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  BFH-Urteil vom 31.8.1992 (V R 47/88) BStBl. 1992 II S. 1046

1. Neben dem vereinbarten Preis einer Leistung können auch zusätzliche Aufwendungen des Leistungsempfängers Leistungsentgelt sein, wenn der Leistungsempfänger sie zugunsten des Leistenden für die Leistung erbringt.

2. Das Leistungsentgelt kann auch darin bestehen, daß der Leistungsempfänger dem Leistenden Kapital überläßt und auf einen Anspruch auf Herausgabe der Zinsen verzichtet. Es bemißt sich dann nach der Höhe der vom Leistenden erzielten Zinsen und nicht nach der Höhe der vom Leistungsempfänger erzielbaren Zinsen.

UStG 1973 § 10 Abs. 1 und 3; BGB §§ 662 ff.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, betreibt ein Rechenzentrum und nimmt für eine Vielzahl von kirchlichen Einrichtungen und Krankenhäusern Lohnabrechnungen vor, unter anderem für ihre Gesellschafter. Die Preise, die die Auftraggeber - die kirchlichen Einrichtungen und Krankenhäuser - zu entrichten haben, werden vom Aufsichtsrat der Klägerin festgelegt. Dieser Aufsichtsrat wird von den Gesellschaftern gewählt.

Die Klägerin ermittelt den Nettolohn der Arbeitnehmer der Auftraggeber. Sie bucht diesen Nettolohn bei den Auftraggebern ab; zugleich bucht sie auch die Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuern der Arbeitnehmer von den Konten der Auftraggeber ab, obwohl sie diese Lohnnebenkosten zum Teil erst zwei oder vier Wochen später an die jeweiligen Gläubiger (Sozialversicherungsträger und Betriebsstättenfinanzämter) abzuführen hat. In der Zwischenzeit verbleiben diese Lohnnebenkosten bei der Klägerin, die sie gewinnbringend anlegt; es handelt sich insoweit um Beträge, die sich teilweise auf bis zu X Mio. DM belaufen.

Diese Handhabung beruht auf § 9 der zwischen der Klägerin und den Auftraggebern geschlossenen Geschäftsbesorgungsverträge. Mit dieser Vertragsbestimmung ermächtigt der Auftraggeber die Klägerin, die berechneten Entgelte sowie die Bruttobeträge für die abzuwickelnden Gehalts- oder Versorgungsberechnungen entsprechend der Brutto-Personalkostenverteilung monatlich im Lastschriftverfahren einzuziehen. Die eingezogenen Bruttobeträge sind von der Klägerin auf einem besonderen Arbeitgeberkonto zu führen, das von ihr treuhänderisch im Auftrag des Auftraggebers verwaltet wird. Dieser Auftrag gilt mit der Überweisung des Bruttobetrages bzw. der Übersendung der Einzugsermächtigung als erteilt. Für mehrere Auftraggeber kann ein gemeinsames Arbeitgeberkonto geführt werden, sofern die Einzelabrechnung gesichert ist.

...

