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  BFH-Urteil vom 22.8.1990 (I R 178/86) BStBl. 1991 II S. 469

1. Eine Schuld hängt wirtschaftlich mit dem Erwerb eines Betriebs (Teilbetriebs) zusammen und ist deshalb in der Regel ohne Rücksicht auf ihre Laufzeit Dauerschuld, wenn ihre Entstehung durch den Erwerbsvorgang veranlaßt ist.

2. Eine mit dem Erwerb eines Betriebs (Teilbetriebs) wirtschaftlich zusammenhängende Schuld ist nicht nur insoweit Dauerschuld, als ihre Entstehung durch den Erwerb des vorhandenen Anlagevermögens des Betriebs (Teilbetriebs) veranlaßt ist.

3. Eine Verbindlichkeit des laufenden Geschäftsverkehrs eines Betriebs (Teilbetriebs) wird nicht allein dadurch zur Dauerschuld, daß der Betrieb (Teilbetrieb) veräußert und die Verbindlichkeit vom Erwerber in Anrechnung auf den Kaufpreis übernommen wird.

GewStG 1968 § 8 Nr. 1, § 12 Abs. 2 Nr. 1.

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Rechtsnachfolgerin der H.B. die vor dem Jahr 1971 (Streitjahr) zeitweilig als B. firmierte. B. erwarb mit Wirkung zum 1. Oktober 1970 von der H. einen Produktionsbetrieb mit Grundstücken, Vertriebseinrichtungen, Material- und Warenbeständen und vermieteten Anlagen. Er war - dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig - ein Teilbetrieb i.S. des § 8 Nr. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG). Der Kaufpreis des Teilbetriebs betrug einschließlich Umsatzsteuer (= 11.546.837 DM) rd. 116.518.083 DM.

In Anrechnung auf den Kaufpreis übernahm B. die mit dem Teilbetrieb wirtschaftlich zusammenhängenden Passiva in Höhe von rd. 51,8 Mio DM. Für den Fall, daß die übernommenen Verbindlichkeiten noch von der Verkäuferin getilgt wurden, verpflichtete sich B., der Verkäuferin die entsprechenden Beträge innerhalb von 180 Tagen nach Vertragsabschluß zu erstatten. Im übrigen sollte der Kaufpreis in Raten unterschiedlicher Höhe bis spätestens 30. September 1977 getilgt werden. Tatsächlich zahlte H.B. (früher B.) die letzte Kaufpreisrate bereits am 28. September 1971.

Nach einer Außenprüfung vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Ansicht, die Verbindlichkeiten der H.B. aufgrund des Erwerbs des Teilbetriebs seien Dauerschulden im Sinne des Gewerbesteuerrechts gewesen. Er erließ gegen die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der H.B. einen geänderten Gewerbesteuermeßbescheid für 1971 und rechnete dem Einheitswert des gewerblichen Betriebs auf den 1. Januar 1971 Verbindlichkeiten der H.B. aufgrund des Erwerbs des Teilbetriebs in Höhe von 94.292.837 DM gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG 1968 wieder hinzu (Bescheid vom 21. Februar 1983).

Einspruch und Klage waren erfolglos.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG 1968.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG 1968 sind zur Ermittlung des Gewerbekapitals dem Einheitswert des gewerblichen Betriebs die in § 8 Nr. 1 des Gesetzes genannten Verbindlichkeiten - die sog. Dauerschulden - insoweit wieder hinzuzurechnen, als sie bei der Feststellung des Einheitswerts abgezogen wurden. Dauerschulden sind nach § 8 Nr. 1 GewStG 1968 erstens die Schulden, die wirtschaftlich mit der Gründung oder dem Erwerb des Betriebs (Teilbetriebs) oder eines Anteils am Betrieb oder mit einer Erweiterung oder Verbesserung des Betriebs zusammenhängen - Schulden der ersten Tatbestandsgruppe -, zweitens die Schulden, die der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen - Schulden der zweiten Tatbestandsgruppe -.

