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  BFH-Urteil vom 7.8.1990 (VII R 106/89) BStBl. 1990 II S. 1010

Zur Durchführung eines Verfahrens wegen unbefugter Hilfeleistung in Steuersachen ist das FA befugt, eine Zeitung um Auskunft über die Identität des Inserenten einer Chiffreanzeige zu ersuchen (Bestätigung der Rechtsprechung).

AO 1977 § 93 Abs. 1, § 102 Abs. 1 Nr. 4; GG Art. 5 Abs. 1 Satz 2; StBerG §§ 7, 164a.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) verlegt den X-Anzeiger. Mit Bescheid vom 16. März 1981 ersuchte sie der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -), die Auftraggeber von 13 Chiffreanzeigen mit Namen und Anschrift zu benennen. Die Klägerin entsprach diesem Ersuchen bei sechs dieser Anzeigen. Bezüglich der übrigen sieben Anzeigen benannte die Klägerin die Auftraggeber jedoch nicht. Dabei handelt es sich um folgende Anzeigen:

"1. Buchführung, Lohnabrechnung durch EDV schnell und preiswert,....

2. Bilanzsichere Buchhalterin sucht Nebenbeschäftigung,....

3. Buchführung, Lohnabrechnung durch EDV, schnell und preiswert,....

4. Buchführung durch EDV, schnell und preiswert,....

5. Buchhalter mit IBM-Kenntnissen sucht Nebenbeschäftigung samstagsvormittag,....

6. Buchhalterin (Durchschreibebuchführung) ca. 10 Std. wöchentlich, abschlußsicher,....

7. Lohn- und Finanzbuchhaltungsarbeiten (Baugewerbe) nebenberuflich gesucht, ...."

Die nach erfolgloser Beschwerde erhobene Anfechtungsklage hatte Erfolg. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) u.a. aus: Die Texte der Anzeigen ließen nicht den sicheren Schluß zu, das sich jemand zu Tätigkeiten erbiete, die einen Verstoß gegen § 5 und/oder § 8 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) darstellten. Die Möglichkeit eines solchen Verstoßes begründeten eine Auskunftspflicht der Klägerin nicht. Es sei zumindest die Darlegung zu verlangen, daß ein solcher Verstoß mit größerer Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei. Ein solcher Nachweis sei nicht geführt worden. Zwar könne er nur in Ausnahmefällen erbracht werden. Die Abwägung zwischen den Interessen der Klägerin und denen des FA ergebe jedoch, daß die der ersteren den Vorrang hätten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Das angefochtene Auskunftsersuchen des FA verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

1. Das FA hat das angefochtene Auskunftsersuchen zu Recht auf § 164a StBerG i.V.m. § 93 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützt. Das hat der erkennende Senat für entsprechende Auskunftsersuchen durch Urteile vom 26. August 1980 VII R 42/80 (BFHE 131, 187, BStBl II 1980, 699), vom 3. Februar 1981 VII R 90/79 (Dokument des Juristischen Informationssystems - JURIS - Nr. 142370) und vom 27. Oktober 1981 VII R 2/80 (BFHE 134, 231, BStBl II 1982, 141) entschieden. Der Senat verweist auf die Begründungen dieser Entscheidungen.

2. Nach dem sinngemäß anwendbaren § 93 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 haben "andere" Personen wie die Klägerin die für die Durchführung eines Verfahrens zur Untersagung der verbotenen Hilfeleistung in Steuersachen erforderlichen Auskünfte zu erteilen (vgl. BFHE 131, 187, 189, BStBl II 1980, 699; BFHE 134, 231, 235, BStBl II 1982, 141, 143). Für ihr Tätigwerden in diesem Rahmen bedürfen die Finanzbehörden jedoch eines hinreichenden Anlasses. Ermittlungen "ins Blaue hinein" sind unzulässig. Ein solcher Anlaß liegt aber nicht erst dann vor, wenn ein begründeter Verdacht unzulässiger Hilfeleistung besteht oder wenn - wie offenbar das FG meint - ein solcher Verstoß gar überwiegend wahrscheinlich ist. Es genügt vielmehr, wenn aufgrund konkreter Momente oder aufgrund allgemeiner Erfahrung ein Auskunftsersuchen angezeigt ist (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 24. Oktober 1989 VII R 1/87, BFHE 158, 502, 504, BStBl II 1990, 198, 199, mit Hinweisen). Diese Auffassung ist, wie das BVerfG entschieden hat (Beschluß vom 6. April 1989 1 BvR 33/87, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1989, 440, 441), verfassungsrechtlich unbedenklich. Einen hinreichenden Anlaß zum Tätigwerden hatte das FA im vorliegenden Fall.