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) betrachtete die Zinserträge auf die gewinnbringend angelegten Lohnnebenkosten als - zusätzliches - Entgelt für die Erstellung der Abrechnungen und erließ entsprechende Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1974 bis 1978. Das FA behandelte hierbei die Zinserträge als Bruttoentgelte.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus: Die Zinsen seien als zusätzliche Gegenleistung der Auftraggeber der Klägerin für die von dieser erbrachten Leistungen zu beurteilen. Die Gesamtumstände des Falles ließen nur den Schluß zu, daß die Auftraggeber die Zinsen der Klägerin als Entgelt überlassen hätten, um die Differenz zwischen Kostenaufwand und geleisteten Zahlungen auszugleichen. Der Aufsichtsrat der Klägerin berücksichtige bei der Preisgestaltung die anfallenden Zinsen. Aufgrund der in den Geschäftsbesorgungsverträgen vereinbarten treuhänderischen Verwaltung der Arbeitgeberkonten hätte die Klägerin die Zinsen als Früchte des Treuhandvermögens den Arbeitgeberkonten gutschreiben müssen, wenn die Auftraggeber die Zinsen nicht der Klägerin überlassen hätten. Die Auftraggeber hätten hierbei bewußt gehandelt, um der Klägerin die Differenz zwischen Aufwand und gezahltem Entgelt zu erstatten. Nicht zu überzeugen vermöge die Behauptung der Klägerin, das Abbuchungsverfahren habe der Kostenersparnis der Auftraggeber gedient. Es wäre jeweils lediglich eine zusätzliche Buchung erforderlich gewesen, wenn die Klägerin zunächst den Nettolohn und später Lohnsteuer- und Sozialversicherungsbeiträge abgebucht hätte. Dies hätte nicht zu den erzielten Zinseinnahmen entsprechenden Kosten führen können. Unerheblich sei, daß die Zinsen nach dem Vortrag der Klägerin nicht eindeutig einem Auftraggeber zugeordnet werden könnten.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung der §§ 1 und 10 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1973 sowie der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Sie führt aus: Zwischen ihren Leistungen und der Vorfristigkeit der Abbuchung der Nebenkosten bestehe keine innere Verknüpfung im Sinne eines zusätzlichen Entgelts. Es fehle an einer Vereinbarung, daß Zinsvorteile infolge verfrühter Abbuchung der Lohnkosten Leistungsentgelte darstellen sollten, und an einer zutreffenden Entgeltsbemessung, selbst wenn man eine vereinbarte Gegenleistung unterstellen wolle. Der Vorteil der Vorfristigkeit für sie, wenn man einen solchen überhaupt annehmen wolle, sei nicht nach ihren Leistungen für den einzelnen Kunden ausgerichtet gewesen, sondern nach der Höhe der vorfristig abgebuchten Geldbeträge und nach der Verbleibenszeit dieser Geldbeträge bei ihr. Hierbei bestünden bei den einzelnen Auftraggebern erhebliche Unterschiede. Die von ihr erzielten Zinsen seien niemals in den Verfügungsbereich ihrer Auftraggeber gelangt und könnten ihr daher auch nicht als Entgelt überlassen worden sein. Selbst wenn man aber in der Gestattung der vorzeitigen Abbuchung ein zusätzliches Entgelt sehen wollte, könnte die Umsatzsteuer nur nach den den Auftraggebern hieraus entstehenden Nachteilen bemessen werden. Vielfach hätten die Auftraggeber bei späterer Abbuchung keine Zinsen erzielen können und zudem die Kosten der zweimaligen Abbuchung tragen müssen. Es sei nicht möglich, über dieses "zusätzliche Entgelt" ordnungsgemäße Rechnungen auszustellen. Ein verfahrensrechtlicher Fehler liege darin, daß das FG seine Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts verletzt habe. Es habe unterstellt, es sei eine Vereinbarung mit den Auftraggebern dahingehend zustande gekommen, daß die Zinsen zur Ermäßigung der Entgelte eingesetzt werden sollten. Hätte das FG wenigstens eine repräsentative Anzahl von Auftraggebern dazu befragt, so wäre offenbar geworden, daß dies nicht der Fall gewesen sei.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Umsatzsteuer um ... DM herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

1. Die Verfahrensrüge entspricht nicht den Anforderungen des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO. Nach dieser Vorschrift muß die Revisionsbegründung oder die Revision, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Danach muß die Rüge mangelnder Sachaufklärung nicht nur die ermittlungsbedürftigen Punkte angeben, sondern darüber hinaus die Darlegung enthalten, weshalb sich dem FG auf der Grundlage seines materiell-rechtlichen Standpunktes die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. Februar 1988 I R 95/84, BFHE 153, 101, BStBl II 1988, 663). Daran fehlt es im Streitfall.