a) Die Schulden der ersten Tatbestandsgruppe sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) in der Regel ohne Rücksicht auf ihre Laufzeit Dauerschulden (s. BFH-Urteile vom 28. Juli 1976 I R 91/74, BFHE 119, 569, BStBl II 1976, 789; vom 8. Oktober 1981 IV R 172/80, BFHE 134, 352, BStBl II 1982, 73; vom 15. November 1983 VIII R 179/83, BFHE 140, 96, BStBl II 1984, 213; vom 19. Januar 1984 IV R 26/81, BFHE 140, 281, BStBl II 1984, 376). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.

b) Schulden der zweiten Tatbestandsgruppe sind die Schulden, deren Gegenwert längerfristig (= länger als zwölf Monate) das Betriebskapital verstärkt und die keine Verbindlichkeiten des laufenden Geschäftsverkehrs sind (s. BFHE 119, 569, BStBl II 1976, 789; BFH-Urteil vom 9. April 1981 IV R 24/78, BFHE 133, 67, BStBl II 1981, 481 m.w.N.).

c) Mit dem Erwerb eines Teilbetriebs hängt eine Schuld wirtschaftlich zusammen, wenn ihre Entstehung durch den Erwerbsvorgang veranlaßt ist (vgl. BFH-Urteil vom 18. Januar 1979 IV R 194/74, BFHE 126, 560, BStBl II 1979, 266, zu § 8 Nr. 2 GewStG). Dies ist, wenn der Teilbetrieb aufgrund eines Kaufvertrags erworben wurde, z.B. bei der Kaufpreisschuld und den zu ihrer Tilgung aufgenommenen Darlehen der Fall. Verbindlichkeiten des Teilbetriebs, die dessen Erwerber - meist in Anrechnung auf den Kaufpreis - übernimmt, hängen dagegen wirtschaftlich nicht mit dem Erwerb zusammen. Ihre Entstehung ist durch den sie begründenden Geschäftsvorgang des Teilbetriebs veranlaßt. Sie können jedoch Schulden der zweiten Tatbestandsgruppe des § 8 Nr. 1 GewStG 1968 sein.

2. Die Sache ist nicht entscheidungsreif.

a) Die Feststellungen des FG zur Höhe des am 1. Januar 1971 noch nicht getilgten Restkaufpreisanspruchs sind widersprüchlich. Aus den Angaben des FG über die Zahlung des Kaufpreises folgt, daß der Kaufpreisanspruch am 1. Januar 1971 nur noch in Höhe von (rd.) 87.092.837 DM bestand. In Textziffer 70 des Betriebsprüfungsberichts vom 29. März 1982, auf die das FG verwiesen hat, wird die Restschuld per 31. Dezember 1970 mit (rd.) 94.292.837 DM beziffert. Hinzugerechnet zum Einheitswert wurde die Schuld in Höhe von 94.292.837 DM. Feststellungen, aus denen sich der Grund der Differenz zwischen beiden Beträgen (= 7.200.000 DM) ergibt, enthält das FG-Urteil nicht. Wahrscheinlich beruht die Differenz darauf, daß das von B. in Anrechnung auf den Kaufpreis für die Betriebsgrundstücke übernommene Darlehen der Landesbank in Höhe von 7.200.000 DM bei der Ermittlung der Dauerschulden noch als Teil der Restkaufpreisschuld erfaßt wurde.

Die übernommene Darlehensverbindlichkeit war keine Dauerschuld, falls es sich um eine Verbindlichkeit des laufenden Geschäftsverkehrs des Teilbetriebs handelte (zu den Voraussetzungen einer Verbindlichkeit des laufenden Geschäftsverkehrs s. BFH-Urteil vom 11. Dezember 1986 IV R 185/83, BFHE 149, 248, BStBl II 1987, 443 m.w.N.). Das FG wird zu klären haben, ob die Darlehensschuld eine laufende Verbindlichkeit war. Außerdem muß es klären, ob die Darlehensschuld aus Versehen doppelt hinzugerechnet wurde.

b) Aufgrund der Feststellungen des FG läßt sich auch nicht abschließend entscheiden, ob und inwieweit die Verbindlichkeiten Dauerschulden waren, die B. gemäß Nr. 6 der Vereinbarung vom 30. September 1970 in Anrechnung auf den Kaufpreis übernahm und die das FG in Höhe des am 1. Januar 1971 noch nicht getilgten Betrags - nach Angabe der Klägerin 36.835.000 DM - als Teil der Restkaufpreisschuld ansah.

