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  BFH-Beschluß vom 20.5.1992 (III B 110/91) BStBl. 1992 II S. 916

Möchte ein Steuerpflichtiger nach einer bereits erfolgten Einkommensteuer-Zusammenveranlagung mit seinem Ehegatten durch Änderung seiner Wahl eine getrennte Veranlagung erreichen und besteht zwischen den Ehegatten Streit über die Zulässigkeit eines solchen Begehrens, so ist der andere Ehegatte zum finanzgerichtlichen Verfahren notwendig beizuladen.

FGO § 60 Abs. 3.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Der seit 1986 geschiedene Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hatte im Streitjahr (1982) neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit u. a. einen Verlust aus gewerblicher Tätigkeit. Außerdem ist im Wege des Rücktrages (§ 10 d des Einkommensteuergesetzes - EStG -) ein Verlust, den der Kläger im Jahr 1984 in seinem Gewerbebetrieb erlitten hat, zu berücksichtigen. Der Kläger wurde im Streitjahr mit seiner geschiedenen Ehefrau, die ebenfalls Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen hatte, zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

Mit seiner Klage, über die das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden hat, begehrt der Kläger die Aufhebung der Zusammenveranlagung und die Durchführung einer getrennten Veranlagung. Durch Beschluß vom 5. Juli 1990 hat das FG die geschiedene Ehefrau des Klägers unter Berufung auf § 60 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) notwendig zu dem Klageverfahren beigeladen. Nach Ansicht des FG ist die geschiedene Ehefrau an der Streitsache derart beteiligt, daß eine Entscheidung auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen könne.

Mit der Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Beiladung seiner geschiedenen Ehefrau. Er ist der Ansicht, die Entscheidung für eine getrennte Veranlagung sei Sache jedes einzelnen Ehegatten, ohne daß der Ehepartner auf diese Entscheidung einwirken oder die Wahl der getrennten Veranlagung verhindern könne. Die Voraussetzungen für eine notwendige Beiladung des Ehepartners seien daher nicht erfüllt.

Der Kläger beantragt, den Beschluß über die Beiladung aufzuheben.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, ist nicht begründet.

Nach § 60 Abs. 3 FGO sind Dritte zu einem Rechtsstreit dann notwendig beizuladen, wenn eine Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung i. S. des § 60 Abs. 3 FGO bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten im Regelfall verneint (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteile vom 12. August 1977 VI R 61/75, BFHE 123, 172, BStBl II 1977, 870; vom 5. Februar 1971 VI R 301/66, BFHE 101, 358, BStBl II 1971, 331). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. Senatsentscheidung vom 25. November 1988 III R 264/83, BFH/NV 1989, 690); er hat dies vor allem damit begründet, daß der Zusammenveranlagungsbescheid kein einheitlicher Verwaltungsakt ist, sondern eine Zusammenfassung mehrerer rechtlich selbständiger Verwaltungsakte.

Eine notwendige Beiladung hat der BFH allerdings im Sonderfall der Zusammenveranlagung von Ehegatten zur Vermögensabgabe nach dem Lastenausgleichsgesetz (LAG) für geboten gehalten, wenn die zusammenveranlagten Ehegatten entgegengesetzte Interessen verfolgen (vgl. Urteil vom 28. Januar 1966 III 96/62, BFHE 85, 327, BStBl III 1966, 327, zu § 66 LAG). Im übrigen hat es der BFH für die Frage einer notwendigen Beiladung als entscheidend angesehen, ob die für den einen Ehegatten günstige oder ungünstige Entscheidung des Rechtsstreites notwendigerweise umgekehrt den anderen Ehegatten benachteiligen oder begünstigen muß (vgl. Urteil in BFHE 101, 358, BStBl II 1971, 331).

Ausgehend von dieser Rechtsprechung ist der erkennende Senat der Ansicht, daß ein Ehegatte dann notwendig beizuladen ist, wenn der andere Ehegatte - wie im Streitfall - eine bereits durchgeführte Einkommensteuer-Zusammenveranlagung durch die Änderung seiner Wahl nachträglich korrigieren möchte und Streit zwischen den Eheleuten über die Zulässigkeit eines solchen Begehrens besteht. Diese Beurteilung beruht entscheidend auf der Überlegung, daß die Vorschriften des § 26 Abs. 1 EStG bei der Besteuerung beider Ehegatten nur einheitlich angewendet werden können. Die Änderung der Veranlagungsart bei einem Ehegatten hat - ähnlich wie die Änderung eines Grundlagenbescheids (§ 171 Abs. 10 der Abgabenordnung - AO 1977 -) die Anpassung von Folgebescheiden nach sich zieht (§ 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977) - zwangsläufig eine Änderung der Steuerfestsetzung beim anderen Ehegatten selbst dann zur Folge, wenn dessen Einkommensteuer bereits bestandskräftig festgesetzt ist (vgl. BFH-Urteile vom 17. Mai 1977 VI R 243/74, BFHE 122, 290, BStBl II 1977, 605; vom 18. November 1977 VI R 71/75, BFHE 124, 169, BStBl II 1978, 215; Abschn. 174 Abs. 4 Satz 4 ff. der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - 1990 für den Fall des Wechsels von getrennter Veranlagung zur Zusammenveranlagung). Diese Änderung der Steuerfestsetzung hat bei einem Wechsel von der Zusammenveranlagung zur getrennten Veranlagung durch den Verlust des sog. Splittingvorteils im Regelfall eine höhere Steuerbelastung des anderen Ehegatten zur Folge; daraus ergeben sich entgegengesetzte Interessen der Ehegatten.

Soweit in Teilen der Literatur (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 60 FGO Tz. 12; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 60 Tz. 62) eine notwendige Beiladung im Fall entgegengesetzter Interessen der Ehegatten abgelehnt wird, vermag sich dem der erkennende Senat zumindest dann nicht anzuschließen, wenn einer der Ehepartner nach bereits erfolgter Zusammenveranlagung seinen Wahlentschluß ändert. In diesem Fall verfolgt der Ehegatte nicht nur eigene Interessen, sondern sein Vorgehen kann - im Fall des Erfolges - einen mit einer zusätzlichen Steuerbelastung verbundenen Nachteil des anderen Ehegatten zur Folge haben, der in seiner Auswirkung im Regelfall über das hinausgeht, was der andere Ehepartner nach einer Aufteilung der gemeinsamen Steuerschuld (§§ 268 ff. AO 1977) hinzunehmen hätte.

Der erkennende Senat setzt sich mit seiner Entscheidung nicht in Widerspruch zu dem BFH-Urteil vom 9. März 1973 VI R 217/71 (BFHE 109, 181, BStBl II 1973, 557, vorletzter Absatz der Entscheidungsgründe), in welchem der BFH lediglich eine einfache Beiladung (§ 60 Abs. 1 FGO) für geboten hielt. Der in BFHE 109, 181, BStBl II 1973, 557 zugrunde liegende Sachverhalt unterscheidet sich insofern vom Streitfall, als dort nicht die nachträgliche Änderung einer von den Ehegatten übereinstimmend gewollten Veranlagungsart umstritten war, sondern ein Fall erstmaliger Veranlagung vorlag.

Das FG hat die Ehefrau des Klägers daher zu Recht notwendig beigeladen.