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  BFH-Urteil vom 13.3.1990 (VII R 50/89) BStBl. 1990 II S. 1093

Ein Arbeitnehmer, der länger als drei Jahre gleichzeitig als Lohnbuchhalter und als Finanzbuchhalter tätig war, erfüllt auch dann die Voraussetzungen für die Bestellung als Beratungsstellenleiter eines Lohnsteuerhilfevereins, wenn auf die Tätigkeit in der Lohnbuchhaltung nur etwa ein Drittel seiner Arbeitszeit entfiel.

StBerG § 23 Abs. 3.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), ein anerkannter Lohnsteuerhilfeverein, zeigte der Beklagten und Revisionsbeklagten (Oberfinanzdirektion - OFD -) nach § 23 Abs. 4 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) die Eröffnung einer Beratungsstelle in M an und benannte Frau L als Beratungsstellenleiterin. Frau L war neben einer viermonatigen Tätigkeit als Lohnsteuersachbearbeiterin bei einem Lohnsteuerhilfeverein u.a. über sechs Jahre lang bei verschiedenen Firmen als Lohnbuchhalterin und Finanzbuchhalterin beschäftigt.

Die OFD vertritt die Auffassung, die vorgesehene Beratungsstellenleiterin erfülle nicht die in § 23 Abs. 3 StBerG vorgeschriebene Qualifikationsvoraussetzung einer mindestens dreijährigen hauptberuflichen Tätigkeit auf dem Gebiet des Lohnsteuerwesens. Sie forderte den Kläger auf, eine andere Person zum Beratungsstellenleiter zu bestellen oder die Beratungsstelle zu schließen. Die Beschwerde und die Klage des Klägers gegen die Verfügung der OFD blieben erfolglos. Das FG führte im wesentlichen aus:

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung des Senats fest, daß die Zeugin L die Voraussetzung des § 23 Abs. 3 StBerG nicht erfülle. Da mangels der vorgeschriebenen Qualifikation der Beratungsstellenleiterin die nach § 26 Abs. 1 StBerG gebotene sachgemäße Ausübung der Hilfeleistung in Steuersachen nicht sichergestellt sei, habe die OFD zu Recht die Schließung der Beratungsstelle verlangt (§ 28 Abs. 3 StBerG).

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist begründet. Das FG und die OFD sind zu Unrecht davon ausgegangen, daß Frau L die Voraussetzung für die Bestellung zur Leiterin der Beratungsstelle eines Lohnsteuerhilfevereins nicht erfülle.

1. Nach § 23 Abs. 3 StBerG darf der Lohnsteuerhilfeverein zum Leiter einer Beratungsstelle nur Personen bestellen, die mindestens drei Jahre auf dem Gebiet des Lohnsteuerwesens hauptberuflich tätig gewesen sind; dies gilt nicht für die in § 3 bezeichneten Personen. Der Nachweis über die Erfüllung dieser Qualifikationsvoraussetzungen ist der gesetzlich vorgeschriebenen Mitteilung über die Bestellung des Leiters der Beratungsstelle an die OFD beizufügen (§ 23 Abs. 4 und 5 StBerG). Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, ist die Bestimmung des § 23 Abs. 3 StBerG nicht gegen ihren Wortlaut auszulegen. Die dort vorgeschriebene Qualifikation kann nicht auf andere Weise (z.B. durch eine besondere Prüfung) als durch die genannte praktische Tätigkeit auf dem Gebiet des Lohnsteuerwesens nachgewiesen werden. Darin liegt - entgegen der Auffassung der Revision - kein Verfassungsverstoß (vgl. die Urteile des Senats vom 9. Januar 1979 VII R 22/78, BFHE 127, 100, BStBl II 1979, 306, und vom 9. April 1988 VII R 56/87, BFHE 153, 472, BStBl II 1988, 789).

