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  BFH-Urteil vom 9.7.1992 (XI R 29/91) BStBl. 1993 II S. 29

Wird die Einkommensteuer im Verlustrücktragsjahr durch Zusammenveranlagung auf 0 DM festgesetzt, obgleich vor Unanfechtbarkeit des Bescheids die getrennte Veranlagung beantragt wurde, die bei einem niedrigeren Verlustrücktrag ebenfalls zu einer Einkommensteuer von 0 DM geführt hätte, so ist der Berechnung des Verlustvortrags der niedrigere Verlustrücktrag zugrunde zu legen.

EStG 1979 §§ 10 d, 26.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist verheiratet. Ihm entstand im Jahre 1979 aus einer Beteiligung an einer KG ein Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von 109.939 DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte diesen im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 1979 nicht ausgeglichenen Verlust mit einem Teilbetrag von 61.555 DM im Wege des Verlustrücktrags nach § 10 d Sätze 1 bis 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) durch eine entsprechende Änderung des Einkommensteuerbescheids 1978 und mit dem verbleibenden Betrag von 47.651 DM im Wege des Verlustvortrags bei der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr 1980. Das FA änderte den gegen den Kläger und seine Ehefrau im Wege der Zusammenveranlagung ergangenen und bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheid 1978 wegen des Verlustrücktrags mit Bescheid vom 22. April 1982 und setzte darin ein zu versteuerndes Einkommen von 0 DM an und die Einkommensteuerschuld auf 0 DM fest. Einspruch und Klage gegen diesen Bescheid mit dem Begehren, im Rahmen der nach § 10 d EStG vorzunehmenden Änderung für den Kläger und seine Ehefrau eine getrennte Veranlagung durchzuführen, hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unzulässig ab, weil der Kläger wegen der Steuerfestsetzung auf 0 DM, die sich auch im Falle der angestrebten getrennten Veranlagung ergebe, keine Beschwer geltend machen könne.

Gegen den Einkommensteuerbescheid 1980, der unter Ansatz des Verlustvortrags von 47.651 DM zu einem zu versteuernden Einkommen von 38.881 DM und zur Festsetzung einer Einkommensteuerschuld von 5.278 DM führte, erhob der Kläger mit Zustimmung des FA fristgerecht Sprungklage, mit der er begehrte, den Verlustvortrag für das Streitjahr 1980 so zu bemessen, als ob der Verlustrücktrag für das Jahr 1978 im Rahmen einer getrennten Veranlagung erfolgt sei.

Das FG hat die Klage abgewiesen. Es führt im wesentlichen aus, der für das Streitjahr 1980 zugrunde gelegte Verlustvortrag sei abhängig von der Höhe des Verlustrücktrags für den Veranlagungszeitraum 1978. Eine Berechnung auf der Grundlage der vom Kläger begehrten getrennten Veranlagung mit dem Ziel eines niedriger anzusetzenden Verlustrücktrags sei nicht möglich; denn der Kläger sei durch den ursprünglich für das Verlustrücktragsjahr 1978 ergangenen Einkommensteuerbescheid vom 15. Januar 1981, der bestandskräftig geworden sei, an die für den Veranlagungszeitraum 1978 getroffene Wahl (Zusammenveranlagung) gebunden. Dieser Grundsatz erfahre auch im Rahmen der Änderung eines Einkommensteuerbescheids nach der Sondervorschrift des § 10 d Sätze 2 und 3 EStG keine Durchbrechung. Der ursprüngliche Bescheid sei gemäß § 10 d Satz 2 EStG nur insoweit zu ändern, als der Verlustabzug zu gewähren oder zu berichtigen sei. Der Gesetzeswortlaut zeige deutlich, daß nur eine punktuelle, auf die Gewährung des Verlustabzugs beschränkte Änderung zu erfolgen habe und keine Grundlage für weitergehende Änderungsmöglichkeiten, insbesondere für eine nochmalige Ausübung des bereits ausgeübten Wahlrechts nach § 26 EStG, habe geschaffen werden sollen.

Mit der vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision rügt der Kläger sinngemäß Verletzung des § 10 d EStG.

Er beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und in Abänderung des Einkommensteuerbescheids 1980 vom 8. Februar 1985 einen höheren Verlustvortrag aus dem Jahre 1979 anzusetzen und dementsprechend die Einkommensteuerschuld 1980 um 1.176 DM herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Entscheidung in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Zu Unrecht ist das FG bei der Entscheidung über die Höhe des Verlustvortrags im Streitjahr 1980 von dem im Einkommensteuerbescheid 1978 vom 22. April 1982 berücksichtigten Verlustrücktrag ausgegangen. Da der Kläger vor Unanfechtbarkeit dieses Bescheids einen Antrag auf getrennte Veranlagung gestellt hatte, ist der Berechnung des Verlustvortrags der Verlustrücktrag zugrunde zu legen, der sich bei Durchführung der getrennten Veranlagung ergeben hätte.

Nach § 10 d EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung sind nicht ausgeglichene Verluste wie Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte des vorangegangenen Veranlagungszeitraums abzuziehen. Ein für den vorangegangenen Veranlagungszeitraum erlassener Steuerbescheid ist insoweit zu ändern, als der Verlustabzug zu gewähren oder zu berichtigen ist. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid bereits unanfechtbar geworden ist. Verluste, die in den vorangegangenen Veranlagungszeiträumen nicht abgezogen werden konnten, sind in den folgenden fünf Veranlagungszeiträumen wie Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen. Eine gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs sah das Gesetz in der im Streitjahr geltenden Fassung noch nicht vor.

