| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 5.3.1991 (VII R 93/88) BStBl. 1991 II S. 678

1. Die Haftung des Geschäftsführers einer GmbH für Umsatzsteuer richtet sich auch dann nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung, wenn der Geschäftsführer die Voranmeldung nicht oder nicht rechtzeitig abgegeben hat (Bestätigung des Urteils vom 12. Juli 1988 VII R 4/88, BFHE 154, 206, BStBl II 1988, 980).

2. Ein haftungsbegründender ursächlicher Zusammenhang zwischen der nicht oder nicht rechtzeitigen Abgabe der Steuererklärung und dem eingetretenen Steuerausfall kann allerdings dann gegeben sein, wenn durch die Pflichtverletzung aussichtsreiche Vollstreckungsmöglichkeiten des FA vereitelt worden sind.

AO 1977 § 69 Satz 1.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

I.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nahm den Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) durch Haftungsbescheid nach § 69 der Abgabenordnung (AO 1977) wegen rückständiger Umsatzsteuervorauszahlungen einer GmbH für November und Dezember 1984 in Anspruch. Da der vom Kläger als alleinigem Geschäftsführer der GmbH im November 1984 gestellte Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens im Dezember 1984 mangels Masse abgewiesen worden war, setzte das FA die Haftungssumme auf den Einspruch des Klägers herab. Hierbei ging es davon aus, daß der GmbH bei Fälligkeit der Umsatzsteuervorauszahlungen für November und Dezember 1984 keine ausreichenden Mittel zur Tilgung der Steuerschulden zur Verfügung standen. Es unterschied dabei zwischen der - nur wenige Tage verspäteten - Anmeldung der Umsatzsteuervorauszahlung für November 1984, bei der es von einer weiteren Inanspruchnahme des Klägers absah, und der Nichtabgabe der Umsatzsteuervoranmeldung für Dezember 1984, für die es an einer weiteren Inanspruchnahme festhielt und lediglich die Höhe der geschätzten Umsätze zu Gunsten des Klägers korrigierte.

Der hiergegen gerichteten Klage, mit der der Kläger geltend gemacht hatte, es seien aufgrund einer Globalzession sowie von Sicherungsübereignungen weder Geldmittel noch sonstiges Vermögen zur Tilgung der Steuerschulden verfügbar gewesen, gab das Finanzgericht (FG) statt und hob den Haftungsbescheid auf.

Zur Begründung führte es aus, § 69 AO 1977 unterscheide zwischen der nicht oder nicht rechtzeitigen Festsetzung (1. Alternative) und der nicht oder nicht rechtzeitigen Erfüllung (2. Alternative) von Steueransprüchen. Bestehe die Pflichtverletzung des Geschäftsführers nicht nur in der unterlassenen Steuerentrichtung aus den von ihm verwalteten Mitteln, sondern bereits in der Nichtabgabe der Steuererklärung, gebiete es der Wortlaut des § 69 AO 1977, das Verschulden allein auf die Nichtabgabe der Steuererklärung und nicht - auch - auf die Möglichkeit des Geschäftsführers zur Erfüllung der Steueransprüche zu beziehen. Die fehlende Zahlungsfähigkeit des Geschäftsführers könne erst auf der Stufe des Ermessens berücksichtigt werden. Da das FA im Streitfall von fehlenden Mitteln zur Tilgung der Steuerschulden bzw. von verbleibenden Unsicherheiten hierüber ausgegangen sei und weder der Haftungsbescheid noch die Einspruchsentscheidung Ermessenserwägungen darüber erkennen ließen, ob und in welcher Höhe der Kläger in Anspruch genommen werden solle, sei der Haftungsbescheid aufzuheben.

