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  BFH-Urteil vom 25.7.1991 (III R 52/88) BStBl. 1992 II S. 32

1. Durch die deutsche Einigung sind nicht rückwirkend (für noch nicht bestandskräftige Veranlagungen) die Voraussetzungen dafür entfallen, daß bei Unterhaltsleistungen an Bewohner der ehemaligen DDR die Bedürftigkeit der Empfänger in der Regel zu unterstellen war.

2. Der Grundsatz, daß Unterhaltsleistungen, die im Laufe eines Kalenderjahres geleistet werden, nicht auf Monate vor ihrer Zahlung zurückbezogen werden dürfen, galt auch im Verhältnis zu Empfängern in der ehemaligen DDR.

EStG 1986 § 33 a Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

In ihrer Einkommensteuererklärung für 1986 machten die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) Unterhaltsaufwendungen an die in der ehemaligen DDR wohnenden Eltern der Klägerin in Höhe von 8.590 DM geltend. Hiervon entfielen 390 DM auf Pauschbeträge für Besuche der Eltern der Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland - Bundesrepublik - (300 DM), für den Besuch des Klägers in der DDR (50 DM) sowie für eine Paketsendung (40 DM). Darüber hinaus zahlten die Kläger den Angehörigen in der DDR 8.200 DM in bar. Die Geldbeträge übergaben die Kläger den Eltern der Klägerin anläßlich der gegenseitigen Besuche persönlich, und zwar im Juli 1986 1.500 DM, im September/Oktober 6.500 DM und im November 200 DM. Auch in den Vorjahren hatten die Kläger die Eltern der Klägerin mit Bargeld unterstützt, und zwar in 1983 mit 6.850 DM, in 1984 mit 6.700 DM und in 1985 mit 6.400 DM.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ließ im Streitjahr 1986 nur Pauschbeträge in Höhe von insgesamt 390 DM zum Abzug als außergewöhnliche Belastung zu; hinsichtlich der übrigen Unterhaltsaufwendungen ging das FA zunächst davon aus, daß die unterstützten Personen nicht bedürftig seien. Diese Auffassung gab das FA in der Einspruchsentscheidung auf; es vertrat nunmehr jedoch die Auffassung, daß die erstmals im Juli 1986 gezahlten Beträge nicht auf die Vormonate des Streitjahres zurückbezogen werden könnten. Deshalb dürften Unterhaltsleistungen nur in Höhe von 6/12 der Höchstbeträge nach § 33 a Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes 1986 (EStG), nämlich 2.250 DM je Person, insgesamt also 4.500 DM berücksichtigt werden.

Die Klage, mit der die Kläger den Abzug weiterer 3.700 DM als außergewöhnliche Belastung begehrten, hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus:

Zutreffend sei das FA im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) davon ausgegangen, daß die Bedürftigkeit der in der DDR lebenden Eltern der Klägerin zu unterstellen sei. Zu Unrecht habe es jedoch eine Kürzung der in § 33 a Abs. 1 EStG vorgesehenen Höchstbeträge gemäß § 33 a Abs. 4 EStG vorgenommen. Zwar sei nach der Rechtsprechung des BFH der Begriff des Unterhalts im vorliegenden Zusammenhang dahingehend zu verstehen, daß nur typische Unterhaltsaufwendungen, die die laufenden Bedürfnisse des Unterhaltsempfängers befriedigten, von dieser Vorschrift erfaßt würden. Hieraus sei geschlossen worden, daß grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden könne, daß Unterhaltszahlungen, die im späteren Verlauf eines Jahres geleistet würden, dazu bestimmt seien, den laufenden Unterhalt auch für die vorangegangenen Monate zu gewährleisten.