Über die Höhe des Verlustes wird nicht im Entstehungsjahr, sondern in dem Jahr entschieden, in dem sich der Verlustrück- oder -vortrag einkommensteuerrechtlich auswirkt (ständige Rechtsprechung, vgl. u. a. BFH-Urteile vom 8. Dezember 1982 VIII R 53/82, BFHE 139, 28, BStBl II 1983, 710; vom 10. Februar 1988 VIII R 72/84, BFH/NV 1989, 291, und vom 24. April 1991 XI R 32/88, BFH/NV 1991, 598). § 10 d Sätze 2 und 3 EStG enthält eine gegenüber den Vorschriften der Abgabenordnung (AO 1977) eigenständige Korrekturvorschrift, aufgrund derer ein bestandskräftiger Bescheid, in dem ein Verlustrücktrag dem Grunde oder der Höhe nach unzutreffend berücksichtigt wurde, geändert werden kann (BFH-Urteil vom 14. November 1989 VIII R 209/85, BFHE 160, 219, BStBl II 1990, 620). Die Bestandskraft des für das Rücktragsjahr ergangenen Steuerbescheids wird insoweit durchbrochen, als ausgehend von der bisherigen Steuerfestsetzung und den dafür ermittelten Besteuerungsgrundlagen die Steuerschuld durch die Berücksichtigung des Verlustabzugs gemindert würde. Innerhalb dieses Korrekturspielraums sind gemäß § 177 Abs. 2 AO 1977 zugunsten und zuungunsten des Steuerpflichtigen auch solche Rechtsfehler zu berichtigen, die nicht Anlaß der Änderung sind (BFH-Urteil vom 27. September 1988 VIII R 432/83, BFHE 155, 83, BStBl II 1989, 225). Da Ehegatten ihr Wahlrecht der Veranlagungsart (§ 26 EStG) bis zur Unanfechtbarkeit eines Berichtigungs- oder Änderungsbescheids ausüben können und die einmal getroffene Wahl innerhalb dieser Frist - vorbehaltlich rechtsmißbräuchlichen oder willkürlichen Verhaltens - frei widerrufen können (BFH-Urteil vom 24. Mai 1991 III R 105/89, BFHE 165, 345, BStBl II 1992, 123, m. w. N.), sind sie bei der Gewährung des Verlustrücktrags zum Widerruf der getroffenen Wahl befugt, wenn dadurch der durch den Verlustabzug eröffnete Korrekturspielraum bei beiden Ehegatten weder über- noch unterschritten wird (BFH-Urteil vom 27. September 1988 VIII R 98/87, BFHE 155, 91, BStBl II 1989, 229).

Nach diesen Grundsätzen hätte bei der Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für 1978 der im Einspruchsverfahren gegen den Änderungsbescheid vom 22. April 1982 gestellte, nach § 26 Abs. 2 Satz 1 EStG wirksame Antrag des Klägers berücksichtigt und eine getrennte Veranlagung für den Kläger und seine Ehefrau durchgeführt werden müssen. Eine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids 1978 nach § 10 d Satz 3 EStG kommt nicht in Betracht, weil bei einer Steuerfestsetzung auf 0 DM die Berichtigung des Verlustabzugs die Bestandskraft nicht zu durchbrechen vermag.

Dem Begehren des Klägers, im Streitjahr 1980 einen höheren Verlustvortrag vorzunehmen, ist jedoch stattzugeben; denn bei dem 1978 gewährten Verlustrücktrag handelt es sich um einen nach § 157 Abs. 2 AO 1977 nicht selbständig anfechtbaren Teil des Steuerbescheids, der nicht in Bestandskraft erwächst. Seiner Richtigstellung im Rahmen der Entscheidung über den Verlustvortrag im Streitjahr steht die Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids 1978 nicht entgegen (vgl. BFH-Urteile vom 10. November 1987 VIII R 17-19/84, BFH/NV 1989, 278; vom 19. Februar 1974 VIII R 118/69, BFHE 111, 494, BStBl II 1974, 336; vom 12. Januar 1966 I 184/63, BFHE 85, 161, BStBl III 1966, 270, und vom 17. März 1961 VI 67/60 U, BFHE 73, 441, BStBl III 1961, 427). Da sowohl bei der Zusammenveranlagung wie auch - nach Feststellung des FG - bei der getrennten Veranlagung die für den Kläger und seine Ehefrau festzusetzende Einkommensteuer 0 DM beträgt, wird die bestandskräftige Einkommensteuerfestsetzung für 1978 durch die Richtigstellung des Verlustrücktrags nicht berührt.

Der Klage ist stattzugeben. Der Verlustabzug im Streitjahr 1980 ist unter Zugrundelegung eines Verlustrücktrags in 1978 vorzunehmen, der sich bei der getrennten Veranlagung des Klägers und seiner Ehefrau ergeben hätte. Die Berechnung wird gemäß Art. 3 § 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit dem FA übertragen. Dabei wird es die BFH-Urteile in BFHE 155, 83, BStBl II 1989, 225, und in BFHE 155, 91, BStBl II 1989, 229 zum Korrekturspielraum zu beachten haben.