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  BFH-Urteil vom 15.10.1992 (V R 81/87) BStBl. 1993 II S. 207

1. Nicht im Erhebungsgebiet des UStG 1980 ansässige Unternehmer, die am Vergütungsverfahren (§§ 59 bis 61 UStDV 1980) teilnehmen, können den pauschalen Vorsteuerabzug nach §§ 36 bis 38 UStDV 1980 in Anspruch nehmen.

2. Ein Berufskraftfahrer führt nur dann Dienstreisen i. S. des § 38 UStDV 1980 durch, wenn er außerhalb seines Fahrzeugs eine regelmäßige Arbeitsstätte hat (Anschluß an die lohnsteuerrechtliche Begriffsbestimmung).

3. Ein nicht im Erhebungsgebiet ansässiger Unternehmer, der seinem Arbeitnehmer aus Anlaß einer Dienstreise im Erhebungsgebiet die Aufwendungen für Übernachtung erstattet, kann den pauschalen Vorsteuerabzug nach § 36 UStDV 1980 nur in Anspruch nehmen, wenn er die lohnsteuerrechtlichen Voraussetzungen für den Ansatz eines Pauschbetrags für Übernachtungskosten wie ein im Erhebungsgebiet ansässiger Unternehmer erfüllt.

UStG 1980 § 15 Abs. 8 Nr. 4 a. F., § 18 Abs. 9; UStDV 1980 §§ 36 bis 38, §§ 59 bis 61; LStR 1978 Abschn. 25 Abs. 10; FGO § 76 Abs. 1.

Vorinstanz: FG München (EFG 1987, 529)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt in Italien mit eigenen LKW ein Transportunternehmen als Frachtführer und Spediteur. Während des Jahres 1980 führte er u. a. mit den bei ihm beschäftigten Kraftfahrern nach § 4 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) steuerfreie grenzüberschreitende Beförderungen in und durch die Bundesrepublik Deutschland aus. Im Rahmen des Vergütungsverfahrens nach den §§ 59 bis 61 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV 1980) machte er für die Zeit von Januar bis Juni 1980 die Vergütung von Vorsteuerbeträgen in Höhe von .... DM einschließlich .... DM für Reisekosten geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte die Vergütung auf .... DM fest. Das FA berücksichtigte hierbei Vorsteuerbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen, die der Kläger den Fahrern pauschal erstattet hatte, jedoch nicht Vorsteuerbeträge für die den Fahrern pauschal vergüteten Übernachtungskosten.

Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage beantragte der Kläger, die Vorsteuervergütung auf .... DM festzusetzen. Er machte geltend: Er habe die Übernachtungspauschalen aufgrund des nationalen italienischen Tarifvertrages gezahlt. Diese hätten jeweils unter 35 DM gelegen. Die auf die gezahlten Pauschalen entfallenden Vorsteuerbeträge seien unabhängig davon abziehbar, ob die Fahrer die in den LKW durchweg vorhandenen Schlafkojen zum Übernachten genutzt hätten oder nicht. Es sei nicht erforderlich, die Übernachtungskosten durch Belege nachzuweisen. Die nachträgliche Anforderung entsprechender Belege verstoße gegen Treu und Glauben.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) trug das FA u. a. vor, es sei nicht üblich, daß Fernfahrer in Hotels oder Pensionen übernachteten. Dem widersprach der Kläger. Die Beteiligten erklärten übereinstimmend, es lägen ordnungsgemäße Belege nach § 36 Abs. 4 UStDV 1980 vor.

