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BFH-Urteil vom 24.6.1992 (V R 60/88) BStBl. 1992 II S. 986

Veräußert ein Unternehmer einen Teil seines Betriebsgrundstücks zur Vermeidung einer Enteignung, sind neben dem Kaufpreis auch die Entschädigung für eine Betriebseinschränkung auf dem Restgrundstück und die Vergütung für den Abbruch von Gebäuden auf dem veräußerten Grundstücksteil Entgelt für eine einheitliche, unter das GrEStG fallende, nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1980 umsatzsteuerfreie Leistung (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 10. Februar 1972 V R 119/68, BFHE 105, 75, BStBl II 1972, 403).

UStG 1980 § 4 Nr. 9 Buchst. a, § 10 Abs. 1 Sätze 1 und 2; GrEStG Niedersachsen § 10 Abs. 1, § 11 Abs. 1 Nrn. 1, 7; FStrG § 19 Abs. 5; NStrG § 42 Abs. 4; NEG §§ 13, 14.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I.

Der Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt ein privates Alten- und Pflegeheim, in dem früher etwa 13 bis 14 Personen untergebracht werden konnten. Zur Vermeidung einer Enteignung veräußerte er mit Vertrag vom 25. August 1981 eine Teilfläche des Betriebsgrundstücks an die Bundesstraßenverwaltung. Neben dem Kaufpreis für den Grund und Boden zahlte der Käufer u. a. folgende Nebenentschädigungen:

-      Entschädigung des Wohn- und

     Wirtschaftsgebäudes und der

     Außenanlagen                                               139.757,00 DM

  

-   untergehender Gartenbewuchs                          10.619,12 DM

  

-   Entschädigung  sonstiger

    Vermögensnachteile

     (gewerbliche Folgekosten)                              132.085,00 DM.

Die gewerblichen Folgekosten wurden dem Kläger deshalb vergütet, weil durch den teilweisen Gebäudeabbruch eine Verminderung der Zahl der Heimplätze zu erwarten war.

Ferner wurde vereinbart, daß der Kläger, sofern er den Gebäudeabbruch übernehme, dafür 37.759 DM abzüglich des Werts des Abbruchmaterials (1.480 DM) = 36.279 DM erhalte.

In seiner Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 1981 behandelte der Kläger die vereinnahmten Beträge einschließlich der Vergütung für den Gebäudeabbruch als umsatzsteuerfrei.

Der Beklagte, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) war der Ansicht, daß es sich bei der Entschädigung für gewerbliche Vermögensnachteile und der Zahlung für den Gebäudeabbruch um Entgelte für steuerpflichtige Leistungen des Klägers handle, und setzte gegen den Kläger für 1981 Umsatzsteuer in Höhe von 22.079 DM fest.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte insoweit Erfolg, als das Finanzgericht (FG) die Umsatzsteuer auf 17.171 DM herabsetzte. Zur Begründung führte das FG im wesentlichen aus: Mit dem Gebäudeabbruch habe der Kläger keinen steuerpflichtigen Umsatz ausgeführt. Es handle sich weder um ein Grundgeschäft noch um ein Neben- oder Hilfsgeschäft zum Betrieb des Altenheims. Die Entschädigung wegen sonstiger Vermögensnachteile sei Entgelt für eine steuerpflichtige Leistung, die darin bestehe, daß der Kläger sich bereitgefunden habe, seine unternehmerische Tätigkeit als Folgewirkung der teilweisen Grundstücksveräußerung einzuschränken. Steuerfreiheit ergebe sich weder aus § 4 Nr. 16 Buchst. d noch aus § 4 Nr. 9 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1980.

Der Kläger beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Umsatzsteuer für 1981 auf 0 DM festzusetzen.

