad C) 28,4 %, naturrein, zur Herstellung von Fruchtsäften, -nektaren und Fruchtsaftgetränken, der Unterposition 2008 9949 der Kombinierten Nomenklatur (KN) zu. Nach der Warenbeschreibung der vZTA handelt es sich um eine feinstverteiltes Fruchtfleisch enthaltende Flüssigkeit mit pulpenartiger Konsistenz, die wegen des hohen Fruchtfleischanteils auch nach Verdünnen mit Wasser (zwei Teile) nicht einem (unmittelbar trinkbaren) Fruchtsaft entspricht. Den Einspruch der Klägerin, mit dem diese die Tarifierung als "anderer" Fruchtsaft der Unterposition 2009 8099 begehrte, wies die OFD zurück.

Mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage wurde geltend gemacht, es handele sich um ein Konzentrat von Fruchtsaft, der von Schalen, Kernen usw. und einem bestimmten Teil der Pulpe getrennt worden sei. Bei einer Rückverdünnung durch Wiederhinzufügen von Wasser weise das Konzentrat gleichartige, wenn auch nicht identische Beschaffenheitsmerkmale eines normalen, ursprünglichen Maracuja-Saftes auf. Ein solcher Saft sei aufgrund des natürlichen Säure-(Zucker-)Gehalts nicht zum unmittelbaren Trinken geeignet; das gelte auch bei einer dem Konzentrationsgrad entsprechenden Rückverdünnung. Pulpenartige Konsistenz bzw. das Vorliegen feinstverteilten Fruchtfleisches seien typische Merkmale für einen Passionsfruchtsaft. Ein solcher natürlicher Saft werde durch die Rückverdünnung wieder hergestellt. Ein Fruchtfleischanteil, auch ein relativ hoher, stehe der Anwendung von Position 2009 nicht entgegen.

Die OFD, die zunächst der Klage entgegengetreten war, hält den Rechtsstreit unter Hinweis auf das Außerkrafttreten der vZTA infolge der zolltariflichen Änderungen zum 1. Januar 1990 in der Hauptsache für erledigt.

Die Klägerin beantragt nunmehr hilfsweise festzustellen, daß die angefochtene vZTA rechtswidrig gewesen ist. Weiter hilfsweise sieht auch die Klägerin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt an. Ihr Interesse an der hilfsweise begehrten Feststellung begründet sie mit zu erwartenden Zollnachforderungen, der Absicht, entsprechende Waren auch künftig einzuführen, sowie damit, daß bei einem eventuellen neuen Antrag auf Erteilung einer vZTA der gleiche Sachverhalt gegeben sei.

Entscheidungsgründe

1. Die Klägerin hat ihre Sachanträge aufrechterhalten. Es ist somit eine Entscheidung in der Sache erforderlich; für eine Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entsprechend der hilfsweise erklärten Erledigung ist kein Raum (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 138 Anm. 19).

Die der Klägerin erteilte vZTA ist mit Ablauf des Jahres 1989 außer Kraft getreten (§ 23 Abs. 3 des Zollgesetzes). Die in der Auskunft angewendete Rechtsvorschrift - Unterposition 2008 9949 KN ("andere") - besteht in dieser Form im neuen Zolltarif nicht mehr; Passionsfrüchte, ohne Zusatz von Alkohol, mit Zusatz von Zucker, in Umschließungen wie hier, sind nunmehr ausdrücklich in der neuen Unterposition 2008 9946 aufgeführt. Die Auskunft hat sich anders als durch Rücknahme erledigt (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO). Mit dem Außerkrafttreten der vZTA ist auch die in ihr liegende Weigerung der OFD entfallen, entsprechend den Vorstellungen der Klägerin zu tarifieren (Fruchtsaft). Über das Verpflichtungsbegehren kann damit, ebenso wie über den Anfechtungsantrag, nicht mehr entschieden werden (vgl. auch Senat, Urteil vom 8. November 1988 VII K 1/88, BFH/NV 1989, 317 f). Zu entscheiden ist jedoch über den Feststellungsantrag, auf den die Klägerin auch von ihrer mit einer Anfechtung verbundenen Verpflichtungsklage (im engeren Sinne) übergehen durfte (Gräber/von Groll, a. a. O., § 100 Anm. 37). Dieser Antrag ist zulässig, aber nicht begründet.

