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BFH-Urteil vom 27.10.1992 (VIII R 87/89) BStBl. 1993 II S. 340

Aufwendungen eines wesentlich Beteiligten i. S. des § 17 Abs. 1 EStG sind als nachträgliche Anschaffungskosten zu behandeln, wenn sie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlaßt und weder Werbungskosten gemäß §§ 9, 20 EStG noch Veräußerungskosten gemäß § 17 Abs. 2 EStG sind.

EStG § 17.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Höhe eines Verlustes i. S. des § 17 Abs. 4 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war bis zum Jahre 1978 alleiniger Gesellschafter der X-GmbH (GmbH). 1978 wurde das Stammkapital der GmbH von 20.000 DM auf 50.000 DM erhöht. Gleichzeitig beteiligten sich drei Angestellte der GmbH als Gesellschafter. Von dem Stammkapital hielt der Kläger nunmehr 26.000 DM und die übrigen Gesellschafter jeweils 8.000 DM.

Der Kläger sagte den neuen Gesellschaftern beim Erwerb der Geschäftsanteile zu, etwaige damit verbundene Vermögensverluste ausgleichen zu wollen.

Die GmbH wurde am 29. Februar 1984 aufgelöst. In einer Gesellschafterversammlung vom 30. April 1984 beschlossen die Gesellschafter, den drei Minderheitsgesellschaftern die Kapitalanteile auszuzahlen. Der Betrag wurde durch die GmbH ausgezahlt.

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1984 machten die Kläger einen Veräußerungsverlust gemäß § 17 EStG in Höhe von 22.474,77 DM geltend. Dabei gingen die Kläger von einem Aufgabeerlös in Höhe von 3.525,23 DM und Anschaffungskosten der Beteiligung in Höhe von 26.000 DM aus.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte im Einspruchsverfahren nur einen Veräußerungsverlust in Höhe von 11.526 DM. Das FA ging dabei davon aus, daß die GmbH durch die Zahlung an die drei Gesellschafter diesen gegenüber eine Forderung in Höhe von insgesamt 24.000 DM erlangt habe.

Dementsprechend berechnete es den Verlust wie folgt:

Stammeinlage                                                  26.000DM

Vermögensanteil                                         ./. 14.474 DM

Verlust gemäß § 17 EStG                                11.526 DM

Den Vermögensanteil des Klägers an der GmbH berechnete das FA wie folgt:

Vermögenswert                                               29.166 DM

Verbindlichkeiten                                              1.032 DM

Liquidationskosten                                               300 DM

                                                                       --------------

                                                                     27.834 DM

Höhe der Beteiligung des Klägers (52 v. H.)   14.473 DM

In dem "Vermögenswert" ist eine Forderung in Höhe von 24.000 DM gegen die drei Minderheitsgesellschafter enthalten. Das FA war der Auffassung, soweit der Kläger auf die Auszahlung des ihm zustehenden Vermögensanteils dadurch verzichtet habe, daß die Gesellschaft die übrigen Gesellschafter nicht aus dieser Forderung in Anspruch genommen habe, beruhe dieser Verzicht nicht auf betrieblichen, sondern auf privaten Gründen.

Mit der Klage machten die Kläger geltend, die Zusage an die Minderheitsgesellschafter habe der Kläger nur gegeben, um die ehemaligen Angestellten an den Betrieb der GmbH zu binden.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab.

Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts. Das Urteil des FG verletze § 17 EStG.

Die Kläger beantragen, das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung vom 3. Juni 1987 aufzuheben und einen Veräußerungsverlust in Höhe von 22.474 DM bei der Einkommensteuerveranlagung 1984 zu berücksichtigen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Am 2. Mai 1991 erließ das FA einen gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 132 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheid 1984. Die Kläger haben beantragt, den geänderten Bescheid gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Mit der Liquidation der GmbH und der Auszahlung des restlichen Vermögens ist im Streitjahr 1984 beim Kläger der Tatbestand des § 17 Abs. 4 EStG erfüllt. Der Liquidationsgewinn/-verlust errechnet sich nach § 17 Abs. 2 i. V. m. Abs. 4 EStG. In dem von diesen Vorschriften gesteckten Rahmen ist der Gewinn nach den Gewinnermittlungsvorschriften der §§ 4 Abs. 1, 5 EStG zu ermitteln (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 2. Oktober 1984 VIII R 20/84, BFHE 143, 304, BStBl II 1985, 428).

