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  BFH-Urteil vom 10.9.1992 (V R 104/91) BStBl. 1993 II S. 253

1. Erwirbt die Ehefrau eines Arztes ein Haus, läßt sie das Erdgeschoß in Praxisräume umbauen und vermietet sie diese ihrem Ehemann, steht ihr wegen Mißbrauchs von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten auch bei Option für die Umsatzsteuerpflicht der Vermietungsumsätze kein Vorsteuerabzug zu, wenn sie die laufenden Aufwendungen für das Grundstück und den Kapitaldienst nicht aus der Miete und aus sonstigem eigenen Einkommen decken kann und deshalb auf zusätzliche Zuwendungen ihres Ehemannes in nicht unwesentlichem Umfang angewiesen ist.

2. Zur "Mißbrauchsabsicht" in einem derartigen Fall.

AO 1977 § 42; UStG 1980 § 4 Nr. 14, § 15 Abs. 1 und 2.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist mit einem Arzt verheiratet, in dessen Praxis sie in den Streitjahren zu einem Bruttomonatslohn von 900 DM beschäftigt war.

Sie erwarb im Juni 1982 ein Mehrfamilienhaus zum Preis von 235.000 DM, das sie in den Jahren 1985 und 1986 renovieren ließ. Das Erdgeschoß ließ sie in eine Arztpraxis umbauen, die sie ab 1. Januar 1986 an ihren Ehemann zu einer monatlichen Miete von 1.500 DM einschließlich Umsatzsteuer zuzüglich Nebenkosten vermietete. Die Miete wurde auf gesonderte Mietkonten der Klägerin gezahlt, über die ihr Ehemann Verfügungsberechtigung besaß. Zur Finanzierung nahm die Klägerin drei Kredite über insgesamt 700.000 DM auf. Als Sicherheit dient neben Grundpfandrechten und einer Lebensversicherung eine Bürgschaft des Ehemannes. Im Jahr 1986 erzielte die Klägerin Mieteinnahmen aus dem Gebäude in Höhe von 30.150 DM und wendete Zinsen von 52.229 DM auf.

Die Klägerin verzichtete gegenüber dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) auf die Umsatzsteuerbefreiung der Vermietung der Praxis und beantragte, die ihr in Rechnung gestellten Umsatzsteuerbeträge als Vorsteuerbeträge abzusetzen. Das FA erkannte das Mietverhältnis nicht an und setzte die Umsatzsteuer für die Streitjahre auf jeweils 0 DM fest.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte aus: Zwischen den Ehegatten habe zwar ein Leistungsaustausch stattgefunden. Der Mietvertrag sei ernsthaft abgeschlossen und tatsächlich durchgeführt worden. Er sei aber wegen Gestaltungsmißbrauchs nicht anzuerkennen.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977). Nach ihrer Auffassung ist die gewählte Gestaltung nicht mißbräuchlich. Unerheblich sei, daß sich ihr Ehemann mit laufenden Zuwendungen an den Zinsen und Tilgungen beteiligt habe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung für die Streitjahre 1985 und 1986 negative Umsatzsteuer in Höhe von 22.244 DM bzw. 5 919 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

1. Der Klägerin steht der begehrte Vorsteuerabzug nicht zu. Sie erfüllt zwar die Voraussetzungen, von denen das Umsatzsteuergesetz (UStG) 1980 den Vorsteuerabzug abhängig macht. Der Abzug kann jedoch wegen Mißbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts nicht zugelassen werden.

2. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980 kann der Unternehmer die in Rechnungen i. S. des § 14 UStG 1980 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen.

Die Klägerin war Unternehmerin (§ 2 Abs. 1 UStG 1980). Sie erbrachte durch die Vermietung der Praxis und der Wohnungen in dem Mehrfamilienhaus sonstige Leistungen (§ 3 Abs. 9 UStG 1980). Nach dem Willen der Klägerin und ihres Ehemannes vollzog sich die Nutzungsüberlassung der Praxis nicht auf familienrechtlicher Grundlage als Beitrag zur Verwirklichung der ehelichen Lebensgemeinschaft, sondern durch entgeltliche Vermietung, also durch steuerbaren Leistungsaustausch.

Unerheblich ist, daß der Ehemann der Klägerin über die Mietkonten mitverfügungsberechtigt war. Selbst im Ertragsteuerrecht, das an die steuerliche Berücksichtigung von Verträgen zwischen nahen Angehörigen höhere Anforderungen als das Umsatzsteuerrecht stellt (Senatsurteil vom 22. Juni 1989 V R 37/84, BFHE 158, 144, BStBl II 1989, 913), werden derartige Verträge auch dann anerkannt, wenn das Entgelt auf ein Konto des anderen Ehegatten überwiesen wird, über das der überweisende Ehegatte verfügungsberechtigt ist (Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. November 1989 GrS 1/88, BFHE 158, 563, BStBl II 1990, 160, Abschn. C III 3 e bb).

