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  BFH-Urteil vom 11.4.1990 (I R 38/89) BStBl. 1990 II S. 998

1. Bedenken gegen die materielle Rechtswirksamkeit eines Gewinnverteilungsbeschlusses ergeben sich nicht allein daraus, daß dieser mehr als sechs Jahre nach Ablauf des Geschäftsjahres gefaßt wird, auf das er sich bezieht.

2. Ein Widerspruch zu früheren Gewinnverteilungsbeschlüssen für das Streitjahr ist ausgeschlossen, wenn durch den neu gefaßten Beschluß nur Mehrgewinne verteilt werden, über deren Verwendung die Gesellschafter zuvor nie beschlossen hatten.

3. Wird ein geänderter Gewinnverteilungsbeschluß vor Durchführung der Änderungsveranlagung gefaßt und betrifft der Beschluß nur Mehrgewinne, über deren Verwendung vorher nicht beschlossen worden war und die bisher nicht Gegenstand einer Veranlagung waren, so ist der Beschluß auch bei der Anwendung des § 19 Abs. 3 KStG 1968 zu beachten.

KStG 1968 § 19 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, die für die Streitjahre 1968, 1970, 1971 und 1974 ursprünglich unzutreffende Körperschaftsteuererklärungen und Bilanzen beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) eingereicht hatte. Sie wurde zunächst nach den unzutreffenden Erklärungen veranlagt. Mit Schreiben vom 10. Juni 1980 erstattete sie Selbstanzeige für die genannten Jahre. Dabei gab sie an, in allen Jahren die Warenbestände unvollständig angesetzt und dadurch die Handelsbilanzgewinne zu niedrig ermittelt zu haben.

Das FA ermittelte die nicht erklärten Mehrgewinne in folgender Höhe:

1968

1970

1971

1974

DM

DM

DM

DM

1.276.141

80.597

486.846

558.395.

Die Klägerin erstellte für die Streitjahre neue Handelsbilanzen, in denen die vom FA ermittelten Mehrgewinne berücksichtigt wurden. Am 31. Dezember 1980 beschlossen die Gesellschafter der Klägerin, die in den geänderten Handelsbilanzen ausgewiesenen Mehrgewinne auszuschütten.

In geänderten Körperschaftsteuerbescheiden 1968, 1970, 1971 und 1974 vom 7. August 1981 lehnte das FA die Anwendung des § 19 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1968 ab. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Mit ihrer vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

Sie beantragt, das Urteil des Finanzgerichts (FG) Düsseldorf vom 18. Mai 1988 6 K 61/82 K aufzuheben und die Körperschaftsteuerbescheide 1968, 1970, 1971 und 1974 vom 7. August 1981 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. Januar 1982 dahin zu ändern, daß zusätzliche berücksichtigungsfähige Ausschüttungen

für 1968 in Höhe von 1.276.141 DM,

für 1970 in Höhe von 80.597 DM,

für 1971 in Höhe von 486.846 DM und

für 1974 in Höhe von 558.395 DM

 

anerkannt werden.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 KStG 1968 ermäßigt sich die Körperschaftsteuer für berücksichtigungsfähige Ausschüttungen i.S. des § 19 Abs. 3 KStG 1968 auf 15 v.H. des Einkommens. Nach § 19 Abs. 3 KStG 1968 sind berücksichtigungsfähige Ausschüttungen die bei unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaften (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG 1968) aufgrund eines den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschlusses vorgenommenen Gewinnausschüttungen für Wirtschaftsjahre, deren Ergebnisse bei der Veranlagung berücksichtigt sind. Zu diesen Voraussetzungen hat das FG in tatsächlicher Hinsicht und den erkennenden Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt, daß die Klägerin die aus einer Betriebsprüfung resultierenden Mehrgewinne 1968, 1970, 1971 und 1974 in geänderten Handelsbilanzen auswies. In der Gesellschafterversammlung vom 31. Dezember 1980 beschlossen die Gesellschafter der Klägerin, die Mehrgewinne auszuschütten. Sollte dieser Beschluß - was das FG in tatsächlicher Hinsicht nicht festgestellt hat - durchgeführt worden sein, so hätte die Klägerin einen Rechtsanspruch auf Anwendung des ermäßigten Steuersatzes von 15 v.H. (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 KStG 1968).

