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  BFH-Beschluß vom 2.12.1992 (X B 12/92) BStBl. 1993 II S. 243

Ein Steuerberater darf nicht als Prozeßbevollmächtigter zurückgewiesen werden, solange weder seine Bestellung widerrufen oder zurückgenommen noch ein Berufs- oder Vertretungsverbot verhängt ist.

FGO § 62 Abs. 2.

Vorinstanz: Hessisches FG (BB 1992, 126)

Sachverhalt

Der Kläger und Beschwerdeführer 1 (Kläger) erhob, vertreten durch seinen Prozeßbevollmächtigten, den Beschwerdeführer 2 (im folgenden: Prozeßbevollmächtigter), mit Schriftsatz vom 22. Juni 1991 (Eingang beim Finanzgericht - FG - 12. Juli 1991) Untätigkeitsklage gemäß § 46 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Ladung zum Verhandlungstermin am 14. November 1991 um 10.20 Uhr wurde dem Prozeßbevollmächtigten ausweislich der Postzustellungsurkunde am 19. Oktober 1991 zugestellt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung, zu dem der Prozeßbevollmächtigte erschienen war, wurden durch Beschluß die Verfahren Nrn. 3 bis 30 des Sitzungsplanes, darunter die vorliegende Streitsache, zur gemeinsamen Verhandlung verbunden. Der Prozeßbevollmächtigte widersprach der Verbindung und kündigte an, er werde sich nur zu den einzelnen Sachen äußern und nur zu den einzelnen Sachen Anträge stellen. Um dem Prozeßbevollmächtigten - seiner Anregung entsprechend - Gelegenheit zu geben, seine Prozeßunterlagen für sämtliche am 14. November 1991 terminierten Klagesachen zu ordnen, wurde anschließend die mündliche Verhandlung für ca. 10 Minuten unterbrochen. Ungeachtet des Wiedereintritts in die mündliche Verhandlung beanspruchte der Prozeßbevollmächtigte weitere 20 Minuten für die Ordnung der Prozeßunterlagen für das vorliegende Klageverfahren. Schließlich beantragte er die Aufhebung des Termins mit der Begründung, er sei nicht ordnungsgemäß geladen worden. Auf dem ihm zugegangenen Briefumschlag sei die Zustellung nicht beurkundet; er könne deshalb den tatsächlichen Zugang der Ladung nicht feststellen. Das FG lehnte den Antrag auf Aufhebung des Termins ab.

Hierauf lehnte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers den Vorsitzenden Richter A sowie die Richter B und C und die ehrenamtlichen Richter D und E wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Um das Befangenheitsgesuch formulieren zu können, beantragte er, die Sitzung für 30 Minuten zu unterbrechen. Durch Beschluß lehnte das FG diesen Antrag ab, ebenso die folgenden Anträge auf Sitzungsunterbrechung, die der Prozeßbevollmächtigte u. a. damit begründet hatte, er sei nicht in der Lage, das Befangenheitsgesuch sofort aus dem Stegreif zu begründen, bzw. er wolle die Begründung zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle geben. Nunmehr beantragte der Prozeßbevollmächtigte, die Begründung schriftlich zu Protokoll geben zu dürfen und ihm hierfür eine angemessene Frist einzuräumen. Nach kurzer Unterbrechung der mündlichen Verhandlung gab er eine schriftliche Fassung seines Ablehnungsgesuchs zu Protokoll. Den Antrag auf Sitzungsunterbrechung, um das Ablehnungsgesuch schriftlich zu Protokoll geben zu können, hielt er ausdrücklich aufrecht. Das FG wies den Antrag zurück.

Den Antrag auf Ablehnung des Vorsitzenden Richters A, der Richter B und C sowie der ehrenamtlichen Richter D und E wegen Besorgnis der Befangenheit verwarf das FG unter Mitwirkung der abgelehnten Richter. Die hiergegen erhobene Beschwerde (X R 65/92) hat der erkennende Senat mit Beschluß vom 2. Dezember 1992 zurückgewiesen.

Das FG wies den Beschwerdeführer 2 als Prozeßbevollmächtigten für das Klageverfahren zurück. Die Entscheidung ist im Betriebs-Berater (BB) 1992, 126 abgedruckt. Der Beschluß wurde dem Prozeßbevollmächtigten am 23. Dezember 1991 zugestellt.

