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  BFH-Beschluß vom 3.2.1993 (I B 90/92) BStBl. 1993 II S. 426

Es ist ernstlich zweifelhaft,

- ob und unter welchen Voraussetzungen die Veräußerung von GmbH-Anteilen zum Zweck der Liquidation der GmbH durch deren nicht wesentlich beteiligte Gesellschafter einen Gestaltungsmißbrauch darstellt

und

- welche steuerlichen Konsequenzen sich bei einem auf seiten der Anteilsveräußerer bejahten Gestaltungsmißbrauch für den Anteilserwerber ergeben.

AO 1977 § 42.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

I.

Streitig ist in einem Verfahren zur Aussetzung der Vollziehung, ob die Veräußerung sämtlicher Anteile an einer GmbH durch deren nicht wesentlich beteiligte Gesellschafter einen Gestaltungsmißbrauch darstellt, wenn der Erwerber der Anteile anschließend an den Erwerb die GmbH liquidiert, die Gewinne voll ausschüttet und eine ausschüttungsbedingte Teilwertabschreibung auf 0 vornimmt.

Unternehmensgegenstand der Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist die Unternehmensberatung für kleinere und mittlere Unternehmen.

Die Antragstellerin erwarb mit Vertrag vom 18. Dezember 1990 sämtliche Anteile an der A-GmbH für 2.868.000 DM von deren Gesellschaftern, die jeweils nicht mehr als zu 1/4 an der A-GmbH beteiligt waren. Das Vermögen der A-GmbH war bereits vor Veräußerung weitgehend versilbert worden.

Am 20. Dezember 1990 gewährte die A-GmbH der Antragstellerin ein verzinsliches Darlehen in Höhe von 3.300.000 DM. Mit Beschluß vom 21. Dezember 1990 löste die Antragstellerin die A-GmbH zum 31. Dezember 1990 auf. Durch Gewinnverteilungsbeschluß vom 31. Dezember 1990 wurde der Gewinn der A-GmbH voll ausgeschüttet. Die A-GmbH zahlte weder die angemeldete Kapitalertragsteuer noch die Körperschaftsteuer 1990, sondern beantragte beim zuständigen Finanzamt die Verrechnung bzw. Stundung unter Hinweis auf eine Abtretung von Steuererstattungsansprüchen der Antragstellerin. Dieser Antrag wurde abgelehnt. Wegen eines Betrags in Höhe von .... wurde in die Konten der A-GmbH vollstreckt, die jedoch keine Guthaben mehr aufwiesen.

Die Antragstellerin verrechnete ihre Ansprüche gegen die A-GmbH auf Ausschüttung und aus der Abtretung von Steuererstattungsansprüchen mit dem Darlehensanspruch der A-GmbH und wies in ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1990 die verbliebene Darlehensverbindlichkeit von 417.713 DM gegenüber der A-GmbH, eine Forderung gegen Kreditinstitute in Höhe des von der A-GmbH erhaltenen Darlehens und eine Kontokorrentverbindlichkeit in Höhe von 2.882.425 DM aus, die durch Finanzierung des Anteilserwerbs entstanden war. Den ausgeschütteten Gewinn der A-GmbH zuzüglich anrechenbarer Körperschaftsteuer erfaßte die Antragstellerin als Ertrag und schrieb wegen Vollausschüttung die Beteiligung an der A-GmbH auf null DM ab. Die Kontokorrentverbindlichkeit wurde mit der von der A-GmbH gewährten Darlehensvaluta getilgt.

