| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 2.12.1992 (I R 46/91) BStBl. 1993 II S. 109

Leistungsprämien, die ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitern zahlt, um sie am wirtschaftlichen Ertrag des Unternehmens teilhaben zu lassen, und deren Höhe (auch) vom Ertrag abhängig ist, mindern den Gewinn des Wirtschaftsjahrs, für das sie gezahlt werden. Das gilt auch dann, wenn sich die Prämie teilweise nach dem in einem früheren Wirtschaftsjahr bezogenen Arbeitslohn bemißt.

EStG § 5 Abs. 1; AktG a. F. § 152 Abs. 7; HGB § 249 Abs. 1, 2 und 3.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz (EFG 1991, 598)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - eine Aktiengesellschaft - zahlte 1984 (Streitjahr) und 1985 wie bereits in mehr als 30 Jahren zuvor ihren Mitarbeitern jeweils Anfang Dezember als Teil der Jahresprämie eine sog. Leistungsprämie. Diese bemaß sich nach einem vom Vorstand der Klägerin jährlich neu bestimmten Prozentsatz des in der Zeit vom 1. Oktober des Vorjahrs bis zum 30. September des laufenden Jahres (sog. Berechnungszeitraum) im Durchschnitt erzielten monatlichen Bruttoarbeitsentgelts ohne Sozialzulagen. Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis erst nach dem 1. Oktober des Vorjahres begonnen hatte, erhielten die Leistungsprämie anteilig entsprechend ihrer Dienstzeit im Berechnungszeitraum. Das gleiche galt u. a. für Mitarbeiter, die während des Berechnungszeitraums in den Ruhestand getreten waren, und den erbberechtigten Hinterbliebenen der in diesem Zeitraum gestorbenen prämienberechtigten Mitarbeiter. Keine Prämie im laufenden Jahr erhielten Mitarbeiter, die erst nach dem 30. September des laufenden Jahres ihre Arbeit bei der Klägerin aufgenommen hatten. Auch die Mitarbeiter erhielten keine Prämie, die vor der Auszahlung der Prämie ausgeschieden waren - es sei denn, durch Eintritt in den Ruhestand - oder die zum Auszahlungszeitpunkt in einem gekündigten Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis standen oder denen die Jahresprämie ausdrücklich aberkannt worden war.

Die Höhe der Jahresprämien 1984 und 1985 gab die Klägerin jeweils Mitte Oktober des betreffenden Jahres den Mitarbeitern bekannt. Die Bekanntmachungen enthielten - wie die in den Vorjahren - den Hinweis, die Prämienregelung gelte nur für das betreffende Jahr, und die Klägerin behalte sich vor, in künftigen Jahren die Voraussetzungen, die Höhe und die Art der Zuwendungen je nach der Entwicklung des Geschäftsgangs und der Kosten anders zu regeln. Die Jahresprämien 1984 und 1985 schlossen die Jahresleistungen ein, zu deren Zahlung die Klägerin durch Tarifvertrag verpflichtet war.

In ihrer Bilanz auf den 31. Dezember 1984 bildete die Klägerin eine Rückstellung für "Jahresprämie letztes Vierteljahr". Streitig ist, ob diese Rückstellung, soweit sie die Leistungsprämie betrifft, das Einkommen der Klägerin mindert. Der Berechnung der Rückstellung liegen nach dem Vortrag der Klägerin die prämiefähigen Entgelte der Monate Oktober bis Dezember 1984 und der für 1984 geltende Prämiensatz zugrunde.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte bei der Festsetzung der Körperschaftsteuer die Rückstellung nicht gewinn- und einkommensmindernd. Einspruch und Klage waren erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist auszugsweise in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1991, 598 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt die Klägerin, das Urteil des FG verletze § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i. V. m. § 152 Abs. 7 des Aktiengesetzes (AktG) a. F. und § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG).

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist nicht begründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Wegen der 1985 zu zahlenden Leistungsprämien durfte die Klägerin in ihrer Bilanz auf den 31. Dezember 1984 keine Rückstellung bilden. Die 1985 gezahlten Leistungsprämien minderten - auch soweit sie sich nach Arbeitsentgelten des letzten Quartals 1984 bemessen - erst den Gewinn und das Einkommen des Jahres 1985.