2. Der Begriff "Lohnsteuerwesen" ist ebenso wie der des "Steuerwesens", auf dessen Gebiet die für die Zulassung zur Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtenprüfung erforderliche hauptberufliche Tätigkeit erbracht sein muß (§ 36 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. c, § 156 Abs. 2 Nr. 3 StBerG), im Gesetz nicht näher umschrieben. Der Senat hat den Begriff des "Steuerwesens" im Hinblick auf die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Freiheit der Berufswahl stets weit ausgelegt. Er hat darunter alles verstanden, was mit den Steuern zusammenhängt, insbesondere auch Randgebiete des Steuerrechts und Tätigkeiten, die nur mittelbar das Steuerrecht betreffen. Eine hauptberufliche praktische Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens ist danach auch dann gegeben, wenn das hauptberufliche Aufgabengebiet des Bewerbers zwar außerhalb des Steuerrechts liegt, jedoch mit diesem zusammenhängt und daher auch die Befassung mit Steuerfragen erfordert (vgl. BFH-Urteile vom 22. Februar 1978 VII R 86/77, BFHE 124, 474, BStBl II 1978, 393, und vom 17. Oktober 1978 VII R 30/78, BFHE 126, 107, BStBl II 1979, 27, m.w.N.). Entsprechend weit ist - wie der Senat in seinem Urteil in BFHE 153, 472, BStBl II 1988, 789 entschieden hat - auch der Begriff des "Lohnsteuerwesens" i.S. des § 23 Abs. 3 StBerG zu verstehen. Er geht über das Lohnsteuerrecht und die Bearbeitung von Lohnsteuersachen im engeren Sinne hinaus und umfaßt die Behandlung aller mit der Anwendung des Lohnsteuerrechts zusammenhängender Fragen einschließlich des einschlägigen Verfahrensrechts. Im Schrifttum wird folglich die Mitwirkung bei der Ermittlung der Lohnsteuerabzugsbeträge bzw. eine im Rahmen der Betriebs- oder Finanzbuchhaltung ausgeübte Tätigkeit (z.B. Lohnbuchhalter oder Leiter der Buchhaltung) als für die Bestellung des Beratungsstellenleiters ausreichend angesehen (vgl. Völzke, Drittes Gesetz zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes, Der Betrieb - DB - 1975, 1283, 1287; Völzke, Anerkennung als Lohnsteuerhilfeverein, DB 1975, 2389, 2391; Charlier/Peter, Kommentar zum Steuerberatungsgesetz, 3. Aufl., § 23 Rdnr. 10; Späth in Bonner Handbuch der Steuerberatung, Kommentar zum Steuerberatungsgesetz, § 23 Rdnr. B 257.2; a.A. Wilhelm, Der Beratungsstellenleiter als Lohnsteuerberater, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1986, 178, 179).

Der Senat hat daraus gefolgert, daß Steuerfachgehilfen, die für die Dauer der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestzeit ihren erlernten Beruf ausgeübt haben, die Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 StBerG regelmäßig erfüllen, d.h. also (auch) auf dem Gebiet des Lohnsteuerwesens hauptberuflich tätig waren (Urteile in BFHE 153, 472, BStBl II 1988, 789, und vom 19. April 1988 VII R 85/87, BFH/NV 1989, 49). Dabei kommt es nicht darauf an, ob und in welchem Umfang sie während ihrer Berufstätigkeit mit Fragen des Lohnsteuerrechts im engeren Sinne befaßt waren; denn die berufliche Tätigkeit auf dem Gebiet der Steuerberatung im allgemeinen schließt den Teilbereich des Lohnsteuerwesens, der eine weit gespannte berufliche Mindestqualifikation beinhaltet, mit ein. Im Rahmen dieser Beurteilung hat der Senat auch einer Steuerfachgehilfin, die nach den vorgelegten Zeugnissen überwiegend mit Buchführungsarbeiten in der Finanzbuchhaltung befaßt war, die Qualifikation als Beratungsstellenleiterin zuerkannt.

