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  BFH-Urteil vom 20.3.1992 (VI R 10/91) BStBl. 1992 II S. 835

Sämtliche Fahrten eines Krankenhausarztes zwischen Wohnung und Krankenhaus während des Bereitschaftsdienstes bzw. der Rufbereitschaft sind als steuerlich berücksichtigungsfähige Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG anzusehen; die Aufwendungen für diese Fahrten sind mit den gesetzlichen Kilometerpauschbeträgen zu berechnen, wenn sie mit dem eigenen Kfz durchgeführt wurden.

EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist als Arzt bei einem Krankenhaus angestellt. In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1988 machte er für während seines Bereitschaftsdienstes durchgeführte zusätzliche Fahrten zwischen seiner Wohnung und dem Krankenhaus Aufwendungen in Höhe von 1.499,40 DM zum Werbungskostenabzug geltend (595 Fahrten 3 km 0,84 DM). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erkannte demgegenüber nur die Kosten für 453 Zusatzfahrten zu einem Kilometersatz von 0,36 DM je Entfernungskilometer als Werbungskosten an (insgesamt 489 DM). In der Einspruchsentscheidung vom 13. Dezember 1989 begründete das FA seine Auffassung wie folgt: Bereitschaftsdienste eines Arztes gehörten zu dessen üblichen Dienstobliegenheiten und damit zu den Aufgaben, die im Rahmen der normalen Arbeitszeit abzuwickeln seien. Daraus folge, daß Abschn. 24 Abs. 3 Nr. 1 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1987 nicht anzuwenden sei, sondern daß die Fahrten nur im Rahmen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit einem Kilometersatz von 0,36 DM je Entfernungskilometer zu berücksichtigen seien. Da sich anhand des vorgelegten Dienstplanes ergebe, daß von insgesamt 123 Bereitschaftstagen 42 Tage auf Samstage, Sonntage und Feiertage und die übrigen 81 Tage auf normale Wochenarbeitstage entfallen seien, könnten unter Beachtung des Abschn. 24 Abs. 3 Nr. 2 LStR 1987 (Unterbrechung der Arbeitszeit um mindestens vier Stunden) insgesamt 453 Zusatzfahrten während der Dienstbereitschaft des Klägers anerkannt werden.

Mit der Klage begehren die Kläger den Abzug von Fahrtkosten für 595 zusätzliche Fahrten zwischen Wohnung und Krankenhaus zu einem Kilometersatz von 0,36 DM je Entfernungskilometer (insgesamt 642,60 DM). Das Finanzgericht (FG) hat die Klage durch nach § 105 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abgekürztes Urteil unter Bezugnahme auf die Gründe der Einspruchsentscheidung abgewiesen.

Mit ihrer Revision verfolgen die Kläger ihren Klageantrag weiter. Zur Begründung tragen sie im wesentlichen vor: Die Kosten sämtlicher Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, die ein Arzt während seines Bereitschaftsdienstes durchführe, führten als Aufwendungen für außergewöhnliche Sonderfahrten zum Werbungskostenabzug. Das Abstellen auf eine vierstündige Unterbrechung der Arbeitszeit ergebe in Fällen der ärztlichen Bereitschaftsdienste keinen Sinn, da medizinische Notfälle stets unvorhergesehen einträten und damit eine planmäßige Anwesenheitsregelung während der Bereitschaftsdienste nicht durchführbar sei.

Das FA begehrt mit den Gründen der Einspruchsentscheidung, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Sämtliche Fahrten des Klägers während seines Bereitschaftsdienstes bzw. seiner Rufbereitschaft zwischen Wohnung und Krankenhaus sind als steuerlich berücksichtigungsfähige Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG anzusehen; die Aufwendungen für diese Fahrten sind mit den gesetzlichen Kilometerpauschbeträgen zu berechnen, wenn sie mit dem eigenen Kfz durchgeführt wurden.

1. Bei den strittigen Fahrten handelt es sich nicht etwa um Fahrten zwischen zwei regelmäßigen Arbeitsstätten, bei denen die Aufwendungen nicht der Abzugsbeschränkung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG unterliegen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. Dezember 1988 VI R 199/84, BFHE 155, 362, BStBl II 1989, 296). Selbst wenn man davon ausginge, daß die vom Kläger geschuldete Arbeitsleistung im wesentlichen aus der Rufbereitschaft in seiner Wohnung bestanden hätte, würde dies nichts an dem Umstand ändern, daß die Wohnung als Ausgangs- und Endpunkt der zu beurteilenden Fahrten anzusehen ist und damit die Fahrten nicht als Fahrten zwischen zwei Arbeitsstätten, sondern als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG zu beurteilen sind (BFH-Urteil vom 19. September 1990 X R 44/89, BFHE 162, 77, BStBl II 1991, 97, unter I. 1. der Entscheidungsgründe, m. w. N.).