Aus den Entscheidungen des BVerfG in BStBl II 1980, 706 und in BStBl II 1982, 281 ergibt sich, daß das sog. Buchführungsprivileg der steuerberatenden Berufe in eingeschränktem Umfang fortbesteht (vgl. Senatsurteile vom 9. Dezember 1980 VII R 11/80, BFHE 134, 93, 94, BStBl II 1982, 46, und vom 12. Januar 1988 VII R 60/86, BFHE 152, 393, 395, BStBl II 1988, 380, 381; vgl. auch § 1 Abs. 2 Nr. 2, § 6 Nr. 3 und 4 StBerG n.F.). Das Verbot der unbefugten Hilfeleistung bei der Führung steuerlich bedeutsamer Bücher und Aufzeichnungen ist also, soweit das BVerfG die Unvereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nicht ausdrücklich festgestellt hat, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. So ist z.B. die Hilfeleistung bei der Einrichtung der Finanz- oder Lohnbuchhaltung den in den §§ 3 und 4 StBerG genannten Personen und Vereinigungen vorbehalten (vgl. BFHE 152, 393, 395, BStBl II 1988, 380, 381). Gleiches gilt für die Erstellung des auf die betrieblichen Belange abgestellten Kontenplans, die zum Jahresende notwendigen Abschlußarbeiten und die Aufstellung des Jahresabschlusses. Es gibt also nach wie vor Hilfe bei der Buchführung, die als (u.U. verbotene) Hilfeleistung in Steuersachen zu qualifizieren ist.

Den Finanzbehörden ist durch das StBerG die Aufgabe übertragen worden, das Verbot unzulässiger Hilfeleistung in Steuersachen zu überwachen. Soweit es sich um das Buchführungsprivileg der steuerberatenden Berufe handelt, ist eines der wenigen Mittel, deren sich die Finanzbehörden bedienen können, um dieser Aufgabe gerecht zu werden, die Anstellung von Ermittlungen bei Personen, die ihre Hilfe bei der Buchführung in Anzeigen anbieten. Die Prognoseentscheidung der Finanzbehörde, Befragungen der - ggf. durch ein Auskunftsersuchen zu identifizierenden - Aufgeber solcher Anzeigen könnten in einer nicht zu vernachlässigenden Anzahl von Fällen zu Anhaltspunkten für eine Verletzung des Buchführungsprivilegs und damit für eine Untersagung der Hilfeleistung nach § 7 StBerG führen, ist rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BFHE 158, 502, 506, BStBl II 1990, 198, 199 f.). Sie rechtfertigt die Annahme, daß hinreichender Anlaß für ein Tätigwerden der Finanzbehörde im Rahmen seiner Befugnis nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 im o.g. Sinn besteht (so auch der Senat im Ergebnis in den unter Nr. 1 zitierten Urteilen).

3. Zusätzliche Voraussetzung für den Erlaß eines Auskunftsersuchens ist freilich, daß die Auskunft zur Sachverhaltsaufklärung geeignet und notwendig, die Pflichterfüllung für den Betroffenen möglich und seine Inanspruchnahme erforderlich, verhältnismäßig und zumutbar ist (BFHE 158, 502, 508, BStBl II 1990, 198, 200, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Das angefochtene Auskunftsersuchen ist aber unter diesen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden.

Daß die Inanspruchnahme der Klägerin geeignet und erforderlich ist, um einer etwaigen verbotenen Hilfeleistung in Steuersachen auf dem Gebiet der Buchführung auf die Spur zu kommen, ist nicht zweifelhaft, auch nicht die Möglichkeit der Klägerin, ihrer Auskunftspflicht in zumutbarer Weise zu genügen. Aber auch unter den Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit ist das Auskunftsersuchen rechtlich nicht zu beanstanden. Die Abwägung der Interessen der Klägerin einerseits und der Allgemeinheit andererseits führt dazu, daß letztere überwiegen.