Im Streitfall hat das FA dem Grunde nach zu Recht seiner Berechnung die Liquidationsbilanz der GmbH zum 29. Februar 1984 zugrunde gelegt und darüber hinaus Liquidationskosten berücksichtigt. Zu Recht hat es damit nicht nur die Vorgänge bis zum Beginn der Liquidation berücksichtigt, sondern auch solche bis zum Abschluß der Liquidation, d. h. bis zur Entstehung des Anspruchs auf Auszahlung des Abfindungsguthabens (vgl. Schmidt, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 11. Aufl., § 17 Anm. 32, 33).

Bei der Ermittlung des "Vermögenswerts" (laut Liquidationsbilanz "Umlaufvermögen") hat das FA aber zu Unrecht eine Forderung der Gesellschaft gegen die drei Minderheitsgesellschafter auf Rückzahlung der ihnen ausgezahlten 24.000 DM berücksichtigt. Unterstellt, die GmbH (und nicht der Kläger selbst) habe den Gesellschaftern den Betrag tatsächlich ausgezahlt, hätte sie ihn von den Gesellschaftern nicht zurückfordern können.

Eine Rückzahlungspflicht aufgrund des § 31 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) bestand nicht, denn das Auszahlungsverbot des § 30 GmbHG geht vom Fortbestand der Gesellschaft aus und gilt nicht für die Liquidation (vgl. § 72 GmbHG; Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, Kommentar, 13. Aufl., § 30 Rdnr. 1). Die Zahlung erfolgte auch nicht ohne Rechtsgrund. Sie erfolgte zum Teil im Vorgriff auf den noch nicht endgültig feststehenden Auszahlungsanspruch auf das anteilige Restvermögen (§ 17 Abs. 4 Satz 2 EStG; § 72 GmbHG) und im übrigen für Rechnung des Klägers aufgrund seiner Garantiezusage und zu Lasten seines Auszahlungsanspruchs.

Die Auszahlungsquote der drei Minderheitsgesellschafter hätte möglicherweise im Rahmen eines Gesellschaftsvertrags vereinbart werden können (§ 72 Satz 2 GmbHG). Dafür gibt es im Streitfall keine Anhaltspunkte. Unabhängig davon konnte der Kläger mit den anderen Gesellschaftern formlos einen Vertrag schließen (§ 305 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -), in dem er ihnen gegenüber die Garantie dafür übernahm, daß ihre Einlage nicht verlorenging. Daß eine solche Vereinbarung zwischen den Beteiligten geschlossen wurde, ist nicht streitig. Wie das FG festgestellt hat, beruhte die Zahlung der GmbH auf den Rechtsbeziehungen des Klägers zu den drei Minderheitsgesellschaftern. In diesem Fall ist in der Zahlung der GmbH an die drei Minderheitsgesellschafter nur insoweit eine eigene Zahlung der GmbH zu sehen, als sie dem Liquidationsanteil der drei Gesellschafter entsprach. Soweit sie darüber hinausging, hat die Gesellschaft keine eigene, sondern eine Verpflichtung des Klägers erfüllt. Insofern mag sie zwar einen Erstattungsanspruch gegen den Kläger erlangt haben. Indem jedoch der Liquidationsanteil des Klägers um diesen Betrag gekürzt wurde, lief die Zahlung der GmbH insoweit auf eine Zahlung des Klägers hinaus.

Wenn danach der Ansatz einer Erstattungsforderung gegen die Minderheitsgesellschafter nicht gerechtfertigt war, so ist nicht ausgeschlossen, daß der Ansatz eines "Vermögenswerts" in Höhe von 29.166 DM seitens des FA gleichwohl zutreffend ist. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des FG ist die Auszahlung des Kapitals an die drei Minderheitsgesellschafter nach Beginn der Liquidation (29. Februar 1984) am 30. April 1984 beschlossen worden. Wenn der Betrag von 24.000 DM an die Minderheitsgesellschafter erst danach ausgezahlt wurde, was naheliegt, müßte die GmbH am 29. Februar 1984 noch Vermögenswerte gehabt haben, die es ihr ermöglichten, diesen Betrag an die Gesellschafter auszuzahlen.