2. Den Klägern ist darin zu folgen, daß die Aufwendungen für sämtliche während des Bereitschaftsdienstes bzw. der Rufbereitschaft durchgeführten Fahrten begrenzt auf die Kilometerpauschbeträge des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG als Werbungskosten abziehbar sind.

a) In seinem Urteil vom 17. Dezember 1971 VI R 328/70 (BFHE 104, 209, BStBl II 1972, 260) ist der Senat davon ausgegangen, daß nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG die Aufwendungen nur für eine Fahrt arbeitstäglich mit dem eigenen Kfz steuerlich berücksichtigt werden können. Er hat dies daraus abgeleitet, daß die gesetzliche Bestimmung den Normalfall eines Arbeitsverhältnisses mit einer einheitlichen Arbeitszeit regelt, die allenfalls durch eine Pause zur Einnahme einer Zwischenmahlzeit unterbrochen ist und bei der arbeitstäglich typischerweise auch nur eine Hin- und Rückfahrt anfällt. In dem vom Normalfall erheblich abweichenden Sonderfall der Arbeitszeitunterbrechung von vier Stunden hat der Senat eine Ausnahme von der Beschränkung auf eine Hin- und Rückfahrt arbeitstäglich zugelassen. Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber durch Neufassung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG im Rahmen des Steueränderungsgesetzes (StÄndG) 1990 - und zwar klarstellend, soweit die Fahrten mit dem Kfz betroffen sind - ins Gesetz übernommen. Er hat daneben in gleicher Weise - ebenfalls klarstellend, soweit die Fahrten mit dem Kfz betroffen sind - auch die steuerliche Berücksichtigung von Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für Arbeitseinsätze außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit ausdrücklich gesetzlich geregelt. Fährt ein Arbeitnehmer an einem Arbeitstag mehrmals zwischen Wohnung und Arbeitsstätte hin und her, so sind die zusätzlichen Fahrten nur zu berücksichtigen, soweit sie durch einen zusätzlichen Arbeitseinsatz außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit oder durch eine Arbeitszeitunterbrechung von mindestens vier Stunden veranlaßt sind. Auch zusätzliche Fahrten anläßlich von Arbeitseinsätzen außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit sind dadurch gekennzeichnet, daß sie nicht im Rahmen einer einheitlichen durchgängigen Arbeitszeit eines Arbeitstages anfallen, sondern im Normalfall unregelmäßig zur Erledigung kurzzeitiger Arbeitseinsätze durchgeführt werden. Derartige Arbeitsverhältnisse weichen so sehr vom üblichen Fall eines durchgängigen Arbeitseinsatzes während einer einheitlichen Arbeitszeit ab, daß auch bereits vor der gesetzlichen Klarstellung durch das StÄndG 1990 die Fahrten anläßlich solcher Arbeitseinsätze keiner anzahlmäßigen Beschränkung während eines Arbeitstages unterlagen (vgl. z. B. auch Abschn. 24 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 LStR 1987).

Der Senat ist der Auffassung, daß auch Fahrten zwischen Wohnung und Krankenhaus während des Bereitschaftsdienstes oder während der Rufbereitschaft eines Krankenhausarztes durch zusätzliche Arbeitseinsätze außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit veranlaßt sind und daher steuerlich berücksichtigt werden können. Soweit für die Zeit vor 1990 die Oberfinanzdirektion (OFD) Münster und für die Zeit nach 1989 Abschn. 42 Abs. 2 Satz 2 LStR 1990 davon ausgehen, daß die Fahrten im Rahmen des Bereitschaftsdienstes nicht zusätzlich steuerlich berücksichtigungsfähig sind, weil der Bereitschaftsdienst zu den üblichen Dienstobliegenheiten eines Arztes gehört (so OFD Münster, Verfügung vom 18. März 1988 S 2351 - 27 - St 12 - 31, Finanz-Rundschau - FR - 1988, 307; anders aber wohl OFD Köln, Verfügung vom 9. Februar 1987, FR 1987, 256) bzw. weil die Dauer des Bereitschaftsdienstes zur regelmäßigen Arbeitszeit gehört (so Abschn. 42 Abs. 2 Satz 2 LStR 1990), vermag dem der Senat nicht zu folgen. Zusätzliche Arbeitseinsätze außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit gehören im Regelfall zu den üblichen Dienstobliegenheiten eines Arbeitnehmers, der mit derartigen Einsätzen zu rechnen hat. Der Umstand, daß ein Arbeitseinsatz zu den üblichen Dienstobliegenheiten gehört, besagt nichts darüber, ob dieser Arbeitseinsatz innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit oder außerhalb derselben erbracht wird. Ob ein zusätzlicher Arbeitseinsatz außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit erbracht wird, hängt von den Umständen des jeweiligen Arbeitsverhältnisses ab. Nach Nr. 8 der Anlage 2 c zum Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) ist zur Ausführung des § 17 BAT bestimmt, daß der angestellte Arzt verpflichtet ist, Bereitschaftsdienst zu leisten oder sich in Rufbereitschaft zu halten (Nr. 8 Abs. 1 und 6). Beiden Verpflichtungen ist gemeinsam, daß sie nach ausdrücklicher Formulierung der Anlage 2 c Nr. 8 "außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit" zu leisten sind. Der Bereitschaftsdienst unterscheidet sich von der Rufbereitschaft dadurch, daß der Arzt sich im Bereitschaftsdienst an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufzuhalten hat, während bei der Rufbereitschaft dem Arzt die Stelle freisteht, an der er sich aufhalten will. In beiden Fällen kann die Stelle, an der sich der Arzt aufhält, auch dessen Wohnung sein (Crisolli/Ramdohr, Das Tarifrecht der Angestellten im öffentlichen Dienst, Teil II Anlage 2 c Rdnr. 32). Der Bereitschaftsdienst darf nur angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, daß zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt. Rufbereitschaft darf nur angeordnet werden, wenn erfahrungsgemäß lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt (BAT Anlage 2 c, Nr. 8 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 6 Satz 2).

Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, daß die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte während des Bereitschaftsdienstes oder während der Rufbereitschaft als steuerlich anzuerkennende zusätzliche Fahrten anzusehen sind. Zum einen gehen die Tarifvertragspartner selbst davon aus, daß die Arbeitseinsätze während der Rufbereitschaft oder während des Bereitschaftsdienstes "außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit" zu leisten sind. Zum anderen weichen die Arbeitsverhältnisse während der Rufbereitschaft oder während des Bereitschaftsdienstes wesentlich von den den Normvorstellungen des Gesetzgebers zugrunde liegenden Arbeitsverhältnissen ab, welche es als gerechtfertigt erscheinen lassen, arbeitstäglich nur eine Hin- und Rückfahrt als steuerlich relevant zu berücksichtigen. Ob und wann während der Rufbereitschaft oder während des Bereitschaftsdienstes Arbeitseinsätze anfallen und wie lange diese dauern werden, ist völlig unbestimmt. Es ist hier von vornherein keine durchgehende Arbeitsleistung während einer im Regelfall nur durch eine Zwischenmahlzeit unterbrochenen einheitlichen Arbeitszeit denkbar. Wenn die Arbeitseinsätze außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit in der Wohnung des Arbeitnehmers abgewartet werden dürfen, so ist es gerechtfertigt, die Fahrten zu den Einsätzen ohne Beschränkung auf eine Hin- und Rückfahrt je Arbeitstag steuerlich zu berücksichtigen (gleicher Ansicht Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., § 9 Anm. 7 d; ebenso für die Zeit vor 1990, anders dagegen ab 1. Januar 1991 v. Bornhaupt in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 9 F 78; anderer Ansicht Wolff-Diepenbrock in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, § 9 EStG Rz. 259).

b) Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß die Aufwendungen für die während des Bereitschaftsdienstes oder während der Rufbereitschaft durchgeführten Fahrten aber nur mit den Kilometerpauschbeträgen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG errechnet werden können. Wie der Senat bereits im Urteil in BFHE 104, 209, BStBl II 1972, 260 entschieden hat, unterliegen alle Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, die mit dem eigenen Kfz durchgeführt werden, der kostenmäßigen Beschränkung des Gesetzes. Daß Fahrten, die sich als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte darstellen, generell der Abzugsbeschränkung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG der Höhe nach unterliegen, hat der Senat auch in den Urteilen vom 18. Januar 1991 VI R 132/86 (BFHE 163, 363, BStBl II 1991, 408) und vom 20. Dezember 1991 VI R 116/89 (BFHE 166, 292, BStBl II 1992, 308) bekräftigt. Nichts anderes kann für Fahrten mit dem Kfz gelten, die durch zusätzliche Arbeitseinsätze außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit veranlaßt sind. Soweit Abschn. 24 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und Abs. 4 Nr. 1 LStR 1987 davon ausgeht, daß bei derartigen Fahrten die tatsächlichen Kfz-Kosten angesetzt werden könnten, steht die Verwaltungsanweisung nicht mit dem Gesetz in Einklang (gleicher Ansicht FG Berlin, Urteil vom 11. April 1985 IV 359/83, rechtskräftig, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1985, 490; FG Köln, Urteil vom 24. Februar 1987 5 K 345/81, rechtskräftig, EFG 1987, 348; v. Bornhaupt, a. a. O.; Schmidt/Drenseck, a. a. O., 8. Aufl., § 9 Anm. 7 c; anderer Ansicht Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 9 EStG Anm. 456; Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort "Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte" A 13, Lieferung Dezember 1985; Felix, FR 1986, 373).