Hiergegen erhob der Prozeßbevollmächtigte namens des Klägers und zugleich im eigenen Namen mit Schriftsatz vom 27. November 1991 die vorliegende Beschwerde. Er macht u. a. geltend, die Zurückweisung eines Steuerberaters als Prozeßbevollmächtigter sei gesetzlich ausgeschlossen.

Mit Schriftsatz vom 28. November 1991 lehnten die Beschwerdeführer die Richter A, B und C wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Nachdem die im Ablehnungsgesuch bis spätestens 15. Dezember 1991 angekündigte Begründung nicht eingegangen war, verwarf das FG mit Beschluß vom 18. Dezember 1991 das Ablehnungsgesuch unter Mitwirkung der abgelehnten Richter. Die hiergegen erhobene Beschwerde hat der erkennende Senat mit Beschluß vom 2. Dezember 1992 zurückgewiesen (X B 66/92).

Mit Beschluß vom selben Tag hat das FG der vorliegenden Beschwerde nicht abgeholfen.

Am 23. Dezember 1991 wiederholte der Prozeßbevollmächtigte namens des Klägers und im eigenen Namen die Beschwerde gegen seine Zurückweisung als Prozeßbevollmächtigter. Wiederum lehnte er die Richter A, B und C und nun auch den Ersatzrichter F wegen Besorgnis der Befangenheit für die Entscheidung über den Nichtabhilfebeschluß ab.

Entscheidungsgründe

1. Der Senat kann über die Beschwerde entscheiden, obwohl die Richter, die an der Nichtabhilfeentscheidung des FG mitgewirkt haben, abgelehnt wurden.

Der Beschluß des FG über die Nichtabhilfe der Beschwerde ist ungeachtet dieses Ablehnungsgesuchs wirksam.

2. Die Beschwerde ist zulässig, auch soweit sie vom Prozeßbevollmächtigten des Klägers im eigenen Namen erhoben ist, da dieser durch den Zurückweisungsbeschluß selbst beschwert ist (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. März 1967 VI B 12/66, BFHE 88, 79, BStBl III 1967, 295).

3. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur ersatzlosen Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

Nach § 62 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz FGO können Bevollmächtigte oder Beistände, denen die Fähigkeit zum geeigneten schriftlichen oder mündlichen Vortrag fehlt, zurückgewiesen werden. Dies gilt jedoch nicht für die in § 3 und § 4 Nrn. 1 und 2 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) bezeichneten natürlichen Personen (§ 62 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 FGO). Hierzu gehören Steuerberater und Wirtschaftsprüfer (§ 3 Abs. 1 StBerG).

Entgegen der Auffassung des FG dürfen die in § 3 und § 4 Nrn. 1 und 2 StBerG bezeichneten natürlichen Personen selbst dann nicht zurückgewiesen werden, wenn die sachlichen Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Halbsatz 1 FGO vorliegen. Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck der Regelung erlauben eine einschränkende Auslegung.

a) Nach dem Wortlaut der Vorschrift gilt die in § 62 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO vorgesehene Möglichkeit der Zurückweisung nicht bei den in §§ 3 und 4 Nrn. 1 und 2 StBerG bezeichneten natürlichen Personen. Bereits daraus erhellt, daß die in § 62 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO genannten Kriterien keine Zurückweisung der in §§ 3 und 4 Nrn. 1 und 2 StBerG bezeichneten natürlichen Personen rechtfertigen können.

