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  BFH-Urteil vom 13.3.1991 (I R 83/89) BStBl. 1991 II S. 595

Übersteigt der Wert der Buchstelle einer Körperschaft des öffentlichen Rechts den Gesamtwert ihrer aktiven und passiven Wirtschaftsgüter, so liegt kein "Praxiswert", sondern ein "Geschäftswert" vor.

EStG §§ 5 Abs. 2, 6 Abs. 1, 7 Abs. 1 Satz 3; KStG 1977 § 4 Abs. 1 und 5.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

I.

Streitig ist die Zulässigkeit von Absetzungen für Abnutzung (AfA) und einer Teilwertabschreibung auf den Mehrwert der Buchstelle einer Handwerksinnung.

1. Satzungszweck der am 1. Oktober 1984 gegründeten Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH, ist die Buchführung, Steuerberatung und Betriebsberatung. An der Klägerin sind der Steuerberater D zu 25 v.H. und die Handwerkerinnung (J) -eine Körperschaft des öffentlichen Rechts - zu 75 v.H. beteiligt.

Mit Kaufvertrag vom 1. Oktober 1984 erwarb die Klägerin die Buchstelle der J zum Preis von 351 181,81 DM. Im Kaufpreis war nach dem Kaufvertrag ein Entgelt für den "Geschäftswert" in Höhe von 200 000 DM enthalten. Die Buchstelle befaßte sich mit der steuerlichen Beratung der Innungsmitglieder. Sie wurde bis Juni 1984 von einem angestellten Steuerberater geleitet. In der Zeit bis zu Übernahme durch die Klägerin am 1. Oktober 1984 war D nach dem übereinstimmenden Sachvortrag der Beteiligten für die Buchstelle tätig.

Im Rumpfwirtschaftsjahr 1984 und im Wirtschaftsjahr 1985 nahm die Klägerin AfA von dem im Kaufvertrag als "Geschäftswert" bezeichneten Mehrwert vor. Die AfA beliefen sich auf 10 000 DM im Jahr 1984 und auf 40 000 DM im Jahr 1985. Zur Begründung der Absetzungen trug die Klägerin dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -FA -) vor, daß der als Geschäftswert bezeichnete Mehrwert ein "Praxiswert" sei. Sollte das nicht zutreffen, sei eine Teilwertabschreibung auf den Geschäftswert in Höhe von 100 000 DM vorzunehmen, weil die Gewinne der Buchstelle zurückgegangen seien. Die Buchstelle habe im Durchschnitt dreier Jahre vor der Übernahme einen Gewinn von 84 072 DM erzielt. Demgegenüber sei der Gewinn in den beiden Folgejahren 1985 und 1986 auf durchschnittlich 43 750 DM gesunken.

Das FA lehnte in den Körperschaftsteuerbescheiden 1984 und 1985 sowohl die geltend gemachten AfA als auch eine Teilwertabschreibung ab. Der Betrag von 200 000 DM sei für einen Geschäftswert gezahlt worden, für den eine Absetzung nach § 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht in Betracht komme.

2. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) lehnte sowohl AfA als auch eine Teilwertabschreibung ab.

Die Klägerin rügt mit ihrer vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision die Verletzung materiellen Rechts.

Die Klägerin habe einen Praxiswert erworben, auf den AfA vorzunehmen seien.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

a) das angefochtene Urteil aufzuheben und AfA im Jahre 1984 mit 10.000 DM und im Jahre 1985 mit 40.000 DM anzuerkennen,

b) hilfsweise, eine Teilwertabschreibung in Höhe von 100.000 DM zuzulassen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -FGO -).

Das FG hat im angefochtenen Urteil zutreffend sowohl die Voraussetzungen von AfA als auch einer Teilwertabschreibung verneint.

