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  BFH-Urteil vom 28.1.1993 (IV R 131/91) BStBl. 1993 II S. 509

Eine ungewisse Verbindlichkeit bleibt Bestandteil des Betriebsvermögens/Sonderbetriebsvermögens, auch wenn das Einzelunternehmen, in dem sie entstanden ist, in eine Personengesellschaft eingebracht und später die Personengesellschaft real geteilt wird.

EStG § 4 Abs. 1; UmwStG § 24.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte in den Streitjahren (1983 und 1984) Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit als Steuerberater. Die Einkünfte wurden durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelt. Mit Wirkung zum 1. Januar 1984 brachte der Kläger seine Praxis, die er in zwei Büros in K und R ausübte, in eine Sozietät mit einem anderen Steuerberater ein, an der dieser und der Kläger zu je 1/2 beteiligt waren. Der andere Sozius zahlte dem Kläger zum Ausgleich einen Betrag von 310.000 DM für die übergegangenen anteiligen Werte (Praxiswert und Inventar). Die Sozietät wurde bereits im September 1984 wieder aufgelöst. Dabei wurden im Wege der Realteilung die Praxis R dem Sozius, die Praxis K dem Kläger übertragen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erfaßte aus der Einbringung der Sozietät und der damit zusammenhängenden Ausgleichszahlung einen Veräußerungsgewinn in Höhe von 278.714 DM, den es bei der Einkommensteuerveranlagung des Klägers für 1983 der Besteuerung nach dem Tarif unterwarf.

In der Einzelpraxis des Klägers bis 1983 und danach bis in das Jahr 1986 hinein, auch in der Praxis der Sozietät sowie der ab 1. Oktober 1984 vom Kläger wieder betriebenen Einzelpraxis, hatte ein Angestellter Mandantengelder unterschlagen. Die Unterschlagung wurde 1986, jedoch vor Aufstellung der Bilanz 1985, bekannt. Daraufhin bildete der Kläger in der Bilanz 1985 gewinnmindernd eine Rückstellung in Höhe von 600.000 DM für Schadensersatzansprüche von Mandanten. Daraus ergab sich 1985 ein Verlust bei den Einkünften aus freiberuflicher Arbeit, den der Kläger bei der Einkommensteuerveranlagung der Streitjahre im Wege des Verlustrücktrags berücksichtigte.

Das FA kürzte die Rückstellung um den Betrag, der anteilig auf die in der ursprünglichen Einzelpraxis (K und R) bis zum 31. Dezember 1983 begangenen Unterschlagungen entfiel (412.699 DM). Dazu vertrat das FA die Auffassung, nach der Einbringung der alten Einzelpraxis in die Sozietät könnten nachträgliche Betriebsausgaben aus der beendeten Einzelpraxis nicht mehr durch Bildung einer Rückstellung in der Bilanz der neuen Einzelpraxis, sondern nur noch im Jahr der tatsächlichen Inanspruchnahme aus den Verpflichtungen berücksichtigt werden. Die Kürzung des Verlustrücktrags hatte zur Folge, daß sich für die Streitjahre jeweils noch eine Einkommensteuerschuld ergab. Diese wurde mit Bescheiden vom 17. Mai 1988 festgesetzt. Die Einsprüche dagegen wurden durch die Einspruchsentscheidungen vom 27. Juli 1989 als (insoweit) unbegründet zurückgewiesen. Die Klage dagegen blieb ohne Erfolg. Gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) richtet sich die vom Senat gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassene Revision des Klägers, mit der Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

Der Kläger beantragt, das FG-Urteil und die Einspruchsentscheidungen aufzuheben und die Einkommensteuer für die Streitjahre unter Änderung der Steuerbescheide vom 17. Mai 1988 auf jeweils 0 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung durch das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Auf Grund der Unterschlagung von Mandantengeldern durch einen Praxisangestellten des Klägers ist es zu Schadensersatzverpflichtungen des Klägers gekommen. Diese Verpflichtungen waren Betriebsschulden, denen bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG durch Passivierung einer entsprechenden ungewissen Verbindlichkeit (Rückstellung) Rechnung getragen werden mußte (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. Juli 1976 IV R 172/72, BFHE 119, 564, BStBl II 1976, 781). Da die Unterschlagungen erst im Jahre 1986 (vor Aufstellung der Bilanz 1985) aufgedeckt wurden, kam es zur Passivierung der Verbindlichkeit erstmals in der Bilanz zum 31. Dezember 1985.

