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  BFH-Beschluß vom 12.4.1991 (III R 181/90) BStBl. 1991 II S. 638

Eine gleichzeitig mit der Nichtzulassungsbeschwerde eingelegte unzulässige Revision wird nicht dadurch statthaft, daß die Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg hat (Abgrenzung zum Urteil des BFH vom 28. März 1979 I R 58-59/78, BFHE 128, 135, BStBl II 1979, 650).

FGO §§ 115 Abs. 2 und 3, 116 Abs. 1

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wandten sich nach erfolglosem Vorverfahren mit der Klage gegen den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1987 in Gestalt der Einspruchsentscheidung. Sie machten geltend, daß die Einspruchsentscheidung gegen die Klägerin isoliert aufzuheben sei, weil das Vorverfahren nur vom Kläger angestrengt worden sei. Außerdem seien die Einspruchsentscheidung und der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr insgesamt aufzuheben, weil der Bescheid an "Herrn und Frau G, zu Händen Herrn Steuerberater K" adressiert worden sei. Diese Art der Adressierung führe zur Ungewißheit über den Empfänger und damit wegen unwirksamer Bekanntgabe zur Nichtigkeit des Bescheides. Hilfsweise rügten die Kläger in ihrer Klage aus verfassungsrechtlichen Gründen einen zu geringen Grundfreibetrag und zu geringe Kinderfreibeträge.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Revision ließ das FG nicht zu. Das FG-Urteil wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger am 10. Juli 1990 zugestellt.

Gegen die Nichtzulassung der Revision erhoben die Kläger eine auf grundsätzliche Bedeutung der Sache, auf Abweichung des angegriffenen Urteils von einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) und auf Verfahrensmängel gestützte Beschwerde.

Ferner legten die Kläger die vorliegende Revision ein, weil das Urteil des FG nicht mit Gründen versehen sei und daher ein Grund für eine zulassungsfreie Revision nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gegeben sei. Das FG-Urteil enthalte keinerlei Ausführungen dazu, daß der streitige Steuerbescheid an sie - die Kläger - als Eheleute trotz der Beantragung der Einzelbekanntgabe nur in einer Ausfertigung bekanntgegeben worden und daher unwirksam sei. Dieser Bekanntgabemangel des Bescheides sei mit der Klage zwar nicht gerügt worden. Das FG habe die ordnungsgemäße Bekanntgabe des Bescheids aber in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen prüfen müssen.

Die Kläger beantragen, den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr wegen fehlender Bekanntgabe aufzuheben.

Die Revision der Kläger ging am 13. August 1990 beim FG ein. Auf den Hinweis des Vorsitzenden des erkennenden Senats, daß die Frist für die Einlegung der Revision versäumt worden sei, beantragten die Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sie machen geltend, daß die Revisionsschrift bereits am 2. August 1990 in einen Briefkasten des Wohnorts ihres Prozeßbevollmächtigten eingeworfen worden sei. Zur Glaubhaftmachung berufen sie sich auf den Poststempel auf dem bei den Gerichtsakten befindlichen Briefumschlag und auf einen Postaufgabevermerk und das Zeugnis eines Büroangestellten ihres Prozeßbevollmächtigten.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

1. Dabei kann offenbleiben, ob die Unzulässigkeit bereits aus dem verspäteten Eingang der Revisionsschrift beim FG folgt oder ob den Klägern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Die Unzulässigkeit ergibt sich jedenfalls aus anderen Gründen.

2. Nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) findet abweichend von § 115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn das FG oder auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der BFH sie zugelassen hat. Ohne Zulassung durch das FG oder den BFH ist die Revision daher nur zulässig, wenn wesentliche Mängel des Verfahrens i.S. von § 116 Abs. 1 FGO gerügt werden. Ein solcher wesentlicher Verfahrensmangel ist nur dann schlüssig gerügt, wenn die zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen - ihre Richtigkeit unterstellt - einen der in § 116 Abs. 1 FGO genannten Mängel ergeben. Der Vortrag der Kläger ergibt nicht schlüssig einen Verfahrensmangel i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO.

Nach der Rechtsprechung des BFH fehlen die Entscheidungsgründe zwar nicht nur dann, wenn die Entscheidung überhaupt nicht mit Gründen versehen ist. Diese Voraussetzung ist vielmehr bereits dann erfüllt, wenn das FG einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat. Der selbständige Anspruch oder das selbständige Angriffs- oder Verteidigungsmittel muß in dem Verfahren vor dem FG aber geltend gemacht worden sein. Es muß sich um einen wesentlichen Streitpunkt des Verfahrens handeln (vgl. Urteile des BFH vom 11. Juni 1969 I R 27/68, BFHE 95, 529, BStBl II 1969, 492, und vom 3. März 1970 VII R 43/68, BFHE 98, 525, BStBl II 1970, 494, sowie Beschluß des BFH vom 5. Dezember 1986 VI R 58/86, BFH/NV 1987, 175).