1. Das FG hat zu Recht einen Praxiswert verneint. a) Der Mehrwert eines erworbenen Unternehmens über den Substanzwert der materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter abzüglich der Verbindlichkeiten ist regelmäßig als "Geschäftswert" zu aktivieren (§ 5 Abs. 2 EStG; BFH-Urteil vom 7. November 1985 IV R 7/83, BFHE 145, 194, BStBl II 1986, 176 m.w.N.). Den entsprechenden Mehrwert einer freiberuflichen Praxis hat die höchstrichterliche Rechtsprechung wegen der Besonderheiten freiberuflicher Tätigkeit vom Geschäftswert als "Praxiswert" abgegrenzt. Ein etwaiger "Praxiswert" beruht auf dem persönlichen Vertrauensverhältnis der Mandanten zum beratenden Praxisinhaber (vgl. Urteile des Reichsfinanzhofs -RFH - vom 30. Januar 1929 VI A 369/28, RStBl 1929, 326; vom 28. Juli 1938 IV 5/38, RFHE 44, 286, RStBl 1938, 955; BFH-Urteile vom 15. April 1958 I 61/57 U, BFHE 67, 151, BStBl III 1958, 330; vom 2. Februar 1972 I R 96/70, BFHE 104, 442, BStBl II 1972, 381; vom 23. Januar 1975 IV R 166/71, BFHE 115, 102, BStBl II 1975, 381; vom 1. April 1982 IV R 2-3/79, BFHE 136, 83, BStBl II 1982, 620). Nach dem Ausscheiden des bisherigen Beraters endet das Vertrauensverhältnis zwangsläufig; dies hat zur Folge, daß sich der Praxiswert verhältnismäßig rasch verflüchtigt. Deshalb sind - anders als beim Geschäftswert in der vor dem 1. Januar 1986 geltenden Rechtslage - vom Praxiswert Absetzungen vorzunehmen (BFH in BFHE 67, 151, BStBl II 1958, 330, und in BFHE 115, 102, BStBl II 1975, 381).

b) Im Streitfall bestand kein Praxiswert in diesem Sinne.

Das FG hat ohne Rechtsirrtum ausgeführt, daß sich zur Buchstelle einer Körperschaft des öffentlichen Rechts kein Vertrauensverhältnis im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Praxiswert herausbilden konnte. Der Senat verkennt dabei nicht, daß auch zu dem das Innungsmitglied im Einzelfall beratenden Angestellten der öffentlich-rechtlichen Körperschaft ein gewisses Vertrauensverhältnis entstehen kann. Es ist jedoch mit den Beziehungen zu einem freiberuflich tätigen Berater nicht vergleichbar. Beratungsverträge mit einer Handwerkskammer werden maßgeblich durch die Zugehörigkeit zu dieser öffentlich-rechtlichen Körperschaft beeinflußt. Beratungsleistungen eines öffentlich-rechtlich oder privat-rechtlich organisierten Berufsverbandes werden von den Mitgliedern in erster Linie wegen der im Verband konzentrierten Branchenkenntnisse, möglicherweise auch wegen einer günstigeren Kostenstruktur in Anspruch genommen. Daneben wird auch die Person des angestellten Buchstellenleiters eine Rolle spielen. Sie ist jedoch nicht wie bei Rechtsbeziehungen zum Inhaber einer freiberuflichen Praxis das allein ausschlaggebende Motiv für die Bindung der Mandanten an die Buchstelle.

Da ein Praxiswert bereits aus diesen Gründen zu verneinen ist, kann dahinstehen, ob einem Gewerbebetrieb überhaupt ein "Praxiswert" zugeordnet werden kann. Die Buchstelle war ein Betrieb gewerblicher Art der J, da die J insoweit nicht in Ausübung hoheitlicher Gewalt, sondern im Bereich privatunternehmerischer Berufsausübung tätig wurde (§ 4 Abs. 1 und 5 des Körperschaftsteuergesetzes -KStG 1977 -; vgl. BFH-Urteile vom 21. September 1989 V R 89/85, BFHE 158, 177, BStBl II 1990, 95; vom 30. November 1989 I R 19/87, BFHE 159, 162, BStBl II 1990, 246). Es liegt nahe anzunehmen, daß ein Praxiswert nur im Zusammenhang mit freiberuflicher Tätigkeit entstehen kann, da nur für sie das entscheidende Vertrauensverhältnis denkbar ist.

2. Der nach dem Kaufvertrag vom 1. Oktober 1984 über den Substanzwert der übernommenen Wirtschaftsgüter hinausgehende Mehrwert ist bei dieser Sachlage nur als "Geschäftswert" zu qualifizieren.

a) Von diesem Geschäftswert waren in den Streitjahren keine AfA zulässig. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH konnten bis zum Inkrafttreten des § 7 Abs. 1 Satz 3 EStG 1986 von einem Geschäftswert keine AfA vorgenommen werden (vgl. BFH in BFHE 136, 83, 85, BStBl II 1982, 620; Urteile vom 12. August 1982 IV R 43/79, BFHE 136, 274, 279, BStBl II 1982, 652; vom 21. Juli 1982 I R 177/77, BFHE 136, 381, BStBl II 1982, 758). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.