Die Antragstellerin wurde zunächst für 1990 erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung mit Bescheid vom 7. Mai 1991 veranlagt. Die festgesetzte Körperschaftsteuerschuld betrug 142.027 DM. Die Abrechnung wies nach Abzug von Kapitalertragsteuer und anrechenbarer Körperschaftsteuer und einer geleisteten Zahlung einen Erstattungsanspruch in Höhe von 1.601.667 DM aus. Zur Auszahlung dieses Erstattungsanspruchs kam es jedoch nicht. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) erließ vielmehr bereits am 17. Mai 1991 einen Körperschaftsteueränderungsbescheid, der weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand. Dieser wies ein zu versteuerndes Einkommen von ./. 188.320 DM und eine festgesetzte Körperschaftsteuer von null DM aus. Mit Schreiben vom 17. Mai 1991 begründete das FA die Änderung des Körperschaftsteuerbescheids mit der Annahme einer Steuerumgehung. Wie im Körperschaftsteueränderungsbescheid angekündigt, erließ das FA am 19. Juni 1991 eine geänderte Abrechnung, in der nur noch die von der Antragstellerin geleistete Zahlung als Überzahlung ausgewiesen wurde.

Am 31. Mai 1991 legte die Antragstellerin Einspruch ein mit dem Antrag, den Körperschaftsteueränderungsbescheid aufzuheben. Die von der Antragstellerin beantragte Aussetzung der Vollziehung lehnte das FA in einer Besprechung am 28. Juni 1991 ab.

Mit Schriftsatz vom 10. Juli 1991 stellte die Antragstellerin den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des geänderten Körperschaftsteuerbescheids und - sinngemäß - der geänderten Abrechnungsverfügung. Das Finanzgericht (FG) lehnte die Aussetzung der Vollziehung ab.

Mit ihrer Beschwerde begehrt die Antragstellerin zuletzt mit Schriftsatz vom 10. Juli 1992 die Aussetzung der Vollziehung des Körperschaftsteuerbescheides 1990 vom 17. Mai 1991 und der Abrechnung vom 19. Juni 1991 mit der Maßgabe, daß der Körperschaftsteuerbescheid 1990 vom 7. Mai 1991 wieder Wirksamkeit entfaltet.

Das FA hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist begründet.

1. Der Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung des Körperschaftsteueränderungsbescheides gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist nicht schon deswegen unbegründet, weil die Antragstellerin die Festsetzung einer höheren Körperschaftsteuer begehrt und es daher an einer Beschwer gemäß § 40 Abs. 2 FGO fehlen könnte.

Im Streitfall besteht die Besonderheit, daß die Kapitalertragsteuer und die Körperschaftsteuer nur dann auf die festgesetzte Körperschaftsteuer angerechnet werden können, wenn der Antragstellerin die streitigen Einkünfte aus Kapitalvermögen zuzurechnen sind. Gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) wird die durch den Steuerabzug erhobene Einkommensteuer (Kapitalertragsteuer) angerechnet, soweit sie auf die bei der Veranlagung erfaßten Einkünfte entfällt. Entsprechendes gilt für die Körperschaftsteuer gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG, wonach die Körperschaftsteuer in Höhe von 9/16 der Einnahmen i. S. des § 20 Abs. 1 Nrn. 1 oder 2 EStG anzurechnen ist. Die Bezugnahme auf Einnahmen i. S. des § 20 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 EStG bedeutet, daß diese Einnahmen bzw. Einkünfte gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. § 20 EStG in das Einkommen eingeflossen sind. Da somit die Anrechnung auf die festzusetzende Einkommen- oder Körperschaftsteuer nur auf Grund der Erfassung der Kapitaleinkünfte erreicht werden kann, ist die Antragstellerin durch die Nichterfassung von Kapitaleinkünften bei Ermittlung des zu versteuernden Einkommens beschwert (vgl. ähnlich Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. November 1985 VI R 238/80, BFHE 145, 198, BStBl II 1986, 186; bestätigt durch Urteil vom 13. November 1987 VI R 4/84, BFH/NV 1988, 566).

Wegen der Vollziehbarkeit des auf Null lautenden Körperschaftsteueränderungsbescheides wird auf den Beschluß des Senats vom 10. April 1992 I B 4/92 (BFH/NV 1992, 683) verwiesen.

