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BFH-Urteil vom 29.10.1992 (IV R 16/91) BStBl. 1993 II S. 182

Veräußert ein Tierarzt seine "Großtierpraxis" unter Zurückbehaltung der "Kleintierpraxis", so handelt es sich nicht um eine Teilbetriebsveräußerung i. S. des § 18 Abs. 3 EStG.

EStG § 18 Abs. 3.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 1981 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger erzielte im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger und selbständiger Arbeit als Tierarzt. Er führte die standesrechtlich anerkannte Fachbereichsbezeichnung "Facharzt für Schweine". Die Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit resultierten aus der Tätigkeit des Klägers als angestellter Schlachthoftierarzt. Im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit behandelte der Kläger sowohl Groß- als auch Kleintiere. Die Behandlung der Großtiere erfolgte auf den jeweiligen Bauernhöfen mittels eines sog. Praxiswagens. Die Kleintierpraxis betrieb der Kläger von Praxisräumen aus, die sich in dem auch zu Wohnzwecken genutzten Gebäude befanden.

Zum 1. Februar 1981 veräußerte der Kläger den von ihm als Großtierpraxis bezeichneten Teil seines freiberuflichen Unternehmens. Den von ihm als Kleintierpraxis bezeichneten Teil behielt er zurück. Den Veräußerungsgewinn berechnete er wie folgt:

  

Großtierpraxis                                                         140.250,00 DM

PKW                                                                       10.170,00 DM

Funkgerät                                                                       1.130 DM

Medikamente                                                             8.281,07 DM

Instrumente                                                                3.526,13 DM

                                                                                -------------------

Summe                                                                  164.357,20 DM

./. Buchwert PKW                                                       6.682,00 DM

./. Umsatzsteuer auf

Praxisveräußerung                                                    18.908,35 DM

                                                                                 ------------------

Veräußerungsgewinn                                                128.766,85 DM.

Diesen Betrag machten die Kläger in ihrer Einkommensteuererklärung 1981 als Veräußerungsgewinn i. S. des § 18 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend und beanspruchten hierfür die Tarifbegünstigung nach § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 1 EStG. Nachdem der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Kläger zunächst antragsgemäß veranlagt hatte, erkannte er im Anschluß an eine Außenprüfung den Verkauf der "Großtierpraxis" nicht mehr als Teilpraxisveräußerung i. S. des § 18 Abs. 3 EStG an. Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg.

Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des FA, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

I. Zu Unrecht hat das FG die Veräußerung der "Großtierpraxis" durch den Kläger als Veräußerung einer Teilpraxis angesehen.

1. Nach § 18 Abs. 3 Satz 1 EStG gehört zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit auch der Gewinn, der bei der Veräußerung des Vermögens (Praxis) oder eines selbständigen Teils des Vermögens (Teilpraxis) erzielt wird, das der selbständigen Arbeit dient. In diesem Fall gilt u. a. § 16 Abs. 2 bis 4 EStG entsprechend (§ 18 Abs. 3 Satz 2 EStG); der Veräußerungsgewinn wird - soweit er hiernach nicht steuerfrei bleibt - mit den ermäßigten Sätzen des § 34 Abs. 1 EStG versteuert (§ 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG).

2. Nach dem Senatsurteil vom 10. Oktober 1963 IV 198/62 S (BFHE 78, 303, BStBl III 1964, 120) kann eine Teilpraxisveräußerung i. S. des § 18 Abs. 3 EStG nur dann in Betracht kommen, wenn ein freiberuflich tätiger Steuerpflichtiger mehrere selbständige, wesensmäßig verschiedene Tätigkeiten mit verschiedenen Kundenkreisen ausübt. Handelt es sich hingegen um eine einheitliche gleichartige Tätigkeit, so schließt die Eigenart der selbständigen Arbeit und die Betonung der Betätigung (im Gegensatz zum Kapitaleinsatz) im allgemeinen die Annahme aus, daß Teile der Praxis eine so weitgehende organisatorische Selbständigkeit erlangt haben, daß sie Teilbetrieben im gewerblichen Bereich gleichgestellt werden können. An diesem Grundsatz hat der Senat auch unter der ab dem Veranlagungszeitraum 1965 geltenden geänderten Fassung des § 18 Abs. 3 EStG, durch die die Begünstigung einer Teilpraxisveräußerung erstmals gesetzlich anerkannt wurde, festgehalten (Urteil vom 14. März 1975 IV R 78/71, BFHE 116, 8, BStBl II 1975, 661).

