| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 24.1.1992 (III R 24/89) BStBl. 1992 II S. 427

Eine Wärmerückgewinnungsanlage dient auch dann ausschließlich der Forschung oder Entwicklung, wenn sie wegen des besonderen Forschungsziels derart in den Betrieb des Steuerpflichtigen integriert ist, daß dadurch - bei positivem Forschungsverlauf - auch schon während der Erprobungsphase zwangsläufig betriebliche Heizölkosten eingespart werden.

InvZulG § 4; EStG § 51 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. u Satz 4.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt eine Gießerei, in der sie Formgußteile herstellt. Die im Betrieb eingesetzten Elektro-Schmelzöfen werden durch einen Wasserkreislauf gekühlt, der seine Abwärme ursprünglich über Kühltürme in die Atmosphäre abgab. Im Wirtschaftsjahr 1977/1978 (Streitjahre) nahm die Klägerin eine nach einer mehrjährigen Planungsphase im Rahmen eines Forschungsprojektes errichtete Wärmerückgewinnungsanlage in Betrieb. Die im Kühlwasser enthaltene Abwärme wurde nicht mehr ausschließlich in die Atmosphäre abgegeben, sondern zur Beheizung des Verwaltungsgebäudes und verschiedener Betriebshallen genutzt. Insgesamt konnte der Heizölverbrauch der Klägerin durch die Anlage um rd. 70 v. H. reduziert werden. Das Vorhaben wurde vom Bundesministerium für Forschung und Technologie mit einem Zuschuß gefördert und von einem Forschungsinstitut betreut.

Mit dem Forschungsvorhaben sollten u. a. folgende technische und physikalische Fragen bei der Energieeinsparung durch Wärmerückgewinnung in Gießereien geklärt werden:

1. Kann Kühlwasser bei Temperaturen zwischen 50 und 70 Grad Celsius für die Wärmeabgabe und Wärmeverwendung genutzt werden?

...

3. In welchem Umfang kann Primärenergie durch Wärmerückgewinnung aus Kühlwasser substituiert werden?

...

5. Unter welchen Bedingungen läßt sich eine Wärmerückgewinnungsanlage in einen laufenden Gießereibetrieb einbauen?

...

Nach Inbetriebnahme der Anlage im Januar 1978 wurden umfangreiche Messungen zur Ermittlung des Wirkungsgrades der Wärmerückgewinnung vorgenommen. Über die Ergebnisse wurde im Juli 1980 ein Abschlußbericht erstellt.

Für die in den Streitjahren zur Herstellung der Wärmerückgewinnungsanlage aufgewendeten Kosten gewährte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) zunächst - wie von der Klägerin beantragt - Zulagen nach § 4 und § 4 a des Investitionszulagengesetzes (InvZulG). Der Bescheid stand unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Im Anschluß an eine Betriebsprüfung änderte das FA diesen Bescheid. Es verminderte die Festsetzung um den bisher auf § 4 InvZulG entfallenden Betrag und forderte die bereits ausgezahlte Zulage in dieser Höhe nebst Zinsen mit Bescheid vom 27. Januar 1983 zurück. Das FA ist der Ansicht, die neuerrichtete Anlage habe nicht drei Jahre lang ausschließlich der Forschung oder Entwicklung, sondern auch anderen betrieblichen Zwecken wie der Beheizung der Fabrikgebäude gedient.

Die von der Klägerin gegen den Änderungsbescheid erhobene Sprungklage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte u. a. aus, daß für die Annahme einer ausschließlichen Nutzung eines Wirtschaftsgutes zu Forschungs- oder Entwicklungszwecken allein die tatsächlichen Nutzungsverhältnisse entscheidend seien. Nicht maßgebend sei, ob das Wirtschaftsgut seiner Art oder Zweckbestimmung nach für Forschungs- oder Entwicklungszwecke geeignet gewesen und ob der Einsatz des Wirtschaftsgutes nach den Vorstellungen des Investors ausschließlich zu dem begünstigten Zweck erfolgt sei. Da die Wärmerückgewinnungsanlage im Streitfall auch der Beheizung von Betriebs- und Produktionsräumen gedient habe, liege eine ausschließliche Nutzung für Forschungs- oder Entwicklungszwecke nicht vor.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die unrichtige Anwendung des § 4 Abs. 2 Nr. 1 InvZulG.

