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  BFH-Urteil vom 18.12.1991 (II R 54/89) BStBl. 1992 II S. 301

Bei der freiwilligen Veräußerung eines Grundstücks, die der Vermeidung einer Enteignung dient, gehören die von dem Enteignungsbegünstigten (Grundstückserwerber) zu übernehmenden, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Veräußerers (z. B. Rechtsanwaltskosten) dann nicht zur Gegenleistung, wenn diese nach den enteignungsrechtlichen Vorschriften als Kosten des Verfahrens von dem Enteignungsbegünstigten ohne Rücksicht auf den Ausgang des Verfahrens zu übernehmen sind (Bestätigung und Fortentwicklung des Urteils vom 17. Oktober 1990 II R 58/88, BFHE 162, 482, BStBl II 1991, 146).

GrEStG 1983 § 9 Abs. 1 Nrn. 1, 7.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

I.

Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 26. September 1983 kaufte die Bundesrepublik Deutschland (Klägerin und Revisionsklägerin - Klägerin -) "zur Vermeidung der Enteignung" und zum Zwecke des Ausbaus einer Bundesstraße eine noch zu vermessende Teilfläche in einer Größe von 3.560 qm zu einem Kaufpreis von 21 DM/qm (somit vorläufig insgesamt 74.760 DM). Die Klägerin übernahm ferner die Kosten der amtlichen Vermessung sowie die Kosten der anwaltschaftlichen Vertretung der Verkäuferin in Höhe von 4.064,10 DM. Die Vertretungskosten sollten nach Vorlage der Kostenrechnung unmittelbar an die Anwälte der Verkäuferin bezahlt werden.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) unterwarf den Erwerbsvorgang (u. a.) unter Einbeziehung der von der Klägerin übernommenen Rechtsanwaltskosten in die Bemessungsgrundlage - wegen der noch ausstehenden Vermessung und der deswegen noch offenen Höhe des endgültigen Kaufpreises - vorläufig der Grunderwerbsteuer. Einspruch und Klage gegen die Einbeziehung der Rechtsanwaltskosten in die grunderwerbsteuerrechtliche Gegenleistung hatten keinen Erfolg.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 9 Abs. 1 Nrn. 1 und 7 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG 1983). Sie beantragt sinngemäß, das Urteil des Finanzgerichts (FG) vom 6. Oktober 1988, die Einspruchsentscheidung vom 10. Dezember 1984 sowie den Grunderwerbsteuerbescheid vom 21. Februar 1984 teilweise aufzuheben und die Grunderwerbsteuer auf 1.495,20 DM herabzusetzen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Weder das FG-Urteil noch die Einspruchsentscheidung des FA, deren Sachverhalt sich das FG zu eigen gemacht hat, enthalten Tatsachenfeststellungen, die eine abschließende rechtliche Beurteilung zulassen, ob die von der Klägerin übernommenen Rechtsvertretungskosten grunderwerbsteuerrechtlich zur Gegenleistung zu rechnen sind.

Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 gilt bei einem Kauf als Gegenleistung der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen und der dem Verkäufer vorbehaltenen Nutzungen. Bei einem Kauf, der der Vermeidung einer Enteignung dient, wird die Bemessungsgrundlage nach Maßgabe der Nr. 7 des § 9 Abs. 1 GrEStG 1983 beschränkt.

Übernimmt der Käufer beim Kauf eines Grundstücks freiwillig in der Person des Grundstücksveräußerers bereits entstandene Rechtsverfolgungskosten, so sind diese zwar regelmäßig als "sonstige Leistung" im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 anzusehen, weil davon auszugehen ist, daß diese Leistung für den Erwerb des Grundstücks erbracht wird. Ist der Grund für die Übernahme von Rechtsverfolgungskosten aber nicht im Grundstückserwerb selbst zu sehen, so liegt insoweit keine Gegenleistung vor. Dementsprechend hat der Senat in seinem Urteil vom 17. Oktober 1990 II R 58/88 (BFHE 162, 482, BStBl II 1991, 146) für den Grunderwerb im Enteignungsverfahren entschieden, daß die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen eines von der Enteignung betroffenen Grundstückseigentümers, die der Enteignungsbegünstigte zu tragen hat, dann nicht zur Gegenleistung gehören, wenn diese nach den jeweiligen enteignungsrechtlichen Vorschriften als Kosten des Verfahrens vom Enteignungsbegünstigten ohne Rücksicht auf den Ausgang des Verfahrens zu übernehmen sind. Denn soweit die Enteignungsgesetze die Übernahme der Rechtsverfolgungskosten anordnen, wird damit dem Gebot der "Waffengleichheit" und dem Umstand Rechnung getragen, daß die Beteiligten ohne ihr Zutun in ein im öffentlichen Interesse durchgeführtes Verwaltungsverfahren mit einbezogen werden. Die Übernahme dieser Kosten durch den Enteignungsbegünstigten wird daher nicht durch den Grunderwerb, sondern durch das Enteignungsverfahren als solches ausgelöst.