2. Die Vollziehung des Körperschaftsteueränderungsbescheides ist im Streitfall gemäß § 69 Abs. 3 FGO auszusetzen, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nicht ausgeschlossen werden können.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sind gegeben, wenn bei summarischer Prüfung neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage oder Unklarheit in der Beurteilung einer Tatfrage bewirken (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z. B. Beschluß vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182). Die Gesetzeslage ist für die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen an einer Kapitalgesellschaft zum Zwecke der Liquidation aus mehreren Gesichtspunkten unklar. Entscheidungen des BFH oder der FG - mit Ausnahme des Beschlusses der Vorinstanz - liegen hierzu bislang nicht vor. Im Schrifttum wird das "Veräußerungsmodell" mit z. T. nicht unbeachtlichen Gründen als steuerlich zulässig beurteilt. Die im Streitfall zu klärenden Fragen können daher im summarischen Beschlußverfahren nicht abschließend entschieden werden (vgl. BFH-Beschluß vom 31. Juli 1970 III B 44/69, BFHE 100, 166, BStBl II 1970, 846).

Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Körperschaftsteueränderungsbescheides ist davon abhängig, ob ein Gestaltungsmißbrauch i. S. des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) vorliegt. Nach § 42 Satz 1 AO 1977 kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Ein Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten in diesem Sinne liegt nach ständiger Rechtsprechung des BFH vor, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die

- zur Erreichung des erstrebten wirtschaftlichen Ziels unangemessen ist,

- der Steuerminderung dienen soll und

- durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche außersteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist

(vgl. z. B. Entscheidungen des Großen Senats vom 29. November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, BStBl II 1983, 272; BFH-Urteile vom 21. November 1991 V R 20/87, BFHE 166, 506, BStBl II 1992, 446; vom 18. Dezember 1991 XI R 40/89, BFHE 166, 550, BStBl II 1992, 486; vom 17. Januar 1991 IV R 132/85, BFHE 163, 449, BStBl II 1991, 607; vom 19. Juni 1991 IX R 134/86, BFHE 164, 498, BStBl II 1991, 904; vom 25. Oktober 1979 VIII R 46/76, BFHE 129, 337, BStBl II 1980, 247). Der Tatbestand des § 42 AO 1977 setzt nicht voraus, daß die an der vertraglichen Gestaltung Beteiligten sog. nahestehende Personen sind (vgl. z. B. Beschluß des Großen Senats in BFHE 137, 433, BStBl II 1983, 272; BFH-Urteile vom 6. Juni 1991 V R 70/89, BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866; vom 4. Dezember 1985 II R 142/84, BFHE 145, 242, BStBl II 1986, 190).

Die Besonderheit des Streitfalles besteht darin, daß die Antragstellerin die Anteile an der A-GmbH primär nicht erworben hat, um ihre steuerlichen Verhältnisse, d. h. die Höhe der sie betreffenden Steuerfestsetzung günstig zu gestalten, sondern um sich durch den Anteilserwerb einen finanziellen Vorteil zu verschaffen, der nach Angaben der Antragstellerin 200.000 DM betragen hat. Die Antragstellerin erwarb - zumindest formalrechtlich noch - bestehende Gesellschaftsanteile. Ihr sollte entgegen § 101 Nr. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) der gesamte Gewinn der A-GmbH zustehen, und sie muß - da § 50 c EStG tatbestandmäßig nicht eingreift - im Anschluß an die Gewinnausschüttung bzw. Liquidation nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung unter Beachtung steuerlicher Bewertungsgrundsätze die erworbenen Gesellschaftsanteile auf Null abschreiben. Die Differenz zwischen dem gezahlten Kaufpreis und der höheren Gewinnausschüttung hat die Antragstellerin steuerlich als Gewinn erklärt. Dementsprechend war das von ihr erklärte zu versteuernde Einkommen und die sich daraus ergebende Körperschaftsteuer höher als vom FA festgesetzt.

