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  BFH-Urteil vom 28.10.1992 (X R 117/89) BStBl. 1993 II S. 261

1. Der nach § 176 Abs. 2 AO 1977 bedeutsame inhaltliche Widerspruch zwischen allgemeiner Verwaltungsvorschrift und höchstrichterlicher Entscheidung erfordert, daß ein bestimmtes Rechtsproblem nach der (zeitlich früheren) Verwaltungsregelung auf andere (für den Steuerpflichtigen günstigere) Weise zu lösen ist als nach der (späteren) Gerichtsentscheidung.

2. Die zweite umfassende und abschließende Prüfung eines Sachverhaltskomplexes, der zuvor schon einer vorläufigen Sonderprüfung unterlag, verstößt jedenfalls dann nicht gegen allgemeine Rechtsgrundsätze, wenn sich die Finanzbehörde eine solche Verfahrensweise von Anfang an (z. B. in der bestandskräftig gewordenen Prüfungsanordnung) ausdrücklich vorbehalten hat.

AO 1977 § 164, § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt ein Hotel und eine Gaststätte. Im Streitjahr 1980 erweiterte er das bisherige Gebäude um einen Anbau mit sechs Fremdenzimmern, weiteren Gasträumen und einer Kegelbahn.

Am 10. März 1981 ordnete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) beim Kläger eine Umsatzsteuersonderprüfung an, die sich auf die bis zum Prüfungsbeginn abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen sowie auf den Vorsteuerabzug 1980 erstrecken sollte. Die Prüfungsanordnung war mit dem ausdrücklichen Zusatz versehen, daß die abschließende Überprüfung aller Besteuerungsgrundlagen einer späteren Außenprüfung vorbehalten bleibe.

Bei der am 16. März 1981 durchgeführten Sonderprüfung stellte der Prüfer fest, daß die in den Baukosten enthaltenen offen ausgewiesenen Vorsteuerbeträge nicht in voller Höhe geltend gemacht worden waren, und erhöhte den Abzugsbetrag entsprechend (Tz. 10 ff. des Berichts). Der Prüfungsbericht vom 25. März 1981 enthält außerdem die Feststellung, die Auswertung der Prüfung werde im Veranlagungsbescheid 1980 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) vorgenommen werden (Tz. 9). In der Schlußbesprechung vom 19. März 1981, an der außer dem Prüfer der Kläger und sein steuerlicher Berater teilgenommen hätten, sei hinsichtlich der Prüfungsfeststellungen Übereinstimmung erzielt worden (Tz. 16).

Unter Bezugnahme auf die Sonderprüfung erließ das FA am 9. Juni 1981 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 AO 1977 einen Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr. Die Steuerschuld betrug ./. 57.592,70 DM.

Nachdem am 8. September 1981 die Umsatzsteuererklärung des Klägers für 1980 beim FA eingegangen war, erließ dieses am 12. Oktober 1981 gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977, in Übereinstimmung mit dieser Erklärung und unter Aufrechterhaltung des Nachprüfungsvorbehalts, einen weiteren Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr (Jahressteuerschuld danach: ./. 59.246,13 DM).

Im April 1984 fand beim Kläger eine auch die Umsatzsteuer für 1980 umfassende Außenprüfung statt. Dabei kam der Prüfer u. a. zu dem Ergebnis, daß die für die Vermietung der Kegelbahn vereinnahmten Entgelte steuerfrei seien, soweit sie auf Grund und Boden sowie auf das Kegelbahngebäude entfielen und infolgedessen eine Aufteilung der Vermietungsumsätze entsprechend dem Erlaß des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 16. Januar 1984 (BStBl I 1984, 40) geboten sei.

Das führte in dem auf § 164 Abs. 2 AO 1977 gestützten neuerlichen Änderungsbescheid des FA vom 6. Juli 1984 zu einer entsprechenden Verminderung der negativen Umsatzsteuerschuld für 1980 auf ./. 50.300,18 DM.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. FA und Finanzgericht (FG) stellten sich auf den Standpunkt, auch die abermalige Änderung des Umsatzsteuerbescheides 1980 sei gerechtfertigt.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung der Grundsätze des Vertrauensschutzes und von Treu und Glauben. Der Kläger macht geltend, durch das Urteil vom 16. Oktober 1980 V R 51/76 (BFHE 132, 199, BStBl II 1981, 228) habe sich die Rechtsprechung zu seinen Ungunsten geändert. Des weiteren habe er sich auf eine Verwaltungsanweisung der Oberfinanzdirektion (OFD) Düsseldorf (Der Betrieb - DB - 1980, 2013) verlassen dürfen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil sowie den Änderungsbescheid vom 6. Juli 1984 über Umsatzsteuer 1980 und die Einspruchsentscheidung hierzu aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, weil sie von einer Steuerberatungsgesellschaft eingelegt worden sei, hilfsweise, das Rechtsmittel als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.

1. Den Anforderungen des Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) vom 8. Juli 1975 (BGBl I 1975, 1861), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Dezember 1991 (BGBl I 1991, 2288) ist genügt: Daß einer der bevollmächtigten Steuerberater unter dem Briefkopf und im Namen der Sozietät (Gesellschaft bürgerlichen Rechts - GdbR -) aufgetreten ist, schadet nicht (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. April 1989 I B 90/88, BFHE 156, 397, BStBl II 1989, 599).

2. Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet. Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das FA war zum Erlaß eines zweiten Änderungsbescheids berechtigt.

