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  BFH-Urteil vom 29.7.1992 (II R 14/92) BStBl. 1992 II S. 1043

1. Gegen die dem FG durch § 105 Abs. 5 Satz 1 FGO eröffnete Möglichkeit, von einer Darstellung der Entscheidungsgründe abzusehen, soweit das Gericht der Begründung der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf folgt, bestehen grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

2. Die Anwendung der genannten Vorschrift setzt voraus, daß die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf selbst eine ausreichende Begründung enthält; bloß formelhafte Wendungen genügen hierfür nicht. Verweist das FG gleichwohl auf die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf, so ist seine Entscheidung als nicht mit Gründen versehen aufzuheben.

GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 1 Satz 3, § 105 Abs. 5 Satz 1, § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

I.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hatte durch Bescheid vom 16. Dezember 1987 gegen die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) Grunderwerbsteuer in Höhe von 4.135 DM festgesetzt. Hiergegen hatte die Klägerin Einspruch eingelegt. Antragsgemäß hatte das FA durch Verfügung vom 13. Januar 1988 die Vollziehung des Grunderwerbsteuerbescheides in Höhe von 3.580 DM unter Hinweis auf die Zinspflicht nach § 237 der Abgabenordnung (AO 1977) ausgesetzt; einen Betrag von 555 DM hatte die Klägerin bereits entrichtet. Der Einspruch der Klägerin wurde durch Änderungsbescheid nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 vom 2. Januar 1990 dadurch erledigt, daß die Grunderwerbsteuer auf 2.663 DM herabgesetzt wurde.

Durch Verfügung vom 15. Februar 1990 setzte das FA auf der Grundlage eines zu verzinsenden Betrages von 2.100 DM für den Zeitraum vom 13. Januar 1988 bis 5. Februar 1990 gemäß § 237 AO 1977 Aussetzungszinsen von 252 DM fest. Hiergegen erhob die Klägerin Einspruch mit der Begründung, Aussetzungszinsen könnten nur angesetzt werden, wenn ein Einspruch endgültig erfolglos bleibe. So sei es aber in ihrem Fall nicht, denn das FA habe den Bescheid vom 16. Dezember 1987 aufgehoben und einen neuen Bescheid erlassen, der sich von dem ursprünglichen Bescheid erheblich zugunsten der Klägerin unterschieden habe. Durch Entscheidung vom 15. März 1990 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück.

Die Klage der - nicht vertretenen - Klägerin hatte keinen Erfolg. In den Gründen des Urteils verwies das Finanzgericht (FG) hinsichtlich des Sachverhalts auf die Einspruchsentscheidung, gab das Klagebegehren wieder und skizzierte kurz die Klagebegründung. Ergänzend nahm das FG auf mehrere näher bezeichnete Schriftsätze der Klägerin sowie des FA Bezug. Von einer Darstellung der Entscheidungsgründe sah das FG gemäß § 105 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ab und führte aus, daß sich der Senat in vollem Umfang der in der Einspruchsentscheidung gegebenen Begründung anschließe, die keinen Rechtsfehler erkennen lasse. Im übrigen sei die Rechtmäßigkeit der Grunderwerbsteuerfestsetzung in dem ausschließlich die nach § 237 AO 1977 angefallenen Aussetzungszinsen betreffenden Verfahren nicht zu prüfen.

Die Revision ist vom FG nicht zugelassen worden. Mit der Revision stellt die Klägerin sinngemäß den Antrag, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Sache an das FG zurückzuverweisen. Zur Begründung führt sie aus, daß das Urteil des FG nicht mit Gründen i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO versehen sei, weil das FG für die Entscheidungsgründe auf die Einspruchsentscheidung verwiesen habe. Es habe sich dafür zu Unrecht auf § 105 Abs. 5 FGO bezogen. Diese Vorschrift sei wegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verfassungswidrig. Auch habe sich das FG auf die Einspruchsentscheidung deshalb nicht berufen können, weil diese ihrerseits keine Begründung enthalte.

Entscheidungsgründe

II.

Die gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung durch das FG, weil das Urteil des FG nicht mit Gründen versehen ist.

Nach § 119 Nr. 6 FGO ist ein Urteil stets als auf der Verletzung von Bundesrecht i. S. des § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO beruhend anzusehen, wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist. Diese Voraussetzung ist, entgegen der Auffassung der Klägerin, nicht schon deshalb gegeben, weil das FG von einer Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen hat. Diese Möglichkeit ist dem FG nach der von ihm auch angezogenen Vorschrift des § 105 Abs. 5 Satz 1 FGO bei Streitwerten bis zu 500 DM eröffnet, soweit das Gericht der Begründung der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf folgt und dies im Urteil feststellt. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift hat der erkennende Senat entgegen der von der Klägerin zitierten Auffassung von G. Niemeyer in Steuerberater-Jahrbuch 1982/83, S. 69, 84 nicht. Auch durch die Bezugnahme auf die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ist sichergestellt, daß die für die richterliche Überzeugung leitenden Gründe hinreichend bekannt werden (§ 96 Abs. 1 Satz 3 FGO; vgl. zum Zweck der richterlichen Entscheidungsgründe Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 105 FGO Tz. 6). Verfassungsrechtlichen Bedenken würde die Vorschrift nur dann begegnen, wenn ihr zu entnehmen wäre, daß das FG undifferenziert in jedem Fall auf die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf verweisen dürfte mit der Folge, daß das Gericht im Klageverfahren neu vorgetragene Einwendungen nicht zu verbescheiden hätte, denn dann wäre der Grundsatz des Rechts auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. So ist die Vorschrift jedoch nicht zu verstehen. Den angeführten Bedenken trägt die Fassung des § 105 Abs. 5 Satz 1 FGO zum einen bereits dadurch Rechnung, als die Möglichkeit der Bezugnahme nur vorgesehen ist, "soweit" das Gericht der Begründung der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf folgt. Zum anderen bedarf die Möglichkeit der Bezugnahme auf die Begründung der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf einer den Anforderungen des Art. 103 Abs. 1 GG entsprechenden Einschränkung dahingehend, daß das Gericht gemäß § 96 Abs. 1 Satz 3 FGO auf wesentliches (neues) Vorbringen im Klageverfahren einzugehen hat, das in der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf nicht verbeschieden worden ist (vgl. Kühn/Kutter/Hofmann, Kommentar, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 105 FGO Bem. 2).

Für den Streitfall braucht diese Frage nicht vertieft zu werden, denn der wesentliche Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6 FGO ergibt sich bereits daraus, daß die vom FG in Bezug genommene Einspruchsentscheidung vom 15. März 1990 selbst keine ausreichende Begründung enthält, die sich das FG hätte zu eigen machen können. Die für diese Beurteilung maßgebenden Sätze der Einspruchsentscheidung lauten:

"Der Einspruch ist form- und fristgerecht eingelegt. Er ist jedoch nicht begründet.

Auch die von Amts wegen vorgenommene Prüfung der Festsetzung der Aussetzungszinsen gemäß § 237 AO gibt keinen Anlaß zu einer abweichenden Entscheidung. Für einen Billigkeitserlaß gemäß § 227 AO (sachliche und persönliche Unbilligkeitsgründe fehlen) sind die Voraussetzungen nicht gegeben.

Der Einspruch war daher als unbegründet zurückzuweisen."

Aus dieser formelhaften Begründung ist nicht erkennbar, auf welche rechtlichen Erwägungen sich die Einspruchsentscheidung stützt.

Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO), weil die Sache mangels Entscheidungsgründen nicht spruchreif ist.