2. Entgegen der Auffassung des FA und des FG mußten bei der Passivierung zum 31. Dezember 1985 auch die noch in der ursprünglichen Einzelpraxis vor dem 1. Januar 1984 begangenen Unterschlagungen berücksichtigt werden.

a) Die Verbindlichkeiten aus den Unterschlagungen waren durch die Einbringung der Praxis in die Sozietät nicht Privatvermögen des Klägers geworden, sie waren vielmehr Betriebsvermögen geblieben. Eine betrieblich begründete ungewisse Verbindlichkeit bleibt grundsätzlich auch nach der Veräußerung oder Aufgabe des Betriebs Betriebsvermögen (vgl. BFH-Urteile vom 26. Januar 1989 IV R 86/87, BFHE 156, 141, BStBl II 1989, 456; vom 28. Februar 1990 I R 205/85, BFHE 159, 523, BStBl II 1990, 537). Entsprechendes gilt bei der Einbringung eines Betriebs in eine Personengesellschaft (§ 24 des Umwandlungs-Steuergesetzes - UmwStG -), auch wenn die Gesellschaft als solche die Verbindlichkeit als solche nicht übernimmt.

b) Wäre die Verbindlichkeit bereits zu einem Zeitpunkt bekannt gewesen, zu dem eine Bilanz für die Sozietät hätte erstellt werden müssen, so hätte die Verbindlichkeit zwar nicht in der Bilanz der Sozietät, jedoch als Verbindlichkeit des Klägers als Mitunternehmer der Sozietät in einer Sonderbetriebsvermögensbilanz des Klägers passiviert werden müssen. In Sonderbilanzen werden (aktive und passive) Wirtschaftsgüter ausgewiesen, die wirtschaftlich eng mit dem Betrieb der Gesellschaft verbunden sind, insbesondere Wirtschaftsgüter, die der Gesellschaft zur Nutzung überlassen werden, und die damit zusammenhängenden Verbindlichkeiten (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 23. Mai 1991 IV R 94/90, BFHE 164, 540, BStBl II 1991, 800). Im Streitfall ergibt sich die wirtschaftliche Verbindung zwischen der Schadensersatzverpflichtung und dem mitunternehmerischen Betrieb der Sozietät daraus, daß der Kläger den Betrieb, in dem die Verbindlichkeit entstanden war, in die Sozietät eingebracht und seine bisherige freiberufliche Tätigkeit, wenn nunmehr auch gemeinsam mit einem Sozius, fortgeführt hat. Der Besonderheit, daß die Schadensersatzverpflichtung nicht die Sozietät als solche, sondern den Kläger belastet, wäre durch Bilanzierung der Rückstellung zu Lasten des Gewinnanteils des Klägers Rechnung zu tragen gewesen.

c) Nach Auflösung der Sozietät setzte der Kläger seine freiberufliche Tätigkeit wiederum fort, wenn auch nunmehr beschränkt auf die Praxis in K und damit in einem verringerten Umfang. Wäre die Schadensersatzverbindlichkeit bereits früher aufgedeckt und als Wirtschaftsgut des notwendigen Betriebsvermögens des Klägers im Rahmen der Sozietät passiviert worden, so wäre es bei der Realteilung zur Zuweisung der Verbindlichkeiten zu dem vom Kläger übernommenen Praxisteil gekommen. Zu einer entsprechenden Bilanzierung muß es auch im Streitfall kommen, in dem die Verbindlichkeit erst nach der Realteilung der Sozietät bekannt geworden ist. Nachdem die Unterschlagungen aufgedeckt waren, mußte deshalb die Rückstellung in der vom Schadensumfang gebotenen Höhe auch für die früheren Unterschlagungsfälle (vor dem 1. Januar 1984) gebildet werden.

3. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen und dementsprechend zu einem anderen Ergebnis gekommen. Das Urteil des FG war danach aufzuheben.

Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat, von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht, keine Feststellungen zur Höhe der ungewissen Verbindlichkeiten getroffen. Das FG wird dies nachholen und entsprechend entscheiden.