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  BFH-Urteil vom 15.2.1990 (IV R 59/89) BStBl. 1991 II S. 11

Ein Landwirt, der seine Milchviehhaltung aufgibt und nur noch Rindermast und Schafhaltung betreibt, kann eine steuerfreie Rücklage nach § 6b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 EStG wegen Betriebsumstellung auch dann bilden, wenn mit der Aufgabe der Milchviehhaltung eine Verkleinerung des landwirtschaftlichen Betriebs einhergeht, und die Rücklage auf die Anschaffungskosten eines für die gleichzeitig intensivierte gewerbliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen angeschafften Wirtschaftsgutes übertragen wird.

EStG § 6b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3.

Sachverhalt

Der im Jahre 1925 geborene Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist buchführender Landwirt. Wirtschaftsjahr ist der Zeitraum vom 1. Mai bis zum 30. April. Im Mai 1983 veräußerte der Kläger seinen gesamten Milchviehbestand (37 Milchkühe). Streitig ist, ob darin eine Betriebsumstellung zu sehen ist, die zur Bildung einer steuerfreien Rücklage gemäß § 6b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 80 v.H. des Veräußerungsgewinns berechtigt.

Der Kläger bewirtschaftete von 1979 bis zum September 1982 Flächen von 54,9562 ha Grünland. Auf diesen Flächen hielt er Milchvieh, Mastrinder und Schafe. Der Viehbestand entwickelte sich in den Jahren 1979 bis 1986 wie folgt:

Abschlußsichtag 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986
Milchkühe

28

27

40

42

37

---

---

---

Bullen

59

21

26

2

14

8

23

33

Färsen

---

18

29

36

21

23

12

---

Kälber

106

124

101

117

22

---

---

---

Schafe/Lämmer

139

155

122

200

167

68

71

20

Im September 1982 verpachtete der Kläger 38 ha seiner Fläche auf 12 Jahre. Er selbst bewirtschaftete weiterhin im Jahre 1983 23,2817 ha, in den Jahren 1984 bis 1986 16,4317 ha und im Jahre 1987 11,4082 ha Grünland.

Seit dem 1. März 1983 erzielte der Kläger zusätzlich Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Gegenstand des Unternehmens ist die Beseitigung von Klärschlamm. Die Umsätze aus diesem Gewerbe steigerten sich in den Wirtschaftsjahren 1983/84 bis 1986/87 von 100.451 DM auf 153.359 DM, die Gewinne von 30.360 DM auf 85.506 DM.

Nach der Veräußerung der Milchkühe betrieb der Kläger weiterhin Masttierhaltung und Schafzucht. Den Gewinn aus der Veräußerung der Milchkühe erfaßte er zunächst als laufenden Gewinn des Wirtschaftsjahres 1983/84.

Nach Abschluß einer im Jahre 1986 durchgeführten Betriebsprüfung beantragte der Kläger die Bildung einer Rücklage nach § 6b Abs. 1 und 3 EStG wegen Betriebsumstellung. Die Rücklage wurde in der Bilanz des Gewerbebetriebs für das Wirtschaftsjahr 1985/86 auf die Anschaffungskosten eines im November 1985 für die Klärschlammabfuhr angeschafften neuen Schleppers übertragen.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte die Bildung der Rücklage mit der Begründung ab, es liege keine Betriebsumstellung i. S. des § 6b EStG vor. Der Kläger habe anstelle des veräußerten Viehbestandes keine neue aktive Bewirtschaftung aufgenommen.

Hiergegen wandten sich die Kläger mit der Klage.

Das FA erklärte während des finanzgerichtlichen Verfahrens, daß es der notwendigen Bilanzänderung zustimme, sofern das Finanzgericht (FG) die Voraussetzungen für die Rücklagenbildung für gegeben halte.

Das FG gab der Klage statt.

Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision des FA, mit der es Verletzung materiellen Rechts rügt.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Zu Recht hat das FG angenommen, daß in der Veräußerung des gesamten Milchviehbestandes eine Betriebsumstellung zu sehen ist, die zur Bildung einer steuerfreien Rücklage gemäß § 6b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 EStG berechtigt.

Diese Auslegung ist sowohl vom Wortlaut als auch vom Sinn und Zweck der Vorschrift gedeckt.

