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  BFH-Urteil vom 17.11.1992 (VII R 13/92) BStBl. 1993 II S. 471

Zum Zeitpunkt der Anmeldung und Fälligkeit der einzubehaltenden Lohnsteuer und seine Auswirkung auf die Geschäftsführerhaftung.

AO 1977 §§ 34, 69; EStG §§ 38 Abs. 3, 41 a Abs. 1.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war Geschäftsführer und Mitgesellschafter einer GmbH. Wegen bestehender Steuerrückstände nahm der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) am 20. Mai 1985 eine Kontopfändung bei der GmbH vor. Der Kläger überwies die Löhne und Gehälter der Arbeitnehmer der GmbH für den Monat Juni 1985 am 2. Juli 1985 von seinem privaten Girokonto. Am 5. Juli 1985 stellte er den Konkursantrag für die GmbH. Das Amtsgericht erließ am 11. Juli 1985 ein allgemeines Verfügungsverbot und ordnete die Sequestration an. Am 6. November 1986 wurde das Konkursverfahren eröffnet und am 9. Oktober 1987 nach Abhaltung des Schlußtermins wieder aufgehoben.

Die Lohnsteuern und Kirchenlohnsteuern für die im Juli 1985 überwiesenen Löhne und Gehälter meldete der Kläger zwar an, sie wurden aber nicht entrichtet. Darauf nahm das FA den Kläger für die nicht abgeführten Lohn- und Kirchenlohnsteuern nebst Säumniszuschlägen als Haftungsschuldner gemäß §§ 34, 69 der Abgabenordnung (AO 1977) in Anspruch.

Nach erfolglosem Vorverfahren gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt. Zur Begründung führte es u. a. aus, die Lohnzahlungen aus privaten Geldmitteln des Klägers als GmbH-Gesellschafter hätten nicht zu einer Haftung wegen Nichtabführung der Lohnsteuern geführt. Denn diese privaten Mittel seien nicht zu Mitteln der GmbH geworden, über die der Kläger als Geschäftsführer hätte verfügen können.

Mit der vom FG zugelassenen Revision macht das FA geltend, die Gehaltszahlungen seien zwar aus privaten Mitteln direkt an die Arbeitnehmer geleistet worden, tatsächlich habe es sich aber um Mittel der GmbH gehandelt. Dies folge aus der besonderen Stellung des Klägers als Gesellschafter-Geschäftsführer. Der Kläger sei auch zum Zeitpunkt der Gehaltszahlungen in der Lage gewesen, über Gesellschaftsvermögen zu verfügen.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Der Kläger begehrt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen. Er macht geltend, aufgrund der Pfändungsverfügung, des Konkursantrags und des gerichtlichen Verfügungsverbots als Geschäftsführer nicht in der Lage gewesen zu sein, zum Zeitpunkt des Fälligkeitstermins der Lohnsteuer über Gesellschaftsvermögen zu verfügen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist nicht begründet. Das FG hat im Ergebnis zu Recht eine Haftung des Klägers für rückständige Lohn- und Kirchenlohnsteuern der GmbH verneint.

1. Nach § 34 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. § 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) hat der Geschäftsführer einer GmbH u. a. die Pflichten zu erfüllen, die der GmbH als Arbeitgeberin beim Lohnsteuerabzug obliegen, insbesondere die auf § 38 Abs. 3 und § 41 a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) beruhende Pflicht, bei jeder Lohnzahlung die Lohnsteuer für die Arbeitnehmer einzubehalten und an das FA abzuführen. Werden Ansprüche aus einem Steuerschuldverhältnis der GmbH infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der dem Geschäftsführer auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt, haftet der Geschäftsführer insoweit persönlich (§ 69 AO 1977). Es kann dahinstehen, ob die Haftung des GmbH-Geschäftsführers wegen Nichtabführung der Lohnsteuer auch dann eingreift, wenn er - zugleich als Gesellschafter - die Lohnzahlungen aus seinem privaten Vermögen erbringt (vgl. hierzu Senatsurteil vom 21. Oktober 1986 VII R 144/83, BFH/NV 1987, 286). Im Streitfall kommt jedenfalls aus anderen Gründen eine Haftung nicht in Betracht.