2. Das FG ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände zu dem Ergebnis gelangt, daß die von der Klägerin erzielten Zinsen zusätzliches Entgelt für die von ihr erbrachten Leistungen seien. Diese Schlußfolgerung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie ist möglich; dem FG sind keine Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze unterlaufen. Eine weitergehende Prüfung obliegt dem BFH als Revisionsgericht nicht (§ 118 Abs. 2 FGO; BFH-Urteil vom 10. Juli 1991 VIII R 126/86, BFHE 164, 565, BStBl II 1991, 840; ständige Rechtsprechung).

a) Nach § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1973 ist Entgelt alles, was der Empfänger einer Lieferung oder sonstigen Leistung (Leistungsempfänger) aufwendet, um die Leistung zu erhalten. Das erfordert zum einen die Feststellung, daß der Leistungsempfänger zugunsten des Leistenden etwas "für" die Leistung aufwendet, und zum anderen die (anschließende) Bewertung der Gegenleistung (Senatsurteil vom 15. Dezember 1988 V R 24/84, BFHE 155, 431, BStBl II 1989, 252, mit weiteren Nachweisen).

Auch wenn die Vertragsparteien für eine Leistung einen bestimmten "Festpreis" vereinbart haben, können darüber hinausgehende Aufwendungen des Leistungsempfängers zusätzliches Entgelt "für die Leistung" sein, wenn insoweit kein anderer Zuwendungsgrund ersichtlich ist.

Zusätzliche Aufwendungen an den Leistenden sind jedenfalls dann Entgelt, wenn Auftraggeber und leistender Unternehmer sich darüber einig sind, daß der Festpreis kein hinreichender Gegenwert für die vereinbarte Leistung ist, sondern daß der Auftraggeber für die Leistung daneben noch eine weitere Vergütung, insbesondere Sachvergütung, erbringt. Auch ohne solche Vereinbarung ist eine (zusätzliche) Aufwendung Entgelt, wenn der Leistungsempfänger sie für die Leistung hingibt, selbst wenn er sie nach Maßgabe einer Entgeltsvereinbarung nicht schuldet. Zusätzliche Aufwendungen sind dann Entgelt für eine Leistung, wenn sie aufgrund keines anderen Rechts- oder Anspruchsgrundes als dem der Leistung zugrunde liegenden erfolgen (BFHE 155, 431, BStBl II 1989, 252).

b) Nach den Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) lagen im Streitfall die Voraussetzungen für die Annahme eines zusätzlichen Entgelts vor. Das FG hat festgestellt, daß die Auftraggeber der Klägerin die Zinsen bewußt überlassen haben, um die erheblichen Differenzen zwischen Kostenaufwand und geleisteten Zahlungen auszugleichen. Danach liegt die erforderliche Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung vor.

Schwierigkeiten bei der Zuordnung des zusätzlichen Entgelts zu den jeweiligen Auftraggebern rechtfertigen es nicht, dieses Entgelt bei der Bemessung der Umsatzsteuer außer Betracht zu lassen. Ggf. ist eine Schätzung möglich und geboten (BFHE 155, 431, BStBl II 1989, 252).

c) Gegen die Vorentscheidung bestehen auch insoweit keine Bedenken, als das FG die von der Klägerin erzielten Zinsen und nicht die Zinsen, die die Auftraggeber bei späterer Abbuchung hätten erzielen können (den Wert der zinslosen Kapitalüberlassung an die Klägerin), der Bemessung der Umsatzsteuer zugrunde gelegt hat.

Das FG hat § 9 des Geschäftsbesorgungsvertrages, nach dem die eingezogenen Bruttobeträge von der Klägerin auf einem besonderen Arbeitgeberkonto zu führen waren, das von der Klägerin treuhänderisch im Auftrag des Auftraggebers zu verwalten war, dahin ausgelegt, daß den Auftraggebern ein Anspruch auf Herausgabe der Zinsen als Früchte des Treuhandvermögens zustand. Eine derartige Vertragsauslegung ist möglich und verstößt nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze. Nach dem Wortlaut und dem Sinn der Vertragsbestimmung hatte die Klägerin das auf den Arbeitgeberkonten verbuchte Geld im Auftrag der Auftraggeber zu verwalten. Es lag ein Auftragsverhältnis i. S. des §§ 662 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vor.