Der Senat verkennt nicht, daß § 42 AO 1977 nicht nur die zur Vermeidung einer Besteuerung gestaltete formale Rechtslage, sondern - wie z. B. den Fällen der Zwischenvermietung in der Rechtsprechung des V. Senats des BFH zu entnehmen ist - auch die rechtsmißbräuchliche Gestaltung zum Zwecke der Verwirklichung einer begünstigenden Rechtsvorschrift erfaßt (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 16. Januar 1992 V R 1/91, BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541, m. w. N.). Dies wird bei summarischer Betrachtung für die Anrechnungsverfügung auch bezüglich des § 36 Abs. 2 EStG zu gelten haben. Allerdings bestehen insoweit ernstliche Zweifel, ob aus der Sicht der Antragstellerin eine unangemessene Gestaltung zum Zweck der Steueranrechnung vorliegt, weil die Anrechnung notwendiger- und damit typischerweise den Anteilserwerb voraussetzt.

Die besondere Problematik, über die, soweit ersichtlich, höchstrichterlich auch in Fällen des bejahten Gestaltungsmißbrauchs noch nicht entschieden wurde, liegt im Streitfall daher darin, daß es hier um die Besteuerung eines Steuerpflichtigen geht, der in seiner Person die Voraussetzungen des § 42 Satz 1 AO 1977 - jedenfalls bei summarischer Betrachtung - nicht erfüllt, (möglicherweise) aber unerläßlicher Partner eines Rechtsgeschäfts ist, das steuerlich aus der Sicht des Geschäftspartners einen Gestaltungsmißbrauch darstellt. Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Körperschaftsteueränderungsbescheides bzw. der Anrechnungsverfügung hängt daher von den bislang ungeklärten Rechtsfragen ab, ob

a) die Veräußerung der Anteile an der A-GmbH aus der Sicht der Anteilsveräußerer die Voraussetzung eines Gestaltungsmißbrauchs erfüllt

und

b) die von § 42 Satz 2 AO 1977 angeordnete Rechtsfolge nicht nur die ursprünglichen Anteilseigner, sondern spiegelbildlich auch die Besteuerung der Antragstellerin als Vertragspartnerin erfaßt.

Zu a)

Im Schrifttum wird die Frage, ob die Anteilsveräußerung zum Zweck der Liquidation einen Gestaltungsmißbrauch darstellt, gegensätzlich beantwortet (vgl. Herzig, Betriebs-Berater - BB - 1981, 109/111; derselbe, Der Betrieb - DB - 1980, 1605; Goutier/Spönlein, GmbH-Rundschau - GmbHR - 1985, 264/275; Streck, Deutscher Steuerberatertag 1989, 171; derselbe, Die Steuerberatung - Stbg - 1992, 71; Dötsch/Ebersberg/Jost/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 17 EStG Rdnrn. 47, 48; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 17 EStG Rdnr. 355; Hörger in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, § 17 Rdnr. 91; Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 17 Rdnr. 117; Weindl, BB 1992, 1467; vgl. auch Schmidt, Einkommensteuergesetz, 10. und 11. Aufl., jeweils § 17 Rdnr. 34 a).

Bei summarischer Betrachtung ist im Grundsatz davon auszugehen, daß die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen vor der Liquidation bei Vorliegen beachtlicher wirtschaftlicher Gründe, wie z. B. der Verlagerung von Liquidationsaufgaben und -risiken (vgl. z. B. Hörger in Littmann/Bitz/Meincke, a. a. O., § 17 Rdnr. 91), auch bei ungewöhnlicher Vertragsgestaltung keinen Gestaltungsmißbrauch darstellt. Eine Vertragsgestaltung ist im allgemeinen nicht schon deswegen unangemessen, weil sie der Steuerersparnis bzw. der Erlangung eines Steuervorteils dient (vgl. Großer Senat des BFH in BFHE 137, 433, BStBl II 1983, 272). Andererseits sind aber Gestaltungen denkbar, die im Einzelfall zur Annahme eines Mißbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten bei der Veräußerung von Gesellschaftsanteilen zum Zwecke der Liquidation führen, wie im übrigen auch von den Befürwortern des "Veräußerungsmodells" nicht verkannt wird (vgl. Herzig, a. a. O.; Streck, DeuStBT 1989, 171; Langholz/Keßler, Neue Wirtschafts-Briefe - NWB -, Blickpunkt Steuern 2/92, 3; Dötsch/Ebersberg/Jost/Witt, a. a. O., § 17 EStG Rdnr. 48; Weindl, a. a. O.). Die Aufgabe, die Grenze zwischen steuerlich zulässiger und unzulässiger Gestaltung zu ziehen, muß in Anbetracht der Auseinandersetzung im Schrifttum dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Dabei wird auch zu klären sein, ob die "Verflüssigung" des Stammkapitals vor Ablauf des Sperrjahres gemäß § 73 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG - für die ursprünglichen Anteilseigner als außersteuerlicher Grund eine ungewöhnliche Gestaltung rechtfertigen kann. Zu b)

