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  BFH-Urteil vom 15.9.1988 (IV R 75/87) BStBl. 1991 II S. 624

Wird eine Kapitalgesellschaft, an der eine hundertprozentige Beteiligung besteht, in der Weise aufgelöst und beendet, daß ihr Vermögen auf den Alleingesellschafter übertragen wird, so ist der hieraus beim Gesellschafter entstandene Gewinn tarifbegünstigt.

EStG 1979 § 16 Abs. 1 Nr. 1, § 34 Abs. 2 Nr. 1.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine KG, war alleinige Gesellschafterin einer GmbH in der Schweiz. Im Jahre 1980 wurde die GmbH aufgelöst; die Klägerin übernahm ihr Vermögen (Bankguthaben, Forderungen gegen die Klägerin, vermindert um eine Rückstellung). Hieraus ergab sich ein Liquidationsgewinn von ... DM. Die Klägerin beantragte seine Versteuerung als Veräußerungsgewinn gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1, § 34 Abs. 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) stellte den Gewinn jedoch als laufenden Gewinn fest.

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, daß die Beteiligung der Klägerin einem Teilbetrieb gleichgestellt sei und daß die Liquidation der GmbH wie eine Aufgabe des Teilbetriebs behandelt werden müsse.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet; das FG hat zu Recht angenommen, daß der Gewinn der Klägerin aus der Liquidation ihrer Beteiligungsgesellschaft als Veräußerungsgewinn steuerbegünstigt ist.

1. In § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist bestimmt, daß zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch Gewinne gehören, die bei der Veräußerung des ganzen Gewerbebetriebs erzielt werden. Die gesonderte Ermittlung dieses Gewinns soll seine ermäßigte Besteuerung gemäß § 16 Abs. 4, § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 EStG gewährleisten. Die Steuerbegünstigung soll Härten vermeiden, die durch die Auflösung aller stiller Reserven und ihre Versteuerung nach dem progressiven Einkommensteuertarif entstehen würden. Da die Reserven auch bei der Aufgabe des Gewerbebetriebs aufgedeckt werden, stellt § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG die Aufgabe der Veräußerung gleich.

2. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 i.V. m. § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG wird die Steuervergünstigung auch für die Veräußerung eines Teilbetriebs gewährt. Obwohl im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt, steht die Aufgabe des Teilbetriebs seiner Veräußerung gleich; denn auch hierbei werden die stillen Reserven des Teilbetriebs aufgedeckt (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. August 1964 IV 40/62 U, BFHE 80, 83, BStBl III 1964, 504).

3. Schließlich entsteht ein steuerbegünstigter Veräußerungsgewinn auch bei der Veräußerung einer im Betriebsvermögen liegenden hundertprozentigen Beteiligung (Alleinbeteiligung) an einer Kapitalgesellschaft; eine derartige Beteiligung wird in § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG einem Teilbetrieb gleichgestellt. Ziel dieser durch das Steueränderungsgesetz 1965 eingeführten Regelung ist es, die stillen Reserven der Beteiligung einer ermäßigten Besteuerung zu unterwerfen, weil die Veräußerung der Beteiligung derjenigen eines Teilbetriebs wirtschaftlich gleichstehe (Finanzausschuß des Bundestages, BTDrucks IV/3189 S. 6).

Dieser Zweck des Steuergesetzes verlangt seine Erstreckung auf andere Sachverhalte, in denen gleichfalls sämtliche Reserven der Alleinbeteiligung aufgelöst werden. Der erkennende Senat hat deshalb den aus der Entnahme der Beteiligung entstandenen Gewinn als steuerbegünstigten Veräußerungsgewinn angesehen; er hat den Vorgang mit der Aufgabe des Teilbetriebs durch Überführung seiner Wirtschaftsgüter in das Privatvermögen verglichen (BFH-Urteil vom 24. Juni 1982 IV R 151/79, BFHE 136, 375, BStBl II 1982, 751).