3. Dem Vorsteuerabzug steht § 42 AO 1977 entgegen.

a) Nach dieser Vorschrift kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.

Ein Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne dieser Vorschrift ist gegeben, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die zur Erreichung des erstrebten Ziels unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteile vom 21. November 1991 V R 20/87, BFHE 166, 506, BStBl II 1992, 446; vom 16. Januar 1992 V R 1/91, BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541, je m. w. N.). Das wirtschaftliche Verhalten der Beteiligten darf nicht auf seine Angemessenheit beurteilt werden (Senatsurteil in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541).

Bei der rechtlichen Gestaltung wirtschaftlicher Vorgänge ist der Steuerpflichtige im Rahmen der Gesetze frei. Auch aus steuerrechtlicher Sicht ist grundsätzlich von der gewählten (bürgerlich-)rechtlichen Gestaltung auszugehen. Das Motiv, Steuern zu sparen, macht eine rechtliche Gestaltung noch nicht unangemessen (Beschluß des Großen Senats des BFH vom 29. November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, 444, BStBl II 1983, 272; Senatsurteile in BFHE 166, 506, BStBl II 1992, 446; BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541). Auch Angehörigen steht es frei, ihre Rechtsverhältnisse untereinander so zu gestalten, daß sie für sie steuerlich möglichst günstig sind (Senatsurteile in BFHE 166, 506, BStBl II 1992, 446; BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541).

Eine Rechtsgestaltung ist unangemessen, wenn verständige Parteien in Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhalts und der wirtschaftlichen Zielsetzung nicht in der gewählten Weise verfahren wären. Entscheidend ist, ob der Steuerpflichtige, dessen Steuerschuld zu beurteilen ist, die vom Gesetzgeber bei seiner Regelung vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen bestimmter wirtschaftlicher Ziele nicht gebraucht und hierfür keine beachtlichen außersteuerrechtlichen Gründe vorliegen, ob er vielmehr auf einem ungewöhnlichen Weg einen Erfolg zu erreichen versucht, der nach den Wertungen des Gesetzgebers auf diesem Weg nicht erreichbar sein soll. Maßgebend sind die gesamten Umstände des Einzelfalls. Diese Grundsätze gelten auch, wenn eine unangemessene Gestaltung für die Verwirklichung des Tatbestandes einer begünstigenden Gesetzesvorschrift gewählt wird (Senatsurteile in BFHE 166, 506, BStBl II 1992, 446; BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541).

b) Wie der Senat im Urteil in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541 näher ausgeführt hat, ist es als unangemessene Gestaltung zu beurteilen, wenn ein Unternehmer, der einen Gegenstand für sein Unternehmen benötigt, die hierzu erforderlichen finanziellen Mittel seinem Ehegatten zur Verfügung stellt, damit dieser den Gegenstand erwirbt, um ihn an den Unternehmer-Ehegatten zu vermieten. Der Vermieter-Ehegatte wird unter diesen Umständen gewissermaßen "vorgeschaltet", um unter Vermeidung eigener Anschaffung das wirtschaftliche Ergebnis aus den Leistungsbezügen zu erzielen, obwohl der Mieter-Ehegatte die Aufwendungen wirtschaftlich so trägt, als wäre er Grundstückskäufer und Bauherr gewesen. Eine derartige "Vorschaltung" liegt vor, wenn der Vermieter-Ehegatte in einem überschaubaren Zeitraum vom Zeitpunkt der Vermietung an die Aufwendungen für Zins und laufende Tilgung der aufgenommenen Fremdmittel und für die Bewirtschaftung des Grundstücks nicht aus der Miete (einschließlich Erstattung der Nebenkosten) und sonstigem eigenen Einkommen decken kann und sich der Mieter-Ehegatte deshalb über die Zahlung von Miete und ggf. Arbeitslohn hinaus in nicht unwesentlichem Umfang an diesen Aufwendungen beteiligen muß. Anders ist der Fall zu beurteilen, wenn der Mieter-Ehegatte dem Vermieter-Ehegatten bei Erwerb des Grundstücks oder bei Errichtung des Gebäudes finanzielle Mittel in ausreichender Höhe überläßt (z. B. durch Schenkung), die diesem die Lastentragung aus eigener wirtschaftlicher Kraft ermöglichen.

c) Im Streitfall hat die Klägerin die Praxisräume zwar nicht alsbald nach dem Erwerb des Hauses (1982) ihrem Ehemann vermietet, sondern erst im Zusammenhang mit dem Umbau der Räume in den Jahren 1985 und 1986. Sie war aber nach den Feststellungen des FG vom Zeitpunkt der Vermietung an ebenfalls nicht in der Lage, die laufenden Aufwendungen für das Grundstück und den Kapitaldienst aus der Miete und aus sonstigem eigenen Einkommen zu decken, und deshalb auf zusätzliche Zuwendungen ihres Ehemanns in nicht unwesentlichem Umfang angewiesen. Die Klägerin räumt selbst ein, daß sich ihr Ehemann an den Zinsen und Tilgungen beteiligte. Ob sie - wie sie nunmehr vorträgt - den Mietvertrag für Ende 1995 kündigen kann, ist unerheblich, da es nur auf den von der Vermietung an (1986) überschaubaren Zeitraum ankommt.