Rechtlich ungeklärt ist die sich an eine Bejahung des Gestaltungsmißbrauchs im Streitfall anschließende Frage nach den Rechtsfolgen des § 42 AO 1977 bei der Antragstellerin.

Der Zweck des § 42 AO 1977 liegt darin, unabhängig von der Zivilrechtslage den wirtschaftlich angemessenen Sachverhalt der Besteuerung zugrunde zu legen (§ 42 Satz 1 AO 1977; vgl. auch z. B. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 42 AO 1977 Rdnr. 19). Eine doppelte Besteuerung, d. h. eine Besteuerung der tatsächlichen und der angemessenen Gestaltung scheidet zweifelsfrei aus (vgl. Regierungsbegründung BTDrucks VI/1982 zu § 45; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 42 AO 1977 Rdnr. 114; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 42 AO 1977 Anm. 5 B; Tipke/Kruse, a. a. O., § 42 AO 1977 Tz. 19), denn § 42 AO 1977 bezweckt keine Strafsteuer bzw. keine sachlich ungerechtfertigte Vermehrung des Steueraufkommens. Daraus folgt bei summarischer Betrachtung, daß die Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht sowohl bei den ursprünglichen Anteilseignern als auch bei der Antragstellerin angesetzt werden können, was jedoch jeweils Tatbestandsvoraussetzung für die Anrechnung der erhobenen Kapitalertragsteuer nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG und der Körperschaftsteuer gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG wäre (s. oben Nr. 1). Es entspräche zwar der Gesetzessystematik, bei Anwendung des § 42 Satz 2 AO 1977 sowohl die Einkünfte aus Kapitalvermögen als auch die anrechenbaren Steuern bei den ursprünglichen Anteilseignern zu berücksichtigen. Insbesondere die Anrechnung der Körperschaftsteuer stößt aber insoweit auf tatsächliche und rechtliche Probleme, als sie gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 b EStG i. V. m. § 44 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) eine Bescheinigung voraussetzt, die von der ausschüttenden Kapitalgesellschaft auf den Namen der Anteilseigner auszustellen ist (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 KStG). Der Anteilseigner bestimmt sich für die Kapitalgesellschaft, die zudem für eine unrichtige Bescheinigung haftet (§ 44 Abs. 6 KStG), grundsätzlich nach der zivilrechtlichen Gesellschafterstellung. Anteilseigner i. S. des § 44 Abs. 1 Nr. 1 KStG ist daher grundsätzlich die Antragstellerin. Rechnet man wegen § 42 Satz 2 AO 1977 die Einkünfte aus § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG den Veräußerern der Anteile zu, so könnte formal-rechtlich letztlich bei keinem an der Anteilsveräußerung Beteiligten ein Körperschaftsteuerguthaben angerechnet werden. Da mehrere Lösungsmöglichkeiten denkbar sind, muß es dem Hauptsacheverfahren vorbehalten werden, diese Unstimmigkeiten zu klären.