Gemäß § 164 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 können Steuern, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, allgemein oder im Einzelfall unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden, ohne daß dies einer Begründung bedarf. Eine solche Steuerfestsetzung kann nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 aufgehoben oder geändert werden. - Dieser prinzipiell unbeschränkten Korrekturbefugnis standen im Streitfall weder gesetzliche Vorschriften noch allgemeine Rechtsgrundsätze entgegen.

a) Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil - wie das FA zutreffend ausgeführt hat - das zur unentgeltlichen Überlassung im Rahmen des § 4 Nr. 12 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ergangene BFH-Urteil in BFHE 132, 119, BStBl II 1981, 228 sich zwar gegenüber der dort zitierten Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH), nicht aber im Verhältnis zu der nach dem Gesetz allein bedeutsamen Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofs des Bundes geändert hat.

b) Nach § 176 Abs. 2 AO 1977 darf bei der Korrektur eines Steuerbescheides nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, daß eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, einer obersten Bundes- oder Landesbehörde von einem obersten Gerichtshof des Bundes als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden ist. Diese Voraussetzungen liegen ebenfalls nicht vor.

Hierzu ist zwar nicht erforderlich, daß eine höchstrichterliche Entscheidung eine allgemeine Verwaltungsvorschrift ausdrücklich als mit dem geltenden Recht nicht übereinstimmend bezeichnet; es genügt vielmehr, daß dies sinngemäß zum Ausdruck gebracht wird (BFH-Urteil vom 28. September 1987 VIII R 154/86, BFHE 151, 107, BStBl II 1988, 40): Ein bestimmtes Rechtsproblem muß nach der (zeitlich vorausgegangenen) allgemeinen Verwaltungsvorschrift auf andere (für den Steuerpflichtigen günstigere) Weise zu lösen sein als nach der (späteren) Gerichtsentscheidung. An einem derartigen inhaltlichen Widerspruch fehlt es hier: Das BFH-Urteil vom 16. Oktober 1980, auf das sich der Kläger beruft, läßt keine Aussage zu einem Rechtsproblem erkennen, das bis dahin Gegenstand einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift gewesen wäre. Demgemäß ist diese Entscheidung ihrerseits in der nunmehr geltenden einschlägigen Verwaltungsvorschrift (BStBl I 1984, 40, 41) auch nur zur Stützung der Ansicht herangezogen worden, daß der Begriff der Betriebsvorrichtungen im Umsatzsteuerrecht in gleicher Weise zu verstehen sei wie im Bewertungsrecht. Diese Frage aber ist in dem bis dahin maßgeblichen (durch den Erlaß vom 16. Januar 1984 ausdrücklich aufgehobenen) BMF-Erlaß vom 27. Januar 1956 (IV A 2 - S 4141 - 15/55, Umsatzsteuerkartei, § 4 S 41, Karte 52) ebenfalls nicht angesprochen.

Der Erlaß der OFD Düsseldorf (DB 1980, 2013), zu dem das BFH-Urteil vom 16. Oktober 1980 gleichfalls keine (mittelbare) Aussage enthält, ist keine allgemeine Verwaltungsvorschrift einer obersten Bundes- oder Landesbehörde (vgl. §§ 1 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Finanzverwaltung, BStBl I 1971, 390) i. S. des § 176 Abs. 2 AO 1977 und kann deshalb nicht zum Ziel führen. Dieser Erlaß entfaltete keine Bindungswirkung für die niedersächsische Finanzverwaltung und das FA. Auf seinen Inhalt durfte der Kläger nicht vertrauen.

c) Auch durch allgemeine Rechtsgrundsätze war die Änderungsbefugnis des FA nicht eingeschränkt: So wenig wie durch die Behandlung der Sache für den Kläger eine schützenswerte Vertrauensposition begründet wurde, so wenig hat das FA im Rahmen des zugrunde liegenden Steuerrechtsverhältnisses widersprüchliches Verhalten erkennen lassen. Weder unter dem einen noch unter dem anderen rechtlichen Gesichtspunkt kommt der ursprünglichen Entscheidung des FA, die streitigen Vorsteuerbeträge uneingeschränkt zum Abzug zuzulassen, rechtliche Bedeutung zu, denn schon in der Prüfungsanordnung hatte sich das FA eine abschließende Prüfung sämtlicher Besteuerungsgrundlagen im Rahmen einer allgemeinen Betriebsprüfung ausdrücklich vorbehalten. Mit diesem Inhalt ist die Prüfungsanordnung bestandskräftig geworden. Den Vorbehalt hat das FA außerdem anschließend, in Übereinstimmung mit einer entsprechenden Feststellung im Prüfungsbericht, durch Erlaß eines vorläufigen Bescheides i. S. des § 164 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 bekräftigt. Unter diesen Umständen war das FA auch nach Treu und Glauben an die bisherige Behandlung der Sache nicht gebunden, und der Kläger durfte auf den Fortbestand des uneingeschränkten Vorsteuerabzugs für den Anbau nicht vertrauen.

Schließlich hat das FA mit der zweiten, umfassenden Außenprüfung auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot) verstoßen. Eine solche Frage könnte sich, unabhängig davon, ob sie einer Prüfung in diesem Verfahren nicht schon wegen der Bestandskraft der Prüfungsanordnung entzogen ist, nur stellen, wenn das FA - anders als im Streitfall - den Eindruck erweckt hätte, es wolle zu einer abschließenden (Teil-)Entscheidung kommen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 164 AO 1977 Tz. 9; ähnlich auch der V. Senat in seinem insoweit nicht veröffentlichten Beschluß V S 3/88, S. 7/8 zur Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Umsatzsteuerbescheids).