2. Der Beschluß vom 31. Dezember 1980 ist formell rechtswirksam. Er ist ein solcher i.S. der §§ 29, 46 Nr. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), der die Verteilung der sich nach berichtigten Bilanzen ergebenden Reingewinne zum Inhalt hat. Da er einstimmig gefaßt wurde, ist er wirksam zustande gekommen. Ob er sich als Erstbeschluß oder als Änderungsbeschluß darstellt, ist entscheidungsunerheblich, weil von der Gesellschafterversammlung gefaßte Beschlüsse grundsätzlich mit der satzungsmäßig dafür vorgesehenen Mehrheit geändert werden können (vgl. BFH-Urteile vom 16. Juli 1969 I R 92/67, BFHE 96, 310, BStBl II 1969, 634; vom 22. November 1972 I R 22/71, BFHE 107, 503, BStBl II 1973, 195; vom 30. März 1983 I R 178/79, BFHE 138, 236, BStBl II 1983, 512). Der Beschluß geht auf die Berichtigung der fehlerhaften Bilanzen 1968, 1970, 1971 und 1974 zurück. Eine solche Berichtigung ist handelsrechtlich auch dann noch zulässig, wenn der zuvor fehlerhaft aufgestellte Jahresabschluß gemäß § 46 Nr. 1 GmbHG von der Gesellschafterversammlung bereits festgestellt worden war (vgl. Budde/Müller, in: Beck'scher Bilanzkommentar, § 253 HGB Rdnr. 706, m.w.N.). Ist aber die Durchführung der Bilanzberichtigungen handelsrechtlich zulässig, dann lebt auch das Recht der Gesellschafterversammlung wieder auf, den geänderten Gewinn neu festzustellen und über seine Verteilung neu zu beschließen.

3. Ob der Beschluß vom 31. Dezember 1980 auch materiell rechtswirksam ist, läßt sich auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG nicht abschließend beurteilen.

a) Bedenken gegen die materielle Rechtswirksamkeit des Beschlusses können allerdings nicht allein aus dem Umstand abgeleitet werden, daß dieser mehr als sechs Jahre nach Ablauf des Geschäftsjahres gefaßt wurde, auf das er sich bezieht. Zwar hat der erkennende Senat in seiner früheren Rechtsprechung (vgl. Urteile vom 1. Juli 1964 I 5/63 U, BFHE 80, 162, BStBl III 1964, 533; vom 16. Juli 1969 I R 92/67, BFHE 96, 310, BStBl II 1969, 634; vom 31. Oktober 1984 I R 95/80, BFHE 142, 446, BStBl II 1985, 225) diesem Gesichtspunkt Bedeutung beigemessen. Von dieser Auffassung ist er jedoch schon im BFH-Urteil vom 5. Juni 1985 I R 183/84 (BFHE 144, 353, BStBl II 1986, 84) abgegangen. Die Frage, ob der bilanzielle Vermögensausweis den handelsrechtlichen Erfordernissen entspricht, betrifft in erster Linie die Richtigkeit der Bilanz und nicht die materielle Wirksamkeit des Gewinnverteilungsbeschlusses. Im Streitfall gehen aber die Beteiligten übereinstimmend davon aus, daß die berichtigten Handelsbilanzen das Vermögen der Klägerin zutreffend wiedergeben. Dann aber können Wirksamkeitsbedenken gegen den Gewinnverteilungsbeschluß daraus nicht abgeleitet werden.

b) Wirksamkeitsbedenken ergeben sich auch nicht daraus, daß der Beschluß vom 31. Dezember 1980 im Widerspruch zu früheren Gewinnverteilungsbeschlüssen der Gesellschafterversammlung für die Streitjahre stünde. Ein solcher Widerspruch ist schon deshalb ausgeschlossen, weil durch den Beschluß vom 31. Dezember 1980 nur Mehrgewinne verteilt wurden, über deren Verwendung die Gesellschafterversammlung der Klägerin zuvor nie beschlossen hatte.

c) Wirksamkeitsbedenken könnten sich allerdings aus Gewinnverteilungsbeschlüssen ergeben, die für spätere Geschäftsjahre getroffen wurden, wenn die nunmehr ausgewiesenen Mehrgewinne auch in den Bilanzen dieser späteren Geschäftsjahre erfolgsmäßig erfaßt worden sein und dort in einen auch heute noch wirksam fortbestehenden Gewinnverteilungsbeschluß Eingang gefunden haben sollten. Außerdem stellt § 19 Abs. 3 KStG 1968 darauf ab, daß der den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechende Gewinnverteilungsbeschluß tatsächlich durchgeführt wurde. Zu diesem Punkt ist - wie im einzelnen noch auszuführen sein wird - dem erkennenden Senat eine abschließende Entscheidung nicht möglich.

4. Abgesehen von den unter II.3.c angesprochenen Wirksamkeitsbedenken ist der Beschluß vom 31. Dezember 1980 grundsätzlich geeignet, die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes in Höhe von 15 v.H. gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 KStG 1968 für die Streitjahre 1968, 1970, 1971 und 1974 auszulösen.

a) Der erkennende Senat hat schon in seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, daß ein den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechender Gewinnverteilungsbeschluß steuerlich zu beachten ist, wenn er vor der Veranlagung der Gesellschaft zur Körperschaftsteuer gefaßt wird (vgl. BFH-Urteile in BFHE 80, 162, BStBl III 1964, 533; in BFHE 96, 310, BStBl II 1969, 634; in BFHE 142, 446, BStBl II 1985, 225; in BFHE 144, 353, BStBl II 1986, 84; vom 5. Juni 1985 I R 276/82, BFHE 144, 348, BStBl II 1986, 81). Die Rechtsprechung muß sinngemäß gelten, wenn ein geänderter Gewinnverteilungsbeschluß vor Durchführung der Änderungsveranlagung gefaßt wird und der Beschluß nur Mehrgewinne betrifft, über deren Verwendung vorher nicht beschlossen worden war und die bisher nicht Gegenstand einer Veranlagung waren. § 19 Abs. 3 KStG 1968 knüpft insoweit nur an die Durchführung des den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschlusses an. Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes ist deshalb von keinen weitergehenden Tatbestandsvoraussetzungen abhängig.