Zur Wortlautinterpretation können Art. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1.078/77 (VO Nr. 1.078/77) vom 17. Mai 1978 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - L 131/1) i. d. F. der Verordnung (EWG) Nr. 1.041/78 (VO Nr. 1.041/78) vom 22. Mai 1978 (ABlEG L 134/9) und das Urteil des erkennenden Senats vom 17. September 1987 IV R 122/85 (BFHE 151, 61, BStBl II 1988, 16) herangezogen werden. Nach den VO (EWG) Nr. 1.078/77 und 1.041/78 kann ein Landwirt eine "Umstellungs"-Prämie erhalten, wenn er die Milchkuhbestände auf Bestände zur Fleischerzeugung umstellt (vgl. Präambel der VO (EWG) Nr. 1.078/77). Nach dem Senatsurteil in BFHE 151, 61, BStBl II 1988, 16 stellt sich die Veräußerung des Milchviehbestandes eines landwirtschaftlichen Betriebs als Strukturänderung dar.

Der Zweck des § 6b EStG besteht darin, durch den Verzicht auf die sofortige Besteuerung der aufgedeckten stillen Reserven der Wirtschaft die ökonomisch sinnvolle Anpassung an strukturelle Veränderungen produktionstechnischer, verteilungswirtschaftlicher und regionaler Art zu erleichtern und dem Betrieb die ersparten Mittel zur Modernisierung und Rationalisierung zu erhalten (BTDrucks IV/2.400 S. 62/BRDrucks 193/64 S. 46; Senatsurteil vom 17. September 1987 IV R 8/86, BFHE 151, 139, BStBl II 1988, 55).

Aus diesem Zweck folgt, daß der Begriff der Betriebsumstellung nicht zu eng ausgelegt werden darf (ebenso: Felsmann, Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirte; 3. Aufl., Abschnitt B Rdnr. 953; Kanzler, Die Information über Steuer und Wirtschaft 1983, 509, 513; Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., § 6b EStG Rdnr. 40). Dem Betriebsinhaber soll ein gewisser Spielraum verbleiben, welche Maßnahme er für die Modernisierung oder Rationalisierung seines Unternehmens für erforderlich hält. Dieser Spielraum wird abgegrenzt durch die Veräußerung des gesamten Betriebes einerseits (vgl. Thiel, Übertragung stiller Reserven, S. 47; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 6b EStG Anm. 135) und Veräußerungen im laufenden Geschäftsverkehr andererseits.

Nach Abschn. 41a Abs. 7 der Einkommensteuer-Richtlinien liegt eine Betriebsumstellung nur bei einer wesentlichen Änderung der landwirtschaftlichen Betriebsorganisation vor. Als Beispiele werden genannt Umstellung auf viehlose Wirtschaft oder Umstellung von Milchwirtschaft auf Schweinemast. Die Gesetzesmaterialien führen als Beispiel den Übergang von der Groß- zur Kleintierhaltung an (BTDrucks, a.a.O.).

Demgegenüber soll die Umstellung innerhalb derselben Viehart (z.B. von süddeutschem Hochleistungsmilchvieh auf norddeutsches Hochleistungsmilchvieh) keine Betriebsumstellung sein. Es kann dahinstehen, ob diese Auslegung zu eng ist (so Kanzler, a.a.O.). Jedenfalls liegt bei zutreffender Auslegung nach dem Gesetzeszweck - ebenso wie bei der Wortlautinterpretation - eine Betriebsumstellung vor, wenn innerhalb derselben Tierart von der Milchwirtschaft zur Fleischerzeugung übergegangen wird (Felsmann, a.a.O.).

Ein anderes Ergebnis ist entgegen der Ansicht des FA auch nicht in den Fällen geboten, in denen die Aufgabe der Milchwirtschaft dazu dient, den Betrieb im Hinblick auf das Alter des Betriebsinhabers zu verkleinern und möglicherweise eine für spätere Jahre geplante Betriebsaufgabe vorzubereiten. Das gilt jedenfalls dann, wenn an die Stelle des aufgegebenen landwirtschaftlichen Betriebszweiges eine gewerbliche Tätigkeit tritt. Veräußerungs- und Reinvestitionsobjekte müssen nicht zum Vermögen des nämlichen Betriebs gehören, sofern es sich nur um inländische Betriebsstätten desselben Steuerpflichtigen handelt. Vorbehaltlich der Regelung in § 6b Abs. 4 Satz 2 EStG kann es sich auch um Betriebe verschiedener Einkunftsarten handeln. Daraus folgt, daß der Gesetzgeber die Vergünstigung nicht daran scheitern lassen wollte, daß mit der Betriebsumstellung eine Verkleinerung des landwirtschaftlichen Betriebs zugunsten einer gewerblichen Tätigkeit einhergeht.