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  BFH-Urteil vom 4.6.1992 (IV R 139-140/91) BStBl. 1993 II S. 119

Eine Klage ist nicht deshalb unzulässig, weil der Schriftsatz neben dem sachlichen Begehren auch ungehörige, unsachliche und beleidigende Äußerungen enthält.

GG Art. 19 Abs. 4; FGO § 65 Abs. 1.

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist selbständiger Architekt. Da er für das Streitjahr 1981 keine Einkommensteuer- und Umsatzsteuererklärung abgab, schätzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Besteuerungsgrundlagen der Einkommensteuer und Umsatzsteuer und erließ die angefochtenen Bescheide.

Nach erfolglosem Einspruch richtete der Kläger in der Einkommensteuersache am 17. März 1984 ein Schreiben folgenden Wortlauts an das Finanzgericht (FG):

Klage

des Steuergeschädigten E. W.

- Kläger -

gegen

das Finanzamt D, vertreten durch dessen Vorsteher L und dessen Erfüllungshilfen B und E,

- Beklagter -

Es wird hiermit beantragt, das beklagte Finanzamt kostenpflichtig zu verurteilen, die irreführenderweise als "Einspruchsentscheidung" bezeichnete Steuerbetrugsentscheidung unter der Steuer-Nr..... /Rechtsverhinderungsliste 302, 301/83-85 vom 17. 2. 1984 bezüglich der willkürlich festgesetzten und böswillig überhöhten

a) Einkommensteuer 1981 und

b) Einkommensteuervorauszahlung ab IV. Quartal 1983 ersatzlos aufzuheben bzw. durch korrekte und sachgerechte Bescheide zu ersetzen.

Begründung wird nachgereicht.

Weitere Anträge bleiben vorbehalten.

Es wird die Bestätigung des Eingangs dieser Eingabe unter Angabe der zuständigen Richter beantragt.

Im November 1984 ging ein vergleichbares Schreiben in der Umsatzsteuersache beim FG ein. Mit der im September 1984 eingereichten Einkommensteuer- und Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr gab der Kläger geringere Einkünfte und Umsätze an. Das FA teilte dem FG mit, der Einkommensteuererklärung könne in verschiedenen Punkten nicht gefolgt werden, und lehnte eine Änderung der Bescheide ab, weil die Klagen unzulässig seien.

Das FG bejahte die Zulässigkeit der Klagen und gab ihnen aufgrund der eingereichten Steuererklärungen zum größten Teil statt.

Mit seinen dagegen gerichteten Revisionen rügt das FA unter Hinweis auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 22. April 1953 1 BvR 162/51 (BVerfGE 2, 225) und das rechtskräftige Urteil des Schleswig-Holsteinischen FG vom 4. Oktober 1978 I 197/78 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1979, 143) die Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe die Äußerungen des Klägers selbst als ehrverletzend bezeichnet, ohne jedoch daraus die notwendige Folgerung zu ziehen, die Klage als unzulässig zu verwerfen. Nur auf diese Weise sei ein effektiver Schutz von Behörden und Amtsträgern zu erreichen, den das Strafrecht nur unzureichend gewährleiste.

Das FA beantragt, die Vorentscheidungen aufzuheben und Klagen abzuweisen.

Der Kläger hat sich nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

Die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Revisionen (§ 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) sind unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat die Zulässigkeit der Klagen im Ergebnis zu Recht bejaht und in der Sache erkannt.

1. Die Schreiben des Klägers vom 17. März und vom 12. November 1984 erfüllen - jedenfalls i. V. m. den im Laufe des Klageverfahrens eingereichten Steuererklärungen - die Anforderungen des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO an den notwendigen Inhalt einer Klageschrift (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. März 1988 I R 93/94, BFHE 153, 290, BStBl II 1988, 895). Sie bezeichnen den Kläger, den Beklagten und den Streitgegenstand sowie die angefochtenen Verwaltungsakte. Mit dem Hinweis, die angefochtenen Steuerfestsetzungen möchten durch "korrekte und sachgerechte Bescheide" ersetzt werden, ist auch dem Antragserfordernis des § 65 Abs. 1 Satz 2 FGO genügt. Allerdings enthalten die Schriftsätze des Klägers auch eine Reihe unsachlicher und grob ungehöriger Äußerungen sowie einige Wendungen beleidigenden Charakters, soweit damit unterstellt wird, die Beamten des FA hätten sich einer Verletzung ihrer Dienstpflichten durch "willkürliche oder böswillig überhöhte" Steuerfestsetzungen schuldig gemacht. Diese Äußerungen sind zu mißbilligen; sie haben im Streitfall jedoch keinen Einfluß auf die Zulässigkeit der Klage.