3. Die genannten Zweifel über die Zurechnung der Einkünfte nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG erfassen nach der Gesetzessystematik (§ 36 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 EStG) auch die angefochtene Anrechnungsverfügung. Ggf. wird im Hauptsacheverfahren auch zu klären sein, ob eine durch Abtretung des Erstattungsanspruchs "abgeführte" Kapitalertragsteuer i. S. des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG "erhoben" ist und ob § 36 a Abs. 2 EStG über den eigentlichen Wortlaut hinaus auch auf den Streitfall Anwendung finden kann. Letzteres ist jedenfalls für das summarische Verfahren schon wegen des Wortlauts der gesetzlichen Bestimmung nicht zweifelsfrei.

4. Die Aussetzung der Vollziehung erfolgt gegen Sicherheitsleistung gemäß § 121 i. V. m. § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO.

Die Sicherheitsleistung soll Steuerausfälle nach einem für den Steuerpflichtigen ungünstigen Prozeßausgang vermeiden. Sie ist daher angebracht, wenn die wirtschaftliche Lage des Steuerpflichtigen die Steuerforderung als wirtschaftlich gefährdet erscheinen läßt (vgl. BFH-Urteil vom 6. Februar 1990 VII R 48/87, BFH/NV 1991, 3). Dies ist hier nach den eigenen Angaben der Antragstellerin der Fall.

Nach dem von der Antragstellerin im Rahmen des Verfahrens vorgelegten "Status" vernichtet die Versagung der Aussetzung der Vollziehung wegen Überschuldung die Existenz der Antragstellerin. Daraus folgt, daß bei einem für die Antragstellerin negativen Ausgang des Hauptsacheverfahrens die Antragstellerin voraussichtlich nicht mehr in der Lage sein wird, den Rückzahlungsbetrag in Höhe von 1.598.767 DM zuzüglich Zinsen für die Aussetzung der Vollziehung zu zahlen, zumal sie bereits jetzt einen Betrag in Höhe von 1.275.399 DM abgetreten hat. Die von der Antragstellerin jährlich erzielten Gewinne aus ihrer gewöhnlichen Geschäftstätigkeit ermöglichen eine Rückzahlung nicht. Von der Sicherheitsleistung kann auch nicht deswegen Abstand genommen werden, weil die angefochtenen Bescheide mit Sicherheit oder großer Wahrscheinlichkeit rechtswidrig sind (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 69 Rdnr. 164, m. w. N.). Der Senat hat im Aussetzungsverfahren im wesentlichen die seitens der Literatur für die Zulässigkeit des "Veräußerungsmodells" geltend gemachten Gesichtspunkte zugunsten des Bestehens einer unklaren Gesetzeslage berücksichtigt. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, daß die angefochtenen Verwaltungsakte mit großer Wahrscheinlichkeit rechtswidrig sind, zumal im Streitfall hinzukommt, daß das Vermögen der A-GmbH bereits vor der Anteilsveräußerung nach den Feststellungen des FG "versilbert" war.

Die Sicherheitsleistung ist gemäß § 155 FGO i. V. m. § 108 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) zu leisten. Diese Sicherheit kann durch Bürgschaft einer angesehenen Bank oder in der Form des § 108 Abs. 1 Satz 2 ZPO geleistet werden. Die Höhe der Sicherheitsleistung ergibt sich aus dem durch die Aussetzung der Vollziehung entstehenden Erstattungsbetrag zuzüglich geschätzter Zinsen für die Aussetzung der Vollziehung gemäß § 237 AO 1977. Für die Höhe der Zinsen für die Aussetzung der Vollziehung legt der Senat nur einen Zeitraum von ca. einem halben Jahr zugrunde, das mindestens bis zum voraussichtlichen Abschluß des Einspruchsverfahrens ablaufen wird.

Auf die Sicherheitsleistung kann auch nicht in Höhe der an die A-GmbH abgetretenen Steuererstattungsansprüche verzichtet werden. Sollte die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren unterliegen, so hat s i e den vollen Erstattungsbetrag zuzüglich der bis dahin angefallenen Zinsen für die Aussetzung der Vollziehung zu zahlen.