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  BFH-Urteil vom 17.4.1991 (II R 119/88) BStBl. 1991 II S. 586

Besteht die Gegenleistung in der Verpflichtung des Grundstückserwerbers zur Gewährung eines zinsverbilligten Darlehens, so bestimmt sich der Wert der Gegenleistung nach der Differenz zwischen dem Zinssatz in der vereinbarten Höhe und dem von 5,5 v.H. nach § 15 Abs. 1 BewG.

GrEStG BW § 26 Abs. 1, § 27 Abs. 1 (= GrEStG 1983 § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1); BewG § 15 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

I.

Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 23. Juli 1973 erwarb die Klägerin ein bebautes Grundstück. Das dafür von der Erwerberin - der Klägerin - zu leistende Entgelt wurde in diesem Vertrag wie folgt vereinbart:

"§ 2 Vergütung

(1) Die Käuferin gewährt der A-GmbH ein am 1.1.1975 fälliges Darlehen in Höhe von X Deutsche Mark, verzinslich zu 5 v.H. jährlich, rückzahlbar in 20 aufeinanderfolgenden gleichbleibenden Jahresraten, beginnend am 1. Juli 1975.

Die weiteren Darlehensbedingungen werden in einem besonderen Darlehensvertrag zwischen der Käuferin und der A-GmbH geregelt.

(2) Der Verkäufer ist berechtigt, anstelle der Darlehensgewährung die Bezahlung eines Kaufpreises in Höhe von Y DM gleichfalls fällig am 1. Januar 1975, zu verlangen. Von dieser Ersetzungsbefugnis kann der Verkäufer bis zum 30. Juni 1974 durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Käufer Gebrauch machen."

Ein diesen Bedingungen entsprechender Darlehensvertrag kam zwischen der Klägerin und der A-GmbH zustande. Die Klägerin hat das Darlehen gewährt. Bei der Ermittlung ihres Bilanzumsatzes legte die Klägerin für das Darlehen einen Zinssatz von 8 v.H. zugrunde. Bei der dem Abschluß des Grundstückskaufvertrags vorausgegangenen Berechnung des Wertes des niedrig verzinslichen Darlehens sind die Vertragsbeteiligten zunächst sogar von einem Zinssatz von ca. 10 v.H. ausgegangen und haben sich schließlich intern darauf geeinigt, einen Zinssatz von 8,5 v.H. anzunehmen.

Durch Bescheid vom 26. November 1973 setzte das beklagte Finanzamt (FA) gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer fest. Es ging dabei von einer Besteuerungsgrundlage von Y DM aus. Da eine genaue Bestimmung des Kaufpreises wegen der in § 2 Abs. 2 des Grundstückskaufvertrags vorgesehenen Regelung nicht möglich schien, erging der Bescheid nach § 100 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) vorläufig. Am 22. September 1975 erließ das FA einen berichtigten Grunderwerbsteuerbescheid. Bei der Berechnung der Gegenleistung ging das FA nunmehr von der Differenz zwischen den tatsächlich vereinbarten Darlehenszinsen (5 v.H.) und dem von der Klägerin bei der Ermittlung ihres Bilanzumsatzes für das Darlehen zugrunde gelegten Zinssatz von 8 v.H. aus. Die so ermittelte Zinsdifferenz von 3 v.H. führte auf die Laufzeit des Darlehens umgelegt und abgezinst mit 5,5 v.H. zu einer Gegenleistung in Höhe von Z DM.

Hiergegen richtete sich die Klage. Mit dieser wurde geltend gemacht, daß für die Berechnung der Gegenleistung maßgeblich sei die Differenz zwischen dem tatsächlich vereinbarten Zinssatz von 5 v.H. und dem im Bewertungsgesetz (BewG) vorgesehenen Zinssatz von 5,5 v.H.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und die Grunderwerbsteuer entsprechend dem Klagebegehren herabgesetzt. Der Wert der Gegenleistung sei nach den Regeln des allgemeinen Teils des BewG zu bestimmen. Diese seien nach dem damals geltenden baden-württembergischen Gesetz über die Anwendung bundesrechtlicher Vorschriften des allgemeinen Abgabenrechts vom 27. Juni 1955 (Gesetzblatt - GBl - 1955, 102), zuletzt geändert durch § 40 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) vom 2. August 1966 (GBl 1966, 165), auch auf die damals landesrechtlich geregelte Grunderwerbsteuer anzuwenden gewesen. Für die Berechnung der Zinsdifferenz sei daher der Zinssatz von 5,5 v.H. maßgeblich gewesen. Die nach dem Grundstückskaufvertrag ursprünglich bestehende Ersetzungsmöglichkeit des Grundstücksveräußerers ändere nichts am Entscheidungsergebnis.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA. Es macht die Verletzung materiellen Rechts und einen Verfahrensmangel geltend. Es beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen. Zur Begründung führt es im wesentlichen an: Seit 1970 habe der Bund die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis auch für die Grunderwerbsteuer, damit entfalle die Voraussetzung für die Anwendung bundesrechtlicher Bewertungsvorschriften auf das damals geltende baden-württembergische GrEStG. Selbst wenn die allgemeinen Bewertungsvorschriften als solche anwendbar seien, sei die Entscheidung des FG unzutreffend. Es stehe unstreitig fest, daß die Vertragsparteien zumindest von einem Zinssatz von 8,5 v.H. ausgegangen seien. Damit stünde "ein anderer Wert fest". Das FG widerspreche mithin den Feststellungen im Tatbestand, wenn es ausführe, daß der Wert der gesamten Nutzungen nicht nachweislich höher sei. Wenn das FG diesbezüglich Zweifel habe, hätte es diese nach § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO) von Amts wegen durch weitere Nachforschungen ausräumen müssen. Im übrigen sei im Falle einer dem Gläubiger eingeräumten Ersetzungsbefugnis für die Festsetzung der Grunderwerbsteuer vom höchstmöglichen Betrag auszugehen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen. Aus dem Vortrag des FA selbst ergebe sich, daß dessen Revisionsrügen nur irrevisibles Landesrecht betreffen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

