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  BFH-Urteil vom 5.5.1992 (IX R 9/87) BStBl. 1992 II S. 1040

Nach § 68 FGO können auch mehrere, denselben Veranlagungszeitraum betreffende Änderungsbescheide zum Gegenstand des Verfahrens erklärt werden.

FGO § 68.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) legten gegen den Einkommensteuerbescheid 1979 vom 15. September 1983 Einspruch mit dem Begehren ein, der Besteuerung geringere Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zugrunde zu legen. Der Einspruch blieb erfolglos. Während des Klageverfahrens erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) am 9. Dezember 1983 einen nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, den die Kläger zunächst weder mit dem Einspruch anfochten noch gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens erklärten. Mit Bescheid vom 28. Juli 1986 änderte das FA den Einkommensteuerbescheid 1979 erneut nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977. Im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter vom 26. September 1986 beantragten die Kläger, die Änderungsbescheide vom 9. Dezember 1983 und vom 28. Juli 1986 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unzulässig ab. Dem Antrag nach § 68 FGO stehe entgegen, daß der erste Änderungsbescheid nicht mehr zum Gegenstand des Verfahrens erklärt werden könne, nachdem er durch den zweiten Änderungsbescheid überlagert worden sei.

Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision rügen die Kläger Verletzung von § 68 FGO.

Sie beantragen sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Einkommensteuer 1979 herabzusetzen, hilfsweise, die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Entgegen der Auffassung des FG konnten die Kläger den ersten Änderungsbescheid vom 9. Dezember 1983 zusammen mit dem zweiten Änderungsbescheid vom 28. Juli 1986 wirksam nach § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens erklären.

Der Wortlaut der vorstehenden Vorschrift könnte zwar zunächst einmal dafür sprechen, daß der erste Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden muß, bevor dies auch hinsichtlich des zweiten Änderungsbescheids geschehen kann.

Entgegen der Rechtsauffassung des FG konnten die Kläger jedoch den den ursprünglich angefochtenen Einkommensteuerbescheid vom 15. September 1983 erstmals ändernden Bescheid vom 9. Dezember 1983 auch noch nach Ergehen des zweiten Änderungsbescheids vom 28. Juli 1986 zum Gegenstand des Verfahrens erklären. Der Antrag nach § 68 FGO ist nicht fristgebunden. Er kann auch noch nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung gestellt werden (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. November 1971 GrS 9/70, BFHE 103, 549, BStBl II 1972, 219; Urteil vom 24. April 1990 IX R 321/87, BFHE 160, 415, BStBl II 1990, 865). Im vorliegenden Fall hat allerdings der zweite Änderungsbescheid den ersten in seinen Regelungsinhalt mit aufgenommen. Der erste Änderungsbescheid ist dadurch suspendiert worden und bleibt dies für die Dauer der Wirksamkeit des zweiten (Beschluß des Großen Senats des BFH vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, 5, BStBl II 1973, 231). Dadurch haben die Kläger jedoch nicht das Antragsrecht nach § 68 FGO verloren. Auch ein suspendierter Bescheid kann auf Antrag gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens erklärt werden. Denn er ist nicht untergegangen; er behält bestimmte prozessuale Wirkungen bei. Er kann z. B. Gegenstand eines Aussetzungsbeschlusses nach § 74 FGO sein (Beschluß des Großen Senats des BFH in BFHE 108, 1, 6, BStBl II 1973, 231). Er tritt auch in seinem materiellen Regelungsgehalt wieder in Kraft, wenn der ihn ändernde Bescheid aufgehoben wird.

Auch der Zweck des § 68 FGO spricht für einen Fortbestand des Antragsrechts. Die Vorschrift dient der Vereinfachung des Verfahrens und soll dem Kläger nach Möglichkeit ein weiteres Rechtsbehelfsverfahren ersparen. Zugleich soll verhindert werden, daß der Steuerpflichtige gegen seinen Willen aus einem Klageverfahren ausscheidet (BFH-Urteil vom 24. Mai 1991 III R 105/89, BFHE 165, 345, BStBl II 1992, 123, m. w. N.). Dem widerspräche es, wenn der Kläger nach einer weiteren, vielfach von seinem Willen unabhängigen Änderung des angefochtenen Bescheids den Antrag nach § 68 FGO nicht mehr wirksam stellen könnte.

Da das FG bei seiner Entscheidung von anderen rechtlichen Erwägungen ausgegangen war, war das angefochtene Urteil aufzuheben.

Die Sache ist nicht spruchreif. Sie geht an das FG zurück, damit dieses nunmehr das Begehren der Kläger in der Sache prüft.