| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 12.5.1993 (II R 82/92) BStBl. 1993 II S. 536

Ergibt sich aufgrund eines Beherrschungsvertrages ein Verlustübernahmeanspruch des abhängigen Unternehmens gegen das herrschende Unternehmen, so ist dieser Anspruch bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens des abhängigen Unternehmens nach den Verhältnissen des Abschlußzeitpunkts des Verlustjahres als Vermögensgegenstand mit dem Betrag anzusetzen, der sich aus der festgestellten Jahresbilanz ergibt.

BewG § 95 Abs. 1, §§ 98a, 109; AktG §§ 291, 302.

Vorinstanz: FG Münster (EFG 1985, 12)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine AG, ist die Gesamtrechtsnachfolgerin der X-AG.

Streitig ist für den Bewertungsstichtag 1. Januar 1979 die Höhe des Einheitswerts des Betriebsvermögens der X-AG, die 1972 mit der ausländischen Y-Gesellschaft einen Beherrschungsvertrag abgeschlossen hatte. Aufgrund des § 302 des Aktiengesetzes (AktG) übernahm die Y-Gesellschaft den sonst auszuweisenden Jahresfehlbetrag des Jahres 1978 der X-AG in Höhe von .... DM. Entgegen der Auffassung der X-AG erhöhte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) mit Bescheid vom 18. März 1981 den (erklärten) Einheitswert des Betriebsvermögens um den Anspruch auf Verlustübernahme durch die Y-Gesellschaft.

Mit ihrer Sprungklage, der das FA zustimmte, hat die X-AG geltend gemacht, daß es unzulässig sei, bereits bei der Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1979 den sich aus § 302 AktG ergebenden Verlustübernahmeanspruch gegenüber der Y-Gesellschaft als Vermögensgegenstand zu berücksichtigen.

Dieser Anspruch sei vielmehr erst mit der Feststellung der Bilanz durch den Aufsichtsrat am 25. April 1979 entstanden und könne demgemäß den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1979 noch nicht erhöhen.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und den Einheitswert des Betriebsvermögens um .... DM herabgesetzt (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1985, 12). Das FA hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Während des Revisionsverfahrens hat das FA am 20. September 1988 gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) einen Änderungsbescheid erlassen, durch den es den strittigen Einheitswert des Betriebsvermögens nach einer Außenprüfung aus anderen Gründen erhöhte. Das Revisionsverfahren wurde zunächst gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt, im Jahre 1992 aber wieder aufgenommen, nachdem die Klägerin beantragt hatte, den geänderten Einheitswertbescheid vom 20. September 1988 gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Das FA rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den mit Bescheid vom 20. September 1988 auf den 1. Januar 1979 festgestellten Einheitswert des Betriebsvermögens der X-AG um .... DM herabzusetzen sowie die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.

1. Das Urteil des FG ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Denn Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens war der Bescheid des FA vom 18. März 1981 über den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1979. Dieser Bescheid wurde durch den Änderungsbescheid des FA vom 20. September 1988 ersetzt, der verfahrensrechtlich ein neuer Verwaltungsakt war (vgl. Senatsurteil vom 10. April 1991 II R 118/86, BFHE 164, 448, BStBl II 1991, 620, m. w. N.). Da dem FG-Urteil der nicht mehr existierende Einheitswertbescheid vom 18. März 1981 zugrunde liegt, kann es keinen Bestand haben.

Durch den Antrag der Klägerin wurde der Einheitswertbescheid vom 20. September 1988 gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens. Im Streitfall bedarf es keiner Zurückverweisung (§ 127 FGO), denn die Sache ist spruchreif. Der vom FG festgestellte Sachverhalt reicht aus, um abschließend prüfen und beurteilen zu können, ob der zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gewordene Einheitswertbescheid vom 20. September 1988 rechtmäßig ist. Der erkennende Senat entscheidet aufgrund seiner Befugnis aus den §§ 121 und 100 FGO in der Sache selbst (vgl. Senatsurteil vom 20. Juli 1988 II R 164/85, BFHE 154, 13, BStBl II 1988, 955).

2. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist die Klage unbegründet. Der Einheitswertbescheid vom 20. September 1988 ist rechtmäßig. Das FA hat zutreffend bei der Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens der X-AG auf den 1. Januar 1979 den Verlustübernahmeanspruch gegenüber der Y-Gesellschaft als Vermögensgegenstand erfaßt. Ergibt sich aufgrund eines Beherrschungsvertrags ein Verlustübernahmeanspruch des abhängigen Unternehmens gegenüber dem herrschenden Unternehmen (§ 302 AktG), so ist dieser Anspruch bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens des abhängigen Unternehmens nach den Verhältnissen des Abschlußzeitpunkts des Verlustjahres als Vermögensgegenstand mit dem Betrag anzusetzen, der sich aus der festgestellten Jahresbilanz ergibt.