1. Die Verfahrensrüge hat keinen Erfolg. Es sind bereits die formellen Anforderungen an die Revisionsbegründung (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO) nicht erfüllt, denn das FA hat nicht angegeben, welche Beweise im einzelnen hätten erhoben werden müssen und was deren voraussichtliches Ergebnis gewesen wäre. Darüber hinaus hat das FA nicht dargelegt, warum sich eine entsprechende Beweisaufnahme dem FG auch ohne Beweisantritt hätte von Amts wegen aufdrängen müssen.

2. Das FG hat im Ergebnis zu Recht den Grunderwerbsteuerbescheid im angefochtenen Umfang für rechtswidrig erachtet.

Der notariell beurkundete Vertrag vom 23. Juli 1973 begründete einen Anspruch der Klägerin auf Übereignung eines Grundstücks. Damit ist der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 des damals geltenden baden-württembergischen GrEStG vom 2. August 1966 (GBl 1966, 165, BStBl II 1966, 200) erfüllt. Die Grunderwerbsteuer dafür bemißt sich nach dem Wert der Gegenleistung (§ 26 Abs. 1 GrEStG).

Zur Gegenleistung im grunderwerbsteuerrechtlichen Sinn gehört jede Leistung, die der Erwerber als Entgelt für den Erwerb des Grundstücks gewährt oder die der Veräußerer als Entgelt für die Veräußerung des Grundstücks empfängt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. November 1980 II R 28/75, BFHE 132, 111, BStBl II 1981, 174). Die Gegenleistung kann eine Geldleistung oder eine sonstige Leistung sein (Tausch; vgl. § 27 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG).

Nach diesen Grundsätzen besteht die Gegenleistung im Streitfall in der Verpflichtung der Grundstückserwerberin - der Klägerin - zum Abschluß eines Darlehensvertrags mit dem im Grundstückskaufvertrag vereinbarten Inhalt. Die Verpflichtung, einen gegenseitig verpflichtenden Vertrag mit einem Dritten abzuschließen oder in einen solchen Vertrag einzutreten, kann dem Grunde nach als sonstige Leistung zur Gegenleistung gehören. Bei Ausgewogenheit der beiderseitigen Verpflichtungen ist der Wert der Vertragsabschlußverpflichtung bzw. Vertragsübernahmeverpflichtung aber mit Null anzusetzen. Denn in diesem Fall findet im Verhältnis zwischen Veräußerer und Erwerber kein auf den Erwerbsgegenstand bezogener Wertzufluß bzw. -abfluß statt (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 1989 II R 115/86, BFHE 159, 362, BStBl II 1990, 440, mit weiteren Nachweisen). Ist der gegenseitig verpflichtende Vertrag, zu dessen Abschluß sich der Grundstückserwerber verpflichtet hat, aber in Leistung und Gegenleistung zu Lasten des Grundstückserwerbers unausgewogen, so liegt im Ausmaß der Unausgewogenheit eine Gegenleistung vor. Diese Voraussetzung liegt im Streitfall vor. Die Klägerin hat sich zum Abschluß eines Darlehensvertrags verpflichtet, mit dem sie ein Darlehen zu einem niedrigen Zinssatz gewähren soll. Darin besteht ihre Gegenleistung i.S. § 27 Abs. 1 GrEStG.

Die Klägerin verzichtet für die Überlassung des Kapitals auf das volle Entgelt in der Höhe, die sie am Markt erzielen könnte. In diesem (teilweisen) "Zinsverzicht" besteht ihre Aufwendung für den Erwerb des Grundstücks. Damit korrespondiert, was der Grundstücksveräußerer erhält. Er erhält die Nutzungsmöglichkeit an dem überlassenen Kapital zu entsprechend geringeren Zinsen. Nach dem Wert der "Zinsdifferenz" ist die Steuer zu bemessen. Diese ist zu bilden aus dem (gemeinen) Jahreswert der Nutzung des überlassenen Kapitals und der Höhe der vereinbarten Zinsen. Da es sich um die Nutzung einer Geldsumme handelt, ist der Jahreswert nach § 15 Abs. 1 BewG i.d.F. vom 10. Dezember 1965 (BGBl I 1965, 1861, BStBl I 1966, 2), zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. August 1971 (BGBl I, 1266, BStBl I 1971, 373) - BewG 1965 - mit 5,5 v.H. anzunehmen. Der so ermittelte Betrag ist entsprechend der vereinbarten Laufzeit des Darlehens zu kapitalisieren und entsprechend den vereinbarten Tilgungsraten abzuzinsen. Dies entspricht im Ergebnis der Berechnung des FG.