Das FG wies die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1987, 529 abgedruckten Urteil ab. Es führte im wesentlichen aus: Zwischen den Beteiligten sei unstreitig, daß die vom Kläger beschäftigten Kraftfahrer "Dienstreisen" durchgeführt hätten. Der Vorsteuerabzug aus den den Kraftfahrern gezahlten Pauschalen für Übernachtungskosten sei ausgeschlossen, soweit die Kraftfahrer in den Schlafkojen ihrer LKW übernachtet hätten. Hierbei handele es sich um ein in Fernfahrerkreisen übliches Verhalten. Etwaige Übernachtungen in Hotels, Gasthöfen usw. müßten daher durch entsprechende Belege nachgewiesen werden.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung der Sachaufklärungspflicht des FG sowie des § 15 Abs. 8 Nr. 4 UStG 1980 i. V. m. §§ 36 und 38 UStDV 1980. Er macht geltend: Das FG sei zu Unrecht ohne Beweiserhebung davon ausgegangen, daß Fernfahrer üblicherweise nicht in Hotels oder Pensionen übernachteten. Hätte das FG seine Ansicht in der mündlichen Verhandlung zu erkennen gegeben, so würde er die Vernehmung der betreffenden Fahrer beantragt haben. Die Berechtigung zum Vorsteuerabzug hänge nur davon ab, daß er den Kraftfahrern Übernachtungspauschalen gezahlt habe. Unerheblich sei, ob die Kraftfahrer in den Schlafkojen ihrer LKW übernachtet hätten.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Umsatzsteuervergütung für den Zeitraum Januar bis Juni 1980 auf .... DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die Feststellungen des FG ermöglichen dem Senat keine abschließende Entscheidung, ob dem Kläger der begehrte Vergütungsbetrag zusteht.

1. Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 UStDV 1980 in der im Streitjahr geltenden Fassung kann ein Unternehmer, der seinem Arbeitnehmer aus Anlaß einer Dienstreise im Erhebungsgebiet die Aufwendungen für Übernachtung oder die Mehraufwendungen für Verpflegung nach Pauschbeträgen erstattet, 10,6 v. H. dieser Beträge als Vorsteuer abziehen.

a) Diese Pauschalierungsmöglichkeit steht auch den nicht im Erhebungsgebiet ansässigen Unternehmern (§ 51 Abs. 3 Satz 1 UStDV 1980) zu, die am Vergütungsverfahren gemäß §§ 59 bis 61 UStDV 1980 teilnehmen. Das Vergütungsverfahren bezieht sich auf alle nach § 15 UStG 1980 abziehbaren Vorsteuerbeträge. Dies ergibt sich aus der entsprechenden Verweisung in § 59 Abs. 1 UStDV 1980 und in § 18 Abs. 9 Satz 1 UStG 1980, der Ermächtigungsgrundlage für die §§ 59 bis 61 UStDV 1980. Zu den abziehbaren Vorsteuerbeträgen i. S. des § 15 UStG 1980 gehören auch diejenigen, die gemäß § 15 Abs. 8 Nr. 4 UStG 1980 i. V. m. §§ 36 bis 38 UStDV 1980 aus Anlaß einer Dienstreise von Arbeitnehmern abgesetzt werden können.

b) Das FG und die Beteiligten sind übereinstimmend zu Recht davon ausgegangen, dem pauschalen Vorsteuerabzug stehe nicht entgegen, daß der Kläger steuerfreie Umsätze (§ 4 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a UStG 1980) ausführte (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG 1980). Zu Recht werden ferner nur auf das Erhebungsgebiet entfallende Aufwendungen geltend gemacht (§ 36 Abs. 3 Satz 1 UStDV 1980).

c) Das FG hat ausgeführt, es sei zwischen den Beteiligten unstreitig, daß die vom Kläger beschäftigten Kraftfahrer "Dienstreisen" durchgeführt hätten. Hierbei handelt es sich nicht um eine den Senat bindende Tatsachenfeststellung (§ 118 Abs. 2 FGO), sondern um eine rechtliche Würdigung, die nicht nachvollzogen werden kann, weil das FG insoweit keine Tatsachen festgestellt hat (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. September 1990 VI R 98/89 u. a., BFHE 162, 414, BStBl II 1991, 363, unter 4.).