Nach § 667 BGB ist der Beauftragte verpflichtet, dem Auftraggeber alles, was er zur Ausführung des Auftrags erhält und was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt, herauszugeben. Dies gilt bei einem Dienstvertrag oder einem Werkvertrag, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat, entsprechend (§ 675 BGB). Herauszugeben sind auch die vom Beauftragten gezogenen Nutzungen (§ 100 BGB; vgl. z. B. Wittmann in Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Aufl., § 667 Tz. 10; Thomas in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 51. Aufl., § 667 Rdnr. 3; Hauß in Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 8. Aufl., § 667 Rdz. 2). Nutzungen sind u. a. die Früchte einer Sache oder eines Rechtes (§ 100 BGB). Früchte eines Rechtes sind die Erträge, welche das Recht seiner Bestimmung gemäß gewährt (§ 99 Abs. 2 BGB). Früchte sind auch die Erträge, welche eine Sache oder ein Recht vermöge eines Rechtsverhältnisses gewährt (§ 99 Abs. 3 BGB). Zinsen sind Früchte der Kapitalforderung (vgl. z. B. Dilcher in Staudinger, a. a. O., § 99 Rz. 13, Heinrichs in Palandt, a. a. O., § 99 Rdnr. 3; je mit weiteren Nachweisen).

Die Auftraggeber hatten deshalb einen Anspruch auf Herausgabe der Zinsen, die die Klägerin durch die Anlage der auf den Arbeitgeberkonten verbuchten Gelder erwirtschaftet hat. Auf diesen Herausgabeanspruch haben die Auftraggeber verzichtet, indem sie der Klägerin die Zinsen als Entgelt für deren Leistungen belassen haben.

Die Zinsforderungen, auf die die Auftraggeber verzichtet haben, waren nach § 12 des Bewertungsgesetzes mit dem Nennwert, also mit dem Betrag der herauszugebenden Zinsen, anzusetzen. Dieser Wert gilt nach Herausrechnung der Umsatzsteuer - neben dem fest vereinbarten Preis - als Entgelt für die steuerpflichtigen Leistungen der Klägerin (§ 10 Abs. 3 Satz 2 und 3 UStG 1973).

Durch den Herausgabeanspruch unterscheidet sich die vorliegende Gestaltung von dem dem Senatsurteil in BFHE 155, 431, BStBl II 1989, 252 zugrunde liegenden Sachverhalt. In jenem Fall ging es um Überlassung von Edelmetallabfällen an den Auftragnehmer als zusätzliches Entgelt für dessen Leistungen (Polierarbeiten). Der Senat führte aus, es erscheine sehr fraglich, ob im Schätzungsweg als Wert der einzelnen Gegenleistung ein Betrag angesetzt werden dürfe, der aus dem vom Auftragnehmer beim Verkauf der gesammelten Edelmetallabfälle erzielten Preis abgeleitet worden sei; denn der Erlös des Auftragnehmers beruhe jedenfalls z. T. auf seinen Maßnahmen zum Sammeln der (in Einzelfällen wohl kaum meßbaren) Polierabfälle und der Bestimmung von Menge und Zeitpunkt des Verkaufs, also auf wertbildenden Umständen, zu denen erst der Auftragnehmer beigetragen habe. Jener Fall war dadurch gekennzeichnet, daß den Auftraggebern zivilrechtlich kein Anspruch auf diese Arbeiten und die Herausgabe des vom Auftragnehmer erzielten Verkaufserlöses zustand, während vorliegend ein solcher Herausgabeanspruch hinsichtlich der Zinsen zivilrechtlich begründet ist.

Daß nach dem Vorbringen der Klägerin die einzelnen Auftraggeber danach im Ergebnis Entgelt in unterschiedlicher Höhe geleistet haben, ist für die rechtliche Würdigung ohne Bedeutung. Für die Umsatzbesteuerung sind die tatsächlichen Aufwendungen maßgebend (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1973).