Wie die Kläger selbst vortragen, hat die vom FG übergangene Bekanntgabe des streitigen Steuerbescheides an die Kläger in nur einer Ausfertigung im Klageverfahren noch keine Rolle gespielt. Mit ihrer Auffassung, das FG habe dieser Frage auch ohne Rüge von Amts wegen nachgehen müssen, machen die Kläger im Grunde geltend, das FG habe seine Amtsermittlungspflichten verletzt oder trotz richtiger Erkenntnis des Sachverhalts das darin liegende Problem übersehen. Dabei geht es nicht um ein Fehlen der Entscheidungsgründe, sondern um die Rüge der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes oder eines materiellen Rechtsfehlers bei der Entscheidungsfindung.

3. Die von den Klägern eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das FG, über die der Senat noch nicht entschieden hat, kann auch im Falle ihres Erfolges der vorliegenden Revision nicht zur Zulässigkeit verhelfen. Allerdings hat der I. Senat des BFH entschieden, daß eine ursprünglich nicht statthafte Revision rückwirkend zulässig wird, wenn eine neben der Revision eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg hat (Urteil vom 28. März 1979 I R 58-59/78, BFHE 128, 135, BStBl II 1979, 650; vgl. auch Beschluß des erkennenden Senats vom 28. Oktober 1988 III B 184/86, BFHE 155, 12, BStBl II 1989, 107, und BFH-Urteil vom 5. April 1990 VII R 2/89, BFH/NV 1991, 105). Diese Entscheidung ist jedoch ausschließlich mit den Besonderheiten der damals noch gegebenen Streitwertrevision begründet worden, weil die Höhe des Streitwerts häufig nicht klar erkennbar ist und daher für den Verfahrensbeteiligten, der entweder nur die Revision oder nur die Nichtzulassungsbeschwerde einlegt, die Gefahr besteht, jegliche Rechtsmittelmöglichkeit zu verlieren. Mit diesen Besonderheiten wird in dem Urteil in BFHE 128, 135, BStBl II 1979, 650 auch die Abweichung von einem Beschluß des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. April 1975 2 R U 63/75 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1976, 32) gerechtfertigt. Da die Streitwertrevision durch Art. 1 Nr. 5 BFHEntlG suspendiert ist, trägt diese Begründung eine Abweichung von der Rechtsprechung des BSG nicht mehr.

Auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), auf das sich der I. Senat des BFH für seine Auffassung in dem Urteil in BFHE 128, 135, BStBl II 1979, 650 noch stützt, hat zwischenzeitlich entschieden, daß die Stattgabe einer Nichtzulassungsbeschwerde keine Auswirkungen auf eine zuvor in der Sache unzulässigerweise erhobene Revision hat (Beschluß vom 29. August 1985 3 CB 13/85, Buchholz, Sammlung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310 § 133 VwGO Nr. 57). Der erkennende Senat folgt dieser Auffassung des BVerwG. Bei einer ohne vorherige Zulassung durch das FG oder den BFH eingelegten Revision geht es allein um die Frage, ob diese eingelegte Revision zulässig ist. Diese Frage richtet sich nach § 116 Abs. 1 FGO. Im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde wird nur darüber entschieden, ob eine Revision nach § 115 Abs. 2 FGO gegeben ist. Die Stattgabe der Nichtzulassungsbeschwerde sagt also nichts darüber aus, ob eine vor dieser Entscheidung eingelegte Revision, die sich allein auf § 116 Abs. 1 FGO stützen kann, zulässig ist.

Der Senat weicht damit nicht von der Entscheidung des I. Senats in BFHE 128, 135, BStBl II 1979, 650 ab, da diese Entscheidung ausschließlich zur Streitwertrevision ergangen und mit dem Wegfall der Streitwertrevision überholt ist (Beermann in Ziemer/ Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 9875/5). Ebenso ist keine Abweichung vom Urteil des VII. Senats in BFH/NV 1991, 105 gegeben. Diese Entscheidung sagt nichts darüber aus, daß die gleichzeitig mit der Nichtzulassungsbeschwerde eingelegte Revision unzulässig gewesen und nur durch den Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde zulässig geworden wäre. Es wird vielmehr ausdrücklich festgestellt, daß die Revision frist- und formgerecht eingelegt worden sei.