b) Der Beschluß vom 31. Dezember 1980 verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben. Insbesondere verhielten sich die Gesellschafter der Klägerin gegenüber dem FA nicht widersprüchlich. Gesellschaftsrechtlich spaltet sich der Gewinnanteil als selbständiges Gesellschafter-Gläubigerrecht erst mit der Beschlußfassung über die Gewinnverteilung von dem allgemeinen Gesellschafter-Mitgliedschaftsrecht ab (vgl. Scholz/Emmerich, GmbH-Gesetz, § 29 Rdnr. 77, m.w.N.). Die Gewinnanteile der Gesellschafter der Klägerin entstanden deshalb erst mit der Beschlußfassung am 31. Dezember 1980. Damals war bezüglich der Mehrgewinne, die Gegenstand des Beschlusses vom 31. Dezember 1980 sind, Selbstanzeige beim FA gestellt. Das FA hatte die steuerlich zutreffenden Gewinne der Klägerin ermittelt. Die hinterzogenen Körperschaftsteuern 1968, 1970, 1971 und 1974 konnten vom FA festgesetzt werden. So gesehen war es kein widersprüchliches Verhalten, wenn die Gesellschafter der Klägerin über die Verteilung der erst kurz vorher bekanntgewordenen Mehrgewinne beschlossen. Die Tatsache, daß der Beschluß auf die Besteuerung der genannten Veranlagungszeiträume zurückwirkt, ergibt sich unmittelbar aus § 19 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 KStG 1968 und kann der Klägerin nicht als Verstoß gegen Treu und Glauben angelastet werden.

c) Ein Verstoß gegen Treu und Glauben ist auch nicht deshalb anzunehmen, weil die Gesellschafter der Klägerin mit dem Gewinnverteilungsbeschluß vom 31. Dezember 1980 ausschließlich das Ziel verfolgten, die mit der Aufdeckung der Steuerhinterziehung auf die Klägerin zukommenden Steuerverpflichtungen abzumildern. Der ermäßigte Steuersatz gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 KStG 1968 ist die tarifliche Körperschaftsteuer auf den Teil des Einkommens, der entsprechend den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften ausgeschüttet wird. Die Regelung stellt sich weder als Steuerermäßigung i.S. des § 2 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) noch als Steuervergünstigung dar. Deshalb kann von der Klägerin kein Wohlverhalten verlangt werden, das über die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 19 Abs. 1 Nr. 1 KStG 1968 hinausgeht. Vielmehr hat sie einen Rechtsanspruch auf Anwendung des ermäßigten Steuersatzes schon dann, wenn sie (nur) die Voraussetzungen erfüllt, die die Vorschrift an seine Gewährung knüpft.

d) Zwar verstieß die Klägerin mit der Abgabe falscher Steuererklärungen gegen ihre steuerlichen Pflichten. Dies löst aber nur die in §§ 391 ff. der Reichsabgabenordnung (AO) bzw. in § 4 des Steuersäumnisgesetzes geregelten Sanktionen aus. Es fehlt auch insoweit an einer Vorschrift, die einer unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft verbietet, über die Verteilung von Gewinnen gemäß §§ 29, 46 Nr. 1 GmbHG zu beschließen, soweit sie gegenüber dem FA zunächst hinterzogen wurden. Da § 19 Abs. 3 KStG 1968 unmittelbar an die Durchführung der gesellschaftsrechtlich wirksamen Beschlußfassung anknüpft, fehlt es auch an einer steuerlichen Vorschrift, die die Berücksichtigung der gesellschaftsrechtlich wirksamen Beschlußfassung für diese Fälle verbietet.

5. Zwar hat das FG in der Vorentscheidung auf das Protokoll über die Gesellschafterversammlung vom 31. Dezember 1980 (Bl. 72 bis 74 FG-Akte) Bezug genommen. Aus dem Protokoll ergibt sich jedoch nur, daß die ausgeschütteten Gewinne zur Begründung einer typischen stillen Gesellschaft verwendet werden sollten. Ob die typische stille Gesellschaft tatsächlich vereinbart wurde, welche Vermögenseinlagen tatsächlich geleistet wurden und ob die Vereinbarung auch steuerrechtlich anzuerkennen ist, ist aus dem Protokoll nicht zu erkennen. Darauf kommt es jedoch an, weil § 19 Abs. 3 KStG 1968 auf die tatsächliche Durchführung der Gewinnausschüttung abstellt, die aufgrund der einschlägigen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften beschlossen wurde. Die fehlende Feststellung nachzuholen ist die Aufgabe des FG. Zu diesem Zweck war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache war an das FG zurückzuverweisen.