b) Zutreffend geht auch das FG davon aus, daß die Möglichkeit der Zurückweisung von Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern mit Rücksicht auf die besonderen Zulassungsvoraussetzungen und die standesrechtlichen Regelungen des StBerG ausgeschlossen wurde (vgl. z. B. BRDrucks 129/63). Aus der Regelung in § 62 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz FGO ergibt sich ferner, daß die Begrenzung der Zurückweisungsmöglichkeit andauert, solange ein Bevollmächtigter als nach § 3 und § 4 Nrn. 1 und 2 StBerG zur Hilfeleistung in Steuersachen zugelassen ist. Die im StBerG getroffenen Regelungen geben entgegen der Auffassung des FG keinen Anlaß zu der Annahme, unter besonderen Voraussetzungen könnte dennoch eine Zurückweisung zulässig sein. Die in §§ 3 und 4 Nrn. 1 und 2 StBerG bezeichneten Personen verlieren das Recht zum Auftreten vor den Steuergerichten nur durch Erlöschen, Rücknahme oder Widerruf der Bestellung (§§ 45 und 46 StBerG) oder wenn als vorläufige Maßnahme gegen sie ein Berufs- oder Vertretungsverbot (§ 134 StBerG) verhängt wird. Die Entscheidung über diese Maßnahmen hat der Gesetzgeber - ebenso wie die Ahndung von Pflichtverletzungen, die nicht zum Verlust der Zulassung führen (vgl. § 90 StBerG) - jedoch nicht den Steuergerichten zugewiesen, sondern den Verwaltungsbehörden (§ 46 Abs. 4 StBerG) oder der Berufsgerichtsbarkeit (§ 89 StBerG). Gerichte sind unter den in § 10 Abs. 2 StBerG bezeichneten Voraussetzungen darauf beschränkt, Tatsachen, die für die Rücknahme oder den Widerruf der Bestellung oder die Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens erforderlich sind, den für die Entscheidung zuständigen Stellen zu übermitteln.

c) Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Bereits nach § 254 der Reichsabgabenordnung a. F. (AO) konnten die in § 107 Abs. 3 AO bezeichneten Personen (Rechtsanwälte, Notare und Steuerberater) nicht zurückgewiesen werden. Wirtschaftsprüfer, Steuerbevollmächtigte und vereidigte Buchprüfer konnten - wie andere Bevollmächtigte - zurückgewiesen werden, wenn ihnen die Fähigkeit zum geeigneten schriftlichen oder mündlichen Vortrag fehlte. Die Regierungsvorlagen in der II. und III. Wahlperiode (BTDrucks II/1761, III/127) sahen vor, daß vor allen Finanzgerichten (einschließlich des BFH) Rechtsanwälte, Rechtslehrer an deutschen Hochschulen und Steuerberater uneingeschränkt, daneben Notare, Wirtschaftsprüfer und (mit Einschränkung) vereidigte Buchprüfer als Bevollmächtigte zuzulassen waren. Darüber hinaus sollten vor den FG auch andere Personen als Bevollmächtigte auftreten dürfen, soweit sie die Fähigkeit zum geeigneten Vortrag besaßen und - falls sie geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisteten - zu den in § 107 a AO aufgeführten Personen gehörten. Einer Anregung des Finanzausschusses des Bundestages folgend sah mit Rücksicht auf das zwischenzeitlich ergangene StBerG vom 16. August 1961 (BGBl I 1961, 1301) die Regierungsvorlage zum Entwurf einer FGO (BTDrucks IV/1446; vgl. auch BTDrucks IV/3523 und BRDrucks 129/63, jeweils zu § 59) für das Verfahren vor den FG die Zulassung auch der Wirtschaftsprüfer, Steuerbevollmächtigten, vereidigten Buchprüfer und Notare "ohne Zurückweisungsmöglichkeit" vor. Im Rahmen des Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 15. September 1965 (BGBl I 1965, 1356) wurde schließlich die bisher bestehende Möglichkeit beseitigt, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer bei fehlender Fähigkeit zum geeigneten Vortrag zurückzuweisen.

d) Danach dürfen nach § 62 Abs. 2 Halbsatz 2 FGO die dort genannten Personen in ihrer Eigenschaft als Prozeßbevollmächtigte nicht zurückgewiesen werden, solange sie die Befugnis zur Hilfeleistung in Steuersachen nicht - vorläufig oder endgültig - verloren haben (vgl. bereits BFHE 88, 79, BStBl III 1967, 295; BFH-Beschlüsse vom 20. September 1979 VII B 20/79, BFHE 128, 489, BStBl II 1979, 778; vom 12. Februar 1986 IV B 54/85, BFH/NV 1986, 616; Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Rz. 6322; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 62 FGO Rz. 6; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., 1987, § 62 Rz. 44).