Der Regelung des StBerG liegt das Interesse der Allgemeinheit zugrunde, daß im Steuerwesen nur Personen tätig werden, denen die Bearbeitung öffentlicher Angelegenheiten ohne Sorge anvertraut werden kann. Im Interesse des Steueraufkommens, der Steuermoral sowie zum Schutz gesetzesunkundiger Steuerpflichtiger, die durch Falschberatung unfähiger und ungeeigneter Berater schwere Nachteile erleiden können, soll sichergestellt werden, daß nur solche Berater geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisten, die dazu die erforderliche sachliche und persönliche Zuverlässigkeit besitzen. Die Steuerberatung ist ein Teil der Rechtsberatung; die damit verbundenen Berufsaufgaben dienen der Steuerrechtspflege, einem wichtigen Gemeinschaftsgut (vgl. BVerfG in BStBl II 1980, 706, 710). Dieses Gemeinschaftsgut dadurch zu wahren, daß verbotene Hilfeleistung in Steuersachen möglichst verhindert oder geahndet wird, ist nach der Regelung des StBerG Aufgabe der Finanzbehörden, an deren Erfüllung ein wesentliches Interesse der Allgemeinheit besteht. Soweit es dabei um die Aufgabe geht, Personen, die dazu nicht nach dem StBerG befugt sind, daran zu hindern, die den steuerberatenden Berufen vorbehaltenen Buchführungsaufgaben selbst zu übernehmen, stoßen die Finanzbehörden auf erhebliche praktische Schwierigkeiten. Eine der wenigen erfolgversprechenden Vorgehensweisen ist die Anstellung von Ermittlungen bei den Personen, die ihre Hilfe bei der Buchführung in Anzeigen anpreisen. Das gilt um so mehr, als den steuerberatenden Berufen Werbung verboten ist (§ 8 StBerG). Voraussetzung dafür ist die Kenntnis der Identität der inserierenden Personen. An der Erlangung dieser Kenntnis durch Auskunft des Verlegers besteht also ein relativ großes Interesse der Allgemeinheit.

Diesem Interesse der Allgemeinheit steht nur ein wesentlich geringeres Interesse des betroffenen Verlegers gegenüber, von staatlichen Eingriffen durch Auskunftsersuchen verschont zu bleiben. Die Arbeitslast ist gering, die ein solches Ersuchen für den Verleger zur Folge hat. Schwerer wiegt sicherlich der Eingriff in das privatrechtliche Verhältnis zwischen Verleger und Inserent (Chiffregeheimnis; vgl. auch BFHE 131, 187, 193, BStBl II 1980, 699, 701). Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß es die Finanzbehörde ist, die die Auskunft über die Identität des Inserenten fordert. Diese aber ist zur Amtsverschwiegenheit verpflichtet. Die einzige Last, die für den Inserenten aus der Auskunftserteilung erwachsen kann, ist also nur, daß er Gegenstand von Ermittlungen der Finanzbehörde wird, ob er seine Buchführungshilfe im Rahmen der Gesetze betreibt. Darin ist um so weniger eine bedeutende Last zu sehen, als Anlaß für eine solche Befragung nicht etwa der Verdacht ist, der Befragte habe einem Verbot zuwider gehandelt und eine Ordnungswidrigkeit i.S. des § 160 StBerG begangen. Es kann somit nicht davon ausgegangen werden, daß der Verleger durch die Auskunft in einem wesentlichen Umfang künftige Inserenten verliert und damit einen ins Gewicht fallenden finanziellen Schaden erleidet.

4. Die Sollvorschrift des § 93 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 steht dem Auskunftsersuchen nicht entgegen. Die Finanzbehörde muß danach auf die Inanspruchnahme eines Dritten wie der Klägerin nicht etwa solange verzichten, bis sie alle nur denkbaren Möglichkeiten ausgeschöpft hat, den Beteiligten selbst zu einer Auskunft über seine Person zu veranlassen, etwa durch Anschreiben unter Chiffre (vgl. auch Urteile in BFHE 134, 231, 235 f., BStBl II 1982, 141, 144, und in BFHE 158, 502, 507, BStBl II 1990, 198, 200, auf deren Gründe verwiesen wird).

5. Das Auskunftsverweigerungsrecht des § 102 Abs. 1 Nr. 4 AO 1977 steht der Klägerin nicht zu Gebote, da sich das Verlangen des FA auf Chiffreanzeigen und nicht auf den redaktionellen Teil eines periodischen Druckwerks bezieht. Es ist von Verfassungs wegen grundsätzlich nicht zu beanstanden, daß es für den nicht redaktionellen Teil bei der uneingeschränkten Auskunftspflicht der Presseangehörigen gegenüber der Finanzbehörde bleibt (BVerfG in HFR 1989, 440, 441). Ein über § 102 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 hinausgehendes Auskunftsverweigerungsrecht kann allerdings ausnahmsweise seine Grundlage unmittelbar in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG finden. Insoweit kommt es insbesondere darauf an, ob die Anzeige, die Anlaß und Gegenstand des Auskunftsverlangens ist, ebenso wie ein redaktioneller Beitrag geeignet und bestimmt ist, der kontroll- und meinungsbildenden Funktion der Presse zu dienen. Das aber scheidet bei der Art der Anzeigen, die Gegenstand des Auskunftsersuchens des FA sind, aus. Grenzen der Auskunftspflicht der Klägerin ergeben sich schließlich auch nicht aus dem verfassungsrechtlich geschützten Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. Senatsurteil vom 29. Oktober 1986 VII R 82/85, BFHE 148, 108, 116 f.).

Nach allem ist die Vorentscheidung aufzuheben. Da die Sache spruchreif ist, ist die Klage abzuweisen.