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  BFH-Urteil vom 10.3.1992 (VIII R 66/89) BStBl. 1992 II S. 1032

Vorfälligkeitsentschädigungen, die ein Darlehensnehmer vereinbarungsgemäß bei vorzeitiger Kündigung des Darlehens an den Darlehensgeber leistet, gehören auch dann zu den Einnahmen aus Kapitalvermögen, wenn sie dem Ausgleich für den Wegfall der Steuerermäßigung nach §§ 16, 17 BerlinFG dienen sollen.

EStG 1983 §§ 20 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 2 Nr. 1, 24 Nr. 1 a und b; BerlinFG §§ 16, 17.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zusammenveranlagte Ehegatten. Die Ehefrau hatte im Jahre 1980 ein sog. Berlin-Darlehen gewährt und mit dem Darlehensnehmer vereinbart, daß dieser im Falle einer vorzeitigen Darlehenskündigung den Verlust zu ersetzen habe, der ihr in diesem Falle durch die Rückzahlung der sog. Berlin-Ermäßigung entstehen würde.

Im Streitjahr 1983 kündigte der Darlehensnehmer ein Restdarlehen in Höhe von 19.668 DM. Damit entfielen 20 v. H. der Steuerbegünstigung. Dementsprechend bezahlte der Darlehensnehmer an die Klägerin 3.934 DM.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erfaßte diesen Betrag als Einnahme bei den Einkünften aus Kapitalvermögen. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Das FA erließ während des Revisionsverfahrens einen aus anderen als den hier streitigen Gründen teilweise nach § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) für vorläufig erklärten Einkommensteuerbescheid 1983. Die Kläger beantragen, den geänderten Bescheid gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

Die für die vorzeitige Ablösung des Darlehens an den Darlehensgeber gezahlte Entschädigung (sog. Vorfälligkeitsentschädigung; vgl. dazu etwa Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 9 EStG, Anm. 385 "Vorfälligkeitsentschädigung"; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., § 5 Anm. 31) gehört bei diesem zu den Einnahmen aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG - 1983).

1. Einnahmen aus Kapitalvermögen bezieht, wer Kapitalvermögen gegen Entgelt zur Nutzung überläßt (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 31. Oktober 1989 VIII R 210/83, BFHE 160, 11, BStBl II 1990, 532, m. w. N.). Voraussetzung ist, daß sich die Einnahmen wirtschaftlich als - regelmäßiges oder besonderes - Entgelt oder als sonstige Vorteile der Kapitalnutzung (§ 20 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 2 Nr. 1 und dazu BFH-Urteil vom 13. Oktober 1987 VIII R 156/84, BFHE 151, 512, BStBl II 1988, 252, unter III. 4. m. w. N.) darstellen. Dementsprechend ist auch bei Entschädigungen, die im Rahmen eines Kapitalnutzungsverhältnisses vom Nutzungsberechtigten gezahlt werden, zu prüfen, ob sie der Erwerbs- oder der privaten Vermögenssphäre zuzurechnen sind. Die Abgrenzung erfolgt nach dem Veranlassungsprinzip (BFH-Urteil vom 4. Juli 1990 GrS 2-3/88, BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 817, unter C II. 2. b).