Gegen dieses Urteil wendet sich das FA mit der vom FG zugelassenen Revision. Es rügt die Verletzung von § 69 Satz 1, § 191 Abs. 1 und § 5 AO 1977 und macht folgendes geltend:

Zwar sei der Rechtsauffassung des FG darin zu folgen, daß bei der 1. Alternative des § 69 AO 1977 die Frage der Verfügbarkeit von Mitteln unbeachtlich sei. Es sei jedoch unzulässig, zunächst eine scharfe Trennung beider Tatbestandsalternativen vorzunehmen und anschließend auf dem Weg der Ermessensausübung beide Alternativen wieder miteinander zu vermischen. Der Gesetzgeber habe dadurch, daß er zwei getrennte Haftungstatbestände in § 69 AO 1977 unterscheide, zum Ausdruck bringen wollen, daß die Haftung schon dann eintreten solle, wenn einer der beiden Tatbestände erfüllt sei. Diese gesetzgeberische Wertung dürfe vom FG nicht dadurch unterlaufen werden, daß es Voraussetzungen, die der Gesetzgeber im Tatbestand der Haftungsvorschrift ausschließe, auf der Stufe des Ermessens wieder einführe. Nach der ersten Alternative des § 69 AO 1977 führe allein die Verletzung der Erklärungspflicht zur Haftung ohne Rücksicht auf die Zahlungsfähigkeit der GmbH. Das Gesetz sehe - wie auch bei der Regelung des § 152 AO 1977 über den Verspätungszuschlag - allein die Störung des Veranlagungsverfahrens als den Haftungsgrund an.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben, soweit das FG die Haftung des Klägers für die Umsatzsteuervorauszahlung Dezember 1984 aufgehoben hat, und die Klage insoweit abzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), weil die vom FG getroffenen Feststellungen die Aufhebung des Haftungsbescheides nicht tragen.

1. Das FG ist von einer Haftung des Klägers als Geschäftsführer für die von ihm nicht erfüllte Umsatzsteuerschuld der GmbH für den Monat Dezember 1984 nach § 69 Satz 1, 1. Alternative AO 1977 (Nichtfestsetzung oder nicht rechtzeitige Festsetzung) ausgegangen, ohne Rücksicht auf die - vom FG nicht festgestellte, möglicherweise aber bestehende - Zahlungsunfähigkeit der GmbH. Es hat aber ausgeführt, daß das FA von der Zahlungsunfähigkeit der GmbH bzw. von nicht behebbaren Unsicherheiten hierüber ausgegangen ist, und den Haftungsbescheid wegen Nichtberücksichtigung dieses Umstands bei der Ermessensausübung aufgehoben.

Nach der Rechtsprechung des BFH ist schon bei der Tatbestandsmäßigkeit der Haftung nach § 69 AO 1977 in beiden Alternativen der Grundsatz der anteiligen Tilgung der Umsatzsteuer (Urteile vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776; vom 12. Juni 1986 VII R 192/83, BFHE 146, 511, BStBl II 1986, 657) zu berücksichtigen, also auch dann, wenn - wie im Streitfall - in Betracht kommt, daß der Geschäftsführer zur Tilgung der Steuerschulden aus Mitteln der GmbH nicht in der Lage war und er zudem Steuererklärungen nicht oder nicht rechtzeitig beim FA eingereicht hat (BFH-Urteile vom 12. Juli 1988 VII R 4/88, BFHE 154, 206, BStBl II 1988, 980 mit Anmerkung Prugger, GmbH-Rundschau - GmbHR - 1988, 457; vom 28. November 1989 VII R 55/88, BFH/NV 1990, 481; ebenso schon zur Vorläufervorschrift § 109 der Reichsabgabenordnung - AO - BFH-Urteil vom 16. März 1988 I R 129/83, BFH/NV 1989, 409). Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, daß das Verschulden in beiden Alternativen des § 69 AO 1977 nur einheitlich gesehen werden könne, daß bei anderer Betrachtungsweise der haftungsbegrenzende Grundsatz der anteiligen Tilgung der Umsatzsteuer ausgehöhlt und eine derartige Auslegung auch am Schadenersatzcharakter des § 69 AO 1977 vorbeigehen würde.

