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  BFH-Urteil vom 12.6.1991 (VII R 54/90) BStBl. 1991 II S. 747

Die Pfändung einer Kapitallebensversicherung wird auch dann nicht durch § 54 SGB I oder durch §§ 850 ff. ZPO ausgeschlossen oder beschränkt, wenn die Versicherung eine "befreiende" gemäß Art. 2 § 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl I S. 88) ist und Voraussetzung für die Entlassung aus der gesetzlichen Rentenversicherung war.

AO 1977 § 309; SGB I § 54; ZPO §§ 850, 850b, 850i.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

I.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) pfändete wegen einer Haftungsforderung gegen den Kläger und Revisionskläger (Kläger) dessen sämtliche Ansprüche aus einer Kapitallebensversicherung; gleichzeitig widerrief das FA die Bezugsberechtigung des Klägers gegenüber der Versicherungsgesellschaft. Die Versicherungssumme betrug 50.000 DM. Bezugsberechtigte waren bei Ableben des Klägers dessen Ehegatte und Kinder, bei Erleben des Versicherungsablaufs dieser selbst. Der Versicherungsbeginn war auf den 1. Januar 1983, der Versicherungsablauf auf den 1. Januar 2003 bestimmt. Der Rückkaufswert im Zeitpunkt der Pfändung betrug 10.112,71 DM. Gemäß Bescheinigung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) war der Kläger seit dem 1. Januar 1968 gemäß Art. 2 § 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) von der Versicherungspflicht befreit. Im Versicherungsantrag war unter der Rubrik "werden besondere Vereinbarungen gewünscht?" handschriftlich vermerkt "befreiende Lebensversicherung".

Die gegen die Pfändung erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen. Zur Begründung führte es aus, es könne offenbleiben, ob es sich bei der gepfändeten Kapitallebensversicherung tatsächlich um eine befreiende Lebensversicherung nach Art. 2 § 1 AnVNG handele, denn auch eine solche befreiende Versicherung sei weder durch die Vorschriften der §§ 850 - 850 i der Zivilprozeßordnung (ZPO) noch durch § 54 des Sozialgesetzbuches, Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) vor der Pfändung geschützt.

Seine vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision begründet der Kläger wie folgt: Das FG habe zu Unrecht § 54 SGB I nicht angewendet. Er habe eine befreiende Lebensversicherung abgeschlossen, die nach dem AnVNG als gleichwertiger Ersatz an die Stelle der gesetzlichen Rentenversicherung getreten sei. Diese habe damit sozialversicherungsrechtlichen Charakter erlangt und sei ebenso wie Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu behandeln. Die Anwendbarkeit des § 54 SGB I im Streitfall ergebe sich aufgrund einer nach § 2 Abs. 2 SGB I gebotenen extensiven Interpretation. Unerheblich sei, daß es sich bei der gepfändeten Lebensversicherung nicht um eine Rentenversicherung, sondern um eine Kapitalversicherung handele, denn das AnVNG habe die Möglichkeit des Ersatzes der gesetzlichen Rentenversicherung durch eine beliebige Lebensversicherung geschaffen und damit die Kapitalversicherung der Rentenversicherung gleichgestellt. Die Versicherungssumme von 50.000 DM sei so gering, daß die Pfändung der Lebensversicherung gemäß § 54 SGB I unbillig sei.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG sowie die Pfändungsverfügung des FA vom 20. Januar 1988 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

Das FG ist zutreffend von der Rechtmäßigkeit der Pfändungsverfügung des FA ausgegangen. Dabei geht der Senat davon aus, daß es sich bei der vom Kläger abgeschlossenen Versicherung tatsächlich um eine befreiende Lebensversicherung i.S. des Art. 2 § 1 AnVNG handelt, ihr Nachweis also Voraussetzung für die Entlassung des Klägers aus der gesetzlichen Rentenversicherung war. Das ändert aber nichts daran, daß die private Kapitallebensversicherung weder den Pfändungsschutzvorschriften des § 54 SGB I noch denen der §§ 850 ff. ZPO unterliegt, die gemäß § 319 der Abgabenordnung (AO 1977) bei der Vollstreckung durch das FA sinngemäß gelten.