4. Die stillen Reserven der Beteiligung werden auch aufgelöst, wenn die Beteiligungsgesellschaft liquidiert wird und der Liquidationserlös beim Gesellschafter an die Stelle des Buchwerts der untergehenden Beteiligung tritt (vgl. BFH-Urteil vom 6. Dezember 1972 I R 182/70, BFHE 108, 159, BStBl II 1973, 291). Der Auskehrung des Liquidationserlöses entspricht die Übertragung anderer Wirtschaftsgüter der aufgelösten und untergehenden Gesellschaft (BFH-Urteil vom 24. Januar 1979 I R 202/75, BFHE 128, 33, BStBl II 1979, 581). Auch dieser Sachverhalt wird vom Begünstigungszweck erfaßt. Hiervon geht die herrschende Meinung aus (Urteil des FG Hamburg vom 4. August 1970 III 184/68, Entscheidungen der Finanzgerichte 1970, 558; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 7. Aufl., § 16 Anm. 28; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 16 EStG Rz. 119, 126; Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 14. Aufl., § 16 Rz. 61; Herzig, Betriebs-Berater - BB - 1981, 1143). Demgegenüber weist die Finanzverwaltung darauf hin, daß im Falle der Liquidation die Kapitalanteile untergehen, nicht aber veräußert würden (Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 27. Juli 1967 und entsprechende Ländererlasse, vgl. Steuererlasse in Karteiform, Einkommensteuergesetz, § 6b Nrn. 13 und 14; Der Betrieb 1967, 1346; BB 1967, 912). Dem ist zuzustimmen (vgl. BFHE 128, 33, BStBl II 1979, 581). Wie hervorgehoben, ist die Steuervergünstigung aber nicht auf den Veräußerungsfall beschränkt.

Das FA macht demgegenüber geltend, daß im Streitfall die Tatbestandsmerkmale der Aufgabe eines Teilbetriebs nicht erfüllt seien. Sie verlangten, daß die wesentlichen Wirtschaftsgüter innerhalb kurzer Zeit in einem einheitlichen Vorgang entweder veräußert oder in das Privatvermögen überführt werden und der Teilbetrieb damit als selbständiger Organismus zu bestehen aufhöre. Im Streitfall seien die Wirtschaftsgüter des Teilbetriebs jedoch in das Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen überführt worden, worin ein Aufgabevorgang nicht gesehen werden könne. Diese Auffassung würde die Steuerbegünstigung auf den Fall beschränken, daß die aufgelöste Kapitalgesellschaft ihr Vermögen versilbert und den Erlös an den Alleingesellschafter auskehrt; sie wäre dagegen zu versagen, wenn die Kapitalgesellschaft auf die Versilberung des Vermögens ganz oder teilweise verzichtet und dieses Vermögen an den Gesellschafter auskehrt. Diese Unterscheidung leuchtet nicht ein; die Kapitalgesellschaft müßte sonst ihr Vermögen an den Gesellschafter veräußern und anschließend den Erlös an ihn auskehren.

Dem FA ist einzuräumen, daß die Übertragung der Grundsätze für eine Teilbetriebsaufgabe auf eine Verwertung der hundertprozentigen Beteiligung Schwierigkeiten bereiten kann. In diesem Fall muß sich die Auslegung am Zweck der Vorschrift orientieren, für die Auflösung aller stillen Reserven der Beteiligung eine Steuerbegünstigung zu gewähren. Aus diesem Grunde hat der Senat den Gewinn aus ihrer Entnahme einem Aufgabegewinn gleichgestellt (BFHE 136, 375, BStBl II 1982, 751). Dieser Zweck verlangt auch im Streitfall die Begünstigung des Liquidationsgewinns.

5. Auf die Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahren für die Höhe des begünstigten Liquidationsgewinns ergeben können, braucht im Streitfall nicht eingegangen zu werden, weil die Beteiligung an einer ausländischen Kapitalgesellschaft bestand.