Der erkennende Senat folgt nicht der Auffassung des FG, daß ein nach § 95 Abs. 1, §§ 98 a und 109 des Bewertungsgesetzes (BewG) bewertbarer Anspruch der X-AG gegen die Y-Gesellschaft auf Übernahme des sonst entstandenen Jahresfehlbetrages für das Geschäftsjahr 1978 am maßgebenden Abschlußtag (31. Dezember 1978) noch nicht bestanden habe, sondern erst entstanden sei, als der Aufsichtsrat den Abschluß am 25. April 1979 feststellte. Entscheidend ist nicht, daß ein einklagbarer (fälliger) Geldanspruch die Feststellung der Bilanz voraussetzt. Maßgebend ist vielmehr, daß sich bereits aus dem Bestehen des Beherrschungsvertrages (vgl. § 291 Abs. 1 AktG) die Verpflichtung der Y-Gesellschaft ergab, jeden während der Dauer des Beherrschungsvertrages sonst entstehenden Jahresfehlbetrag der X-AG auszugleichen (vgl. § 302 AktG), und daß diese Verpflichtung am maßgebenden Abschlußtag dem Grunde nach bereits entstanden und soweit konkretisiert war, daß von einem bewertbaren Anspruch ausgegangen werden mußte.

Schließt ein abhängiges Unternehmen ein Geschäftsjahr mit einem Jahresfehlbetrag ab, so ist dieses Ergebnis vor allem die Folge der Geschäftsentwicklung während des Geschäftsjahres. Eine negative Geschäftsentwicklung führt zur Verminderung des Vermögens des abhängigen Unternehmens, der die aus §§ 302 f. AktG folgende Verlustdeckungspflicht des herrschenden Unternehmens gegenübersteht. § 302 AktG verhindert (unter der Voraussetzung der Vollwertigkeit des Verlustdeckungsanspruches), daß ein Verlust der bilanzmäßigen Vermögenssubstanz eintreten kann und der Vorstand deshalb verpflichtet ist, einen Konkursantrag wegen Überschuldung zu stellen. Karsten Schmidt (Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht - ZGR - 1983, 513) spricht deshalb zu Recht davon, daß die Verlustdeckungspflicht des herrschenden Unternehmens auf einem Dauerschuldverhältnis beruht. Da zum Bilanzstichtag grundsätzlich feststeht, welches Jahresergebnis die beherrschte Gesellschaft erzielt hat und nur noch seine zahlenmäßige Konkretisierung durch die Feststellung des Jahresabschlusses offen ist (s. Koppensteiner in Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Aufl., § 302 Rn. 26), ist zu diesem Zeitpunkt - im Streitfall zum 31. Dezember 1978 - auch die Verpflichtung des herrschenden Unternehmens und der damit korrespondierende Anspruch des beherrschten Unternehmens auf Übernahme des Jahresfehlbetrags entstanden (vgl. auch Kropff, Festschrift für Döllerer, 1988, S. 352, 359). Wie Koppensteiner überzeugend darlegt, kann die Entstehung dieses Anspruchs schon deshalb nicht von der späteren zahlenmäßigen Konkretisierung durch die Feststellung des Jahresabschlusses abhängig sein, weil sonst § 302 Abs. 1 AktG auf einen Jahresfehlbetrag, der erst nach Beendigung des Unternehmensvertrags festgestellt würde, im Widerspruch zu den Intentionen der Bestimmung nicht angewendet werden könnte. Soweit im Schrifttum die Auffassung vertreten wird, der Ausgleichsanspruch nach § 302 AktG entstehe erst mit der Feststellung des Jahresabschlusses (vgl. z. B. Geßler in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Aktiengesetz, Kommentar, 1976, § 302 Anm. 41; Geßler, Aktiengesetz, Kommentar, 1992, § 302 Anm. 7), vermag der Senat dem nicht zu folgen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin verstößt der Ansatz des Verlustübernahmeanspruchs nicht gegen das Stichtagsprinzip. Das aus § 106 BewG folgende Stichtagsprinzip erfordert es nicht, daß ein Wirtschaftsgut nur dann angesetzt werden darf, wenn sein Wert am Stichtag bereits feststeht. Maßgebend für den Ansatz eines vorhandenen Wirtschaftsguts ist vielmehr der Erkenntnisstand des sorgfältigen Kaufmannes im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung (vgl. das Senatsurteil vom 13. August 1986 II R 213/82, BFHE 147, 531, BStBl II 1987, 48), bezogen auf die am Bilanzstichtag bestehenden objektiven Verhältnisse.

Soweit zwingende Bilanzierungsvorschriften den Ausweis eines Jahresfehlbetrags zur Folge haben, geht es allein um die Berücksichtigung der objektiven Verhältnisse am Bewertungsstichtag. Eine andere Auffassung hält der Senat aber auch insoweit nicht für gerechtfertigt, als der Ausweis des Jahresfehlbetrags die Folge der Ausübung von Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechten ist. Es ist zu beachten, daß diese Wahlrechte stichtagsgebunden sind. Ihre Ausübung erfolgt zwar nach dem Stichtag. Sie betreffen aber den Ansatz eines Bilanzpostens zum Stichtag und beeinflussen so den Ausweis des Ergebnisses des bei Ausübung des Wahlrechtes bereits abgeschlossenen Geschäftsjahres. Wird das so ermittelte Jahresergebnis in der Bilanz auf den Abschlußtag ausgewiesen, verstößt es nicht gegen das Stichtagsprinzip, wenn dieses Ergebnis, das zu einem Verlustübernahmeanspruch gegen das herrschende Unternehmen führt, bei der Feststellung des Vermögens auf den Feststellungszeitpunkt ausgewiesen wird.