Diese Grundsätze, an denen der Senat festhält, gelten nicht nur in Fällen des Grunderwerbs im förmlichen Enteignungsverfahren, durch förmlichen Enteignungsbeschluß (vgl. §§ 112, 113 Baugesetzbuch - BauGB - und die entsprechenden Vorschriften der Landesenteignungsgesetze; z. B. Art. 31 BayEG i. d. F. der Bekanntmachung vom 25. Juli 1978, Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt - GVBl BY - 1978, 625 ff., 634) oder durch Enteignungsvertrag (§ 110 BauGB und die entsprechenden Vorschriften der Landesenteignungsgesetze; z. B. Art. 29 BayEG), sondern sinngemäß auch bei Grundstückskaufverträgen, die außerhalb eines förmlichen Enteignungsverfahrens freiwillig abgeschlossen werden, soweit dies zur Vermeidung einer Enteignung erfolgt (vgl. Rechtsgedanke aus § 9 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2, 2. Halbsatz GrEStG 1983; Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. Juni 1989 II R 102/86, BFHE 157, 246, BStBl II 1989, 802, und vom 5. Februar 1975 II R 80/73, BFHE 115, 147, BStBl II 1975, 454; Hofmann, Kommentar zum Grunderwerbsteuergesetz, 5. Aufl., § 9 Rdnr. 38). Denn der Umstand, daß der Hoheitsträger den Eigentumserwerb letztlich auch durch hoheitliche Eingriffe vornehmen könnte, gibt seiner Stellung bei den Vertragsverhandlungen trotz förmlicher Gleichheit beider Parteien ein Element öffentlicher Gewalt. Bei der freiwilligen Veräußerung eines Grundstücks, die der Vermeidung einer Enteignung dient, gehören deshalb - entgegen dem Erlaß des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 18. Juni 1991 37 - S 4521 - 17/13 - 36/124 - die vom Enteignungsbegünstigten (Grundstückserwerber) zu übernehmenden, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Veräußerers (z. B. Rechtsanwaltskosten) dann nicht zur Gegenleistung, wenn diese nach den enteignungsrechtlichen Vorschriften als Kosten des Verfahrens von dem Enteignungsbegünstigten ohne Rücksicht auf den Ausgang des Verfahrens zu übernehmen wären.

Die Sache ist nicht spruchreif.

Zum einen fehlen Feststellungen, um prüfen zu können, ob die freiwillige, offensichtlich außerhalb eines förmlichen Enteignungsverfahrens durchgeführte Veräußerung des Grundstücks an die Klägerin der Vermeidung einer Enteignung diente. Allein die Erklärung im Vertrag, die Veräußerung diene der Vermeidung einer Enteignung, reicht nicht aus. Auch aus dem dem Vertrag beigefügten Kartenausschnitt ergibt sich dies nicht. Vielmehr ist entscheidend, ob sich aus dem Planfeststellungsbeschluß oder - soweit ein Fall des § 19 Abs. 2 a des Bundesfernstraßengesetzes (Entschädigung ohne förmlichen Planfeststellungsbeschluß) vorliegt - aus dem Plan des Straßenbaulastträgers über die beabsichtigte Straßenbaumaßnahme (vgl. BFHE 157, 246, BStBl II 1989, 802) ergibt, daß die veräußerten Grundstücke für die beabsichtigte Straßenbaumaßnahme benötigt werden und deshalb im Umfang der freiwilligen Grundstücksveräußerung die Enteignung in einem förmlichen Enteignungsverfahren ernstlich drohte.

Zum anderen wird das FG unter Feststellung der entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften zu prüfen haben, ob die von der Klägerin übernommenen Rechtsverfolgungs- bzw. Rechtsverteidigungskosten nach diesen Vorschriften von der Klägerin bei Durchführung eines Enteignungsverfahrens als Enteignungsbegünstigte und damit Entschädigungsverpflichtete ohne Rücksicht auf den Ausgang des Verfahrens zu tragen gewesen wären.