Eine solche Feststellung hat das FG nicht getroffen. Der Senat kann nicht ohne weiteres davon ausgehen, daß dies der Fall war; für die Entscheidung in dieser Sache kommt es aber darauf an. Sollte die GmbH aus ihrem Vermögen 24.000 DM an die drei Minderheitsgesellschafter gezahlt haben, dann ergäbe sich für den Kläger ein Verlust gemäß § 17 Abs. 2 i. V. m. Abs. 4 EStG, der über dem liegt, den das FA und das FG angesetzt haben. Dabei geht der Senat von folgenden rechtlichen Überlegungen aus:

Wie der Senat wiederholt entschieden hat (Urteile vom 2. Oktober 1984 VIII R 36/83, BFHE 143, 228, BStBl II 1985, 320; vom 2. Oktober 1984 VIII R 20/84, BFHE 143, 304, 308, BStBl II 1985, 428; vom 9. September 1986 VIII R 95/85, BFH/NV 1986, 731, zu 2.; vom 9. September 1986 VIII R 159/85, BFHE 148, 246, BStBl II 1987, 257; vom 16. April 1991 VIII R 100/87, BFHE 165, 31, BStBl II 1992, 234; vom 16. April 1991 VIII R 224/85, BFH/NV 1992, 94), kann die Inanspruchnahme aus einer Bürgschaft des Gesellschafters für eine Verbindlichkeit der Kapitalgesellschaft bei diesem zu nachträglichen Anschaffungskosten der Beteiligung i. S. des § 17 Abs. 2 EStG führen, wenn die Übernahme der Bürgschaft ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis hat. Entsprechendes gilt bei Verlust eines Gesellschafterdarlehens, das seine Ursache im Gesellschaftsverhältnis hat (vgl. BFH-Urteile vom 9. August 1983 VIII R 276/82, BFHE 139, 257, BStBl II 1984, 29, 31; vom 16. April 1991 VIII R 100/87, BFHE 165, 31, BStBl II 1992, 234; vom 16. April 1991 VIII R 224/85, BFH/NV 1992, 94; vom 7. Juli 1992 VIII R 24/90, BFHE 168, 551, BStBl II 1993, 333; vom 18. August 1992 VIII R 90/89, noch nicht veröffentlicht, und vom 18. August 1992 VIII R 13/90, BFHE 169, 90, BStBl II 1993, 34).

Nach den Grundsätzen dieser Rechtsprechung sind auch die hier streitigen Aufwendungen des Klägers Anschaffungskosten i. S. des § 17 Abs. 2 EStG. Der Senat hat bereits in den genannten Entscheidungen (vgl. insbesondere Urteil in BFHE 169, 90, BStBl II 1993, 34, zu 3.) diesen Begriff weit ausgelegt, um in dem durch § 17 Abs. 2 EStG gesteckten Rahmen möglichst solche Aufwendungen gewinnmindernd zu erfassen, die auch bei einem Mitunternehmer (Kommanditisten) zu berücksichtigen wären. Dies ist geboten, weil bei einem wesentlich Beteiligten gemäß § 17 Abs. 1 EStG der Gewinn aus der Veräußerung des Anteils bzw. der Liquidationsgewinn in gleicher Weise als Einkünfte aus Gewerbebetrieb erfaßt werden, wie bei einem Mitunternehmer (§ 16 EStG). Auch die Ermittlung des Veräußerungs- bzw. Liquidationsgewinns erfolgt nach ähnlichen Grundsätzen (vgl. § 16 Abs. 2 mit § 17 Abs. 2 EStG).

Unberührt bleiben einmal Veräußerungskosten i. S. des § 17 Abs. 2 EStG (vgl. dazu BFH-Urteil vom 2. Oktober 1984 VIII R 36/83, BFHE 143, 228, BStBl II 1985, 320), ferner laufende Aufwendungen, die zur Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG) getätigt werden und deren Berücksichtigung als Werbungskosten sich nach § 9 EStG richtet. Die hier streitigen Aufwendungen gehören nicht zu dieser Gruppe von Ausgaben.

Ausschlaggebend ist danach, ob die streitigen Aufwendungen durch das Gesellschaftsverhältnis veranlaßt waren (vgl. auch Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, 1988, S. 506). Der Senat kann diese Frage nicht absciließend entscheiden, denn das FG hat dazu keine Feststellungen getroffen. Für die vom FA angenommenen privaten Gründe gibt der Sachverhalt keine Anhaltspunkte. Auf den Vortrag der Kläger, die Garantiezusage habe für die Minderheitsgesellschafter ein Anreiz sein sollen, sich an der GmbH zu beteiligen, brauchte das FG, seiner Rechtsauffassung entsprechend, nicht einzugehen. Der Senat kann als Revisionsgericht diese Feststellungen nicht selbst treffen (§ 118 Abs. 2 FGO). Die Sache war daher zur Nachholung dieser Feststellungen an das FG zurückzuverweisen.