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  BFH-Urteil vom 23.10.1992 (VI R 31/92) BStBl. 1993 II S. 193

Aufwendungen für die Anschaffung einer Brille, die zur Korrektur einer Sehschwäche dient, sind selbst dann nicht als Werbungskosten abziehbar, wenn die Brille ausschließlich am Arbeitsplatz (Bildschirmtätigkeit) getragen wird.

EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6, § 12 Nr. 1 Satz 2.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1986 nichtselbständig mit Programmierarbeiten und der Reparatur von Mikroleiterbahnen beschäftigt. Bei den aus dieser Tätigkeit erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit machte er Aufwendungen für eine Brille mit Etui in Höhe von 457 DM als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erkannte diese Aufwendungen nicht an. Er vertrat die Auffassung, es handele sich bei der Brille auch dann um einen Gegenstand des allgemeinen Lebensbedarfs, wenn sie - wie der Kläger vorgetragen habe - ausschließlich wegen der Bildschirmtätigkeit am Arbeitsplatz getragen und dort aufbewahrt werde.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und führte aus: Der Kläger habe für den Senat überzeugend dargestellt, daß er die Brille nur wegen einer besonderen Beanspruchung seiner Augen am Arbeitsplatz benötige und deshalb auch nur bei der Arbeit trage und dort aufbewahre. Es handele sich bei der Brille und dem Etui mithin um Gegenstände, die zur Erledigung beruflicher Arbeiten verwendet würden, also um Arbeitsmittel. Da die Sehkraft des Klägers für alle übrigen Tätigkeiten ausreiche, scheide eine private Mitbenutzung der Brille praktisch aus, sei zumindest von ganz untergeordneter Bedeutung.

Das FA rügt mit seiner vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision die Verletzung des § 9 Abs. 1 Nr. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Es beantragt, unter teilweiser Aufhebung der Vorentscheidung, die Klage hinsichtlich der Aufwendungen für die Brille abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur teilweisen Aufhebung der Vorentscheidung und anderweitigen Steuerfestsetzung. Die Auffassung des FG, eine am Arbeitsplatz aufbewahrte und ausschließlich während der Arbeit getragene normale Sehbrille sei ein Arbeitsmittel i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 EStG, hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 der im Streitjahr gültigen Fassung des EStG gehören zu den Werbungskosten auch Aufwendungen für Arbeitsmittel (Werkzeuge und Berufskleidung). Arbeitsmittel sind Wirtschaftsgüter, die zur Erledigung der dienstlichen Aufgaben dienen (BFH-Urteil vom 18. Februar 1977 VI R 182/75, BFHE 121, 444, BStBl II 1977, 464). Bei Gegenständen, die auch im Rahmen der allgemeinen Lebensführung (§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG) benutzbar sind, ist nach dem Beschluß des Großen Senats des BFH vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70 (BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17) für die Einordnung eines Gegenstandes als Arbeitsmittel grundsätzlich der tatsächliche Verwendungszweck im Einzelfall entscheidend. Dient das Wirtschaftsgut nach seiner tatsächlichen Zweckbestimmung im Einzelfall der Ausübung der beruflichen Tätigkeit und ist eine private Mitbenutzung nur von ganz untergeordneter Bedeutung, so können die Anschaffungskosten nach § 9 Abs. 1 Nr. 6 EStG als Werbungskosten abgezogen werden.

Bei Anwendung dieser Grundsätze kam unter Berücksichtigung der Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalles z. B. ein Werbungskostenabzug für die Aufwendungen eines Richters für eine Schreibmaschine (Urteil vom 29. Januar 1971 VI R 31/68, BFHE 101, 381, BStBl II 1971, 327), eines Musikers für ein Tonband (Urteil vom 29. Januar 1971 VI R 6/68, BFHE 102, 35, BStBl II 1971, 459) oder eines Lehrers für einen Videorecorder (Urteil vom 27. September 1991 VI R 1/90, BFHE 166, 61, BStBl II 1992, 195) in Betracht.

Der Streitfall unterscheidet sich von diesen Fällen dadurch, daß eine Sehbrille die Funktion hat, einen körperlichen Mangel des Steuerpflichtigen, nämlich eine Sehschwäche, auszugleichen. Eine Sehbrille ist mithin ein medizinisches Hilfsmittel. Die Funktion eines medizinischen Hilfsmittels hat eine Brille auch dann noch, wenn sie ausschließlich bei der Berufstätigkeit verwendet und am Arbeitsplatz aufbewahrt wird. Aufwendungen zur Kompensation körperlicher Behinderungen oder Mängel betreffen stets auch die allgemeine Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG. Aus ähnlichen Erwägungen hat der Senat entschieden, daß die Aufwendungen zur Anschaffung bürgerlicher Kleidung selbst dann nicht als Werbungskosten abgezogen werden können, wenn feststeht, daß die Kleidung ausschließlich bei der Berufsausübung benutzt wird. Denn das Tragen von Kleidung befriedigt stets auch ein allgemeines menschliches Bedürfnis (Urteil vom 20. November 1979 VI R 25/78, BFHE 129, 149, BStBl II 1980, 75).

Demgegenüber sind Werbungskosten bei den Anschaffungskosten solcher Brillen anzuerkennen, die eine Schutzfunktion gegenüber den speziellen Gefahren einer bestimmten Berufstätigkeit erfüllen. Derartige Brillen werden in der Regel - ebenso wie typische Berufskleidung - von allen Personen getragen, die diese Berufstätigkeit ausüben. Diese Voraussetzungen sind bei einer Bildschirmtätigkeit nicht erfüllt.

2. Anders wäre der Streitfall dann zu entscheiden, wenn festgestellt wäre, daß es sich bei der Sehschwäche des Klägers um eine Berufskrankheit handelt. Denn nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 17. April 1980 IV R 207/75, BFHE 130, 491, BStBl II 1980, 639, 640, m. w. N.) sind Aufwendungen zur Wiederherstellung der Gesundheit dann beruflich oder betrieblich veranlaßt, wenn es sich um eine typische Berufskrankheit handelt oder der Zusammenhang zwischen der Erkrankung und dem Beruf eindeutig feststeht. Insoweit könnte für Aufwendungen zur Anschaffung von medizinischen Hilfsmitteln nichts anderes gelten als für die Aufwendungen zur Wiederherstellung der Gesundheit. In beiden Fällen handelte es sich um Aufwendungen als Folge einer Berufskrankheit.

Im Streitfall hat das FG nicht festgestellt und der Kläger hat auch nicht geltend gemacht, daß er die Brille als Folge einer typischen Berufskrankheit tragen muß. Es ist auch kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Sehschwäche des Klägers und seinem Beruf festgestellt worden.