3. In Anwendung der vorstehenden Rechtsgrundsätze gelangt der Senat zu dem Ergebnis, daß auch Frau L, die vom Kläger als Leiterin seiner Beratungsstelle benannt worden ist, die Qualifikationsvoraussetzungen des § 23 Abs. 3 StBerG erfüllt, weil sie länger als drei Jahre auf dem Gebiet des Lohnsteuerwesens hauptberuflich tätig war. Nach den vorgelegten Dienstzeugnissen und den erläuternden Aussagen der Zeugin L in der mündlichen Verhandlung vor dem FG war diese bei den Firmen A, B und C, wenn man eine kurze Einarbeitungszeit außer Betracht läßt, durchgängig etwa fünf Jahre lang (15. September 1975 bis 31. Dezember 1980) u.a. als Lohnbuchhalterin beschäftigt. Ihr war dort die selbständige Bearbeitung der gesamten Lohnabrechnung einschließlich der Einbehaltung der Lohnsteuerabzugsbeträge und der Abgabe der Lohnsteueranmeldungen übertragen. Während dieser Beschäftigungsdauer entfiel nach Aussage von Frau L etwa 1/3 - während der Tätigkeit bei der Firma C (1. Februar bis 31. Dezember 1980) sogar die Hälfte - der Arbeitszeit auf die Bearbeitung der Lohnbuchhaltung. Daneben war Frau L bei diesen Firmen 3 3/4 Jahre lang mit der Erledigung der Finanzbuchhaltung befaßt. Auch diese Tätigkeit ist nach der Rechtsprechung des Senats jedenfalls dem Steuerwesen zuzurechnen (vgl. Urteil vom 27. Juli 1966 VII 48/64, BFHE 86, 460, BStBl III 1966, 569, und Urteil in BFH/NV 1989, 49). Eine ähnliche Tätigkeit übte Frau L für die weitere Dauer von einem Jahr und vier Monaten (1. März 1985 bis 30. Juni 1986) in der Firma D aus, bei der sie nach dem vorliegenden Zeugnis selbständig und eigenverantwortlich die Buchhaltung und die Lohnbuchhaltung bearbeitete, wobei nach ihren Angaben wiederum etwa 1/3 ihrer Arbeitszeit auf die Lohnbuchhaltung entfiel. Schließlich war die Zeugin für eine weitere Dauer von vier Monaten (1. Januar 1981 bis 30. April 1981) als Lohnsteuersachbearbeiterin bei der E e.V. (Lohnsteuerhilfeverein) sogar ganztägig und ausschließlich mit der Bearbeitung von Lohnsteuer-Jahresausgleichen und Einkommensteuererklärungen befaßt.

Der Senat ist der Auffassung, daß die praktische Berufstätigkeit der vorgesehenen Beratungsstellenleiterin als selbständig und eigenverantwortlich arbeitende Lohnbuchhalterin für die Dauer von insgesamt sechs Jahren und vier Monaten, die durch eine viermonatige ausschließliche und ganztägige Beschäftigung auf dem Gebiet des Lohnsteuerrechts im engeren Sinne als Sachbearbeiterin eines Lohnsteuerhilfevereins ergänzt worden ist, die Qualifikationsmerkmale des § 23 Abs. 3 StBerG erfüllt. Die Tätigkeit einer Lohnbuchhalterin wird jedenfalls dann von dem weit auszulegenden Begriff des Lohnsteuerwesens umfaßt, wenn diese - wie Frau L - selbständig und eigenverantwortlich arbeitet und dabei die Lohnsteuer der Arbeitnehmer nach den maßgeblichen Tabellen berechnet und einbehält sowie die Lohnsteueranmeldungen des Betriebs erstellt. Die Dauer der Beschäftigung als Lohnbuchhalterin war im Streitfall in die Mindestdauer der berufspraktischen Qualifikation nach § 23 Abs. 3 StBerG einzubeziehen, obwohl sie durchgängig nur etwa 1/3 der Gesamtarbeitszeit der Bewerberin abdeckte. Denn diese Tätigkeit auf dem Gebiet des Lohnsteuerwesens, die in bezug auf die gesamte Berufstätigkeit von Frau L nicht von untergeordneter Bedeutung war, führte aufgrund ihrer Nachhaltigkeit und Dauer zu einer einschlägigen praktischen Berufserfahrung, wie sie § 23 Abs. 3 StBerG voraussetzt. Dabei konnte der Senat die zeitgleich neben dieser Tätigkeit als Lohnbuchhalterin über fünf Jahre lang (1. April 1977 bis 31. Dezember 1980 und 1. März 1985 bis 30. Juli 1986) ausgeübte Tätigkeit von Frau L in der Finanzbuchhaltung ihrer Arbeitgeber außer Betracht lassen.

