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  BFH-Beschluß vom 22.3.1993 (XI R 23, 24/92) BStBl. 1993 II S. 514

1. Eine Verletzung des Grundsatzes der mündlichen Verhandlung (§ 90 Abs. 1 FGO) kann im Wege der zulassungsfreien Revision nicht nach § 116 Abs. 1 Nr. 4 FGO wegen Verletzung der Öffentlichkeit des Verfahrens, sondern nur nach § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO wegen Fehlens der ordnungsmäßigen Vertretung gerügt werden.

2. Die Trennung eines Klageverfahrens ist in jedem Verfahrensstadium zulässig. Nach der Trennung ist grundsätzlich in getrennten Verfahren zu verhandeln und zu entscheiden. Die bis zur Trennung vorgenommenen Prozeßhandlungen bleiben aber wirksam und bedürfen nicht der Wiederholung.

3. Mängel der Verkündung eines Urteils werden durch dessen nachfolgende fehlerfreie Zustellung geheilt.

FGO § 73 Abs. 1, § 104 Abs. 1, § 116 Abs. 1 Nrn. 3 und 4.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt ein Taxiunternehmen als Einzelfirma; er ist außerdem Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH. Seine mit ihm zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Ehefrau, die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), ist bei ihm seit 1967 angestellt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erkannte nach Durchführung einer Außenprüfung dieses Arbeitsverhältnis ab August 1982 steuerlich nicht mehr an, weil das Gehalt der Klägerin seitdem auf ein gemeinsames Konto der Eheleute überwiesen worden war. Außerdem behandelte das FA einen Baukran, den der Kläger 1983 mit privaten Mitteln erworben und an die GmbH vermietet hatte, als Betriebsvermögen der GmbH, nicht aber des Einzelunternehmens des Klägers. Der Mietvertrag war tatsächlich nicht durchgeführt worden; insbesondere hatte die GmbH an den Kläger keine Mietzinsen entrichtet. Gegen die Kläger ergingen daraufhin für 1982 bis 1984 geänderte Einkommensteuerbescheide, gegen den Kläger geänderte Gewerbesteuermeßbescheide.

Die dagegen von den Klägern gemeinschaftlich erhobenen und beim Finanzgericht (FG) unter dem Az. 1 K 287/87 E, G geführten Klagen blieben erfolglos. Das FG wies sie durch Urteile vom 12. Februar 1992 1 K 287/87 E (wegen Einkommensteuer 1982 bis 1984) und 1 K 671/87 G (wegen Gewerbesteuermeßbescheiden 1982 bis 1984) als unbegründet ab. Die Revisionen wurden nicht zugelassen. - Vorangegangen war die mündliche Verhandlung vom 12. Februar 1992, in der noch unter dem Az. 1 K 287/87 E, G sowohl in der Sache wegen Einkommensteuer als auch in der Sache wegen Gewerbesteuermeßbescheiden 1982 bis 1984 verhandelt worden war. Nach der mündlichen Verhandlung, aber vor Verkündung der Urteile am 12. Februar 1992 war das bisher einheitliche Verfahren durch Beschluß des Senats getrennt worden. Der Trennungsbeschluß ist den Klägern bzw. dem Kläger zusammen mit den beiden Urteilen am 15. April 1992 zugestellt worden.

Mit ihren auf § 116 Abs. 1 Nr. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützten Revisionen rügen die Kläger bzw. rügt der Kläger Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens. Sie sind der Auffassung, die angefochtenen Urteile seien ohne mündliche Verhandlung ergangen. Nachdem das FG - nach der am 12. Februar 1992 durchgeführten mündlichen Verhandlung - die Trennung des ursprünglich einheitlichen Klageverfahrens beschlossen habe, sei es erforderlich gewesen, in jedem der beiden Verfahren erneut und getrennt mündlich zu verhandeln. Die vor Ergehen des Trennungsbeschlusses vom 12. Februar 1992 durchgeführte mündliche Verhandlung habe den am Ende der Sitzung verkündeten beiden Urteilen nicht zugrunde gelegt werden dürfen.

Die Kläger bzw. der Kläger beantragen, die Urteile des FG Düsseldorf vom 12. Februar 1992 aufzuheben und die Sachen zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revisionen gegen die Urteile des FG Düsseldorf vom 12. Februar 1992 zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen (§ 73 Abs. 1 FGO) Revisionen sind unzulässig.

Gegen das Urteil eines FG steht den Beteiligten die Revision zu, wenn das FG oder der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat (§ 115 Abs. 1 FGO i. V. m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG - i. d. F. des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren - VGFGBeschlG -). Einer Zulassung der Revision bedarf es nicht, wenn einer der in § 116 Abs. 1 FGO genannten Verfahrensmängel gerügt wird. Im Streitfall ist keine dieser Voraussetzungen erfüllt.

Die Revisionen sind weder vom FG noch vom BFH zugelassen worden.