1. Das Einkommen der Klägerin ist gemäß § 8 Abs. 1 KStG nach den Vorschriften des EStG und des KStG zu ermitteln. Bei Gewerbetreibenden, die - wie die Klägerin als Aktiengesellschaft - aufgrund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet sind, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen, ist für den Schluß des Wirtschaftsjahrs das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist (§ 5 Abs. 1 EStG). Zu diesen Grundsätzen gehört das in § 152 Abs. 7 Satz 3 AktG a. F. (jetzt: § 249 Abs. 3 Satz 1 des Handelsgesetzbuches - HGB -) ausgesprochene Verbot, andere als die in § 152 Abs. 7 Sätze 1 und 2 AktG a. F. (jetzt: § 249 Abs. 1 und 2 HGB) genannten Rückstellungen zu bilden (s. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Dezember 1987 I R 68/87, BFHE 152, 250, BStBl II 1988, 338, m. w. N.). Im Streitfall kommt - darüber besteht zwischen den Beteiligten zu Recht Einigkeit - allein eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten in Betracht.

Die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten setzt u. a. voraus, daß eine hinsichtlich Entstehung, Grund und/oder Höhe ungewisse Verbindlichkeit spätestens im abgelaufenen Wirtschaftsjahr wirtschaftlich verursacht worden ist (s. BFH-Urteile vom 5. Februar 1987 IV R 81/84, BFHE 149, 55, BStBl II 1987, 845; vom 28. Juni 1989 I R 86/85, BFHE 157, 416). Diese Voraussetzungen sind z. B. erfüllt, wenn ein Arbeitgeber zwar nicht mit Sicherheit, aber doch mit Wahrscheinlichkeit im Hinblick auf eine vom Arbeitnehmer bereits im abgelaufenen Wirtschaftsjahr bewirkte Leistung nach dem Bilanzstichtag noch eine Gegenleistung erbringen muß - Fall des Erfüllungsrückstands - (s. BFH-Urteil in BFHE 149, 55, BStBl II 1987, 845, m. w. N.). Der erkennende Senat hat eine wirtschaftliche Verursachung im abgelaufenen Wirtschaftsjahr jedoch verneint, wenn die Entstehung und/oder Höhe der künftigen Verbindlichkeit wirtschaftlich eng mit der künftigen Gewinnsituation des Schuldners verknüpft ist (s. BFH-Urteil vom 18. Juni 1980 I R 72/76, BFHE 131, 303, BStBl II 1980, 741).

2. Dazu hat das FG in tatsächlicher Hinsicht sinngemäß festgestellt, die 1985 gezahlten Leistungsprämien seien keine Gegenleistung für die im Berechnungszeitraum 1. Oktober 1984 bis 30. September 1985 erbrachten Arbeitsleistungen gewesen. Es habe sich vielmehr um auf das Kalenderjahr 1985 bezogene Leistungen der Klägerin an ihre Mitarbeiter gehandelt. Diese Feststellung beruht auf einer Würdigung der Erklärungen, die die Klägerin gegenüber ihren Mitarbeitern in bezug auf die Jahresprämien 1984 und 1985 abgab (Bekanntmachungen der Jahresprämien vom Oktober 1984 bzw. 1985). Im Revisionsverfahren kann diese Würdigung von rechtsgeschäftlichen Erklärungen nur daraufhin überprüft werden, ob das FG gesetzliche Auslegungsregeln mißachtet oder gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen hat (s. BFH-Urteil vom 28. Januar 1986 IX R 12/80, BFHE 146, 68, BStBl II 1986, 348). Derartige Rechtsverstöße liegen nicht vor.

a) Für die Auslegung des FG spricht - wie das FG zutreffend ausgeführt hat -, daß die Klägerin die nach dem Tarifvertrag zu zahlenden Jahresleistungen auf die Jahresprämien anrechnete. Die tarifliche Jahresleistung in Höhe eines tariflichen Monatsgrundlohns bzw. Monatsgehalts war eine zusätzliche Entlohnung für die im Kalenderjahr geleistete Arbeit. Auf sie durften nach dem Tarifvertrag die während des Kalenderjahrs gezahlten vom Arbeitgeber einseitig festgelegten Sondervergütungen, insbesondere Jahresabschlußvergütungen, Jahresprämien oder Ergebnisbeteiligungen angerechnet werden.