Das FA legte mit einem an das FG gerichteten Schreiben unselbständige Anschlußrevision ein. Es rügt Verletzung des § 1 Abs. 1 UStG 1980. Nach seiner Auffassung ist auch der Gebäudeabbruch eine steuerpflichtige Leistung des Klägers.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Umsatzsteuer für 1981 auf 21.887,25 DM festzusetzen und die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

Der Kläger ist der Anschlußrevision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Festsetzung der Umsatzsteuer für 1981 auf 0 DM (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Anschlußrevision des FA ist zwar zulässig, aber unbegründet.

1. Der Kläger wendet sich zu Recht dagegen, daß für die Entschädigung sonstiger Vermögensnachteile (gewerbliche Folgekosten) Umsatzsteuer festgesetzt wurde. Die Umsatzsteuerfreiheit ergibt sich aus § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1980.

a) Nach dieser Vorschrift sind steuerfrei Umsätze i. S. des § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UStG 1980, die unter das Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) fallen. Steuerbarkeit nach Grunderwerbsteuerrecht reicht aus; Steuerpflicht ist nicht erforderlich (Senatsurteil vom 29. August 1991 V R 87/86, BFHE 166, 185, BStBl II 1992, 206, unter II. 2. a).

b) Das FG hat unter Berufung auf das Senatsurteil vom 10. Februar 1972 V R 119/68 (BFHE 105, 75, BStBl II 1972, 403) eine Leistung des Klägers in seiner Bereitschaft gesehen, seine unternehmerische Tätigkeit als Folgewirkung der teilweisen Grundstücksveräußerung einzuschränken.

Die Bereitschaft des Klägers, seine unternehmerische Tätigkeit einzuschränken, ist nach dem festgestellten Sachverhalt eine Leistung, die nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung in der Grundstücksübertragung aufgeht und ihre Selbständigkeit verliert (vgl. Senatsurteil in BFHE 166, 185, BStBl II 1992, 206, unter II. 2.). Die Betriebseinschränkung war eine unmittelbare Folge der Veräußerung des Grundstücksteils und des teilweisen Gebäudeabbruchs, der zu einer Verminderung der Kapazität des Heimes führte. Eine gesonderte Willensentschließung des Klägers war hierfür nicht erforderlich. Andererseits hatte der Käufer kein Interesse an der Betriebseinschränkung. Es wäre für ihn vielmehr sogar von Vorteil gewesen, wenn auf dem verbleibenden Grundstücksteil das Heim im bisherigen Umfang hätte fortgeführt werden können. Eine Entschädigung für Ertragseinbußen wäre dann entfallen.

Diese einheitliche Leistung fällt unter das GrEStG.

Soweit das FG die Anwendbarkeit der Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1980 auf die in dieser Leistung enthaltene "Einschränkungsbereitschaft" verneinte, konnte es sich nicht auf das Urteil in BFHE 105, 75, BStBl II 1972, 403 stützen; denn dieses betrifft nur sog. Gewerbeentschädigungen an eine vom Grundstücksveräußerer verschiedene Person. Im Streitfall erhielt hingegen der Grundstückseigentümer diese Gewerbeentschädigung als Folge seines Grundstücksverkaufs. Sie gehörte grunderwerbsteuerrechtlich zur Gegenleistung für die Grundstücksübereignung und umsatzsteuerrechtlich zum Entgelt für die nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1980 steuerfreie Grundstücksübertragung. Die im Kaufvertrag ausgewiesene Entschädigung der gewerblichen Folgekosten war lediglich ein Berechnungsposten des Kaufpreises (Entgelt i. S. des § 10 Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG 1980).

Die Entschädigung für die zu erwartende Ertragseinbuße rechnet zur Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer, die nach § 10 Abs. 1 GrEStG Niedersachsen grundsätzlich vom Wert der Gegenleistung berechnet wird. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob für die Bestimmung der Gegenleistung § 11 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 7 GrEStG Niedersachsen angewendet wird. Entweder ist die Entschädigung für die gewerblichen Folgekosten Teil des Kaufpreises, der auch die vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen umfaßt (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG Niedersachsen). Oder die Zahlung wurde geleistet zwar nicht als Entschädigung bei einer Enteignung (§ 11 Abs. 1 Nr. 7 GrEStG Niedersachsen), aber - rechtlich gleichwertig - aufgrund freihändiger Veräußerung "zur Vermeidung einer Enteignung" (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. Juli 1988 X R 52/81, BFHE 155, 187, BStBl II 1989, 65, m. w. N.; Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz, 6. Aufl., § 4 Nr. 9 Anm. 40 bis 41.7, und bereits Cerutti, Deutsche Steuer-Zeitung, Ausgabe A 1966, 92).