Sie sind auch nicht ohne Zulassung nach § 116 Abs. 1 FGO statthaft. Zwar haben die Kläger bzw. hat der Kläger die Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens gerügt und damit einen Verfahrensmangel nach § 116 Abs. 1 Nr. 4 FGO geltend gemacht. Verfahrensmängel i. S. von § 116 Abs. 1 FGO sind jedoch nur dann ordnungsgemäß gerügt, wenn die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen, ihre Richtigkeit unterstellt, die geltend gemachten Mängel ergeben, d. h. wenn sie schlüssig vorgetragen sind (BFH-Beschluß vom 21. April 1986 IV R 190/85, BFHE 146, 357, BStBl II 1986, 568, m. w. N.; Urteil vom 25. August 1982 I R 120/82, BFHE 136, 518, BStBl II 1983, 46). Dies ist im Streitfall nicht geschehen.

Die Kläger bzw. der Kläger rügen, die Urteile der Vorinstanz seien unter Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens ergangen. Nach Trennung des ursprünglich einheitlichen Klageverfahrens hätte - für jedes der nunmehr getrennten Verfahren - eine erneute mündliche Verhandlung durchgeführt werden müssen. Unterstellt, diese Auffassung träfe zu und das FG hätte die beiden angefochtenen Urteile tatsächlich ohne mündliche Verhandlung gefällt, läge dennoch kein Fall des § 116 Abs. 1 Nr. 4 FGO vor. Denn eine Verletzung des § 116 Abs. 1 Nr. 4 FGO bedingt, daß die Öffentlichkeit in einem zwingend öffentlichen Verfahren nicht gegeben war und die Beeinträchtigung auf den Willen oder die mangelnde Sorgfalt des Gerichts zurückzuführen ist (BFH-Beschluß vom 21. März 1985 IV S 21/84, BFHE 143, 487, BStBl II 1985, 551; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 116 FGO Rdnr. 19). Die Rüge bezieht sich also auf den Ausschluß der Öffentlichkeit des Verfahrens und damit den Verstoß gegen § 52 Abs. 1 FGO i. V. m. §§ 169, 171 b bis 175 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG). Die Revision kann nicht mit Erfolg auf § 116 Abs. 1 Nr. 4 FGO gestützt werden, wenn geltend gemacht wird, daß ein Urteil unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ohne mündliche Verhandlung ergangen sei (vgl. auch Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Beschluß vom 21. November 1983 9 C 203.82, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, begründet von Buchholz, 310, § 133 VwGO Nr. 46; Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1984, 646 - dort nur im Leitsatz veröffentlicht -; Bundesgerichtshof - BGH -, Beschluß vom 3. Dezember 1964 Ia ZB 23/64, Bundespatentgericht, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1965, 497; Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 138 Rdnr. 6; differenzierend Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 9. Aufl., § 138 Rdnr. 24, für den Fall, daß ein Urteil ohne mündliche Verhandlung gerade zum Zwecke der Vermeidung der für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Öffentlichkeit ergeht).

In Betracht käme insofern allenfalls ein Revisionsgrund i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO wegen fehlender ordnungsgemäßer Vertretung (vgl. z. B. BFH-Urteile in BFHE 136, 518, BStBl II 1983, 46; vom 18. Juli 1990 I R 12/90, BFHE 161, 409, BStBl II 1990, 986; Tipke/Kruse, a. a. O., § 116 FGO Rdnr. 17, m. w. N. zur Rechtsprechung). Die Revisionen der Kläger bzw. des Klägers sind aber auch danach nicht statthaft. Zwar ist es unschädlich, daß die entsprechende Vorschrift erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist des § 120 Abs. 1 FGO bezeichnet worden ist. Es genügt, wenn die innerhalb der Frist vorgetragenen Umstände geeignet sind, einen Verfahrensfehler i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO zu begründen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 136, 518, BStBl II 1983, 46; BVerwG-Urteil vom 25. Januar 1974 VI C 7.73, BVerwGE 44, 307). Dies ist jedoch nicht der Fall. Die angefochtenen Urteile beruhen auf einer mündlichen Verhandlung (§ 90 Abs. 1 FGO).

Die Trennung eines anhängigen Klageverfahrens gemäß § 73 Abs. 1 FGO ist in jedem Stadium des Verfahrens zulässig (vgl. Kopp, a. a. O., § 93 Rdnr. 5). Sie bewirkt, daß nunmehr in getrennten Verfahren zu verhandeln und zu entscheiden ist. Die vor Trennung vorgenommenen Prozeßhandlungen sind aber nicht unwirksam, sondern wirken fort und bedürfen keiner Wiederholung (Tipke/Kruse, a. a. O., § 73 FGO Rdnr. 4; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 73 Rdnr. 29). Die mündliche Verhandlung bleibt als Verfahrenshandlung also wirksam. Fehlerhaft könnte allenfalls die Verkündung der Urteile gewesen sein, da das FG den zwischenzeitlich ergangenen Trennungsbeschluß den Beteiligten erst danach, mit Zustellung der Urteile am 15. April 1992, bekanntgegeben hat (zum Erfordernis der Bekanntgabe des Trennungsbeschlusses s. § 155 FGO i. V. m. § 329 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung; s. a. BFH-Beschluß vom 24. Oktober 1973 VII B 47/72, BFHE 110, 465, BStBl II 1974, 137; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 104 FGO Rdnr. 24). Im einzelnen kann dies jedoch dahinstehen. Etwaige Mängel der Verkündungen wären durch die nachfolgenden Zustellungen der Urteile geheilt (Tipke/Kruse, a. a. O., § 104 FGO Rdnr. 2 a. E.). Ein Verfahrensverstoß i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO läge jedenfalls nicht vor.