Der Begriff der Dienstreise i. S. des § 36 UStDV 1980 ist nach den für die Lohnsteuer geltenden Merkmalen abzugrenzen (§ 38 Satz 1 UStDV 1980). Die UStDV 1980 beschränkt mithin den vereinfachten Vorsteuerabzug - in Übereinstimmung mit der Ermächtigungsgrundlage in § 15 Abs. 8 Nr. 4 UStG 1980 - auf die Fälle erstatteter Pauschbeträge für Übernachtungsaufwendungen und Verpflegungsmehraufwendungen aus Anlaß einer Dienstreise im lohnsteuerrechtlichen Sinn (Senatsbeschlüsse vom 29. Januar 1987 V B 33/85, BFHE 148, 560, BStBl II 1987, 316; vom 24. August 1987 V S 10/86, BFH/NV 1988, 59).

Eine Dienstreise im lohnsteuerrechtlichen Sinn liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer vorübergehend den Ort seiner regelmäßigen Arbeitsstätte verläßt, um aus dienstlichen Gründen auswärts tätig zu sein. Bei einem Berufskraftfahrer befindet sich die regelmäßige Arbeitsstätte nur dann am Betriebssitz des Arbeitgebers, wenn aus der Häufigkeit des Aufenthalts am Betriebssitz und dem Umfang der dortigen Verrichtungen sich ergibt, daß dieser Platz beruflicher Mittelpunkt des Fahrers ist. Trifft dies nicht zu, dann ist die ständige Arbeitsstätte des Berufskraftfahrers das von ihm genutzte Fahrzeug mit der Folge, daß er keine Dienstreisen oder Dienstgänge durchführt (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z. B. Urteile vom 24. November 1978 VI R 171-172/76, BFHE 126, 454, BStBl II 1979, 148; vom 13. Juli 1990 VI R 38/88, BFH/NV 1991, 88, m. w. N.). Diese allgemeinen Grundsätze gelten auch bei Fahrten, die sich über mehr als einen Kalendertag erstrecken (BFH-Urteil in BFHE 162, 414, BStBl II 1991, 363, unter 4.).

Das FG wird entsprechende Feststellungen nachzuholen haben, soweit die übrigen Voraussetzungen für die vom Kläger begehrte Erhöhung des Vergütungsbetrags erfüllt sein sollten. Da es um die Frage geht, ob die Fahrer am Betriebssitz des Klägers in Italien eine regelmäßige Arbeitsstätte hatten, hat der Kläger diesen Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen (§ 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i. V. m. § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -).

d) Entgegen der Auffassung des Klägers reicht es für den pauschalen Vorsteuerabzug nach § 36 UStDV 1980 nicht aus, daß der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern anläßlich von Dienstreisen Pauschalen bezahlt. Zweck der Regelung ist es, die einkommensteuerrechtlich gewährten Erleichterungen nicht zu gefährden. Der Abzug lediglich errechneter Vorsteuerbeträge bei Reisekosten kommt danach nur dann in Betracht, wenn die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der einkommensteuerrechtlich zugelassenen Pauschbeträge erfüllt sind (BFH-Urteile vom 13. Dezember 1984 V R 44/82, Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1985, 90; vom 15. September 1988 IV R 116/85, BFHE 155, 287, BStBl II 1989, 276 a. E.).

Soweit nicht im Erhebungsgebiet ansässige Unternehmer im Rahmen des Vergütungsverfahrens gemäß §§ 59 bis 61 UStDV 1980 die Vorsteuerpauschalierung in Anspruch nehmen (vgl. oben II. 1. a) und nicht zum Lohnsteuerabzug nach deutschem Lohnsteuerrecht verpflichtet sind, ist entscheidend, ob die Zahlung entsprechender Pauschalen an die Arbeitnehmer nach deutschem Lohnsteuerrecht steuerfrei wäre, wenn dieses Recht anwendbar wäre. Der pauschale Vorsteuerabzug hängt nach dem Vereinfachungszweck der §§ 36 bis 38 UStDV 1980 und im Hinblick auf die Gleichbehandlung inländischer und ausländischer Unternehmer im Rahmen des Vergütungsverfahrens (§§ 59 bis 61 UStDV 1980) nicht davon ab, daß deutsches Lohnsteuerrecht tatsächlich anwendbar ist. Auf ausländisches Lohnsteuerrecht nehmen die §§ 36 bis 38 UStDV 1980 nicht Bezug.