Im Urteil vom 27. April 1978 IV R 102/74 (BFHE 125, 249, BStBl II 1978, 562) hat der Senat die bisherige Rechtsprechung zusammengefaßt, indem er zwei Arten einer selbständigen Teilpraxis herausgearbeitet hat:

a) Es liegt keine sachlich einheitliche Praxis mit gleichartiger Tätigkeit vor; vielmehr handelt es sich um mehrere organisatorisch selbständige Praxisteile, in denen der Sache nach verschiedene Berufstätigkeiten mit verschiedenen Mandantenkreisen ausgeübt werden. In diesem Fall ist die Annahme einer Teilpraxisveräußerung nicht davon abhängig, daß die freiberufliche Tätigkeit in den bisherigen örtlich begrenzten Wirkungsbereich eingestellt wird. Von derart verschiedenen Berufstätigkeiten ein und desselben Steuerpflichtigen kann nach dem Senatsurteil vom 14. Mai 1970 IV 136/65 (BFHE 99, 126, BStBl II 1970, 566) nicht gesprochen werden, wenn ein Steuerbevollmächtigter von seiner freiberuflichen Praxis lediglich denjenigen Teil veräußert, in dem nur Buchführungsarbeiten durchgeführt werden. Auch eine vom selben Steuerbevollmächtigten betriebene landwirtschaftliche Buchstelle einerseits und eine Steuerpraxis für Gewerbetreibende andererseits hat der Senat nicht als Teilpraxen angesehen (Urteil in BFHE 125, 249, BStBl II 1978, 562).

b) Es liegt eine sachlich einheitliche Praxis mit gleichartiger Tätigkeit vor; die Praxis wird aber im Rahmen organisatorisch selbständiger Büros mit besonderem Personal, die sich in der Regel, aber nicht unbedingt an verschiedenen Orten befinden, in voneinander entfernten örtlichen Wirkungsbereichen mit getrennten Mandantenkreisen ausgeübt. Eine steuerbegünstigte Teilpraxisveräußerung setzt dann die Veräußerung eines der Büros samt den Mandantenbeziehungen und die völlige Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit in dem dazugehörigen örtlich abgegrenzten Wirkungsbereich voraus. Unter diesem Gesichtspunkt hat der Senat eine Teilpraxisveräußerung bejaht im Falle eines Steuerbevollmächtigten, der seine auf dem Festland befindliche Praxis veräußerte und nur das auf einer nahegelegenen Insel eingerichtete Büro behielt (Urteil vom 6. Dezember 1963 IV 268/63 U, BFHE 78, 346, BStBl III 1964, 135), ferner im Fall der Veräußerung einer Fahrschulniederlassung (Urteil vom 24. August 1989 IV R 120/88, BFHE 158, 257, BStBl II 1990, 55).

3. Die Rechtsprechung des Senats ist als zu eng kritisiert worden. Es wird geltend gemacht, sie benachteilige die Freiberufler gegenüber anderen Steuerpflichtigen; es komme allein darauf an, ob die übertragenen Wirtschaftsgüter für die Ausübung des jeweiligen Berufs ausreichten (Hermstädt, Betriebs-Berater - BB - 1979, 96, 99). Der Bundesfinanzhof (BFH) stelle die räumliche Trennung der Tätigkeitsbereiche gegenüber der organisatorischen zu sehr in den Vordergrund (Blümich/Hutter, Einkommensteuergesetz, § 18 Rdnr. 176). Die für die Annahme von Teilbetrieben erforderliche organisatorische Trennung liege immer dann vor, wenn entweder eine räumliche oder eine sachliche Aufgliederung bestehe (Schick, Die freien Berufe im Steuerrecht, 1973, 129; derselbe in Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Anm. Einkommensteuergesetz bis 1974, § 18, Rechtsspruch 496).

4. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung gleichwohl fest. Ein entscheidendes Merkmal der freien Berufe ist es, daß Einkünfte aus einer persönlichkeitsbezogenen Tätigkeit erzielt werden. Da der Wert der Praxis nicht in materiellen Vermögensgegenständen liegt, können letztere nicht "einen mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteten, geschlossenen Teil des Gesamtbetriebs, der für sich allein lebensfähig ist" (Schmidt, Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., § 16 Anm. 15, m. w. N.), bilden. Auch der Kunden-(Mandanten-, Patienten-)stamm kann nicht allein durch organisatorische Trennung zu einer lebensfähigen Wirtschaftseinheit zusammengefaßt werden. Das gilt auch dann, wenn Gruppen von Kunden nach bestimmten Eigenarten (z. B. Zugehörigkeit zu bestimmten Branchen, Größen u. a.) unterscheidbar sind. Denn praxiswertbildend sind nicht diese Unterscheidungsmerkmale, sondern nur die Beziehungen zwischen dem Kunden und dem Freiberufler (Kleinadam/Scherrer, Finanz-Rundschau - FR - 1972, 431, 433; Leingärtner/Nissen, Rechts- und Wirtschaftspraxis - RWP - 1978, 1392; Erdweg in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 18 EStG Anm. 161; Stuhrmann in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 18 Rdnr. d 41; Fitsch in Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 18 Anm. 201; im Ergebnis zustimmend auch Nieland in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., § 18 Rdnr. 378).

5. Bei der Anwendung dieser Grundsätze kann die Veräußerung der "Großtierpraxis" durch den Kläger nicht als Veräußerung einer Teilpraxis angesehen werden. Keine der beiden Fallgestaltungen, in denen der Senat dies für möglich gehalten hat, ist gegeben.

a) Die Praxis des Klägers kann nicht in zwei wesensmäßig verschiedene berufliche Tätigkeiten aufgeteilt werden. Die Behandlung von Großtieren und die von Kleintieren sind aus veterinär-medizinischer Sicht gleichartig. Sie erfordern demgemäß keine unterschiedliche Berufsausbildung; der Kläger war durch die Ausbildung zum praktischen Tierarzt befähigt, sowohl Groß- als auch Kleintiere zu behandeln. Seine Beziehungen zu den Kunden der Großtierpraxis beruhten somit auf denselben fachlichen und persönlichen Merkmalen wie die zu denen der Kleintierpraxis. Zwar trifft es zu, daß die Großtierbehandlung nur von Landwirten der näheren Umgebung in Anspruch genommen wurde, die bei Erkrankung ihres Viehs aus in der Natur der Sache liegenden Gründen (z. B. Größe der Tiere, Sauberkeitsprobleme) telefonisch einen in der Nähe ansässigen Tierarzt herbeiriefen. Demgegenüber suchten die Kleintierhalter die Praxisräume des Klägers auf, wobei sie möglicherweise wegen eines besonderen Vertrauensverhältnisses auch weite Entfernungen in Kauf nahmen. Hierbei handelt es sich jedoch um eine Trennung des Kundenkreises, die ihrer Art nach bei einer Vielzahl von Freiberuflern möglich ist (z. B. Beratungs- und forensische Mandate eines Rechtsanwalts, Patienten eines Arztes, die stets zu Hause besucht werden, oder solche, die einer bestimmten, in der Praxis häufig angewandten Behandlung bedürfen). Eine solche Teilbarkeit des Kunden- oder Mandantenkreises ändert - wie oben (unter 4.) dargestellt - nichts daran, daß sich die am selben Ort befindliche Mandantschaft nicht durch organisatorische Maßnahmen des Rechtsanwalts, Steuerberaters, Arztes etc. in mehrere bereits vor einer teilweisen Veräußerung lebensfähige wirtschaftliche Einheiten aufteilen läßt.