Gegen diese Rechtsprechung (zustimmend: Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 69 Anm. 5; Wilcke, Die Steuerhaftung des GmbH-Geschäftsführers, Steuerliche Vierteljahresschrift - StVJ - 1990, 146, 152; Spriegel/Jokisch, Die steuerliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers und der Grundsatz der anteiligen Tilgung, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1990, 433, 436; Harenberg, Haftung des Geschäftsführers für Umsatzsteuerschulden der Gesellschaft, Neue Wirtschafts-Briefe Fach 2, 5245; kritisch: Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 69 AO 1977 Tz. 13, Stand Oktober 1989; Friedl, Die Haftung des Geschäftsführers für Umsatzsteuerschulden der GmbH und der Grundsatz der anteiligen Befriedigung aller Gläubiger, DStR 1989, 162; Spetzler, Die Einschränkung der Haftung des GmbH-Geschäftsführers in § 69 AO durch den Grundsatz der anteiligen Tilgung, GmbHR 1989, 167; Hoelscher, Kommentierte Finanzrechtsprechung - KFR - Fach 2 AO § 69, 1/89 S. 5) wird im wesentlichen eingewandt, der Senat habe entgegen dem eindeutigen Gesetzeswortlaut beide Alternativen des § 69 Satz 1 AO 1977 miteinander vermengt und bei der Auslegung des § 69 AO 1977 die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale nicht hinreichend berücksichtigt. Eine Differenzierung sei auch deshalb geboten, weil das FA unmittelbar nach Steuerfestsetzung die Möglichkeit habe, den gesamten Steueranspruch ohne Rücksicht auf eine anteilige Befriedigung anderer Gläubiger zu vollstrecken. Auf die vom BFH verfolgten Belange könne flexibler bei der Ermessensprüfung reagiert werden.

2. Der Senat hält nach erneuter Überprüfung im wesentlichen an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

Nach § 69 AO 1977 haftet der Geschäftsführer einer GmbH, wenn Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihm auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt (1. Alternative) oder nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden (2. Alternative) ....

a) Soweit der Geschäftsführer seiner Erklärungspflicht genügt und lediglich die Steuern nicht oder nicht rechtzeitig aus den von ihm verwalteten Mitteln entrichtet (§ 69 Satz 1, 2. Alternative AO 1977), kommt jedenfalls eine Haftung für Umsatzsteuerrückstände nur dann in Betracht, wenn er es versäumt, die Steuern in etwa gleicher Weise zu tilgen wie die Forderungen anderer Gläubiger. Denn der gesetzliche Vertreter darf - wie schon der Reichsfinanzhof - RFH - (Urteil vom 4. Januar 1927 V A 695/26, RFHE 20, 199) entschieden hat - die Steuerschulden nicht schlechter behandeln als die übrigen Verbindlichkeiten (Grundsatz der anteiligen Tilgung). Soweit dem Geschäftsführer unter Beachtung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung wegen Ausschöpfung der vorhandenen oder bereitzuhaltenden Betriebsmittel die weitere Erfüllung von Steuerschulden unmöglich ist, fehlt es für eine Haftung nach § 69 AO 1977, wenn nicht schon an einer Pflichtverletzung, so doch jedenfalls an einem Verschulden des Geschäftsführers (Urteile des BFH in BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776 und BFHE 146, 511, BStBl II 1986, 657). Von diesem rechtlichen Ausgangspunkt ist auch das FA ausgegangen und hat den Kläger hinsichtlich der zwar vorangemeldeten, aber nicht entrichteten Umsatzsteuern November 1984 wegen der vom FA angenommenen Mittellosigkeit der GmbH aus der Haftung entlassen.