b) Auch eine Teilwertabschreibung (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG) auf den Geschäftswert der früheren Buchstelle ist nicht gerechtfertigt.

aa) Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen gilt die Vermutung, daß der Teilwert eines angeschafften Wirtschaftsgutes den Anschaffungskosten entspricht (BFH-Urteile vom 17. Januar 1978 VIII R 31/75, BFHE 124, 441, BStBl II 1978, 335; vom 30. November 1988 I R 114/84, BFHE 155, 337, 340, BStBl II 1990, 117). Da ein Firmenwert nach der in den Streitjahren geltenden Rechtslage als nicht abnutzbares Wirtschaftsgut anzusehen war, erstreckte sich die für den Anschaffungszeitpunkt geltende Teilwertvermutung auch auf spätere Bewertungsstichtage (BFH-Urteile vom 28. Oktober 1976 IV R 76/72, BFHE 120, 245, BStBl II 1977, 73; in BFHE 136, 381, BStBl II 1982, 758). Zumindest galt die Teilwertvermutung noch für den nur 15 Monate nach der Anschaffung liegenden Abschluß des zweiten Streitjahres 1985.

bb) Die Teilwertvermutung kann nach der Rechtsprechung dadurch widerlegt werden, daß der Steuerpflichtige nachweist, daß die Anschaffung eines Wirtschaftsguts von Anfang an eine Fehlmaßnahme war (BFH-Urteil vom 20. Mai 1988 III R 151/86, BFHE 153, 566, BStBl II 1989, 269). Als Fehlmaßnahme ist die Anschaffung eines Wirtschaftsguts des Anlagevermögens zu werten, wenn ihr wirtschaftlicher Nutzen bei objektiver Betrachtung deutlich hinter dem für den Erwerb getätigten Aufwand zurückbleibt und demgemäß dieser Aufwand so unwirtschaftlich war, daß er von einem gedachten Erwerber des gesamten Betriebs im Kaufpreis nicht honoriert würde (BFH-Urteil vom 17. September 1987 III R 201- 202/84, BFHE 152, 221, BStBl II 1988, 488 m.w.N.).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Es ist vom FG nicht festgestellt und von der Klägerin auch nicht vorgetragen worden, daß sie beim Erwerb des Betriebs von unrichtigen Voraussetzungen ausgegangen ist und sich über Faktoren, die für den Wert des Betriebs bestimmend waren, geirrt hat (vgl. BFH- Urteil vom 5. Februar 1988 III R 229/84, BFH/NV 1988, 432).

cc) Im Streitfall lägen die Voraussetzungen einer Teilwertabschreibung auch dann nicht vor, wenn die Teilwertvermutung nicht eingriffe. Die Klägerin hat zwar zu Recht darauf hingewiesen, daß eine Teilwertabschreibung auf einen Geschäftswert in Betracht kommen kann, falls sich aus der wirtschaftlichen Entwicklung des erworbenen Unternehmens seit dem Zeitpunkt des Erwerbs Anhaltspunkte dafür ergeben, daß der Teilwert des erworbenen und im Zeitpunkt des Erwerbs tatsächlich vorhandenen Geschäftswerts in der Folgezeit durch Minderung geschäftswertbildender Faktoren gesunken ist; solche Anhaltspunkte liegen insbesondere vor, wenn sich die Rentabilität des Unternehmens vermindert hat, weil die Entwicklung der Umsätze und Gewinne über einen längeren Zeitraum stagniert oder zurückgeht (BFH- Urteile vom 13. April 1983 I R 63/79, BFHE 138, 541, BStBl II 1983, 667; in BFH/NV 1988, 432).

Ein Gewinnrückgang im Verlauf von rund zwei Jahren nach der Übernahme der Buchstelle durch die Klägerin ist jedoch selbst dann nicht geeignet, eine Teilwertabschreibung auf einen Geschäftswert zu rechtfertigen, wenn er prozentual bedeutend ist. Die Gewinnrückgänge können durch die Übernahme der Buchstelle durch die Klägerin und die damit verbundenen organisatorischen und personellen Veränderungen entstanden sein, ohne daß damit eine dauernde Gewinnschmälerung verbunden ist. Erst eine längerfristige Betrachtung kann nach den grundlegenden Veränderungen des Jahres 1984 ein zuverlässiges Bild über die Gewinnaussichten des übernommenen Unternehmens geben.