Für Unterhaltszahlungen in die DDR seien diese Grundsätze jedoch nicht ohne weiteres anzuwenden. Denn da insoweit die Bedürftigkeit der Empfangspersonen grundsätzlich unterstellt werde, sei für diese Fälle grundsätzlich auch die Vermutung widerlegt, daß Unterhaltszahlungen vom Leistenden so eingerichtet würden, daß sie zur Deckung des Lebensbedarfs des Empfängers bis zum Erhalt der nächsten Zahlung dienten. Eine derartige Vermutung setze einen tatsächlichen laufenden Lebensbedarf voraus, auf den es bei Empfängern in der DDR grundsätzlich nicht ankomme.

Hinzu komme, daß Unterhaltsaufwendungen in die DDR durch Banküberweisungen wenig sinnvoll seien. Solche Überweisungen, die nur in der dort gültigen Landeswährung möglich wären, seien weniger effektiv als Unterstützungsleistungen in DM. Dann aber leuchte es ein, daß die Unterstützungsleistungen nur anläßlich gegenseitiger Besuche in bar erfolgten. Hieraus wieder ergebe sich, daß die Leistungen, anders als bei Banküberweisungen, nicht immer in regelmäßigen Zeitabständen erfolgen könnten. Der Zeitpunkt der Zahlungen hänge vielmehr neben der Urlaubsplanung der Beteiligten auch davon ab, ob Ein- oder Ausreiseanträge von den Behörden positiv entschieden würden.

Mit seiner hiergegen eingelegten Revision rügt das FA die Verletzung von § 33 a Abs. 1 und 4 EStG.

Es macht geltend, zu Unrecht habe das FG seine Auffassung darauf gegründet, daß die Bedürftigkeit von DDR-Bewohnern generell unterstellt werde. Diese Unterstellung beruhe einmal darauf, daß die entsprechenden Nachweise praktisch nicht erbracht werden könnten, und zum anderen darauf, daß es fast unüberwindlich schwierig sei, die Lebensverhältnisse in der DDR an dem sonst anzuwendenden Bedürftigkeitsmaßstab zu messen. Keinesfalls könne daraus geschlossen werden, daß es auf den tatsächlichen laufenden Lebensbedarf der Empfänger in der DDR nicht ankomme, Unterhaltszahlungen mithin nicht so eingerichtet würden, daß sie zur Deckung des Lebensbedarfs bis zum Erhalt der nächsten Zahlung dienten.

Eine unterschiedliche Behandlung von Unterhaltszahlungen an DDR-Bewohner und solchen an Angehörige von ausländischen Arbeitnehmern sei auch nicht deshalb berechtigt, weil die Zahlungen am wirksamsten anläßlich gegenseitiger Besuche erfolgen könnten. Denn auch bei Unterhaltszahlungen von Gastarbeitern an ihre Angehörigen im Ausland könnten sich aufgrund der Verhältnisse im jeweiligen Heimatland praktische Schwierigkeiten ergeben, die sogar größer sein könnten als bei Unterhaltsleistungen in die DDR.

Die Kläger stützen sich demgegenüber im wesentlichen auf die Begründung des FG. Zusätzlich weisen sie darauf hin, daß die Klägerin im Jahre 1975 "illegal" die DDR verlassen habe. Mehrere Jahre hätten sie deshalb in Kauf nehmen müssen, daß ein direkter Kontakt zwischen der Klägerin und ihren in der DDR lebenden Eltern von seiten der DDR-Staatsorgane unterbunden worden sei. Bei Personen, die einer Kontaktsperre unterlägen, sei aber ein Zusammentreffen nur bei Urlaubsreisen in andere Länder des Ostblocks möglich.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig Aufwendungen für den Unterhalt und eine etwaige Berufsausbildung einer Person, für die weder er noch eine andere Person Anspruch auf einen Kinderfreibetrag hat, so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, daß die Aufwendungen vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden, und zwar im Kalenderjahr bis zu höchstens 4.500 DM, wenn die unterhaltene Person das 18. Lebensjahr vollendet hat (§ 33 a Abs. 1 Satz 1 EStG).