Sie waren keine Dauerschulden, soweit es sich um Verbindlichkeiten des laufenden Geschäftsverkehrs handelte und sie innerhalb von zwölf Monaten nach Ablauf der sich aus der Art des ihnen jeweils zugrundeliegenden Geschäftsvorfalls ergebenden üblichen Tilgungsfrist getilgt wurden (s. BFH-Urteile vom 11. August 1959 I 197/57 S, BFHE 69, 447, BStBl III 1959, 428; vom 6. Februar 1985 I R 81/81, BFHE 143, 468, BStBl II 1985, 431). Nicht entscheidungserheblich ist, ob H.B. die Verbindlichkeiten unmittelbar tilgte oder ob - wie die Klägerin im Revisionsverfahren vorgetragen hat - die Verkäuferin des Teilbetriebs die Verbindlichkeiten tilgte und H.B. ihr die Tilgungsbeträge innerhalb von zwölf Monaten nach Ablauf der genannten Frist erstattete. Auch etwaige am 1. Januar 1971 bestehende Erstattungsansprüche der Verkäuferin hingen wirtschaftlich nicht mit dem Erwerb des Teilbetriebs, sondern mit den Geschäftsvorfällen zusammen, die den getilgten Verbindlichkeiten zugrunde lagen.

Das FG hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - die Höhe und Art dieser von B. übernommenen Verbindlichkeiten und die Zeitpunkte ihrer Tilgung bzw. der Tilgung der etwaigen Ende 1970 bestehenden Erstattungsansprüche der Verkäuferin nicht ermittelt. Es wird dies nachzuholen haben.

c) Die Restkaufpreisschuld - einschließlich des Umsatzsteueranteils des Kaufpreisanspruchs - war eine Dauerschuld. Sie war eine Schuld der ersten Tatbestandsgruppe des § 8 Nr. 1 GewStG 1968, die auch dann Dauerschuld ist, wenn sie innerhalb von zwölf Monaten nach ihrer Entstehung getilgt wird. Anlaß ihrer Entstehung war der Erwerb des Teilbetriebs.

Weder der sich aus der Rechnung über den Verkauf des Teilbetriebs ergebende Vorsteuererstattungsanspruch noch die Möglichkeit, diesen Anspruch zur Tilgung des ihm entsprechenden Teils des Kaufpreisanspruchs an die Verkäuferin des Teilbetriebs abzutreten, stehen dem entgegen. Für die Qualifizierung einer Verbindlichkeit als Dauerschuld kommt es grundsätzlich auf das einzelne Schuldverhältnis an. Die bloße Möglichkeit, eine Schuld durch Abtretung eines Anspruchs zu tilgen, steht der Tilgung nicht gleich. Daß die Restkaufpreisschuld teilweise durch Abtretung des Vorsteuererstattungsanspruchs getilgt wurde, hat die Klägerin nicht behauptet.

Ohne Bedeutung für die Qualifizierung der Restkaufpreisschuld als Dauerschuld ist auch, daß der Kaufpreis teilweise Entgelt für das zusammen mit dem Teilbetrieb erworbene Umlaufvermögen ist. Die Regelung des § 8 Nr. 1 GewStG unterscheidet nicht zwischen Schulden, die mit dem Erwerb von Umlaufvermögen eines Betriebs oder Teilbetriebs wirtschaftlich zusammenhängen, und den Schulden, die mit dem Erwerb von Anlagevermögen zusammenhängen.