Bestätigt wird die Auslegung des FG durch den Vortrag der Klägerin, Sinn der Prämienregelung sei es, die Mitarbeiter am erwirtschafteten Gewinn teilhaben zu lassen. Da das Wirtschaftsjahr der Klägerin mit dem Kalenderjahr übereinstimmte, war die Leistungsprämie eng mit dem im Kalenderjahr der Zahlung - nicht mit dem im Berechnungszeitraum - erzielten Gewinn verknüpft. Zudem bestand ein enger Zusammenhang zwischen dem jährlich neu festgesetzten Prämiensatz und dem für das betreffende Wirtschaftsjahr in Aussicht genommenen Dividendensatz. Diese gerichtsbekannte Tatsache hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung bestätigt.

Schließlich spricht auch der von der Klägerin verwendete Begriff "Berechnungszeitraum" für die Auslegung des FG, zwischen dem Zeitraum 1. Oktober 1984 bis 30. September 1985 und der Leistungsprämie 1985 habe nur ein rechnerischer Zusammenhang bestanden. Aus welchem Grund die Klägerin vor nunmehr etwa 40 Jahren einen vom Kalenderjahr abweichenden Berechnungszeitraum wählte, läßt sich, wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat, heute nicht mehr klären. Der Gedanke liegt nahe, daß dies aus zwei Gründen geschah. Erstens sollten die Leistungsprämien bereits im Dezember des betreffenden Wirtschaftsjahrs und nicht erst nach dessen Ablauf ausgezahlt werden. Zweitens sollten der Berechnung der Prämien die im Durchschnitt von 12 Monaten erzielten monatlichen Bruttoarbeitsentgelte zugrunde gelegt und somit auch etwaige jahreszeitliche Schwankungen der Arbeitsentgelte berücksichtigt werden. Durch den vom Wirtschaftsjahr abweichenden Berechnungszeitraum konnten beide Ziele erreicht werden.

b) Entgegen der Ansicht der Klägerin zwingt die Prämienregelung für die während des Berechnungszeitraums in den Ruhestand getretenen Mitarbeiter nicht dazu, die Leistungsprämie als Entgelt für die im Berechnungszeitraum erbrachte Arbeitsleistung und den Berechnungszeitraum somit als "Erdienungszeitraum" der Leistungsprämie zu beurteilen.

Zwar führte diese Regelung dazu, daß auch die Mitarbeiter noch eine Leistungsprämie 1985 erhielten, die bereits während des letzten Quartals 1984 in den Ruhestand getreten waren und daher 1985 der Klägerin keine Arbeitsleistung mehr erbracht hatten. Dies kann jedoch auch darauf zurückzuführen sein, daß die Klägerin, wenn sie sich willkürfrei verhalten wollte, nicht danach differenzieren durfte, ob der Mitarbeiter bereits im Vorjahr oder erst im Jahr der Prämienzahlung in den Ruhestand getreten war. Die Klägerin hätte willkürlich gehandelt, wenn sie einem z. B. am 31. Januar 1985 in den Ruhestand getretenen Mitarbeiter 4/12 der Prämie gezahlt und einem bereits am 31. Dezember 1984 in den Ruhestand getretenen Mitarbeiter die Prämie versagt hätte. Es lag somit in der Logik der Prämienregelung für die während des Berechnungszeitraums in den Ruhestand getretenen Mitarbeiter, auch den Pensionären noch eine ihrer Dienstzeit im Berechnungszeitraum entsprechende anteilige Leistungsprämie 1985 zu zahlen, deren Dienstzeit bereits im letzten Quartal 1984 geendet hatte. Wird dies berücksichtigt, ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, daß das FG die diesen ehemaligen Mitarbeitern gezahlten Leistungsprämien nicht als Entgelt für die im letzten Quartal 1984 erbrachten Arbeitsleistungen, sondern als Belohnung für "vergangene Betriebstreue" beurteilt hat.