b) Diese rechtliche Beurteilung (Haftung des Geschäftsführers nur bei schuldhafter Verletzung der Pflicht zur anteilmäßigen Tilgung) ändert sich im Regelfall auch dann nicht, wenn der Geschäftsführer bei gleichmäßiger Verteilung der verfügbaren oder bereitzuhaltenden Mittel - in der Regel wohl gerade im Hinblick auf die Mittellosigkeit der GmbH - seiner Steuererklärungspflicht nicht mehr genügt hat (§ 69 Satz 1, 1. Alternative AO 1977). Zwar ist in der Nichtabgabe von Steueranmeldungen - unabhängig vom Vorhandensein von Mitteln zur Tilgung der anzumeldenden Umsatzsteuern - eine Pflichtverletzung nach §§ 34, 69 AO 1977 zu sehen, die in der Regel auch schuldhaft sein wird. Auch wird - wie im Streitfall - der Geschäftsführer nicht schon durch einen Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens von der Verpflichtung zur Abgabe von Steuererklärungen entbunden (vgl. § 6 und § 106 Abs. 1 Satz 2 der Konkursordnung - KO -), so daß allein nach dem Wortlaut des § 69 Satz 1, 1. Alternative AO 1977 die Haftung des Klägers uneingeschränkt begründet wäre. § 69 Satz 1, 1. Alternative AO 1977 ist aber aus den nachfolgenden Gründen einschränkend auszulegen.

aa) Wie der BFH in ständiger Rechtsprechung (Urteile vom 26. Juli 1988 VII R 83/87, BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859; vom 5. Februar 1985 VII R 124/80, BFH/NV 1987, 2; zur Vorläufervorschrift des § 90 AO 1919 schon Urteil des RFH vom 20. Dezember 1927 IV A 400/27, RFHE 22, 281, 286) in Übereinstimmung mit der Literatur (so schon Enno Becker, Reichsabgabenordnung, 7. Aufl. 1930, § 90 Anm. 3; Tipke/Kruse, a.a.O., § 69 AO 1977 Tz. 2; Halaczinsky in Koch, Abgabenordnung, 3. Aufl., vor § 69 Rz. 3; Wilcke, StVJ 1990, 146, 151) hervorgehoben hat, besitzt § 69 AO 1977 Schadenersatzcharakter (vgl. auch Begründung des Entwurfs für eine Reichsabgabenordnung zu § 83 Abs. 2 bis § 86 AO, in Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 338 Nr. 759). Ziel der Haftung ist es danach, Steuerausfälle auszugleichen, die durch schuldhafte Pflichtverletzungen der in § 34 und § 35 AO 1977 bezeichneten Personen verursacht worden sind. Danach kann also eine Haftung nur dann in Betracht kommen, wenn zwischen der Pflichtverletzung und dem Steuerausfall als dem auszugleichenden Schaden ein Kausalzusammenhang besteht. Tritt ein Steuerausfall als Schaden mangels ausreichender Zahlungsmittel und vollstreckbaren Vermögens der GmbH unabhängig davon ein, ob die Steueranmeldung fristgerecht eingereicht wird, so ist die Verletzung der Steuererklärungspflicht für den eingetretenen Schaden nicht ursächlich (vgl. Urteile des BFH in BFH/NV 1989, 409, und des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 9. Dezember 1988 8 C 13/87, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1989, 1873; zur Ursächlichkeit pflichtwidrigen Unterlassens vgl. auch Urteil des BFH vom 24. März 1987 VII R 155/85, BFH/NV 1987, 560).