2. Zulässig ist die Fortsetzungsfeststellungsklage, weil die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO). Dieses Interesse ergibt sich zwar nicht daraus, daß über Zollnachforderungen aufgrund der Tarifierung gemäß der außer Kraft getretenen vZTA gestritten werden könnte (Senat, Urteile vom 19. April 1988 VII K 7/86, BFHE 153, 206, BStBl II 1988, 735, und vom 11. Oktober 1988 VII K 4/87 und VII K 5-7/87, BFH/NV 1989, 338), wohl aber im Hinblick auf künftige Einfuhren des Konzentrats. Insoweit ist ein berechtigtes Feststellungsinteresse anzuerkennen, wenn der Kläger eine neue vZTA zur (tariflich) gleichen Ware beantragen will und eindeutig feststeht, daß eine materielle Rechtsänderung nicht eingetreten und daher mit Sicherheit anzunehmen ist, daß die OFD an der von ihr in dem erledigten Verfahren vertretenen Auffassung bei der Erteilung einer neuen vZTA festhalten wird (BFH/NV 1989, 338 mit Nachweisen). Diese Voraussetzungen sind gegeben. Die Klägerin hat zwar nur von einem "eventuellen" neuen Antrag auf Erteilung einer vZTA gesprochen, doch versteht der Senat dies dahin, daß ein neuer Antrag beabsichtigt ist, falls in diesem Verfahren eine Sachentscheidung nicht ergeht. Aus der Einlassung der OFD ergibt sich, daß die Beklagte ihre Tarifauffassung auch weiterhin vertritt. Ob eine materielle Rechtsänderung eingetreten ist, muß unter Berücksichtigung der im Einzelfall maßgeblichen Tarifvorschriften entschieden werden (Senat, Urteil vom 5. Juni 1988 VII K 12/86, BFHE 154, 290, 292, BStBl II 1988, 843). Dabei ist im Hinblick auf das Parteivorbringen zu bestimmen, welche zolltariflichen Vorschriften maßgebend sind. Hier wird nicht über die Abgrenzung zwischen Passions- und "anderen" Früchten gestritten - insoweit hat sich die Zolltariflage geändert -, sondern über die Abgrenzung zwischen "Früchten" und "Fruchtsäften". Auf diese Abgrenzung kommt es bei der Tarifierung von Waren nach Art des "Passionsfruchtsaftkonzentrats" aber auch nach dem jetzt geltenden Tarifrecht an.

3. Unbegründet ist die Klage, weil die angefochtene vZTA nicht rechtswidrig war. Die OFD hat richtig tarifiert. Bei der Ware handelt es sich zolltariflich nicht um Fruchtsaft, sondern um "Früchte ...." der Position 2008 KN.

Hinweise zur Abgrenzung zwischen Fruchtsaft und Früchten ergeben sich aus den zolltariflichen Erläuterungen (Erl), die nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und des Senats maßgebliche Erkenntnismittel bei der Auslegung des Zolltarifs darstellen. Zu den Früchten rechnet danach u. a. Fruchtpulpe, sterilisiert (ErlKN zu Position 2008 - Harmonisiertes System (HS) - Rz. 06.0). Diese auf haltbar gemachte Früchte bezogene beispielhafte Anführung läßt erkennen, daß auch andere Pulpe für die Einreihung unter Position 2008 in Betracht kommt. Fruchtsäfte der Position 2009 werden "in der Regel" durch Pressen gewonnen; sie stellen sich nach Behandlung meist als klare, unvergorene Flüssigkeiten dar, wenn auch bestimmte Säfte - besonders solche, die aus fleischigen Früchten stammen - noch einen Teil des Fruchtfleischs in feiner Verteilung enthalten, suspendiert oder als Bodensatz (ErlKN zu Position 2009 HS Rz. 02.0, 09.0). Die Position 2009 erfaßt auch konzentrierte sowie rückverdünnte Säfte (ErlKN a. a. O. Rz. 11.0, 18.0).