a) In der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte wird zwar unter Hinweis auf die Entscheidung des BVerfG (in BVerfGE 2, 225, 229) und ohne weitere Begründung die Auffassung vertreten, Zulässigkeitsvoraussetzung jeden Antrags an ein Gericht wie auch jeden Rechtsmittels sei die Wahrung der sachlichen Form (vgl. etwa Beschluß des Oberlandesgerichts - OLG - Hamm vom 17. März 1976 4 Ss 158/76, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1976, 978, m. w. N.). Die vom BVerfG (in BVerfGE 2, 225) zur Behandlung einer Petition vertretenen Grundsätze sind jedoch nach Auffassung des Senats nicht ohne weiteres auf ein gerichtliches Verfahren und die dazu erforderlichen Prozeßhandlungen übertragbar (vgl. Beschluß des OLG Stuttgart vom 30. Juni 1976 5 W 22/1976, NJW 1977, 112). Im Gegensatz zu dem außerhalb der Rechtspflege gewährleisteten Petitionsrecht (vgl. Art. 17 des Grundgesetzes - GG -) verbiete sich für das dem Grundrechtsschutz des Art. 19 Abs. 4 GG unterliegende Klageverfahren die Annahme einer besonderen, in den Verfahrensordnungen nicht aufgestellten Zulässigkeitsvoraussetzung. Insoweit ist vielmehr eine differenzierende Betrachtung geboten, die sich ausschließlich an den gesetzlich vorgesehenen Sachurteilsvoraussetzungen, insbesondere dem Rechtsschutzbedürfnis, aber auch der Prozeßfähigkeit orientiert.

b) Daraus folgt, daß ein Schreiben, welches sich ausschließlich in Beleidigungen des Prozeßgegners, des Gerichts oder eines Dritten erschöpft, ein sachliches Begehren also nicht enthält, als Nichtklage keiner Beachtung bedarf. Wird ein sachlicher Anspruch nur formal zur Entscheidung gestellt, geht es dem Steuerpflichtigen aber in Wahrheit ausschließlich darum, Gegner, Gericht oder Dritte unter dem Deckmantel eines Klage- oder Rechtsmittelverfahrens zu beleidigen, so handelt es sich um einen Mißbrauch des Verfahrens, der zur Unzulässigkeit des Begehrens mangels Rechtsschutzbedürfnisses führt. Enthält das Schreiben jedoch neben ungehörigen, unsachlichen oder beleidigenden Äußerungen auch ein sachliches Begehren, so soll nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung darauf abzustellen sein, ob der Schriftsatz vorwiegend Beleidigungen enthält oder das sachliche Begehren im Vordergrund steht (vgl. etwa Walchshöfer, Monatsschrift für Deutsches Recht 1975, 11, 12, m. w. N.). Nach anderer Auffassung soll in derartigen Fällen eine zuverlässige Abgrenzung nur durch das Merkmal der Evidenz möglich sein, so daß ein Rechtsschutzbegehren dann unzulässig ist, wenn leicht und zweifelsfrei festgestellt werden kann, daß die Beleidigungsabsicht ausschließliches Klageziel ist (Klag, Die Querulantenklage in der Sozialgerichtsbarkeit, 1980, S. 88 f.).

Welche dieser Auffassungen den Vorzug verdient, kann im Streitfall dahinstehen. Unter Beachtung des Grundrechts auf Individualrechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG kann die Unzulässigkeit einer Klage mit beleidigendem Inhalt nach beiden Auffassungen nur auf ungewöhnliche Ausnahmefälle beschränkt sein (gleicher Ansicht Klag, a. a. O.; Walchshöfer, a. a. O.). Im Streitfall hat das FG einen solchen Ausnahmefall zutreffend verneint und den Schriftsätzen des Klägers überwiegend ein sachliches Begehren entnommen. Dem Kläger ging es auch nach Auffassung des Senats vorrangig um die Änderung der Schätzungsbescheide; jedenfalls läßt sich nicht leicht und zweifelsfrei feststellen, daß die Beleidigungsabsicht das einzige Klageziel war.

2. Der Senat teilt nicht die Auffassung des FA, seine Amtsträger stünden den beleidigenden Äußerungen in den Schriftsätzen des Klägers schutzlos gegenüber. Dem Schutz des Beklagten dient nicht vorrangig das prozessuale Mittel der Nichtbeachtung eines Klagebegehrens oder dessen Zurückweisung durch Prozeßurteil, sondern der ihm als Verletzten zustehende Widerrufs- oder Unterlassungsanspruch sowie der strafrechtliche Schutz nach §§ 185 ff. des Strafgesetzbuches (StGB). Dieser Schutz hängt entgegen der Auffassung des FA nicht davon ab, daß das FG oder die Staatsanwaltschaft tätig werden; dem Dienstvorgesetzten stehen vielmehr eigene Antragsrechte zu, die wie etwa die Antragsmöglichkeit nach § 194 Abs. 3 StGB das Antragsrecht des verletzten Amtsträgers ergänzen.