Aus den §§ 4 bis 6 BewG läßt sich nichts gegen den Ansatz des Verlustübernahmeanspruchs herleiten. Die Feststellung des Jahresabschlusses ist zwar Voraussetzung für die Konkretisierung eines einklagbaren Zahlungsanspruches. Dies ändert aber nichts daran, daß bereits aufgrund der bis zum Bilanzstichtag eingetretenen Geschäftsentwicklung ein Verlustübernahmeanspruch des herrschenden Unternehmens dem Grunde nach entstanden und soweit konkretisiert ist, daß er bei der Bewertung des Betriebsvermögens anzusetzen ist. Zwar spricht der III. Senat in seinem Urteil vom 25. März 1983 III R 13/81 (BFHE 138, 257, BStBl II 1983, 444) insoweit von einer aufschiebenden Bedingung. Diese Auffassung war aber letztlich nicht tragend. Denn entscheidend wurde darauf abgestellt, daß am Stichtag noch kein Beschluß über die Gewinnverwendung gefaßt worden war (vgl. auch die Anmerkung von List zu dem Urteil in Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Bewertungsgesetz 1965, § 103, Rechtsspruch 19).

Die Auffassung des erkennenden Senats steht auch im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH). Dies gilt insbesondere bezüglich des Urteils vom 11. Oktober 1968 III 246/64 (BFHE 94, 261, BStBl II 1969, 123), wonach der Anspruch des typischen stillen Gesellschafters auf seinen Anteil am Gewinn bei der Einheitsbewertung und der Vermögensteuer nicht erst im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung, sondern schon am Ende des Geschäftsjahres des Unternehmens zu erfassen ist.

Es besteht auch kein Widerspruch zu dem Urteil des erkennenden Senats vom 24. April 1985 II R 231/84 (BFHE 143, 375, BStBl II 1985, 361). Die dort getroffene Entscheidung über den Abzug der Körperschaftsteuer hat nur die Konsequenzen daraus gezogen, daß eine nach dem Feststellungszeitpunkt beschlossene Gewinnausschüttung bei der Bewertung des Betriebsvermögens der ausschüttenden Gesellschaft nicht berücksichtigt werden darf. Unter dieser Voraussetzung war es folgerichtig, die noch nicht beschlossene Ausschüttung auch bei dem Abzug der Körperschaftsteuer unberücksichtigt zu lassen und aus diesem Grunde die Ermäßigung der Körperschaftsteuer durch die spätere Ausschüttung noch nicht zu berücksichtigen. Würde als zulässig angesehen werden, die spätere Gewinnausschüttung unter bestimmten Voraussetzungen bereits zu berücksichtigen (wie dies für den Jahresabschluß zulässig ist, vgl. § 268 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches - HGB - n. F.), so müßte die abzugsfähige Körperschaftsteuer ebenfalls unter Berücksichtigung der Gewinnausschüttung berechnet werden (vgl. auch § 278 HGB n. F.).

Auch das Senatsurteil vom 23. April 1992 II R 40/88 (BFHE 168, 365, BStBl II 1992, 790) steht nicht entgegen. Nach dieser Entscheidung darf eine GmbH eine im voraus beschlossene Gewinnausschüttung bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens nicht als Betriebsschuld abziehen, wenn am maßgeblichen Stichtag die Feststellung der Jahresbilanz und der Gewinnverteilungsbeschluß noch nicht erfolgt sind. Der Senat hat dies damit begründet, daß den Gesellschaftern zivilrechtlich am Stichtag noch kein Anspruch auf Auszahlung des Reingewinns zustand. Der Anspruch auf periodische Gewinnauszahlung setzt nach GmbH-Recht den Ablauf des Geschäftsjahres, die Aufstellung einer ordnungsgemäßen Bilanz, die Feststellung der Bilanz, den Ausweis eines Reingewinns sowie die Verteilung des Reingewinns durch die Gesellschafter in einer bestimmten Weise voraus. Erst nach Vorliegen dieser Voraussetzungen ist ein zivilrechtlich gültiger und unbedingter Gewinnauszahlungsanspruch entstanden. Erst dann kann bewertungsrechtlich die Verpflichtung zur Auszahlung bei der Gesellschaft als Schuld abgesetzt werden. Demgegenüber ist im Streitfall der Anspruch auf Übernahme des Verlustes mit Ablauf des Wirtschaftsjahres bereits entstanden, ohne daß es - mit Ausnahme der Festlegung der Höhe - noch eines Handelns der zuständigen Gesellschaftsorgane bedarf.