Gemäß §§ 13 und 14 des Niedersächsischen Enteignungsgesetzes (NEG), nach dessen Vorschriften die Entschädigung bei Enteignungen für Zwecke der Bundesfernstraßen in Niedersachsen zu bemessen ist (§ 19 Abs. 5 des Bundesfernstraßengesetzes - FStrG - i. V. m. § 42 Abs. 4 des Niedersächsischen Straßengesetzes - NStrG -), ist Entschädigung für den Rechtsverlust und für andere Vermögensnachteile zu gewähren. Beide Komponenten bilden die dem Betroffenen zustehende Entschädigung i. S. des § 11 Abs. 1 Nr. 7 GrEStG Niedersachsen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 155, 187, BStBl II 1989, 65). Eine Entschädigung wegen anderer durch die Enteignung eintretender Vermögensnachteile ist nach § 14 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 NEG u. a. zu gewähren für den vorübergehenden oder dauernden Verlust, den der bisherige Eigentümer in seiner Berufs- oder Erwerbstätigkeit erleidet.

Dieses Ergebnis, wonach die Entschädigung steuerfrei ist, steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH, wonach die Entschädigung für eine Betriebsverlagerung, die aufgrund einer Enteignung oder freiwilligen Veräußerung zur Vermeidung einer Enteignung des Betriebsgrundstücks gezahlt wird, nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1967/1980 umsatzsteuerfrei ist (BFH-Urteile in BFHE 155, 187, BStBl II 1989, 65; vom 18. Januar 1990 V R 10/85, BFH/NV 1990, 536).

Unerheblich ist, wie dargelegt, daß nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a GrEStG Niedersachsen der Erwerb eines Grundstücks zur Schaffung und Erweiterung von öffentlichen Straßen von der Besteuerung ausgenommen war.

2. Die Anschlußrevision des FA, die auch beim FG fristwahrend eingelegt werden konnte (BFH-Urteil vom 29. August 1989 IX R 176/84, BFHE 159, 303, BStBl II 1990, 430), ist unbegründet.

Das FA wendet sich mit seiner Revision zwar zutreffend dagegen, daß das FG die Abbruchleistungen des Klägers nicht dem Rahmen seines Unternehmens zugerechnet habe (vgl. insoweit Senatsurteil vom 20. September 1990 V R 92/85, BFHE 162, 493, BStBl II 1991, 35). Gleichwohl hat die Anschlußrevision keinen Erfolg. Denn der Gebäudeabbruch durch den Kläger ist nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1980 ebenfalls umsatzsteuerfrei. Gegenstand der Grundstückslieferung des Klägers war das Grundstück in unbebautem Zustand, also nach Abbruch der bisher vorhandenen Gebäude durch den Kläger.

Zum Gegenstand des zu liefernden Grundstücks hatten die Beteiligten die Vereinbarung getroffen, daß der Kläger, falls er den Abbruch vornehme, im Umfang der Abbruchkosten (zusätzlich) entschädigt werden sollte. Der Kläger hat diese Klausel durch Abbruch der Gebäudeteile und Übergabe des Grundstücks in geräumtem Zustand erfüllt.

Abbruchleistungen sind bei vereinbarter Lieferung eines Grundstücks in unbebautem Zustand nicht gesondert zu erfassen. Dies gilt auch bei der vorliegenden Fallgestaltung (vgl. im einzelnen Senatsurteil in BFH/NV 1990, 536).