Die wesensmäßige Verschiedenheit der vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten läßt sich entgegen der Auffassung des FG auch nicht aus anderen Gesichtspunkten herleiten. Der Umstand, daß zur Behandlung von Großtieren ein speziell ausgerüstetes Auto mit Funkgerät, Medikamentenkisten und beweglichem Instrumentarium eingesetzt werde, wohingegen bei Kleintieren die Behandlung in Praxisräumen mit Behandlungstisch, Röntgengerät und Laboreinrichtung erfolgt, kann wegen der untergeordneten Bedeutung der Sachmittel in einer freiberuflichen Praxis nicht von entscheidender Bedeutung sein.

b) Geht man von einer sachlich einheitlichen Tierarztpraxis mit Abteilungen für Groß- und Kleintiere aus, so scheitert die Annahme einer Teilpraxisveräußerung auch dann, wenn man annehmen würde, daß die beiden Abteilungen trotz des gemeinsam benutzten Telefonanschlusses, der einheitlichen Rechnungsformulare und der Endbearbeitung der Rechnungen von der Praxis oder der Wohnung der Kläger aus (vermutlich durch die Klägerin als Praxishilfe) weitgehend verselbständigt waren. Denn bei der sachlich einheitlichen Praxis wäre für die Annahme einer Teilpraxisveräußerung unbedingt erforderlich, daß die beiden organisatorisch getrennten Praxen in voneinander getrennten örtlich abgegrenzten Wirkungsbereichen tätig waren und mit der Veräußerung der einen Abteilung die eigene Tätigkeit des Klägers in dem dazugehörigen örtlichen Wirkungskreis eingestellt worden ist. Diese Voraussetzungen liegen unstreitig nicht vor, da sich der Großtier- und der Kleintierkundenkreis örtlich überschnitten.

II. Die Sache ist nicht spruchreif.

Das FG hatte aus seiner Sicht keine Veranlassung zu prüfen, ob die Behandlung von Kleintieren nur in geringem Umfang ausgeübt worden ist.

1. Der Senat hat in seinem Urteil vom 7. November 1991 IV R 14/90 (BFHE 166, 527, BStBl II 1992, 457) entschieden, daß die Fortführung einer freiberuflichen Nebentätigkeit der tarifbegünstigten Veräußerung einer Praxis nicht entgegenstehe, wenn diese Nebentätigkeit nur in geringem Umfang ausgeübt worden ist. Eine Tätigkeit von geringem Umfang hat der Senat angenommen, wenn die darauf entfallenden Umsätze in den letzten drei Jahren weniger als 10 v. H. der gesamten Einnahmen ausmachten. Er hat sich hierbei an der allgemein anerkannten Geringfügigkeitsgrenze orientiert, die beispielsweise auch bei der Beantwortung der Frage, ob die wesentlichen Grundlagen eines landwirtschaftlichen Betriebs übertragen worden sind, eine Rolle spielt (vgl. BFH-Urteil vom 1. Februar 1990 IV R 8/89, BFHE 159, 471, BStBl II 1990, 428). Diese Grundsätze sind nicht nur dann anwendbar, wenn die zurückbehaltenen Patienten- oder Kundenbeziehungen gegenüber den veräußerten nach sachlichen Gesichtspunkten abgrenzbar sind, wie etwa die Beziehungen eines Arztes zu seinen Praxispatienten gegenüber denen zu den Firmen, für die er als Betriebsarzt tätig ist, sondern auch dann, wenn die zurückbehaltenen (geringfügigen) Kundenbeziehungen von den veräußerten nicht getrennt werden können.

2. Im Streitfall ergibt sich aus den, von den Klägern zu den FG-Akten gereichten Fotokopien aus dem Telefonbuch, daß die Praxiszeiten für die Kleintierbehandlung lediglich vier Stunden pro Woche betrugen. Hierin ist ein Anhaltspunkt dafür zu sehen, daß möglicherweise die Beziehungen zu den Kleintierkunden wegen der Geringfügigkeit der aus ihnen resultierenden Umsätze nicht zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen des tierärztlichen Betriebs zählten. Das FG wird die notwendigen Feststellungen hierzu im zweiten Rechtszug nachholen.