Zu Recht ist das FG zunächst davon ausgegangen, daß auch die nur gelegentlichen Leistungen im Streitjahr Aufwendungen für den Unterhalt i. S. von § 33 a Abs. 1 Satz 1 EStG sein können. Es hat ferner zutreffend angenommen, daß bei Unterhaltszahlungen an Bewohner der ehemaligen DDR die Bedürftigkeit der Empfänger in der Regel zu unterstellen ist (BFH-Urteile vom 5. Dezember 1986 III R 255/83, BFHE 148, 476, BStBl II 1987, 238, und vom 25. März 1983 VI R 275/80, BFHE 138, 343, BStBl II 1983, 453). Anhaltspunkte für einen außergewöhnlichen Sachverhalt sind im Streitfall nicht ersichtlich, so daß das FG zu Recht von der Unterhaltsbedürftigkeit der Eltern der Klägerin ausgegangen ist.

Hieran ändert auch der Umstand nichts, daß die DDR und damit die besonderen Umstände, die Rechtsprechung und Finanzverwaltung zu der vorgenannten Unterstellung veranlaßt haben, im Zeitpunkt der Revisionsentscheidung nicht mehr bestehen. Zwar hat die Finanzverwaltung den ländereinheitlichen Erlaß vom 1. April 1985 (BStBl I, 202), aufgrund dessen im allgemeinen von der Prüfung der Bedürftigkeit abzusehen ist, mit Wirkung ab 1. April 1990 bzw. 1. Januar 1991 aufgehoben (ländereinheitliche Erlasse vom 20. März 1990 bzw. 15. November 1990, BStBl I, 148 bzw. 769). Ein rückwirkender Wegfall - für frühere Veranlagungszeiträume, für die die Veranlagungen noch offen sind - ist dagegen nicht vorgesehen.

Der Senat geht ebenfalls davon aus, daß die tatsächlichen Grundlagen für die Unterstellung der Bedürftigkeit mit der deutschen Einigung grundsätzlich nicht rückwirkend entfallen sind. Er ist der Auffassung, daß die Unterstellung der Bedürftigkeit aufgrund der vorerwähnten höchstrichterlichen Rechtsprechung bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 1989 gerechtfertigt ist. Für das Streitjahr 1986 ergibt sich danach jedenfalls keine Änderung der einschlägigen Grundsätze.

Zu beanstanden ist aber, daß das FG von einer Kürzung der in § 33 a Abs. 1 EStG vorgesehenen Höchstbeträge nach § 33 a Abs. 4 Satz 1 EStG Abstand genommen hat. Diese Vorschrift sieht vor, daß für jeden vollen Kalendermonat, in dem u. a. die in Abs. 1 der Vorschrift bezeichneten Voraussetzungen nicht vorgelegen haben, sich die dort bezeichneten Beträge um je 1/12 ermäßigen.

Der BFH geht seit langem davon aus, daß Unterhaltsleistungen nicht auf Monate vor ihrer Zahlung zurückbezogen werden dürfen (BFH-Urteile vom 5. September 1980 VI R 75/80, BFHE 131, 475, BStBl II 1981, 31; vom 13. Februar 1987 III R 196/82, BFHE 149, 61, BStBl II 1987, 341; vom 13. März 1987 III R 206/82, BFHE 149, 532, BStBl II 1987, 599; vom 11. November 1988 III R 307/84, BFH/NV 1990, 83; vom 6. April 1990 III R 193/85, BFH/NV 1990, 767). Diese Rechtsprechung beruht auf der tatsächlichen Vermutung, daß der Unterhaltsverpflichtete seine Zahlungen so einrichtet, daß sie zur Deckung des Lebensbedarfs des Empfängers bis zum Erhalt der nächsten Unterhaltszahlung dienen. Die Vermutung kann allerdings im Einzelfall widerlegt werden, insbesondere, wenn nachgewiesen oder glaubhaft gemacht wird, daß der Empfänger der Zahlungen vorher nicht unterstützt wurde, so daß die Zahlungen des Steuerpflichtigen zur Abtragung entsprechender aufgelaufener Schulden verwandt werden konnten.