Eine verständige Partei hätte angesichts dieser Verhältnisse vom Abschluß eines Mietvertrags abgesehen und es dem Arzt-Ehegatten überlassen, entsprechend seiner wirtschaftlichen Stellung die entstehenden Aufwendungen für Grundstück und Gebäude als solche zu tragen, anstatt sie zum Teil dem Eigentümer-Ehegatten verdeckt als Mietzins zuzuwenden.

d) Die unangemessene Gestaltung widerspricht den Wertungen des Gesetzes, weil der Mieter-Ehegatte als Arzt zum Vorsteuerabzug nicht berechtigt ist (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 4 Nr. 14 UStG 1980; vgl. im einzelnen Senatsurteil in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541).

4. Es bedarf keiner Entscheidung der Frage, ob § 42 AO 1977 das Vorliegen einer Mißbrauchsabsicht voraussetzt. Der Senat hat hierzu die Auffassung vertreten, daß die Anwendung des § 42 AO 1977 nicht durch subjektive Umstände wie Gutgläubigkeit, Rechtsunkenntnis, Unerfahrenheit oder Ungeschicklichkeit vermieden werden kann, wenn die objektiven Umstände eine unangemessene Gestaltung ergeben (Urteil vom 1. Juni 1989 V R 74/87, BFH/NV 1990, 131; Beschluß vom 23. Februar 1989 V B 60/88, BFHE 155, 503, BStBl II 1989, 396). Damit hat der Senat im Ergebnis verneint, daß die Mißbrauchsabsicht Tatbestandsmerkmal des § 42 AO 1977 ist (ähnlich zur "Gesetzesumgehung" Bundesarbeitsgericht, Beschluß vom 12. Oktober 1960 GS 1/59, BAGE 10, 65, 70, und Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. Januar 1990 II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 64; bzw. zur "Steuerumgehung" Europäischer Gerichtshof - EuGH -, Urteil vom 12. Juli 1988, Direct Cosmetics Ltd./Commissioners of Customs and Excise, Rs. 138 und 139/86, Slg. 1988, 3937 Tz. 20 ff.).

Demgegenüber vertritt der I. Senat des BFH (Urteil vom 5. Februar 1992 I R 127/90, BFHE 166, 356, BStBl II 1992, 533, unter II. D 5. a) die Auffassung, in jedem Einzelfall sei auch die Mißbrauchsabsicht festzustellen. Der Auslegung des § 42 AO 1977 durch den I. Senat ist nicht zu entnehmen, daß dieser die Feststellung der Mißbrauchsabsicht nicht auch aufgrund einer tatsächlichen Vermutung (zu dieser im Anwendungsbereich des § 42 AO 1977 vgl. insbesondere BFH-Urteil vom 28. Januar 1992 VIII R 7/88, BFHE 167, 273, BStBl II 1993, 84) zuließe. Dem entsprechen zahlreiche Entscheidungen des BFH aus jüngster Zeit mit der Aussage, daß bei Berücksichtigung der Gesamtumstände der jeweilige Sachverhalt die Mißbrauchsabsicht "indiziere" (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 14. Januar 1992 IX R 33/89, BFHE 167, 55, BStBl II 1992, 549, m. w. N.).

Im Streitfall ist die Klage auch auf der Grundlage der Auffassung, § 42 AO 1977 setze eine Mißbrauchsabsicht voraus, abzuweisen, da die Mißbrauchsabsicht der Klägerin zu vermuten ist. Grundlage für die tatsächliche Vermutung ist die objektive Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann, wie sie oben unter II. 3. b und c beschrieben worden ist. Der Klägerin waren die der Gestaltung zugrundeliegenden tatsächlichen Verhältnisse bekannt. Nach den Feststellungen des FG ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß statt der Absicht zur Steuerumgehung wirtschaftlich beachtliche Gründe für die gewählte Gestaltung maßgebend gewesen sein könnten. Das Bestreben, dem Mieter-Ehegatten ein gesichertes Nutzungsrecht (auch für den Fall von Trennung oder Scheidung) zu verschaffen, macht den Abschluß eines Mietvertrages nicht plausibel. Denn auch die Nutzungsüberlassung als Beitrag im Rahmen der ehelichen Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft hätte durch rechtlich bindende Vereinbarungen abgesichert werden können.