Die allgemeinen Bewertungsvorschriften des BewG waren im Jahre 1973 - zum Zeitpunkt der Verwirklichung des Steuertatbestands - auch für die damals durch baden-württembergisches Landesgesetz geregelte Grunderwerbsteuer anwendbar. Dies folgt aus § 1 Abs. 1 Nr. 4 des damals geltenden baden-württembergischen Gesetzes über die Anwendung bundesrechtlicher Vorschriften des allgemeinen Abgabenrechts vom 27. Juni 1955 (GBl 1955, 102, BStBl II 1955, 128), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. Dezember 1969 (GBl 1970, 1, BStBl I 1970, 208). Nach dieser Vorschrift waren die allgemeinen Bewertungsvorschriften anzuwenden auf öffentlich-rechtliche Abgaben, die der Gesetzgebung des Bundes nicht unterliegen und von den Landesfinanzbehörden verwaltet werden.

Die Vorschrift des § 15 Abs. 1 BewG 1965 gilt uneingeschränkt für die Ermittlung des Jahreswerts der Nutzung einer Geldsumme. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist sie deshalb anzuwenden bei der Erbschaftsteuer für die Berechnung des sich aus der Gewährung eines unverzinslichen Darlehens für den Schuldner ergebenden Vorteils (Urteil vom 12. Juli 1979 II R 26/78, BFHE 128, 266, BStBl II 1979, 631). Sie ist auch anzuwenden für die Wertermittlung einer Leistung aus einem gegenseitig verpflichtenden Vertrag. Weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch aus ihrem systematischen Zusammenhang läßt sich ableiten, daß sie in diesem Bereich nicht gelten soll. Sie ist daher auch für die Ermittlung des Werts der Gegenleistung im Streitfall anwendbar.

Im Streitfall steht auch "kein anderer Wert fest". Die Wertermittlung nach § 15 Abs. 1 BewG 1965 mit 5,5 v.H. wird weder durch abweichende Wertvorstellung der an einem Rechtsgeschäft Beteiligten noch durch einen abweichenden "Marktpreis" ausgeschlossen.

Das FG hat daher den Wert der Gegenleistung im Ergebnis zutreffend ermittelt.

Dem Entscheidungsergebnis steht es auch nicht entgegen, daß nach dem Vertrag vom 23. Juli 1973 der Grundstücksveräußerer berechtigt war, anstelle der Darlehensgewährung die Bezahlung eines Kaufpreises zu verlangen. Tatsächlich durchgeführt haben die Vertragsbeteiligten den Darlehensvertrag. Das ursprünglich bestehende Recht des Gläubigers, an dessen Stelle einen Kaufpreis zu verlangen, ist - zumindest durch Zeitablauf - erloschen. Das FA hat daher zu Recht mit seinem danach ergangenen (Änderungs-)Bescheid die Verpflichtung zur Eingehung des Darlehensvertrags als Gegenleistung behandelt (und diese lediglich zu hoch bewertet). Für Art und Umfang der Gegenleistung sind grundsätzlich die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Verwirklichung des Steuertatbestands maßgeblich. Bestehen jedoch zu diesem Zeitpunkt Zweifel in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht über Art und Umfang der Gegenleistung und fallen diese Zweifel später weg, so ist der dann erkennbare und verwirklichte Sachverhalt der Besteuerung zugrunde zu legen, sofern dies verfahrensmäßig (noch) möglich ist. Bestehen derartige Zweifel am Stichtag, hat das FA ggf. dafür Sorge zu tragen, daß diese Verfahrensmöglichkeit erhalten bleibt. Dies hat das FA im Streitfall zutreffend getan. Nach der vom Senat vertretenen Auffassung bedarf es keines Rückgriffs auf die Grundsätze des § 34 Abs. 3 GrEStG. Der Wegfall von vornherein bestehender rechtlicher oder tatsächlicher Zweifel (z.B. bei Wahlrecht des Gläubigers) ist zu unterscheiden von einer nachträglich erfolgten Herabsetzung der Gegenleistung. Ersteres ist - materiell-rechtlich - uneingeschränkt zu berücksichtigen, letzteres nur unter den Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 GrEStG.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der nach Wegfall des Wahlrechts des Gläubigers ergangene Änderungsbescheid des FA. Der Senat braucht daher im Streitfall nicht zu entscheiden, was in einem derartigen Fall in der Schwebezeit (z.B. bis zum Wegfall des Wahlrechts des Gläubigers) als Gegenleistung heranzuziehen ist (vgl. dazu Boruttau/Egly/Sigloch, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, Rdnr. 116 zu § 8 GrEStG 1983).