Die Vorlage der in § 36 Abs. 4 UStDV 1980 bezeichneten Belege ist für die Inanspruchnahme des pauschalen Vorsteuerabzugs zwar erforderlich, ersetzt aber nicht die Prüfung, ob die Übernachtungsaufwendungen nach Lohnsteuerrecht steuerfrei ersetzt werden können oder könnten (bei ausländischen Unternehmern).

Nach dem im Streitjahr geltenden Abschn. 25 Abs. 10 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1978 konnten die Kosten für Übernachtung bei Inlandsdienstreisen in der Regel ohne Einzelnachweis bei einem voraussichtlichen Jahresarbeitslohn von nicht mehr als 25.000 DM mit einem Pauschbetrag von 35 DM steuerfrei ersetzt werden, sofern die Übernachtung nicht in einer vom Arbeitgeber gestellten Unterkunft erfolgte. Der Nachweis, daß eine Dienstreise und eine Übernachtung stattgefunden hatten, mußte sichergestellt sein.

Versteht man das Urteil des FG dahin, daß der pauschale Vorsteuerabzug von der Vorlage von Rechnungen der Beherbergungsbetriebe abhänge, so wäre dies mit dem Zweck der in den LStR vorgesehenen Pauschbeträge nicht vereinbar. Diese dienen der Vereinfachung und gleichmäßigen Durchführung des Besteuerungsverfahrens. Sie bewirken eine Beweiserleichterung für den Steuerpflichtigen, weil er die Höhe der Werbungskosten insoweit nicht darzulegen und nachzuweisen braucht. Darüber hinaus stellen die Pauschbeträge auch für die Verwaltung eine Vereinfachungsmaßnahme dar. Der Vereinfachungszweck würde nicht erfüllt, wenn man gleichwohl die Sammlung von Einzelnachweisen forderte (BFH-Urteil vom 11. Mai 1990 VI R 140/86, BFHE 160, 546, BStBl II 1990, 777).

Ergeben sich aus der besonderen, vom Normalfall abweichenden Art der Dienstreise Anhaltspunkte dafür, daß die tatsächlich angefallenen Übernachtungskosten die in den Richtlinien enthaltenen Pauschbeträge nicht unwesentlich unterschritten haben könnten, so dürfen die Finanzbehörden weitere Nachforschungen über die Höhe der dem Steuerpflichtigen erwachsenen Kosten anstellen. Stellt sich dabei heraus, daß die tatsächlich angefallenen Kosten die Pauschbeträge in nicht unbeträchtlichem Umfang unterschreiten, so würde der Ansatz der Pauschbeträge zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führen. In diesem Fall können nur die dem Steuerpflichtigen tatsächlich erwachsenen Aufwendungen für Übernachtung als Werbungskosten berücksichtigt werden (BFH-Urteil in BFHE 160, 546, BStBl II 1990, 777).

Entsprechendes gilt, wenn sich aus der Art der Dienstreise Anhaltspunkte dafür ergeben, daß tatsächlich keine oder nur ganz geringe Übernachtungskosten angefallen sind. Derartige Anhaltspunkte ergeben sich durch die Ausrüstung der LKW mit Schlafkojen, die von den Fahrern nicht nur für die vorgeschriebenen Ruhepausen während einer Arbeitsschicht, sondern für Ruhezeiten zwischen Arbeitsschichten verwendet werden können. Übernachtungsaufwand kann bei diesen Gegebenheiten vermieden werden. Bestätigt sich dies bei weiteren Nachforschungen, dürfen die Pauschbeträge ebenfalls nicht angesetzt werden.

Das FG wird unter Berücksichtigung dieser Grundsätze nach Maßgabe des Verfahrensrechts Sachverhaltsfeststellungen nachzuholen haben (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO). Sache des Klägers ist es, bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 76 Abs. 1 Sätze 2 und 3 FGO; vgl. BFH-Urteil vom 15. Februar 1989 X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462).