2. Der BFH hat die Frage, ob Vorfälligkeitsentschädigungen beim Empfänger der Zahlungen zur Erwerbs- oder Vermögenssphäre gehören, bisher noch nicht entschieden. Dem Urteil vom 23. Januar 1990 IX R 8/85 (BFHE 159, 488, BStBl II 1990, 464) kann allerdings entnommen werden, daß er die Entschädigung beim Zahlenden als Werbungskosten beurteilen würde, wenn und soweit sie nicht durch einen neuen und gegenüber dem Darlehensverhältnis engeren Veranlassungszusammenhang der Vermögenssphäre zuzuordnen ist. Der Grund liegt darin, daß Vorfälligkeitsentschädigungen zu den Kreditnebenkosten zählen, ohne deren Übernahme es - wie im Streitfall - entweder nicht zur Begründung oder - wie bei einer nachträglich getroffenen Vereinbarung - nicht zur Lösung des unwirtschaftlich gewordenen Kapitalnutzungsverhältnisses gekommen wäre (vgl. dazu die rechtskräftigen Entscheidungen des FG München, Urteil vom 12. Dezember 1989 12 K 12060/86, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1990, 421; FG Nürnberg, Urteil vom 14. Dezember 1988 III 69/88, EFG 1989, 567; FG Düsseldorf, Urteil vom 9. Juni 1988 15/2 K 89/84 F, G, BB, EFG 1988, 551, und Niedersächsisches FG, Urteil vom 29. Oktober 1986 IX 675/85, EFG 1987, 168; vgl. zur Behandlung der Vorfälligkeitsentschädigungen als Kreditnebenkosten im Zivilrecht Ballhaus in RGRK zum BGB, 12. Aufl., § 609 Rdnr. 25; Schopp in Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 6. Aufl., § 608 Rdnr. 2; Westermann in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 608 Anm. 4, und im Steuerrecht Herrmann/Heuer/Raupach, a. a. O., § 9 EStG Anm. 385 "Vorfälligkeitsentschädigung"; Schmidt/Drenseck, a. a. O., § 9 Anm. 4 c; Wolff-Diepenbrock in Littmann/Bitz/Meincke, a. a. O., § 9 Rdnr. 173, sowie M. Söffing, Finanz-Rundschau - FR - 1988, 432).

3. Auch beim Empfänger der Zahlungen gehört die Vorfälligkeitsentschädigung grundsätzlich nicht zur privaten Vermögenssphäre.

a) Sie ist bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung durch die Kapitalnutzung veranlaßt. Insoweit gilt für sie nichts anderes als für sonstige Abstandszahlungen, die für die Entlassung aus einem Vertragsverhältnis gezahlt werden (vgl. zuletzt - für Mietvorvertrag - BFH-Urteil vom 21. August 1990 VIII R 17/86, BFHE 162, 62, BStBl II 1991, 76). Die Zahlung ist zwar nicht in engerem Sinn Gegenleistung für die Nutzung des Kapitals; denn sie wird gerade für den Fall vereinbart, daß nach Kündigung des Vertragsverhältnisses Zinseinnahmen oder - wie im Streitfall - sonstige mit der Hingabe des Darlehens verbundene wirtschaftliche Vorteile entfallen. Einnahmen können aber als besonderes Entgelt oder als Vorteil i. S. von § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG auch noch nach Beendigung des Kapitalnutzungsverhältnisses anfallen (vgl. z. B. BFH in BFHE 151, 512, BStBl II 1988, 252, m. w. N., und vom 14. Februar 1984 VIII R 126/82, BFHE 141, 124, BStBl II 1984, 580, unter 2.). Der erforderliche Veranlassungszusammenhang zur Erwerbssphäre ergibt sich bei Vorfälligkeitsentschädigungen daraus, daß sie dem Darlehensgeber die kalkulierte Rendite - zumindest teilweise - auch für den Fall der vorzeitigen Kündigung des Darlehens durch den Darlehensnehmer erhalten sollen. Es handelt sich - wie der V. Senat des BFH ausgeführt hat (Urteil vom 20. März 1980 V R 32/76, BFHE 130, 435, BStBl II 1980, 538) - um ein den veränderten Bedingungen angepaßtes (besonderes) Entgelt.

b) Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß die Vorfälligkeitsentschädigung im Streitfall zum Ausgleich für den Wegfall der Steuerermäßigung zu zahlen war, die gemäß § 16 und § 17 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) für Darlehen zur Finanzierung von Investitionen in Berlin gewährt wird (zum Verlust der Steuerermäßigung bei vorzeitiger Rückzahlung des Darlehens vgl. § 16 Abs. 2 Satz 2 und § 17 Abs. 3 Satz 3 BerlinFG). An der Zuordnung der Entschädigung zur Erwerbssphäre des Darlehensgebers ändert sich dadurch nichts.