bb) Auch aus der neueren Gesetzgebung ist nicht erkennbar, daß der Gesetzgeber im Gegensatz zum vorherigen Rechtszustand (bis 31. Dezember 1976) die sehr einschneidende, in vielen Fällen sogar existenzvernichtende Haftung für Betriebssteuern allein an die Verletzung von Steuererklärungspflichten knüpfen wollte. Mit der Neufassung der Haftungsvorschriften des § 69 AO 1977, wonach die Haftung nicht mehr an "die Verkürzung von Steueransprüchen" (vgl. § 109 AO), sondern an die Nichtfestsetzung oder nicht rechtzeitige Festsetzung oder Erfüllung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis geknüpft wird, war keine sachliche Änderung bezweckt. Nachdem bereits der RFH die "Verkürzung von Steueransprüchen" mit Nichtabführung oder nicht rechtzeitiger Abführung der Steuerbeträge an die Finanzkasse definiert hatte (Urteil vom 20. Dezember 1927 IV A 400/27, RFHE 22, 281) und diese Definition in der Literatur im Hinblick auf solche Fallgestaltungen als nicht umfassend kritisiert wurde, bei denen auf Grund unterlassener Abgabe oder Abgabe unrichtiger Steuererklärungen Besteuerungstatbestände verheimlicht und damit ihre Fälligkeit (i.S. des Festsetzungsverfahrens) hinausgeschoben oder verhindert wurde (vgl. Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung, 7. Aufl., § 109 AO Tz. 4, Stand Dezember 1975), sollte mit der Neufassung klargestellt werden, daß eine Haftung auch dann "in Betracht kommt, wenn infolge der Pflichtverletzung eine Steuer zu spät oder überhaupt nicht festgesetzt wird" (Bericht des Finanzausschusses, BTDrucks 7/4292 S. 23). Anhaltspunkte dafür, daß mit der Neufassung des § 69 AO 1977 eine Haftungsverschärfung gegenüber dem bestehenden Rechtszustand verbunden sein sollte, so daß u.U. bei einem Geschäftsführer einer GmbH schon eine verspätete Abgabe einer Steuererklärung zu einer möglicherweise die wirtschaftliche Existenz vernichtenden Haftung führen sollte - und das für Steuerbeträge, die der Fiskus auch ohne die Pflichtverletzung, d.h. bei rechtzeitiger Abgabe der Steuererklärung, wegen der Zahlungsunfähigkeit der GmbH nicht hätte erlangen können -, sind nicht erkennbar. Schon daraus, daß der Gesetzgeber in § 69 AO 1977 im Unterschied zu § 109 AO die Haftung auf vorsätzliche und grob fahrlässige Pflichtverletzungen beschränkt hat, wird deutlich, daß die Tendenz des Gesetzgebers bei der Neufassung des § 69 AO 1977 dahin ging, die Haftungsanforderungen abzumildern, und nicht dahin, sie zu verschärfen.

cc) Für eine Auslegung des Haftungstatbestandes im vorstehenden Sinne spricht auch, daß nach § 34 AO 1977 die Hauptpflicht der Geschäftsführer ("insbesondere") darin besteht, dafür zu sorgen, daß die Steuern aus Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden. Dieser Vorschrift ist zu entnehmen, daß eine Entrichtung der Steuern nur von solchen Mitteln erwartet werden darf, die dem Geschäftsführer tatsächlich zur Verfügung stehen. Auch daraus muß gefolgert werden, daß eine Haftung für Steuerausfälle grundsätzlich nur in dem Maße in Betracht kommt, in dem die Steuerausfälle darauf zurückzuführen sind, daß die Pflicht zur Entrichtung der Steuern aus den tatsächlich verfügbaren Mitteln verletzt worden ist (vgl. Urteil des Senats vom 2. Februar 1988 VII R 90/86, BFH/NV 1988, 487).

dd) Gegen diese Auslegung des § 69 AO 1977 spricht entgegen Spetzler (GmbHR 1989, 167, 169) nicht, daß der Gesetzgeber beide Haftungsalternativen nicht mit "und", sondern mit "oder" verbunden hat; denn die Nichtentrichtung der Steuern sollte auch ohne vorangegangene Verletzung der Erklärungspflichten nach wie vor entsprechend dem bisherigen Rechtszustand die Haftung begründen, was bei einer kumulativen Gesetzesfassung (Nichtfestsetzung "und" Nichterfüllung) ausgeschlossen wäre. Die Gesetzesfassung ("oder") schließt es daher nicht aus, im Wege der Auslegung nach Sinn und Zweck des Gesetzes an die Verletzung der Erklärungspflicht eine dem Schadenersatzcharakter des § 69 AO 1977 Geltung verschaffende Haftung zu knüpfen, die auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besser gerecht wird.

ee) Der Senat vermag deshalb der Ansicht der Vorinstanz - Verlagerung der Kausalitätsprüfung auf die Ermessensebene - nicht zu folgen. Wegen der eingeschränkten gerichtlichen Prüfungsmöglichkeiten einer Ermessensentscheidung (§ 102 FGO) würde dies auch - besonders im Hinblick auf die oft einschneidenden wirtschaftlichen Folgen einer Inanspruchnahme als Haftungsschuldner - zu einer nicht sachgerechten Verkürzung des Rechtsschutzes führen.