Diese Grundsätze, an denen der Senat festhält, sind zwar in Urteilsfällen entwickelt worden, die Unterhaltsleistungen ausländischer Arbeitnehmer an ihre im Heimatland verbliebenen Angehörigen betrafen. Sie gelten jedoch auch für andere Fälle, in denen Unterhaltszahlungen als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 a EStG geltend gemacht werden. Denn die zur steuerrechtlichen Behandlung von Unterhaltsleistungen ausländischer Arbeitnehmer an ihre in der Heimat verbliebenen Angehörigen entwickelten Grundsätze beruhen nicht zuletzt auf der Erwägung, daß für im Inland tätige ausländische Arbeitnehmer die gleichen Rechtsgrundsätze gelten wie für deutsche Steuerpflichtige, und insbesondere darauf, daß ausländische Arbeitnehmer, die eine steuerliche Vergünstigung in Anspruch nehmen wollen, ihre Verhaltensweise entsprechend den gesetzlichen Voraussetzungen für diese Vergünstigung einrichten müssen (BFH-Urteil vom 22. Mai 1981 VI R 140/80, BFHE 133, 521, 524, BStBl II 1981, 713). Mithin kann die Gewährung der Steuervergünstigung des § 33 a EStG auch bei deutschen Steuerpflichtigen nicht von weniger strengen Voraussetzungen abhängig gemacht werden als bei ausländischen Arbeitnehmern, die in der Bundesrepublik einer Beschäftigung nachgehen. Der IX. Senat des BFH hat deshalb bereits entschieden, daß die sog. Opfergrenze, die ebenfalls im Zusammenhang mit der Besteuerung ausländischer Arbeitnehmer entwickelt worden ist, auch bei Unterhaltszahlungen an Empfänger in der ehemaligen DDR zu berücksichtigen ist (Urteil vom 16. Juli 1985 IX R 1/78, BFH/NV 1985, 33, unter 2.).

Auch tatsächliche Besonderheiten rechtfertigen es nicht, bei Unterhaltszahlungen deutscher Steuerpflichtiger in die ehemalige DDR insoweit von anderen Grundsätzen auszugehen als bei Unterhaltszahlungen ausländischer Arbeitnehmer. Zu Recht hat das FA bereits darauf hingewiesen, daß die bisherige Unterstellung der Bedürftigkeit bei Bewohnern der ehemaligen DDR darauf beruhte, daß die entsprechenden Nachweise praktisch nicht erbracht werden konnten (vgl. Urteil in BFHE 138, 343, BStBl II 1983, 453). Die Vermutung, daß die Unterhaltszahlungen so eingerichtet werden, daß sie zur Bestreitung des laufenden Lebensunterhalts dienen, wird durch diese Umstände jedoch nicht entkräftet. Im Streitfall steht zudem fest, daß die Eltern der Klägerin auch vorher schon von den Klägern unterstützt wurden, so daß auch die Annahme, die streitigen Zahlungen hätten teilweise der Tilgung aufgelaufener Schulden gedient, nicht möglich ist.

Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich auch nicht deshalb, weil die Kläger besondere Nachteile für den Fall geltend gemacht haben, daß sie die Zahlungen durch rechtzeitige Überweisungen getätigt hätten. Denn der Senat geht davon aus, daß es für die Kläger andere Möglichkeiten gegeben hätte, den - bedürftigen - Empfängern kontinuierlich Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts zur Verfügung zu stellen.

Die Vorentscheidung, die der Rechtsauffassung des Senats nicht entspricht, ist aufzuheben. Die Sache ist spruchreif, die Klage abzuweisen.