Unter Berücksichtigung dieser Hinweise kann das "Passionsfruchtsaftkonzentrat" nicht als Fruchtsaft gewertet werden. Ein rückverdünnter Saft liegt nach der Beschaffenheit des Erzeugnisses (Konzentrat) - noch - nicht vor. Als Konzentrat wäre es von Position 2009 nur erfaßt, wenn es sich um konzentrierten Fruchtsaft handeln würde. Das trifft indessen nicht zu.

Allerdings ist es ohne Bedeutung - für die Einreihung als "Fruchtsaft" nicht schädlich -, wenn das Erzeugnis vor der Konzentration oder nach einer dem Konzentrationsgrad entsprechenden Rückverdünnung aufgrund seiner natürlichen Eigenschaften (Säuregehalt) nicht zum unmittelbaren Trinken geeignet sein sollte. Die Trinkbarkeit ist Wesenseigenschaft von Getränken der Position 2202 (Senat, Urteile vom 22. Januar 1985 VII K 12/84, BFHE 143, 183, 186, und vom 11. Oktober 1988 VII K 5/88, BFHE 155, 1, 3, BStBl II 1989, 149), aber nicht unbedingt Voraussetzung für die Anerkennung als Fruchtsaft im zolltariflichen Sinne. Grundsätzlich ohne Bedeutung ist auch die lebensmittelrechtliche Bewertung des Erzeugnisses (vgl. Lux in Bail/Schädel/Hutter, Zollrecht, F II 1 Rz. 202; BFHE 143, 183, 185). Insoweit ist auch nicht zu entscheiden, ob das Erzeugnis nach seiner von der Klägerin beschriebenen Herstellung - Zentrifugation - lebensmittelrechtlich als Fruchtsaft in Betracht kommt (nach Zipfel, Lebensmittelrecht, C 331 - Fruchtsaft-Verordnung - § 1 Anm. 14 nur bei Herstellung des Saftes durch Auspressen).

Die Zuweisung zu Position 2009 scheitert daran, daß das Erzeugnis nach seiner Beschaffenheit - Konsistenz - kein (konzentrierter) Fruchtsaft ist. Da nähere Abgrenzungskriterien fehlen, mag es im Einzelfall schwierig sein zu entscheiden, ob es sich um einen Fruchtsaft mit zulässigem Gehalt an Fruchtfleisch - zolltariflich möglich auch bei anderer Herstellung als durch Pressen von Früchten - oder um "Früchte" handelt. Im Streitfall ermöglichen jedoch die feststehenden Besonderheiten der Ware eine zolltarifliche Einordnung. Auch nach teilweiser Entziehung der Pulpe, des Arillusgewebes (Samenmantel) von Passiflora edulis forma flavicarpa, weist das Erzeugnis eine pulpenartige Konsistenz und einen "relativ" hohen Fruchtfleischanteil auf. Die Klägerin hat diese Beschaffenheit nicht bestritten; insbesondere hat sie die pulpenartige Konsistenz nicht in Abrede gestellt, sondern lediglich darauf verwiesen, diese sei für "Passionsfruchtsaft" typisch. Für die Beurteilung, ob zolltariflich ein Fruchtsaft vorliegt, läßt sich aus diesem Hinweis nichts gewinnen. Wenn Fruchtpulpe, auch nicht sterilisiert, zu Position 2008 gehört, so kann ein Fruchtsaft mit zulässigem Fruchtfleischgehalt - Position 2009 - nur ein Erzeugnis sein, dessen Fruchtfleischanteil noch keine pulpenartige Konsistenz bewirkt. Die entsprechende Beschaffenheit des "Passionsfruchtsaftkonzentrats", die zum Ausschluß von Position 2009 führt, wird dadurch bestätigt, daß selbst nach Rückverdünnung mit zwei Teilen Wasser das Konzentrat als "nicht einem Fruchtsaft entsprechend" erscheint. Die Klägerin ist diesem Befund der OFD nicht - zumindest nicht ausdrücklich - entgegengetreten. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß Saft aus Tomaten - einer anderen fleischigen Frucht - zolltariflich kein Fruchtsaft ist, wenn er einen Trockenstoffgehalt von 7 GHT oder mehr aufweist (Anm. 4 zu Kap. 20; ErlKN zu Position 2002, Rz. 02.0). Bei der tarifierten Ware liegt sogar ein weit höherer Trockenstoffgehalt vor (Extrakt 28,4 %).