1. Bei der streitbefangenen Kapitallebensversicherung, deren Versicherungssumme mit dem Tode des Versicherungsnehmers, spätestens jedoch zu einem bestimmten Zeitpunkt fällig wird, können die Versicherungsansprüche abgetreten und gepfändet werden, weil es sich hierbei nicht um nach § 851 ZPO der Pfändung entzogene höchstpersönliche Rechte handelt (Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 24. Aufl. 1988, § 15, Anm. 2 A, a; Bohn, Die Zwangsvollstreckung in Rechte des Versicherungsnehmers aus dem Versicherungsvertrag und der Konkurs des Versicherungsnehmers, Festschrift für Schiedermair, München 1976, S. 33, 35). Da auch die Bezugsberechtigung des Klägers nicht unwiderruflich auf einen Dritten übertragen worden war (vgl. § 166 Abs. 2 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag - VVG -), konnte das FA diese widerrufen, den Versicherungsvertrag kündigen (§ 165 VVG) und den Anspruch auf Auszahlung des Rückkaufswertes der Versicherung geltend machen (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofes - BGH - vom 17. Februar 1966 II ZR 286/63, BGHZ 45, 162).

2. Die Pfändung der Kapitallebensversicherung war durch die Pfändungsschutzvorschriften der §§ 319 AO 1977 i.V.m. § 54 Abs. 2 SGB I weder ausgeschlossen noch beschränkt:

a) Nach § 54 Abs. 2 SGB I dürfen Ansprüche auf einmalige Geldleistungen nur gepfändet werden, soweit die Pfändung nach den Umständen des Einzelfalles der Billigkeit entspricht. Wie sich aus § 11 SGB I ergibt, sind durch § 54 SGB I nur solche Geldleistungsansprüche geschützt, die Sozialleistungen darstellen, also Leistungen, die ihren Rechtsgrund in den Besonderen Teilen des SGB finden (§ 2 Abs. 1 SGB I) und vom zuständigen Leistungsträger (§ 12 SGB I) gewährt werden. Dies ist beim Anspruch des Klägers gegen die DBV nicht der Fall.

b) Entgegen der Rechtsansicht des Klägers kann die private Lebensversicherung nicht auf Grund einer extensiven Auslegung gemäß § 2 Abs. 2 SGB I in den Schutz des § 54 SGB I einbezogen werden, auch dann nicht, wenn unterstellt wird, es habe sich im Streitfall um eine "befreiende" Versicherung i.S. des Art. 2 § 1 AnVNG gehandelt.

Zwar ist in § 2 Abs. 2 SGB I bestimmt, daß bei der Auslegung der Vorschriften des SGB die darin geregelten sozialen Rechte zu beachten sind und sicherzustellen ist, daß die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden. Gleichwohl werden auch durch diesen Auslegungsgrundsatz die herkömmlichen Auslegungskriterien nicht außer Kraft gesetzt (Grüner/Dalichau/Podlech/Prochnow, Kommentar zum Sozialgesetzbuch, Stand 1. Februar 1991, § 2, III); die Vorschrift stellt lediglich eine Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) dar. Wie sich aus § 4 Abs. 2 Nr. 2 SGB I ergibt, hat derjenige, der "in der" Sozialversicherung versichert ist, im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung ein Recht auf angemessene wirtschaftliche Versorgung im Alter, wozu auch der durch § 54 SGB I gewährleistete Pfändungsschutz gehört.