Sie beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und weitere ... DM Investitionszulage gemäß § 4 InvZulG festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Wärmerückgewinnungsanlage der Klägerin nicht ausschließlich der Forschung oder Entwicklung gedient hat.

1. Nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 InvZulG wird für die Anschaffungs- oder Herstellungskosten abnutzbarer beweglicher Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens eine Investitionszulage gewährt, wenn die Wirtschaftsgüter drei Jahre nach ihrer Anschaffung oder Herstellung im Betrieb des Investors ausschließlich der Forschung oder Entwicklung i. S. des § 51 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. u Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) dienen.

a) Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Wirtschaftsgut ausschließlich der Forschung oder Entwicklung dient, hat der Bundesfinanzhof (BFH) in seiner Entscheidung vom 27. April 1978 III R 43/76 (BFHE 125, 481, BStBl II 1978, 657) ausgeführt, daß die Vergünstigung nach § 4 InvZulG nur für solche beweglichen Wirtschaftsgüter gewährt wird, die neben den Forschungs- oder Entwicklungsaufgaben nicht auch noch zusätzlich für andere betriebliche Zwecke mitverwendet werden. Auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) lehnt die Zulagengewährung in seinem zur ähnlichen Problematik in § 4 a InvZulG 1979 ergangenen Beschluß vom 22. Januar 1991 3 B 142.90 (Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 451.56, InvZulG Nr. 31) ab, wenn ein Wirtschaftsgut neben dem begünstigten Zweck - im entschiedenen Fall Wärmerückgewinnung - noch einen notwendigen Bestandteil des nichtbegünstigten Produktionsprozesses bildet. Noch nicht Stellung genommen hat die Rechtsprechung jedoch zu der Frage, ob die Vergünstigung zu gewähren ist, wenn der begünstigte Zweck nur dadurch erreicht werden kann, daß das angeschaffte oder hergestellte Wirtschaftsgut objektbedingt auch schon in der Forschungsphase bei positivem Verlauf für das Unternehmen des Investors zwangsläufig von Nutzen ist.

Im Gegensatz zum FG ist der erkennende Senat der Ansicht, daß ein Wirtschaftsgut auch dann noch ausschließlich der Forschung oder Entwicklung dient, wenn es, um diesen begünstigten Zweck zu erfüllen, zwangsläufig auch noch anderen betrieblichen Zwecken dient. Der Gewährung der Vergünstigung gemäß § 4 InvZulG steht es mithin auch nicht entgegen, wenn die Entwicklung und Erprobung des betreffenden Wirtschaftsgutes nur dadurch möglich ist, daß es derart in betriebliche Abläufe integriert wird, daß sich bei positivem Verlauf bereits während der Forschungsphase materielle Vorteile für den Investor ergeben. Diese Beurteilung beruht entscheidend auf der Erwägung, daß es Sinn und Zweck der Förderung nach § 4 InvZulG ist, die deutsche Wirtschaft in die Lage zu versetzen, Forschungs- oder Entwicklungsvorhaben selbst durchzuführen, um so die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und zu stärken (vgl. BTDrucks V/3890 vom 26. Februar 1969, S. 19). Diesem Ziel des Gesetzes würde es widersprechen, wenn die Zulage allein wegen eines zwangsläufig mit der Verwirklichung des Forschungsvorhabens einhergehenden zusätzlichen Nutzens versagt würde.

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf die mit zulässigen Revisionsrügen nicht angegriffenen Feststellungen des FG diente die von der Klägerin hergestellte Wärmerückgewinnungsanlage ausschließlich der Forschung und Entwicklung i. S. des § 51 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. u Satz 4 EStG. Zwar zog die Klägerin dadurch, daß sie Heizenergie einsparte, bereits während des Laufs des Forschungsvorhabens betrieblichen Nutzen aus der Wärmerückgewinnung. Dieser Nutzen ergab sich jedoch zwangsläufig aus dem forschungsbedingten Betrieb der Anlage; er war der hier betriebenen Forschung gleichsam immanent. Ohne die "Inkaufnahme" der Energieeinsparung konnte der Erfolg oder Mißerfolg des Forschungs- oder Entwicklungsvorhabens nicht festgestellt werden.