4. Der Senat ist nicht mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des FG an einer abschließenden Entscheidung gehindert. Er kann seiner Beurteilung die vorgelegten Zeugnisse sowie die Aussage von Frau L als Zeugin in der mündlichen Verhandlung vor dem FG zugrunde legen. Denn das FG hat im Tatbestand seines Urteils die Zeugnisse auszugsweise wiedergegeben und hinsichtlich der Vernehmung der Zeugin auf das Sitzungsprotokoll vom 21. April 1988 Bezug genommen. Die Echtheit und Richtigkeit der Zeugnisse sowie der Zeugenaussage ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten und vom FG nicht in Zweifel gezogen worden (vgl. § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG ist aufgrund der Beweisaufnahme lediglich deshalb zu dem Ergebnis gelangt, die vorgesehene Beratungsstellenleiterin erfülle nicht die in § 23 Abs. 3 StBerG vorgeschriebene Qualifikation, weil ihre Tätigkeit als Lohnbuchhalterin nicht die überwiegende Arbeitszeit und Arbeitskraft in Anspruch genommen hat.

Diese Rechtsauffassung des FG entspricht nicht der Rechtsprechung des Senats zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen die qualifizierende Tätigkeit i.S. des § 23 Abs. 3 StBerG "hauptberuflich" ausgeübt worden ist. Der Senat verlangt nicht, daß während der Mindestdauer von drei Jahren die arbeitstägliche Beschäftigung mit Lohnsteuerfragen mindestens dem Umfang einer Halbtagstätigkeit auf diesem Gebiet entspricht. Er hat vielmehr - wie ausgeführt - eine hauptberufliche praktische Tätigkeit auf dem Gebiet des "Steuerwesens" auch dann angenommen, wenn der Schwerpunkt des beruflichen Aufgabengebietes des Bewerbers zwar außerhalb des Steuerrechts liegt, jedoch mit diesem zusammenhängt und daher auch die Befassung mit Steuerfragen erfordert. Der Senat hat diese weite Auslegung für das Tatbestandsmerkmal der hauptberuflichen Tätigkeit auf dem Gebiet des Lohnsteuerwesens in § 23 Abs. 3 StBerG übernommen und einer Steuerfachgehilfin, die während ihrer praktischen Tätigkeit überwiegend mit Buchführungsarbeiten befaßt war, die Qualifikation als Beratungsstellenleiterin zuerkannt (BFH/NV 1989, 49, 52). Dabei hat er sogar eine Halbtagsbeschäftigung auf diesem Gebiet als ausreichend angesehen.

Für den Streitfall folgt daraus, daß jedenfalls die Beschäftigung der in Aussicht genommenen Beratungsstellenleiterin in der Lohnbuchhaltung ihrer Arbeitgeber auf die über die Dauer von mehr als sechs Jahren mindestens ein Drittel ihrer Arbeitszeit entfiel, als hauptberufliche Tätigkeit auf dem Gebiet des Lohnsteuerwesens angesehen werden muß. Denn die Tätigkeit in der Lohnbuchhaltung hat im Rahmen der ganztägig ausgeübten Beschäftigung mehr als die vom Gesetz geforderten drei Jahre lang die Arbeitszeit und Arbeitskraft von Frau L nicht unwesentlich in Anspruch genommen. Die OFD hat demnach zu Unrecht wegen nicht ausreichender Qualifikation der Beratungsstellenleiterin die Schließung der Beratungsstelle des Klägers in M verlangt. Die Vorentscheidung, die angefochtene Verfügung der OFD sowie die Beschwerdeentscheidung waren somit aufzuheben (§§ 126 Abs. 3 Nr. 1, 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).