Der Kläger hat sich jedoch von der Rentenversicherungspflicht und damit von dem damit verknüpften sozialrechtlichen Schutz auf seinen Antrag befreien lassen. Er hat insoweit auf die staatliche Fürsorge verzichtet und sie durch seine eigenverantwortliche Vorsorge ersetzt. Allein dadurch, daß der Gesetzgeber - letztmalig zum 30. Juni 1968 - die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht vom Nachweis einer "befreienden" Lebensversicherung abhängig gemacht hat, erlangt die private Kapitallebensversicherung noch keinen sozialversicherungsrechtlichen Charakter (ebenso Landgericht Lübeck, Urteil vom 25. Juli 1983 7 T 17/83, Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1984, 61; Verwaltungsgericht Arnsberg, Urteil vom 23. Mai 1969 5 K 1003/68, Versicherungsrecht - VersR - 1969, 2298; Kilger, Konkursordnung, 15. Aufl., 1987, § 1 Anm. 2 f.; Maser, Pfändung von Lebensversicherungen, Neue Wirtschafts-Briefe, Fach 19, S. 1089; Stöber, Forderungspfändung, 9. Aufl., 1990, Tz. 192; vgl. auch Urteil des BGH vom 24. September 1959 II ZR 7/59, KG, VersR 1959, 845; a.A. Amtsgericht Aachen, Beschluß vom 18. August 1959 14 M 541/59, VersR 1959, 893).

Gegen die Anwendung des § 54 SGB I spricht auch, daß ansonsten die Gleichbehandlung des Pfändungsschutzes bei der privaten Altersvorsorge von besserverdienenden versicherungspflichtigen Angestellten, die sich wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze von der Versicherungspflicht befreien ließen, mit von vornherein nicht rentenversicherungspflichtigen Freiberuflern und Selbständigen, die häufig größeren wirtschaftlichen Risiken als Angestellte ausgesetzt sind, nicht mehr gewährleistet wäre.

c) Auch eine analoge Anwendung des § 54 SGB I auf die "befreiende" Lebensversicherung scheidet mangels Gesetzeslücke aus. Der Gesetzgeber hatte einen Pfändungsschutz für "befreiende" Versicherungen lediglich in § 22 der Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk geregelt (vom 13. Juli 1939, RGBl I 1255; vgl. auch Gesetz über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk vom 21. Dezember 1938, RGBl I 1900). Danach waren bis zur Neuregelung durch das Gesetz über eine Rentenversicherung der Handwerker vom 8. September 1960 (BGBl I S. 737; in Kraft ab 1. Januar 1962) Kapitalansprüche bis zu 10.000 DM der Pfändung entzogen, wenn auf Grund eines Lebensversicherungsvertrages Versicherungsfreiheit erlangt wurde. Trotz einer Vielzahl von Novellierungen des AnVNG vom 23. Februar 1957 (BGBl I S. 88) und entsprechender Hinweise in der Rechtsprechung des BGH (vgl. Urteil in VersR 1959, 845, 846) enthält das AnVNG keine die Pfändung ausschließende oder beschränkende entsprechende Regelung. Für eine analoge Anwendung des § 54 SGB I besteht daher mangels unbewußter Gesetzeslücke kein Raum.

3. Die Pfändbarkeit war auch nicht auf Grund der Pfändungsschutzvorschriften des § 319 AO 1977 i.V.m. §§ 850 ff. ZPO ausgeschlossen oder beschränkt.

a) Nach § 850 Abs. 3 Buchst. b ZPO zählen zu dem in dieser Vorschrift geschützten Arbeitseinkommen auch "Renten, die auf Grund von Versicherungsverträgen gewährt werden, wenn diese Verträge zur Versorgung des Versicherungsnehmers oder seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen eingegangen sind". § 850 Abs. 3 ZPO geht zurück auf § 2 der Lohnpfändungsverordnung vom 30. Oktober 1940 (RGBl I, 1451) - LohnpfV -, durch den die Versorgungsrenten dem Ruhegehalt der Beamten und dem Hinterbliebenengeld gleichgestellt werden sollten (Sydow/Busch, Zivilprozeßordnung, 22. Aufl., 1941, zu § 2 LohnpfV; Stöber, Forderungspfändung, a.a.O., Tz. 892). Maßgebend ist somit, daß es sich um wiederkehrende Bezüge handelt, die dazu bestimmt sind, den laufenden Lebensunterhalt zu decken.