c) Der Senat setzt sich mit dieser Auffassung nicht in Widerspruch zu seiner Entscheidung in BFHE 125, 481, BStBl II 1978, 657. Dort war es um die Entwicklung eines neuen, wirtschaftlicheren Verfahrens zur Herstellung von Produkten gegangen. Der Steuerpflichtige hatte darüber hinaus die dabei hergestellten Produkte im normalen Geschäftsgang verkauft. Diesen Verkauf hat der Senat als zulagenschädlich angesehen. Er war zur Verwirklichung bzw. Beurteilung des Forschungs- und Entwicklungsvorhabens nicht unbedingt nötig; das Forschungsergebnis hing nicht vom Verkauf der Produkte - im normalen Geschäftsgang - ab.

Im Streitfall war das Forschungsziel, durch die Herstellung der Wärmerückgewinnungsanlage Heizenergie zu sparen. Zur Beurteilung, ob dieses Ziel erreichbar ist, mußten - zwangsläufig - bisherige Heizungsmöglichkeiten ausgeschaltet und ersetzt werden.

d) Gegen die Annahme, die Wärmerückgewinnungsanlage habe ausschließlich der Forschung oder Entwicklung gedient, spricht auch nicht, daß die gewonnene Wärme für die notwendige Beheizung der eigenen Büro- und sonstigen Betriebsräume der Klägerin und nicht etwa für die Belieferung von Einrichtungen Dritter Verwendung fand. Zum einen war es wesentlicher Forschungszweck, zu ergründen, in welchem Umfang Primärenergie durch Wärmerückgewinnung aus Kühlwasser substituiert werden kann und unter welchen Bedingungen sich eine Wärmerückgewinnungsanlage in einen laufenden Gießereibetrieb einbauen läßt. Die hierfür erforderlichen Daten konnten am sichersten und zweckmäßigsten nur bei einer Verwendung der rückgewonnenen Wärme im eigenen Betrieb der Klägerin ermittelt werden. Weiter war die Wärmerückgewinnungsanlage im Streitfall - anders als im Fall des Beschlusses des BVerwG vom 22. Januar 1991 3 B 142.90 (a. a. O.) - kein notwendiger Bestandteil des Betriebes der Klägerin. Die notwendige Beheizung der betrieblichen Räume konnte vielmehr unabhängig von der neuen Anlage auch durch die bereits vorher vorhandene Heizung erfolgen. Das neue Wirtschaftsgut war für diesen Zweck nicht unverzichtbar.

2. Das FG ist von anderen rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben. Der Senat kann jedoch nicht durcherkennen, da die Sache nicht spruchreif ist.

Das FG hat - von seinem Standpunkt aus zutreffend - keine Feststellungen dazu getroffen, ob im Streitfall die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung einer Zulage nach § 4 InvZulG vorliegen. Insbesondere fehlen hinreichende Feststellungen zu der Frage, ob die Wärmerückgewinnungsanlage mindestens drei Jahre der Forschung oder Entwicklung gedient hat.

Nach den Urteilen des erkennenden Senats vom 23. März 1990 III R 33/87 (BFHE 160, 377, BStBl II 1990, 726) und vom 29. April 1977 III R 154/73 (BFHE 123, 89, BStBl II 1977, 790) zur vergleichbaren Problematik der §§ 19 und 14 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) "dient" ein Wirtschaftsgut nur dann den dort genannten Zwecken, wenn es über den gesamten Dreijahreszeitraum tatsächlich zu diesen Zwecken genutzt wird. Es sind keine Gründe ersichtlich, die bei der Begünstigung nach § 4 InvZulG eine andere Entscheidung rechtfertigen würden.

Nach den Feststellungen des FG begann das Forschungs- und Entwicklungsvorhaben im Streitfall im Januar 1978 mit der Inbetriebnahme der Anlage. Die Entscheidung der Vorinstanz enthält aber keine Feststellungen dazu, ob die Forschungs- und Entwicklungsphase - nach etwa zweieinhalb Jahren - mit der Erstellung des Abschlußberichtes im Juli 1980 beendet war, oder ob der Betrieb der Wärmerückgewinnungsanlage auch noch nach diesem Zeitpunkt zur Erzielung weiterer, wesentlicher Forschungsergebnisse erforderlich war. Das FG wird die entsprechenden Feststellungen nachzuholen haben.