2. Eine auf § 69 AO 1977 gestützte Inanspruchnahme des Klägers scheidet aus, weil er zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Lohnsteuerschuld nicht mehr befugt war, über Mittel der GmbH zu verfügen. Selbst wenn er Lohnsteuerabzugsbeträge bereits bei der Lohnzahlung abgesondert und zur fristgerechten Abführung an das FA bereitgehalten hätte, hätte er diese im Zeitpunkt der Fälligkeit der Lohnsteuer nicht entrichten dürfen. Zu diesem Zeitpunkt bestand bereits das gerichtlich angeordnete Verfügungsverbot über das Vermögen der GmbH.

a) Der Arbeitgeber ist gemäß § 41 a Abs. 1 EStG verpflichtet, spätestens am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums dem FA die Summe der in diesem Zeitraum einzubehaltenden Lohnsteuer anzugeben und die im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum einbehaltene Lohnsteuer an das FA abzuführen. Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum ist dabei grundsätzlich der Kalendermonat (§ 41 a Abs. 2 Satz 1 EStG).

Vom Arbeitslohn einzubehalten hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG). Eine Lohnzahlung ist erfolgt, wenn dem Arbeitnehmer der Arbeitslohn zugeflossen ist, er also über den Arbeitslohn wirtschaftlich verfügen kann und die Steuer somit entstanden ist (§ 38 Abs. 2 Satz 2 EStG). Vom laufenden Arbeitslohn wird die Lohnsteuer jeweils mit dem auf den Lohnzahlungszeitraum entfallenden Teilbetrag der Jahreslohnsteuer erhoben, die sich bei Umrechnung des laufenden Arbeitslohnes auf einen Jahresarbeitslohn ergibt (§ 38 a Abs. 3 Satz 1 EStG). Die Durchführung des Abzugs der Lohnsteuer vom laufenden Arbeitslohn richtet sich sodann nach den in § 39 b Abs. 2 EStG vorgezeichneten Schritten. Der Arbeitgeber hat die Lohnsteuer nach Feststellung der Höhe des laufenden Arbeitslohns und des Lohnzahlungszeitraums einzubehalten.

b) Maßgebend für den Zeitpunkt der Einbehaltung ist also der Zeitpunkt der Lohnzahlung (Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 11. Aufl., 1992, § 41 a Anm. 1; Blümich/Falk/Wehmeyer, Einkommensteuergesetz, § 41 a Rdnr. 2). Dieser Zeitpunkt ist auch für die Lohnsteuer-Anmeldung von Bedeutung (vgl. Gosch, Der Zeitpunkt der Lohnversteuerung bei Sachzuwendungen, Finanz-Rundschau 1988, 119, 120).

Im Streitfall wurden den Arbeitnehmern der GmbH die vertraglich für den Monat Juni 1985 geschuldeten Löhne erst am 2. Juli 1985 überwiesen. Sie sind ihnen also erst nach diesem Zeitpunkt zugeflossen. Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum für diese Lohnzahlungen war damit der Monat Juli 1985, und die sich aus § 41 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ergebende Frist für die Abführung der Lohnsteuer endete am 10. August 1985. Bereits am 11. Juli 1985 war jedoch vom Amtsgericht ein allgemeines Verfügungsverbot über das Vermögen der GmbH und Sequestration angeordnet worden, nachdem der Kläger am 5. Juli 1985 den Antrag auf Konkurseröffnung gestellt hatte (vgl. § 106 Abs. 1 Satz 2 der Konkursordnung). Zum Zeitpunkt der Fälligkeit der abzuführenden Lohnsteuer - 10. August 1985 - war der Kläger also rechtlich nicht mehr in der Lage, evtl. einbehaltene Lohnsteuer für die GmbH abzuführen. Soweit der Senat im Urteil vom 11. Dezember 1990 VII R 85/88 (BFHE 163, 119, BStBl II 1991, 282) - dort ohne nähere Erörterung - den Zeitpunkt für die Fälligkeit der einbehaltenen und abzuführenden Lohnsteuer anders bestimmt hat, hält er daran nicht fest.