Demgegenüber stellen einmalige Kapitalleistungen eine andersartige Leistung dar, denn sie sind nicht in dem gleichen Maße wie Rentenzahlungen geeignet, dem öffentlichen Interesse an einer funktionierenden privaten Altersvorsorge zu genügen. Bei einer einmalig gezahlten Versicherungsleistung besteht nicht wie bei der Versorgungsrente die Gewähr, daß sie bei Tod des Berechtigten oder im Alter zuverlässig monatlich zur Deckung des Lebensgrundbedarfs zur Verfügung steht; vielmehr besteht bei der Auszahlung einer größeren Summe die Gefahr, daß diese Gelder in nicht unerheblichem Umfang für Konsumzwecke verausgabt werden.

Allein die Tatsache, daß der Gesetzgeber in Art. 2 § 1 AnVNG nicht zwischen Renten- und Kapitalversicherung unterschieden hat, zwingt nicht dazu, jede nach dieser Vorschrift zulässige eigenverantwortliche Gestaltung der Altersvorsorge vollstreckungsrechtlich gleich zu behandeln. Der die Jahresarbeitsverdienstgrenze überschreitende Angestellte wird insoweit nicht anders behandelt, als der von vornherein nicht versicherungspflichtige Freiberufler und Selbständige. Zudem dienen Kapitallebensversicherungen in vielen Fällen nicht der Altersvorsorge, sondern der Vermögensbildung. Kapitallebensversicherungen sind daher nicht durch § 850 Abs. 3 ZPO geschützt (ebenso Zöller, Zivilprozeßordnung, 16. Aufl., 1990, § 850 Rdnr. 11; Stöber, a.a.O., Tz. 892; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 49. Aufl., 1991, § 850 Anm. 2; vgl. auch Sydow/ Busch, a.a.O., zu § 2 LohnpfV).

b) Die vom FA gepfändete Versicherung ist auch nicht durch § 850 b Abs. 1 Nr. 4 ZPO geschützt, wonach Ansprüche aus Lebensversicherungen unpfändbar sind, wenn sie nur auf den Todesfall des Versicherungsnehmers abgeschlossen sind und die Versicherungssumme 3.600 DM nicht übersteigt. Mit dieser Vorschrift wollte der Gesetzgeber Kleinlebensversicherungen zur Deckung der Bestattungskosten der Pfändung entziehen, die "nur" auf den Todesfall abgeschlossen sind. Hieran fehlt es, weil der Kläger die Versicherungssumme auch im Erlebensfalle beanspruchen kann (Urteil des BGH vom 3. Juli 1961 II ZR 188/59, Neue Juristische Wochenschrift 1961, 1720).

c) Auch § 850 i Abs. 1 ZPO, wonach die Pfändung nicht wiederkehrend zahlbarer Vergütungen für persönlich geleistete Arbeiten oder Dienste eingeschränkt wird, greift nicht ein (so aber wohl Wieczorek/Schütze, Zivilprozeßordnung, 2. Aufl., 1981, § 850 D II).

Mit dieser Vorschrift will der Gesetzgeber durch persönliche Arbeitsleistung erlangtes, monatlich wechselndes Einkommen insbesondere der Handwerker und Selbständigen schützen. Zwar sind die Versicherungsprämien - wie aus dem vom FG in Bezug genommenen Versicherungsantrag ersichtlich - zumindest teilweise vom Arbeitgeber übernommen worden, so daß die Übernahme der Versicherungsprämien als Entgelt für geleistete Dienste angesehen werden könnte. Die Vorschrift setzt aber voraus, daß die gepfändete Forderung selbst eine Vergütung für persönlich geleistete Dienste darstellt. Die im Streitfall gepfändete Kapitalforderung des Klägers beruht jedoch unmittelbar auf dem mit der DBV abgeschlossenen Versicherungsvertrag. Eine Kapitalzahlung aus einer Lebensversicherung fällt daher nicht unter § 850 i ZPO (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a.a.O., § 850 Anm. 2 H; Zöller, a.a.O., Tz. 11).