Die zur Tilgung des Entschädigungsanspruchs geleistete Zahlung des Darlehensnehmers verbleibt dem Darlehensgeber neben den bis zur Kündigung angefallenen laufenden Zinsen auch dann, wenn das FA seinen Rückforderungsanspruch geltend macht (zu diesem vgl. George in Littmann/Bitz/Meincke, a. a. O., §§ 16-18 BerlinFG, Rdnr. 17; Blümich/Dankmeyer, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 14. Aufl., § 16 BerlinFG Rz. 131). Insoweit unterscheidet sich der Streitfall hinsichtlich der Qualifizierung und des Zuflusses der Einnahmen nicht von anderen Formen der Vorfälligkeitsentschädigung. Er unterscheidet sich von diesen nur dadurch, daß infolge der vertraglichen Vereinbarung Bemessungsgrundlage des Entschädigungsanspruchs die wegfallende Steuervergünstigung ist, und dadurch, daß die Einnahme ggf. zur Tilgung des Rückforderungsanspruchs des FA verwendet wird. Dieser Unterschied ist jedoch steuerrechtlich ohne Bedeutung.

Die zur Erfüllung des Rückforderungsanspruchs erbrachten Zahlungen können nicht steuermindernd geltend gemacht werden. Die bis zum Ablauf der Mindestlaufzeit des Darlehens auflösend bedingte Steuerbegünstigung ist steuerfrei gewährt worden. Dementsprechend hat auch ihre Rückzahlung keine steuerrechtlichen Auswirkungen (vgl. zur Rückzahlung gesetzwidrig erlangter Steuervorteile aufgrund eines Rückforderungsanspruchs nach § 37 AO 1977 BFH-Urteil vom 13. November 1986 IV R 211/83, BFHE 148, 306, BStBl II 1987, 374, a. E.). Es kann deshalb für die Entscheidung im Streitfall auch offenbleiben, in welchem Veranlagungszeitraum das FA seinen Rückforderungsanspruch geltend gemacht und die Klägerin diesen Anspruch durch Zahlung erfüllt hat.

4. Die Vorfälligkeitsentschädigung fällt nicht unter die von § 24 Nr. 1 EStG erfaßten Entschädigungen.

a) Die Voraussetzungen des § 24 Nr. 1 a EStG liegen nicht vor. Bei dieser Beurteilung läßt der Senat offen, ob diese Vorschrift nicht schon deshalb ausscheidet, weil die Ersatzleistung nicht auf einer neuen Rechts- oder Billigkeitsgrundlage beruht (vgl. dazu - für den Fall einer vertraglich vereinbarten Abfindungszahlung bei Kündigung eines Arbeitsverhältnisses - BFH-Urteil vom 27. Februar 1991 XI R 8/87, BFHE 164, 243, BStBl II 1991, 703, m. w. N.). Die Klägerin hat durch ihre vorab erklärte Zustimmung zur vorzeitigen Kündigung des Darlehensvertrages den Einnahmeausfall mitbewirkt. In einem solchen Fall liegt eine Entschädigung i. S. des § 24 Abs. 1 Nr. 1 a EStG nur dann vor, wenn sie ihre günstige Rechtsposition unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck aufgegeben hätte (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 10. Juli 1991 X R 79/90, BFHE 165, 75, m. w. N.). Insoweit unterscheidet sich der Streitfall von den Abstandszahlungen, über die der Senat in seinem Urteil in BFHE 162, 62, BStBl II 1991, 76 zu entscheiden hatte.

b) § 24 Nr. 1 b EStG ist ebenfalls nicht anwendbar. Die Nichtfortsetzung des Kapitalnutzungsverhältnisses ist keine "Aufgabe einer Tätigkeit" i. S. dieser Vorschrift. Als Tätigkeit in diesem Sinne kommt nur eine solche i. S. des § 2 Abs. 1 Nrn. 1 - 4 EStG in Betracht.