c) Wenn der Kläger auch - wie das FA meint - verpflichtet gewesen sein mag, bei Überweisung der Löhne die Lohnsteuerabzugsbeträge einzubehalten, und er gegen diese Pflicht verstoßen haben mag, so war eine solche Pflichtverletzung bei der vorliegenden Sachverhaltsgestaltung für einen für die Haftung erforderlichen Schaden des FA jedenfalls nicht ursächlich.

aa) Nach § 69 AO 1977 muß die Pflichtverletzung der in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen ursächlich dafür sein, daß die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind. Es muß feststehen, daß der im Gesetz bezeichnete Haftungsschaden ohne die Pflichtverletzung nicht eingetreten wäre (ständige Rechtsprechung, vgl. die Nachweise bei Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 69 AO 1977 Tz. 6; näher dazu Hein, Haftet der GmbH-Geschäftsführer für Steuern, die erst nach Niederlegung seines Amtes fällig werden?, Deutsches Steuerrecht 1988, 65, 67).

Die Kausalität richtet sich wie bei den zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen nach der sog. Adäquanztheorie. Danach können nur solche Pflichtverletzungen für den Erfolg ursächlich sein, die allgemein oder erfahrungsgemäß geeignet sind, diesen Erfolg zu verursachen (Tipke/Kruse, a. a. O.; Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 51. Aufl., 1992, Vorbem. § 249 Anm. 5 A c). Sofern ein Unterlassen in Betracht kommt, muß, um die Ursächlichkeit bejahen zu können, die unterbliebene Handlung hinzugedacht werden und dies zu dem Ergebnis führen, daß der Schaden ohne das Unterlassen nicht eingetreten wäre; die bloße Möglichkeit oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Nichteintritts genügen dazu nicht (Urteile des Bundesgerichtshofs vom 30. Januar 1961 III ZR 225/59, Neue Juristische Wochenschrift 1961, 868, 870; vom 19. Februar 1975 VIII ZR 144/73, BGHZ 64, 46, 51; Palandt/Heinrichs, a. a. O., Vorbem. § 249 Anm. 5 B i).

bb) Im Streitfall wäre dem Kläger allenfalls ein Unterlassen vorzuwerfen. Aufgrund der mangelnden Zahlungsfähigkeit der GmbH Ende Juni/Anfang Juli 1985 könnte er - soweit § 34 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 auf den Streitfall Anwendung findet - verpflichtet gewesen sein, die Löhne nach Maßgabe der aus seinem Privatvermögen hingegebenen Mittel zum Zwecke des Lohnsteuereinbehalts zu kürzen und die so gewonnenen Mittel abzusondern und bis zum Zeitpunkt der Fälligkeit zur Abführung an das FA bereitzuhalten (vgl. Senatsurteil vom 20. April 1982 VII R 96/79, BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521).

Die Beachtung der aufgezeigten Voraussetzungen für die Kausalität führt im Streitfall aber zu dem Ergebnis, daß selbst bei Annahme einer Pflichtverletzung des Klägers diese für die Nichtentrichtung der Steuern nicht ursächlich geworden wäre. Denn der Kläger hätte am Fälligkeitstag - 10. August 1985 - infolge des in der Zwischenzeit angeordneten gerichtlichen Verfügungsverbots auf die Abführung der Steuern auch dann keinen Einfluß mehr gehabt, wenn er die Abzugsbeträge bereits bei der Lohnzahlung durch Kürzung der Nettolöhne abgesondert und zur fristgerechten Abführung an das FA bereitgehalten hätte. Ob der vom Amtsgericht bestellte Sequestor etwaige, vom Kläger zur Befriedigung des FA bereitgehaltene Mittel bei ihrer Fälligkeit an das FA abgeführt hätte, ist keineswegs sicher. Die bloße Möglichkeit der Steuerentrichtung reicht aber, wie dargelegt, zur Bejahung der Kausalität nicht aus.