ff) Der Gegenmeinung (vgl. Spetzler, GmbHR 1989, 167, 169; Friedl, DStR 1989, 162, 168) ist allerdings zuzugeben, daß der erforderliche haftungsbegründende Kausalzusammenhang zwischen der Verletzung der Steuererklärungspflicht und dem Haftungsschaden auch dadurch begründet sein kann, daß durch die unterlassene oder verspätete Steueranmeldung eine aussichtsreiche Vollstreckungsmöglichkeit des FA vereitelt wird (Urteile des RFH vom 22. Dezember 1933 V e A 1052/31, RFHE 35, 76, 79, und des FG Berlin vom 30. Oktober 1970 III 25/70, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1971, 247). Das FG hat jedoch keine Feststellungen getroffen, ob im Falle der vom Kläger vertretenen GmbH, die im maßgeblichen Zeitpunkt bereits konkursreif war, das FA bei rechtzeitiger Steueranmeldung mit Aussicht auf Erfolg hätte vollstrecken können.

Hieraus folgt für den Streitfall, daß der Kläger auf Grund der pflichtwidrigen Nichtabgabe der Umsatzsteuervoranmeldung 12/84 nur dann für den Steuerausfall haftet, wenn bei fristgerechter Anmeldung der Umsatzsteuern der Steuerausfall vermieden worden wäre. War die GmbH zu diesem Zeitpunkt bereits zahlungsunfähig, eine Einzelzwangsvollstreckung mangels pfändbarer Vermögenswerte nicht erfolgversprechend, und kann dem Kläger auch nicht vorgehalten werden, er habe sich schon zu einem früheren Zeitpunkt schuldhaft außerstande gesetzt, vorhersehbare Steuerschulden tilgen zu können, so liegt die maßgebliche Ursache des Steuerausfalls nicht in der Pflichtverletzung bei Abgabe der Steuererklärung, sondern in Liquiditäts- und Vermögensverhältnissen der GmbH, für die der Kläger unter Berücksichtigung seiner steuerrechtlichen Pflichten nach § 69 AO 1977 steuerrechtlich nicht verantwortlich gemacht werden kann.

3. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist und der Senat mangels ausreichender Feststellungen nicht abschließend entscheiden kann, muß die Vorentscheidung aufgehoben und die Rechtssache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen werden (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG in erster Linie Feststellungen dazu treffen müssen, ob der Kläger zu dem Zeitpunkt, in dem bei pflichtgemäßer Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung 12/84 die Fälligkeit der Steuerschuld eingetreten wäre (hier: wegen Fristverlängerung am 10. Februar 1985), über die Mittel zur Tilgung der Steuerforderungen verfügte und ob er ggf. die Pflicht zur anteilmäßigen Befriedigung des Fiskus verletzt hat. Hierbei kann u.U. eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers auch darin liegen, daß er sich durch Einräumung von Globalzessionen und Sicherungsrechten zu Gunsten der kreditgebenden Banken außerstande gesetzt hat, vorhersehbare Steuerforderungen zu tilgen (vgl. Urteile des Senats vom 13. September 1988 VII R 35/85, BFH/NV 1989, 139; vom 14. Juli 1987 VII R 188/82, BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172, m.w.N.; Urteil des BVerwG, NJW 1989, 1873). Dabei wird allerdings besonders sorgfältig zu prüfen sein, ob der Kläger im Zeitpunkt der Einräumung dieser Sicherungsrechte mit der späteren Kündigung der Kreditzusagen und der Konkursreife der GmbH rechnen konnte. Sollte eine Haftung nach § 69 Satz 1, 1. Alternative AO 1977 nicht schon daran scheitern, daß entsprechend der Behauptung des Klägers die Staatsanwaltschaft die Buchführungsunterlagen im Zeitpunkt der Pflicht zur Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung 12/1984 beschlagnahmt hat, wäre weiter festzustellen, ob durch die unterlassene Abgabe der Voranmeldung aussichtsreiche Vollstreckungsmöglichkeiten des FA vereitelt worden sind.